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Hier nimmt das Konzil sich selbst und die Kirche in Pflicht: Kirche muß die Veränderungen in einer sich entwickelnden Welt zur Kenntnis nehmen und aus

Im Dokument Die Friedenslehre (Seite 43-47)

ihrem Glauben heraus deuten. In Nr. 5-10 werden dann solche als bedeutsam erachteten Veränderungen in der Welt behandelt.

— Die Verpflichtung der Kirche zum aggiornamento bleibt aber nicht an der Oberfläche einer Gegenüberstellung von „fortschrittlich" und „konservativ", sondern berührt Grundfragen der Theologie in ihrer gesamten Breite. Dies wird bei der impliziten Behandlung der Zeichen der Zeit deutlich:

der gängigen Trivialisierung von _Liebe" etwa in Schlagertexten auch auf dieses Wort zu verzichten.

"Im Glauben daran, daß es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis er-füllt, bemüht sich das Volk Gottes. in den Ereignissen. Bedürfnissen und Wün-schen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unter-scheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind.

Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht. enthüllt den göttlichen Ratschluß hinsichtlich der integralen Berufung des Menschen und orientiert daher den Geist auf wirklich humane Lösungen hin." (11.1, Nr.11)

Um diesen, so leicht überlesenen Satz und Ansatz wurde auf dem Konzil lange gerungen:

„In diesem Artikel versucht die Konstitution, den theologischen Ort und die theo-logische Legitimierung für ihr eigenes Vorhaben — ein Gespräch der Kirche mit der heutigen Welt — deutlich zu machen ... Freilich mußte man auch hier wieder in der Debatte die Problematik einer zeitgemäßen Schriftanwendung erfahren, das Di-lemma zwischen historischer Genauigkeit, die die Schrift ins Damalige entrückt und sie darin festhält, und der Überzeugung. daß sie auch vom Heutigen handelt und darin angeeignet werden kann ... Gerade mit dem Problem der Gegenwart des Christlichen aber hatte es der Text zu tun, und so spiegelte sich im Grunde in dem Streit um die Möglichkeit der Schriftzitate das tiefere Dilemma des Textes über-haupt und schließlich das Dilemma der Kirche in unserer Zeit: Gehört sie, indem sie sich auf das Zeugnis der Schrift bezieht, notwendig der Vergangenheit zu, oder kann sie, ohne sich selbst untreu zu werden, Kirche der Gegenwart sein?"

(21,3130

Dies ist die theologische Grundfrage auch einer kirchlichen Soziallehre. Das Konzil jedenfalls hat sich neben dem schöpfungstheologischen und christologi-schen vor allem zu diesem „pneumatologichristologi-schen und ,kairologichristologi-schen`" (Ratzinger) Ansatz entschieden, der dem gesamten „Volk Gottes"•die Suche nach einer theo-logischen Deutung seiner Weltsituation zur Aufgabe macht.

Andere Fragen schließen sich sofort an, etwa die nach der „Unterscheidung der Geister":

„(Der Kirche) Gehorsam gegen den Herrn muß gerade auch Gehorsam gegen ihn als Pneuma, als Anruf im heute sein; er muß sich in der ,Unterscheidung der Gei-ster' vollziehen und sich auf das Wagnis einlassen, sich jederzeit dieser Unter-scheidung zu stellen. Sie freilich ist vonnöten, damit nicht unversehens aus dem Augenblick des Heiligen Geistes die Augenblicklichkeit des Zeitgeistes wird, da-mit nicht unter dem Schein des Gehorsams gegenüber dem Pneuma sich die Unter-werfung unter das Diktat der Mode und der Abfall vom Herrn vollzieht. Damit wird die notwendige Verbindung von Heiligkeit und Aggiornamento sichtbar: als Eingehen auf den Kairos muß es zugleich Dia-krisis seiner Geister aus dem Stehen im einen Geist des Herrn sein. In diesem zweifach-einen Sinn ist es freilich kirchli-che Aufgabe, notwendige pneumatologiskirchli-che Ergänzung zum christologiskirchli-chen Ge-horsam." (21,314)

