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Die Begriffe der „Holocaust Education“, „Holocaust Erziehung“ oder „Holocaust Pädagogik“ im deutschen Sprachraum sind relativ neu. Ähnliche, jedoch nicht so häufig gebräuchliche Verwendung finden auch Begriffe wie „Teaching the Holocaust“

und „Holocaust Curriculum“ (vgl. Heyl, 1996). Die Verwendung der deutschen Übersetzung „Holocaust Erziehung“ erscheint nicht als gleich geeignet, denn sie kann das Inhalts-und Wirkungsfeld des Themas nicht vollkommen umschreiben. Sie könnte zu Missverständnissen führen und Broder (zit. n. Heyl, 1996, S. 65) meint dazu überspitzt, dass der Begriff nicht eindeutig angibt, ob die Kinder dabei lernen sollten, „wie man einen Holocaust organisiert oder einem Holocaust entgeht“.

Ungeachtet dieser polemischen Auslegung des deutschen Begriffs, erachte ich die englische Variante „Holocaust Education“ als in ihrem Bedeutungsfeld umfangreicher. Auch aufgrund der internationalen Gebräuchlichkeit findet er in vorliegender Arbeit Verwendung. Wie bereits erwähnt, wird auf eine schriftliche Hervorhebung in der Folge verzichtet.

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Inhalte und Ziele der „Holocaust Education“ sind oft nicht gleich erkennbar. Es gibt keine klare Definition und die Bandbreite dessen, was darunter zu verstehen ist, ist groß. Fest steht, dass es das Endglied einer 30-jährigen Diskussion ist, die durch die Etappen der „Vergangenheitsbewältigung“, „Betroffenheitspädagogik“ und

„Erinnerungsarbeit“ dargestellt wurde (vgl. Gagel, 2002; Terhag, 2002).

Heyl (1996, S. 22), einer der Pioniere, die sich mit diesem Thema pädagogisch auseinandersetzen, bezeichnet Holocaust Education sehr weit definiert als „die pädagogischen Bemühungen um ein Erinnern und Gedenken“. Zu dieser allseits akzeptierten Zieldefinition ist es notwendig, sich über Lehrinhalte Gedanken zu machen. Hier erstreckt sich die Bandbreite von der ausschließlich historischen Bearbeitung des Themas bis hin zur ausschließlichen Sozialerziehung.

So stellt Sigel (o.J.) die Frage, ob Holocaust Education ein neues Unterrichtsfach sein sollte und meint eine Tendenz zu erkennen, in der es möglich ist, eine

„Erziehung nach Auschwitz“ ohne der impliziten Thematisierung von Auschwitz und dem Holocaust - auch durch Nicht- Historikerinnen und- Historiker zu betreiben. In diesem Sinne ist es für ihn vorstellbar, „dass der Holocaust selbst eines Tages in der Tat gänzlich überflüssig wird“ und nennt Konferenzen zum Thema Holocaust Education, die bereits jetzt ohne den Holocaust auskommen. So schreibt eine amerikanische Professorin in einem Bericht zu einer „Holocaust Education Conference“ in Hamburg:

The discussions were often quite intense. Some felt that the subject of the Holocaust should not be included at all, but that generalized prejudices reduction kinds of resources and materials should be used and the focus of the curriculum (Sepinwall, 1997).

Wenn die Auseinandersetzung mit dem historischen Geschehen von einer Werterziehung und einer moralischen Anleitung abgelöst wird, so sieht Sigel (o.J) die Entwicklung hin zu einer Holocaust Education als Unterrichtsfach, das immer mehr zu einem „Sozialtherapeutikum wird, das die Beschädigungen dieser Entwicklung heilen und lindern soll, wenn möglich ihnen sogar vorbeugen soll. Es enthält letztlich

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alles, von der ethischen Belehrung über die Gewaltprävention bis zu Mediatorenausbildung“ (ebd.).

Trotz unbestritten bester pädagogischer Absichten ist die Gefahr der Überfrachtung und des Verlierens einer genauen Zieldefinition im Unterrichtsvorhaben durchaus gegeben. Eine allzu weite Interpretation und Auslegung von Adornos Forderungen an Erziehung durch ein unaufhörliches Hineinpacken immer neuer Inhalte könnte, so Sigel (o.J), die „erhofften positiven Effekte verhindern“ und sich eventuell sogar

„kontraproduktiv auswirken“.

Eindeutige Definitionen der Lehrinhalte finden sich bei nachfolgenden Institutionen.

Die „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Reasearch“ (vgl. www.holocausttaskforce.org/education) definiert folgende Forderungen an eine Holocaust Education:

- Das Wissen über diese beispiellosen Ermordungen vergrößern - Die Bewahrung der Erinnerung an die Opfer

- Die Relevanz für die Gegenwart überlegen- Erörterung von moralischen und geistigen Fragen, die sich aus den Erfahrungen des Holocausts ergeben

Speziell an das österreichische Bildungssystem richtet sich der Verein _einnern.at_

(vgl.http://www.erinnern.at/zu-erinnern-at/kurzbeschreibung/?searchterm=-Intensivierung und Strukturierung der Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust im Bildungswesen) des bm:ukk, indem er folgendes fordert:

- Intensivierung und Strukturierung der Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust im Bildungswesen

- Lernen über Holocaust und Nationalsozialismus soll für die Gegenwart der Lernenden relevant werden können, ohne dass das Thema durch Pädagogisierung gefällig oder beliebig wird

Beide, für das österreichische Schulsystem bedeutende Institutionen betonen neben der Intensivierung der Wissensvermittlung den Bezug zur Gegenwart. Die Taskforce führt die Erörterung von moralischen und geistigen Fragen im Zusammenhang mit

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dem Thema Holocaust explizit an, wobei _erinnern.at_ weitergreifend vor einem Beliebig- und Gefälligmachen durch Pädagogisierung des Themas warnt.

In jedem Fall sind Überwältigungsstrategien und eine pädagogisch intendierte Betroffenheit zu vermeiden. Vorrangiges Ziel ist, so formuliert Thomas Assheuer in

„Die Zeit, Nr. 47/1998“, ein moralisch souveränes Bewusstsein, „das weder dem Zwang des Vergessens noch dem Zwang des Erinnerns erliegt.“

Aus diesen Formulierungen lassen sich hohe Anforderungen an die unterrichtenden Lehrkräfte entnehmen. Sie müssen mit entsprechendem Fachwissen, aber auch mit pädagogischem Feingefühl eine Gratwanderung zwischen Informieren und Moralisieren vollbringen. Die Rolle der Lehrkraft ist in diesem Zusammenhang eine tragende, weshalb sie auch in vorliegender Arbeit, bei der Bearbeitung des Interviews, näher beleuchtet wird.

Vorerst gilt es jedoch, sich noch mit der regionalen Entwicklung der Holocaust Education, deren curricularer Verankerung im österreichischen Bildungssystem und den wissenschaftstheoretischen Pro- und Kontrapositionen auseinanderzusetzen.