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4.1 Betrachtung der Lehrperson

4.1.11 Einschätzung der Grenzen

Nach Grenzen der unterrichtlichen Themenbehandlung gefragt, nennt Frau U. die detaillierte Abhandlung des Themas Euthanasie und die Ausgrenzung von entsetzlichen Bildern. Bei schwierigen Kindern könnte man ihrer Ansicht nach ein solches Projekt nicht durchführen und bei Kindern mit Migrationshintergrund müsse man sich eine andere methodische Vorgehensweise überlegen. Ihres Erachtens liegt

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auch in der Lehrerinnen- und Lehrerpersönlichkeit eine Grenze, da ihr nicht jede für die Behandlung des Themas geeignet erscheint.

4.1.11.1 Euthanasie

Z.1287-1310: Interviewer: Gibt es für Sie Grenzen oder Themen zum Nationalsozialismus und Holocaust, wo Sie sagen würden: „Das würde ich in der Volksschule nicht machen.“? Sie haben vorher das Thema Euthanasie angesprochen. Vielleicht sagen Sie da noch ein paar Worte dazu.

Lehrerin: Das Thema Euthanasie, in dem Sinn, dass man sagt, es hat nicht nur Juden betroffen, sondern eben auch Roma und Sinti, Kranke und Behinderte..ah... dass man den Ausdruck Euthanasie einführt und erklärt was das war.

Interviewer: das würden Sie schon machen?

Lehrerin: Ja, das würde ich schon machen. Aber i würd niemals genauer drauf eingehen. Vor allem, dass es Kindereuthanasie gegeben hat, oder grundsätzlich, dass jemand, der krank war, dass er gleich abtransportiert worden ist. Das würde ich so in der Form nie sagen, weil ich denk, das muss ja ungeheure Ängste auslösen. Wenn ein Kind kranke Großeltern hat, oder Behinderte oder Mittellose oder was es halt alles betroffen hat... das muss i immer denken, wenn so a Zeit wieder kommt, dann könnte es passieren. Also i glaub, da muss man vorsichtig sein. Und sie sind a zufrieden, wenn man sagt- manche wissens, dass das nicht nur die Juden betroffen hat, sondern eben a Behinderte. Das ist immer wieder vorgekommen, dass ein, zwei Kinder das wissen. Ja, dann sag i ja, das hat es a gegeben und das hat man dann die Euthanasie genannt, das war das Euthanasieprogramm der Nazis. Aber damit san die Kinder absolut zufrieden. Da kommen dann a kane Fragen dazu. Na, und niemals Kindereuthanasie, da bereitet man ihnen schlaflose Nächte.

Auf die Frage nach den Grenzen, bzw. dem Thema Euthanasie meint die Lehrerin, dass sie es in dem Sinn einführen würde, dass es nicht nur Juden, sondern auch Roma, Sinti, Kranke und Behinderte betroffen habe. Sie würde den Ausdruck Euthanasie gebrauchen und erklären was das gewesen sei. Sie würde aber niemals genauer drauf eingehen und auch nicht auf die Kindereuthanasie. Sie würde auch nicht sagen, dass jeder, der krank war, gleich abtransportiert wurde. Das würde bei den Kindern ungeheure Ängste auslösen und die Kinder würden das auf ihre kranken Großeltern oder auch auf Behinderte oder Mittellose beziehen. Daran würde die Lehrerin immer denken, für den Fall, dass eine solche Zeit wieder kommen würde. Manche Kinder wüssten aber, dass nicht nur Juden, sondern auch Behinderte betroffen waren. Die Lehrerin würde das in diesem Fall bestätigen, womit sich die Kinder absolut zufrieden geben würden und keine weiteren Fragen kämen.

In dieser Erklärung erscheint die Lehrerin sehr undifferenziert und unklar. Einerseits hat sie den Anspruch auf Aufklärung, indem sie den Begriff der Euthanasie einführen möchte, andererseits fehlen jedoch notwendige Erklärungen, weil sie befürchtet damit Ängste in den Kindern auszulösen. Eine genaue Definition von Euthanasie

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bleibt aus, sie spricht nur davon, wer davon betroffen sein könnte. An dieser Stelle mischt die Lehrerin die Beschreibung der Informationen an die Kinder mit eigenen Ängsten. Sie artikuliert diese mit der Befürchtung vor der Wiederholung „einer solchen Zeit“. An der diffusen Art der Argumentation könnte man herauslesen, dass das Thema Euthanasie für die Lehrerin selbst ein sehr bedrohliches ist und sie damit auch an eigene Grenzen gestoßen sein könnte. Das Vorhaben couragierter Aufklärung mündet in Abschwächungen und Verharmlosungen. Wieder nimmt die Lehrerin an, dass die Kinder (im Kollektiv) mit diesen Erklärungen zufrieden wären und keine weiteren Fragen stellen würden.

