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Vor allem greifen die französischen Bischöfe die in der französischen Theologie immer schon behandelte „Berufung zur Gewaltlosigkeit" und deren Bedeutung

Im Dokument Die Friedenslehre (Seite 175-179)

auch für die Politik auf — die tiefer denn auf der Strategieebene liegenden Chancen gewaltloser Überzeugungen und Aktivitäten:

„Die Kirche

unterstützt keineswegs den Pazifismus bis zum äußersten. Sie hat niemals eine einseitige Abrüstung gepriesen, da sie sehr wohl weiß, daß diese der Gewalt eines aggressiven militärischen, politischen und ideologischen Komplexes Vorschub leisten kann. Aber sie anerkennt die Botschaft des Evangeliums in den Appellen zur Gewaltlosigkeit; es ist eine prophetische Mahnung vor dem vernich-tenden Charakter der Gewalt: ,Der Zorn entstellt das Gesicht, selbst wenn er be-rechtigt ist', sagt ein polnisches Sprichwort. Auch wenn sie legitim ist, bleibt die Gewalt gefährlich. Sie ist es in höchstem Maße, wenn es um die selbstmörderische Rüstungsspirale geht, die wir gerade erwähnten. Diese führt die Welt in eine Si-tuation der Sünde und jeden von uns in Bereiche der Verantwortung, in denen das Gewissen gefordert ist. So müssen die ständigen Appelle von Männern und Frauen Gehör finden, die uns über die traurige gegenwärtige Notwendigkeit hinaus auf-fordern, deren Logik der Vernichtung abzubauen. Ist nicht die Zeit gekommen, ohne natürlich auf die bewaffnete Verteidigung zu verzichten, sorgfältig die Rolle und Wirksamkeit der gewaltlosen Methode zu prüfen, ihre Risiken und Chancen besser zu erwägen, sowie auch die Rolle und Risiken des Wettrüstens? Im Staat muß denjenigen Gehör geschenkt werden, die ein feineres Empfinden haben für das Risiko der entfesselten Gewalt. Sie dienen dem Gemeinwohl, indem sie ver-hindern, daß kurzsichtige Logik ihren teuflischen Kreis schließt. Zu Recht lehnen sie es ab, als Idealisten bezeichnet zu werden. Vielmehr ist man Realist, wenn man an die Möglichkeit der Veränderung erinnert, die in der heutigen Wirklichkeit liegt; sie sind vielleicht die Pioniere der Zukunft. Die Gewaltlosigkeit läßt sich nicht einfach mit dem Verzicht auf Gewalt definieren. Sie beschränkt sich nicht

auf von Gandhi angewandte Methoden, der daraus übrigens nichts Absolutes machte. Die Gewaltlosigkeit ist eine Geisteshaltung. die ihre ganze Kraft aus den Seligpreisungen schöpft: Wie Olivier Lacombe sagte, hat Gandhi die Christen ge-zwungen, sich daran zu erinnern, daß das Evangelium wirksam ist. ,Der Gewalt-lose steht wachsam unter Menschen, die sich mit einer allgegenwärtigen Gewalt abgefunden haben: Eine solche Berufung kann weder leichtfertig erfüllt noch leichtfertig behandelt werden. Doch wenn sie für die Realität von morgen spricht.

kann die Gewaltlosigkeit nicht die Last der Realität von heute außer acht lassen:

Die Menschen mit Herz müssen auch für sie Sorge tragen und sich ihren Zwängen unterwerfen." (8.2,246f)

Die US-Bischöfe nehmen ebenfalls das Anliegen der Gewaltlosigkeit und die Chancen gewaltfreier Methoden auf:

"Wir glauben, daß Bemühungen um die Entwicklung gewaltfreier Mittel zur Ab-wehr von Angriffen und zur Konfliktlösung am ehesten der Forderung Jesu nach Liebe und Gerechtigkeit entsprechen. In der Tat unterstreicht jeder Zuwachs an potentieller Zerstörungskraft der Waffen und daher auch des Krieges nur die Rich-tigkeit des Weges, den Jesus seinen Nachfolgern geboten hat. Auf der andern Seite aber legitimiert die faktische Aggression, Unterdrückung und Ungerechtigkeit in unserer Welt auch den Griff zu den Waffen und zu militärischer Gewalt. um die Gerechtigkeit zu verteidigen. Wir müssen dieses echte Paradox erkennen, vor dem wir als Christen in der gegenwärtigen Welt stehen; wir dürfen nicht aufhören, un-sern Glauben zu bezeugen, daß Liebe möglich und die einzig wirkliche Hoffnung für alle menschlichen Beziehungen ist, und müssen dennoch zugestehen, daß Ge-walt, selbst tödliche GeGe-walt, zuweilen gerechtfertigt ist, und daß Staaten für ihre Verteidigung Vorsorge treffen müssen. Es ist den Christen aufgetragen, sich darum zu bemühen, dieses Paradoxon durch noch größere Hingabe an Christus und seine Botschaft aufzulösen." (8.1,42)

Insofern wollen sie die _pazifistische Option einzelner" in der Kirche unterstützt sehen: _Als katholische Bischöfe haben wir die Pflicht, vor unsern eigenen Ge-meinden und der ganzen Gesellschaft zu betonen, wie wichtig diese Unterstützung der pazifistischen Option einzelner in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Kon-zils ist, sowie die Bekräftigung, die die Päpste in der Zeit nach dem Konzil dem gewaltlosen Zeugnis gegeben haben." (8.1.54)

In bezug auf die Traditionen des _gerechten Krieges" und der Gewaltlosigkeit se-hen die US-Bischöfe keinen unüberbrückbaren Widerspruch, vielmehr eine Ergän-zung: "Wir glauben, daß diese beiden Perspektiven einander stützen und ergänzen.

jede bewahrt die andere vor Entstellung. Schließlich konvergieren im Zeitalter technologischer Kriegführung oft eine vom Standpunkt der Gewaltlosigkeit ausge-hende Sichtweise und die Lehre vom gerechten Krieg und stimmen in der Ableh-nung von Methoden der Kriegführung überein, die sich faktisch nicht vom totalen Krieg unterscheiden lassen."

Allerdings mahnen die US-Bischöfe aufgrund eigener Erfahrungen, trotz aller Dif-ferenzen in der Friedensfrage zu jener Art von innerkirchlicher Streitaustragung.

die nach GS Nr. 43 stets zu respektieren ist: „Die Erfahrungen bei der Vorberei-tung dieses Pastoralbriefes haben uns gezeigt, wie weit das Spektrum entschieden

vertretener Meinungen in der katholischen Gemeinschaft über die Fragen von Krieg und Frieden reicht. Es ist klar, daß wir als Bischöfe meinen, daß diese Mei-nungsverschiedenheiten innerhalb des Rahmens der katholischen Morallehre aus-gedrückt werden sollten. Wir bitten dringend um gegenseitigen Respekt zwischen den verschiedenen Gruppen in der Kirche. wenn sie diesen Brief und die Fragen.

die er anspricht, analysieren. Die Kirche braucht nicht nur Hingabe und Überzeu-gung, sondern auch Höflichkeit und Nächstenliebe." (8.1.20)

GsF behandelt die Gewaltlosigkeit einmal als Zeichen und Praxis, bringt sie dann

aber gerade dort ein, wo sie im Namen des Friedens unverzichtbar ist, in die inter-nationale Vertragspolitik:

„Aus dem Geist der Brüderlichkeit soll der Glaubende auch dem Unrechttäter mit Geduld und zeichenhafter Gewaltlosigkeit begegnen: Er soll ihm auch die andere Wange hinhalten, soll ihm noch den Mantel dazugeben (Mt 5,390. Aus demselben Geist soll er die Feindschaft des anderen zu überwinden suchen; er darf auch ihn nicht aus seiner Liebe entlassen. Wenn Gott die Feindschaft überwunden hat, sind auch die Glaubenden gerufen, Feindschaft zu überwinden und durch Versöhnung Frieden zu schaffen." (12,17)