Der Notwendigkeit, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu deuten, kann Kirche

nach GS nicht entfliehen. Ansatzpunkt ist wiederum die gemeinsame Erfahrung, Ziel ist ihre christliche Deutung:

„So ist der Mensch in sich selbst zwiespältig. Deshalb stellt sich das ganze Leben der Menschen, das einzelne wie das kollektive, als Kampf dar, und zwar als ein dramatischer, zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis ... Der Herr selbst aber ist gekommen, um den Menschen zu befreien und zu stärken, indem er ihn innerlich erneuerte und ,den Fürsten dieser Welt' (Jo 12,31) hinauswarf, der ihn in der Knechtschaft der Sünde festhielt. Die Sünde mindert aber den Menschen selbst, weil sie ihn hindert, seine Erfüllung zu erlangen. Im Licht dieser Offenba-rung finden zugleich die erhabene Berufung wie das tiefe Elend, die die Mensch-heit erfährt, ihre letzte Erklärung." (11.1, Nr.13)

„Die die Menschheit erfährt" (quas homines experiuntur) belegt die gemeinsame Erfahrung. Für diese Erfahrung mag es manche Erklärungen geben, die auch nicht falsch sein müssen; im Glauben aber, so der Christ, findet sich dafür die „letzte Erklärung". Sie gründet in der Glaubensgewißheit, daß Christus den „Fürsten die-ser Welt", der die Menschen in der Sünde zurückhielt (retinebat — bei der End-redaktion an die Stelle von retinet getreten), besiegt hat. In diesem Sieg gründen die Chancen, die ein Christ für humane Weltgestaltung sieht. Weltgestaltung setzt ein Wissen um den Zustand der Welt, uni die Ursachen der Inhumanität, um die Chancen und Grenzen von Humanisierung wie um die bleibenden Hindernisse voraus. Insofern ist die christliche Vertiefung kein verzichtbarer Überbau, sondern eine Problematisierung, die sich aus dem Leistungsprofil verantwortlicher Welt-gestaltung selbst ergibt. Und dies war dem Konzil bewußt:

„Daß dem Konzil der Zusammenhang zwischen menschlicher Existenzerfahrung und Botschaft des Glaubens wichtig ist, zeigt sich nochmals im letzten Satz ..., (der) feststellt, daß dieser Tatbestand, den uns zunächst einfach die Phänomenolo-gie zuträgt, im Licht der Bibel ,lesbar` und deutbar wird. Die Verbindung von Er-fahrung und Glaube bzw. die Einsicht, daß der Glaube den Schlüssel zum Sinn un-serer menschlichen Erfahrung bietet, stellt ja in der Tat die Voraussetzung für den Dialog zwischen Glaube und Unglaube dar: Nur wenn der Glaube die Erfahrung erhellt und sich als Antwort auf unsere Erfahrungen ausweisen läßt, kann das Ge-spräch über die Menschlichkeit des Menschen zu einem GeGe-spräch über Gott und mit Gott führen." (21,322)

All dies gründet wiederum im Vertrauen auf den Geist Gottes, der in der gesamten Menschheit weht, und auf die Vernunft, die in allen Menschen, Religionen und Kulturen am Werke ist und zu gemeinsamen Erfahrungen führt. Darum besteht Aussicht, daß eine politische Weltfriedensordnung theoretisch möglich und poli-tisch durchsetzbar, wenigstens aber nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.

In summa: Die Rede von den „Menschen guten Willens" ist mehr als der Aus- druck allgemeiner Philanthropie und Kooperationsbereitschaft, die _Zeichen der

Zeit" besagen mehr als irgendwelche irgendwie auffällige Veränderungen. Es handelt sich um theologisch gefüllte Begriffe. Sie berühren das Selbstverständnis der kirchlichen Soziallehre nach innen ebenso wie die Möglichkeit, von einer par-tikulären Lehre aus zu universalen Ordnungsentwürfen wie einer Weltfriedens-ordnung zu gelangen.