4.1.11.2 Entsetzliche Bilder

Z.1312-1318: Interviewer: Gibt’s sonst noch etwas, wo Sie sagen, das würde ich in der Schule nicht zeigen? Sie haben ja zuvor zu den Büchern etwas gesagt...

Lehrerin: Ja, zu den Bildern. Ich hab niemals Kindern irgend a entsetzliches Bild gezeigt. Also weder ein Foto, ja nicht einmal in einem Bilderbuch. Sogar in dem Buch Otto ist eines, wo man sieht wie die Häuser dann in Trümmern liegen und aus einem so einem Trümmerhaufen ragt so eine Hand raus. Also das ist ein Bild von dem Buch, das zeig ich nie, weil ich mir denk, das muss net sein.

Auf die Frage, ob es etwas gäbe, was die Lehrerin, beispielsweise in Büchern nicht zeigen würde, meint sie, dass sie den Kindern niemals entsetzliche Bilder gezeigt habe- auch nicht in Bilderbüchern. Z.B.. im Buch Otto spare sie immer ein Foto aus, wo eine Hand aus den Trümmern ragen würde. So etwas zu zeigen müsse nach Ansicht der Lehrerin nicht sein.

Hier beweist die Lehrerin Fachkenntnis, da sie weiß, dass das Zeigen von grausamen Bildern unbedingt zu unterlassen ist und kontraproduktive Auswirkungen nach sich ziehen könnte (vgl. Konevic, 2007; Kühberger & Windischbauer, 2010). In Richtigstellung der Aussage von Frau U., dass ein Zeigen dieser Bilder nicht sein

„muss“ ist festzuhalten, dass dies, gerade in der Volksschule nicht sein darf.

4.1.11.3 Ungeeignete Lehrerinnen und Lehrer

Z.1381-1385: Es gibt zwar sicher net viele, aber auch in der Volksschule Lehrer, die Kindern manchmal Angst machen, oder die net so akzeptiert sind oder wo sie kein Vertrauen haben, das gibt’s a- obwohl i denk in dem Alter eher weniger- und so ein Lehrer sollte es nicht machen.

Es gäbe nach Ansicht der Lehrerin auch in der Volksschule einige wenige Lehrer, die Kindern Angst machen würden, zu denen die Kinder kein

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Vertrauen hätten, oder die von den Kindern nicht akzeptiert sein würden. In dem Alter der Kinder würde das aber eher selten vorkommen. Solch ein Lehrer sollte das Thema nicht behandeln.

Hier stellt die Lehrerin das besondere Vertrauensverhältnisses als Voraussetzung für die Durchführung eines solchen Projektes dar. Implizit äußert sie, dass ein solches in der Volksschule meist vorhanden ist. Mit der Aussage „in dem Alter eher weniger“

meint Frau U., dass Kinder in diesem Alter meist ein gutes Verhältnis zur Lehrperson hätten und die Lehrperson akzeptieren würden.

Abgesehen von der Tatsache, dass es auch in der Volksschule Kinder gibt, die kein solch gutes Verhältnis zur Lehrkraft haben, ist hier auf die Forderung hinzuweisen, dass die Behandlung des Themas nicht von Vertrauensverhältnissen oder persönlichen Bezügen der Lehrkraft zur Thematik abhängen darf (vgl. Hanfland, 2008; Imber & Shik-Eytan, o.J; Kühberger & Windischbauer 2010). Auch wenn soziale Bezüge eine sehr große Rolle spielen, so wäre hier von Lehrerinnen und Lehrern ein fachkundiges, reflektiertes Vorgehen wie bei allen anderen Themenbereichen zu erwarten.

4.1.11.4 Überforderte Lehrerinnen und Lehrer

Z.1348-1369: Interviewer: Würden Sie plädieren dafür, dass man ... [das Thema verpflichtend in der Schule behandelt, Anm. d. Verf.]