„Die Androhung und Anwendung von Gewalt muß aus den internationalen Bezie-hungen ganz ausgeschlossen oder wenigstens allmählich vermindert werden. Das Ethos der Gewaltlosigkeit wird auf der politischen Ebene dort bereits wirksam, wo es gelingt, Gewaltverzicht und gewaltfreie Methoden der Konfliktregelung in in-ternationale Vereinbarungen und Verträge einzuführen und durchzusetzen."

(12,50)

Die Dokumente bemühen sich, aus dem Gegeneinander herauszukommen, und

der Gewaltlosigkeit eine positive Funktion im Rahmen der Friedenspolitik zuzuwei-sen. Damit folgen sie möglicherweise vor allem der französischen theologischen Tradition, die R. Coste in seinem Kommentar zu GS wiedergibt:

„(Wir) müssen ohne jeden Vorbehalt anerkennen, daß es persönliche Berufungen prophetischer Art zur absoluten Gewaltlosigkeit geben kann, deren Echtheit ga-rantiert wird durch die Intensität ihrer Liebe im alltäglichen Leben, durch ihren Willen zum Dialog, durch ihre Bescheidenheit, durch ihre Geduld und durch ihre Uneigennützigkeit. Solche Männer und Frauen zeigen ihren Brüdern im stillen den Weg, um den auch sie sich bemühen müssen. In gemeinsamem Zeugnis der Liebe sind sie mit denen verbunden, die von Gott berufen sind, in vollkommener Ehelo-sigkeit zu leben. Es kann kein Zweifel sein, daß unsere Zeit es nötig hat, auf einen solchen Ruf zu hören. Das Konzil geht in seinen Äußerungen nicht so weit, aber es gibt mit Sicherheit die Berechtigung zu einer solchen Schau der Dinge." (9,549)

Der Sache nach geht es hier wieder um den Kern der neueren katholischen

Frie-denslehre — um die innere Verbindung von Friedensförderung und

Friedenssiche-rung sowie um die daraus erwartete Überwindung des Abschreckungssystems in

einer Weltfriedensordnung, ohne die Hemmnisse und die Risiken aller politischen

Strategien zu übersehen, aber auch ohne die Chancen ungenutzt verstreichen zu

lassen:

„Der christliche Optimismus, der im siegreichen Kreuz Christi und in der Sendung des Heiligen Geistes gründet, berechtigt durchaus nicht zu Illusionen ... Doch weiß er auch, daß alle diese Initiativen, selbst wenn sie etwas von der Barmherzig-keit und der Vollkommenheit Gottes zum Ausdruck bringen, in ihrer Tragweite immer begrenzt, in ihren Ergebnissen ungewiß und in ihrer Motivierung mehrdeu-tig sind ... Deshalb wird der Christ, wenn er mit erneutem Eifer alles unternimmt, um kriegerischen Auseinandersetzungen zuvorzukommen oder sie zu beenden, sich nicht täuschen weder über seine Fähigkeit, dem Frieden zum Siege zu verhel-fen, noch über die Tragweite seiner Bemühungen, die er zu diesem Zweck unter-nimmt. Infolgedessen interessiert er sich für alle Initiativen der Menschen, die dem Frieden dienen, und beteiligt sich oft an ihnen, wobei er diese mit Realismus und Selbstbescheidung betrachtet. Man könnte fast sagen, daß er sie auf zweifache Weise ‚verwirklicht': Er führt sie aus mit aller Unzulänglichkeit des sündigen Menschen und zugleich setzt er sie in Beziehung zum Heilsplan Gottes. Der Christ weiß vor allem darum, daß Angriffslust, Hegemoniestreben und Manipulationsab-sichten andern gegenüber im Herzen der Menschen schlummern und manchmal sogar ihre Intentionen beeinflussen trotz eventueller Erklärungen oder Bekundun-gen pazifistischer Art. Er weiß ebenso, daß eine völlig und für immer friedliche menschliche Gesellschaft auf Erden leider eine Utopie ist und daß die Ideologien, die diese anpreisen, verständlicherweise unerfüllbare Hoffnungen nähren, was auch immer die Gründe für ihre Einstellung sein mögen: falsche Sicht der menschlichen Natur; Unvermögen, die Probleme in ihrer Gesamtheit zu betrach-ten; Ausflucht, um die Angst zu verdrängen, oder bei wieder anderen kalkulierter Eigennutz. Der Christ ist sogar davon überzeugt — und das besonders, wenn er selbst die schmerzliche Erfahrung gemacht hat —, daß diese trügerischen Hoffnun-gen geradlinig zum Pseudofrieden der totalitären Regime führen. Diese realistische Sicht entmutigt jedoch keinesfalls die Christen in ihrem Einsatz für den Frieden.