1.24 Die theologisch begründete Menschenwürde, die für alle „Menschen guten Willens" erkennbar ist, bildet dabei nicht nur die Grundlage der kirchlichen So-ziallehre. Sie wird darüber hinaus noch in den Menschenrechten entfaltet und ope-rationalisiert.

Menschenwürde und Menschenrechte sind eben keine Synonyme. Dies schon darum nicht, weil die immer tiefere Einsicht in die eigene Würde wie geänderte Umstände keinen Abschluß der Menschenrechtsentwicklung absehen lassen — die Menschenwürde ist jedoch immer schon präsent und unwandelbar. Dieser Ver-such, die Menschenwürde in Menschenrechte zu entfalten, prägt die kirchliche Soziallehre seit geraumer Zeit.

1.24.1 Schon bei Pius XII. war das theologische Interesse an den vor allem in der UN-Deklaration definierten Menschenrechten und deren Weiterentwicklung deut-lich. Für ihn stand dies in engem Zusammenhang mit dem Versuch, das tradierte Sicherheitssystem des „Gleichgewichts der Kräfte" durch ein „System kollektiver Sicherheit" zu überwinden, mit dem dann notwendigerweise die Bedeutung eines universal akzeptierten Völkerrechts und sanktionsmächtiger internationaler Insti-tutionen einherging. Basis dieses, die kollektive Sicherheit tragenden Völker-rechtskonsenses sollte die universale Anerkennung der Menschenrechte sein, de-ren Respektierung durch internationale Organisationen erzwingbar werden mußte.

Insofern ging bereits Pius XII. über seine Vorgänger, besonders Papst Leo hinaus.

Leo XIII. hatte am 20.6.1888 in der Enzyklika „Libertas Praestantissimum" die Rede- und Pressefreiheit noch verurteilt:

„Die unbeschränkte ,Rede- und Pressefreiheit' soll gleichfalls hier in Kürze be-sprochen werden. Daß eine solche normenlose, jedes Maß und alle Schranken überschreitende Freiheit keine Berechtigung hat, brauchen Wir wohl nicht zu sa-gen. Denn das Recht ist ein sittliches Vermögen; ... die Behauptung (ist) absurd, das Recht stände unterschiedslos der Wahrheit und der Lüge, der guten Sitte und dem Laster zu. Was wahr ist, was gut ist, das hat ein Recht, in vernünftiger Frei-heit in der Gesellschaft sich auszubreiten, um möglichst viele zu erfassen; dagegen werden lügenhafte Meinungen, die zu der schlimmsten Art von seelischer Pest zählen, und ebenso Laster, welche Sitten und Geist verderben, mit Recht von der Obrigkeit sorgfältig unterdrückt, damit sie nicht zum Schaden des Gemeinwesens

um sich greifen. Es ist ganz in der Ordnung, daß die Autorität der Gesetze die Irr-tümer eines ausschweifenden Geistes, die wahrhaftig eine Gewalttat gegen das un-erfahrene Volk bedeuten, nicht weniger unterdrückt als ein durch offene Gewalt an Schwächeren verübtes Unrecht ... Bei einer schrankenlosen Rede- und Pressefrei-heit bleibt nichts mehr heilig und unverletzt; nichts wird dann geschont, nicht ein-mal unsere obersten und sichersten natürlichen Prinzipien ... So wird allmählich die Wahrheit verdunkelt ..." (18.1,205)

Ähnlich behandelt Leo XIII. die „Lehr- und Forschungsfreiheit":

_Da es keinem Zweifel unterliegen kann, daß nur die Wahrheit in den Geist ein-dringen soll, in welcher die mit Verstand begabten Wesen ihr höchstes Gut, ihr Ziel und ihre Vollendung finden, so soll auch der Unterricht nur Wahrheit verkün-den, mag er sich nun an Ungebildete oder an Gelehrte wenverkün-den, um sie ersteren mit-zuteilen, in den Zweitgenannten zu befestigen." (18.1,207)

Im Dokument Die Friedenslehre (Seite 43-47)

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