Lehrerin: [...] das ist schwierig. I würde nit dafür plädieren, weil i denk, dass der Großteil der Lehrer überfordert ist, weils ein Fakt ist, dass no immer net gern drüber gsprochen wird. Und i hab erlebt, [...] dass viele Lehrerinnen und Lehrer da sind, die von der eigenen Familiengeschichte her noch so betroffen sind, und zwar als Täterfamilie, nicht als Opferfamilie und die so leiden Interesse daran hat, sollte das machen. [...]

Lehrerin: Ja, ein Freiwilligkeitsprinzip, wo sie dann wählen können. Wers machen möchte, solls machen und wer sagt, er sieht sich net im Stande, weil er vielleicht selber zu wenig weiß, weil ers emotional net derpackt, der muss es dann nicht machen müssen, weil dann wär mehr Schaden als Nutzen dann das Ergebnis.

Nach Meinung von Frau U. sei der Großteil der Lehrer mit dem Thema überfordert. Es sei Fakt, dass darüber immer noch nicht gerne gesprochen wird. Die Lehrerin habe erlebt, dass viele Lehrerinnen und Lehrer von der

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eigenen Familiengeschichte, als Täter- und nicht als Opferfamilie, noch sehr betroffen sind. Es sei schon mehrmals passiert, dass sie deshalb während eines Seminars in Tränen ausgebrochen seien. Man kann Lehrer nicht zur Behandlung des Themas verpflichten. Die Nachfrage nach einem Freiwilligkeitsprinzip bestätigt sie. Nur der, der dazu imstande sei, solle es unterrichten. Ansonsten würde mehr Schaden als Nutzen das Ergebnis sein.

Die Lehrerin hat großes Verständnis für persönliche Befindlichkeiten und sieht darin eine unumstößliche, nicht veränderbare Tatsache. Aus diesem Grund und aus Angst davor, mehr Nutzen als Schaden anzurichten, plädiert sie bei der Behandlung des Themas für ein Freiwilligkeitsprinzip.

Es ist Tatsache, dass viele Lehrerinnen und Lehrer von der eigenen Familiengeschichte beeinflusst oder geprägt sind. Umso notwendiger wäre eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Es wäre an der Zeit und eine Gelegenheit, sich mit heiklen Fragen der eigenen Geschichte zu beschäftigen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn man sich als Pädagogin und Pädagoge dem Thema nicht verschließt. Adorno (1970) betont, dass die „Erziehung nach Auschwitz“

misslingt, wenn der Pädagoge selbst Vorbehalte und Skepsis dem Thema gegenüber hat. Es ist wichtig, sich selbst vollkommen auf Auschwitz einzulassen und seine eigenen Emotionen zu erfahren, um mit Kindern darüber sprechen zu können.

Auch die Notwendigkeit einer guten Fortbildung sei hier nochmals erwähnt.

4.1.11.5 Schwierige Kinder

Z.1284-1292: [...], wenn i also extrem gstörte Kinder in der Klasse habe, kann i vielleicht manche Dinge nicht machen, die i mit der Klasse machen hab können. Wenn i Kinder hab mit Schreianfällen, oder wos ständig Gewaltakte gibt, dann kann i ka 2 1/2, 3 Stundenprojekt durchziehen, dann muss i ma andere Sachen ausdenken.

Interviewer: Aus organisatorischen Gründen.

Lehrerin: Aus organisatorischen Gründen, ja.

Wenn man „gestörte“ oder aggressive Kinder in der Klasse habe, so meint Frau U. könne man keine derartig langen Projekte durchführen. Dann müsse man sich aus organisatorischen Überlegungen andere Möglichkeiten ausdenken.

Unabhängig von der problematischen Titulierung auffälliger Kinder durch die Lehrkraft ist diese Aussage in Frage zu stellen. Im Volksschulunterricht ist davon auszugehen, dass man derartige Projekte- auch zu anderen Themen- durchführen kann und muss. Gerade bei aggressiven oder anders auffälligen Kindern ist immer

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wieder zu beobachten, dass sie sich in solchen Projekten wiederfinden und gut einbringen können. Ein Ausschluss des Themas in der Volksschule auf Grund auffälliger Kinder ist aus erziehungswissenschaftlicher Sicht nicht zu befürworten.