Aus diesem Grund zögert der Christ nicht, während er sich voller Eifer darum be-müht, alle Formen kriegerischer Auseinandersetzung zu bekämpfen und ihnen zu-vorzukommen, gleichzeitig im Namen einer elementaren Forderung der Gerechtig-keit daran zu erinnern, daß die Völker das Recht und sogar die Pflicht haben, durch angemessene Mittel ihre Existenz und ihre Freiheit gegen einen ungerechten An-greifer zu verteidigen (vgl. Konst. Gaudium et spes, Nr. 79). In Anbetracht des fast wesenhaften Unterschieds, der zwischen den klassischen Formen des Krieges und einem nuklearen oder bakteriologischen Krieg besteht, wie auch des Skandals des Rüstungswettlaufs angesichts der ungeheuren Nöte der Dritten Welt, unterstreicht jedoch dieses im Prinzip sehr reale Recht nur um so mehr für die gesamte Menschheit die Dringlichkeit, sich wirksame Verhandlungsmöglichkeiten zu schaffen. So kann der atomare Schrecken, der unsere Zeit bedrängt, die Menschen dazu bewegen, ihr gemeinsames Erbe noch um diese sehr einfache Entdeckung zu bereichern, die ihnen leicht zugänglich ist; nämlich die Erkenntnis, daß der Krieg das barbarischste und unwirksamste Mittel ist, um Konflikte zu lösen. Mehr als jemals zuvor ist die menschliche Gesellschaft heute also genötigt, sich die Mittel zur gegenseitigen Verständigung und zum Dialog zu schaffen, die sie zum Überle-ben braucht, sowie jene Institutionen, die unerläßlich sind, um Gerechtigkeit und Frieden zu verwirklichen.” (10.15,8331)

3 Die „Wende" und ihre Folgen für die kirchliche Friedenslehre

Die „Wende", jenes laut- und glücklicherweise auch gewaltlose Ende der antino-mischen Ost-West-Beziehungen, mußte Auswirkungen auf die römische Friedens-lehre haben. Zwar änderte sich deren Systematik nicht, aber es ergaben sich er-hebliche Akzentverschiebungen, die nicht zuletzt davon abhingen, wie man die neue Lage deutete. Das nukleare Abschreckungssystem mußte jedenfalls seinen Spitzenplatz bei den Anwendungsfragen räumen. Die Proliferationsgefahr verbun-den mit einer Forderung nach radikaler Abrüstung der Nuklearpotentiale gewan-nen an Boden. Vor allem aber trat an die Stelle der Drohung mit Krieg der wirkli-che Krieg. Wie war dem zu begegnen? Neue Chancen und neue Gefährdungen kamen nach und nach in den Blick. Die einen waren zu nutzen, die anderen zu bannen.

Eine Reihe alter Themen erhielt so eine ungleich höhere Dringlichkeit, weil sich

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