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Gewiß war die Ablehnung der liberalistischen Menschenrechtskataloge durch die Kirche insofern begründet, als diese Menschenrechte eine verengte Anthropologie

Im Dokument Die Friedenslehre (Seite 47-51)

mittransportierten. Doch offensichtlich war dies nicht alles. Es hatte sich auch die

16 „Während es Leo XIII. in seinen staatsphilosophischen Enzykliken mehr darum ging, von der Ebene der obersten ethischen Prinzipien her den überragenden Ordnungswert der christlichen Staatslehre darzustellen, begibt sich Johannes XXIII. auf den Boden der soziologisch-politi-schen Wirklichkeit, auf welchem sich die verschiedenen politisoziologisch-politi-schen Kräfte gegenseitig aus-spielen und bestimmt auf dieser Ebene im Lichte der christlichen Staatslehre die Rechte, wel-che den einzelnen politiswel-chen Kräften zukommen. Ganz deutlich wird dieser Sachverhalt in der Frage der Meinungsfreiheit. Bei aller Anerkennung der Meinungs- und Pressefreiheit weist Leo XIII. überall auf die absoluten sittlichen Normen hin, durch welche diese Freiheit begrenzt ist. Johannes XXIII. betrachtet dagegen die bedeutende Funktion. welche die Mei-nungsfreiheit als Ordnungsmacht im Staate ausübt, er nimmt von der Irrtumsmöglichkeit der Autoritätsträger in unserer verwickelten modernen Gesellschaft und der verhängnisvollen Möglichkeit, die Gewalt zum plötzlichen Ruin der gesamten Welt zu mißbrauchen. Kenntnis.

er muß daher als Funktionsregel aufstellen, der Bürger habe das Recht, der Wahrheit entspre-chend über das. was im öffentlichen Leben vor sich geht. in Kenntnis gesetzt werden."

(22,15t)

Sicht von Wahrheit und Mensch in der Kirche selbst entwickelt. Es war schon ein Wandel innerhalb der Kirche, die dann auf dem II. Vatikanischen Konzil in der Auseinandersetzung um die Religionsfreiheit zu der einfachen Einsicht führte:

Nicht die Wahrheit ist Rechtsträger, sondern der Mensch. So in seiner Würde als einziger Rechtsträger auf Erden ins Zentrum gerückt, werden Rechte wie Pflichten dieses Menschen mit innerer Logik zum zentralen Thema einer kirchlichen Sozial-lehre.

Pius XII. wurde 1939 Papst - nach langen Dienstjahren als Nuntius in Deutsch-land und als Kardinalstaatssekretär. In all seinen Funktionen sammelte er aus un-mittelbarer Nähe Erfahrungen mit den modernen totalitären Systemen. Er wußte um den Mißbrauch der Staatsgewalt und um die Willkür der Staatsführungen auf Kosten der Menschen. Insofern unterschied sich seine Situation erheblich von der Leos XIII. Im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit urteilt Pius:

"Die Stimme der Bürger ersticken, sie auf ein erzwungenes Stillschweigen zurück-drängen, bedeutet in den Augen aller Christen ein Attentat auf das natürliche Recht des Menschen, eine Verletzung der Weltordnung, wie sie Gott eingerichtet hat."

(23,2135)

In der Weihnachtsbotschaft 1942 tritt Pius XII. ein

„... für die Ileilighaltung und Verwirklichung folgender grundlegender Persönlich-keitsrechte: das Recht auf Erhaltung und Entwicklung des körperlichen, geistigen und sittlichen Lebens, ganz besonders auf religiöse Erziehung und Bildung - das Recht zur privaten und öffentlichen Gottesverehrung, einschließlich der religiösen Liebestätigkeit - das grundsätzliche Recht auf Eheschließung und auf Erreichung des Ehezweckes, das Recht auf eheliches und häusliches Gemeinschaftsleben - das Recht zu arbeiten als notwendiges Mittel zur Aufrechterhaltung des Familienle-bens - das Recht der freien Wahl des LeFamilienle-bensstandes, also auch des Priester- und Ordensstandes ..." (23,252)17

Nach A.-F. Utz18 war es schon immer ein Anliegen von Pius, die Menschenrechte um größerer Rechtssicherheit willen zu positivieren. Diese Positivierung nun ge-schah in der Charta der UN. Sie wurde von Pius verständlicherweise begrüßt und unterstützt.

17 Hier wird deutlich, wie Menschenrechtskataloge auch immer zeitgebunden sind, indem sie beispielsweise auf zeitgemäße Gefährdungen des Humanums reagieren - 1942 etwa die Frage nach der Ehefreiheit.

18 _Eine besondere Note erhält die Lehre von den Menschenrechten bei Pius XII. durch die For-derung einer positiv-rechtlichen Fixierung dieser Rechte, wodurch dem einzelnen die Rechts-sicherheit garantiert werden soll. Pius XII. spricht sogar von dem ,unveräusserlichen Recht des Menschen auf Rechtssicherheit': ,Aus der gongesetzten Rechtsordnung ergibt sich das unveräußerliche Recht des Menschen auf Rechtssicherheit und damit auf einen greifbaren Rechtsbereich. der gegen jeden Angriff der Willkür geschützt ist' (U-G 261; der Text wird in PT übernommen).- (22,580

So bereitete Pius XII. im Grunde die starke Akzentuierung des Topos „Menschen-rechte" vor, wie wir sie bei Johannes XXIII. und im II. Vaticanum finden.

1.24.2 In der Menschenrechtsfrage stellt sich Johannes XXIII. mit PT in die Tra-dition von Pius XII. Er knüpft ausdrücklich an dessen Weihnachtsbotschaft 1942 an (vgl. 18.2, Nr.10). Wie Pius begrüßt er die Gründung der Vereinten Nationen und die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte". In ihnen sieht er „Zeichen der Zeit" (vgl. 18.2, Nr.142-145). Gewiß gibt es auch gegen die Menschenrechts-deklaration manche Einwände, doch

„... diese Erklärung (ist) gleichsam als Stufe und als Zugang zu der zu schaffenden rechtlichen und politischen Ordnung aller Völker auf der Welt zu betrachten. Denn durch sie wird die Würde der Person für alle Menschen feierlich anerkannt, und es werden jedem Menschen die Rechte zugesprochen, die Wahrheit frei zu suchen.

den Normen der Sittlichkeit zu folgen, die Pflichten der Gerechtigkeit auszuüben.

ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Darüber hinaus werden noch andere Rechte ausgesprochen, die mit den erwähnten in Zusammenhang stehen." (18.2, Nr.144)

So gehören Rechte und Pflichten zusammen, beide aber in ihrer innersten Ver-bundenheit mit der Würde des Menschen. Dazu kommt deren politische Bedeu-tung. Der Papst erwartet bald jene Zeit, in der die UN

„... die Rechte der menschlichen Person wirksam schützen kann; Rechte, die des-wegen allgemein, unverletzlich und unveränderlich sind, weil sie unmittelbar aus der Würde der menschlichen Person entspringen. Und das um so mehr, weil die Menschen gegenwärtig in ihrer Nation mehr an der Gestaltung des öffentlichen Le-bens teilhaben, mit lebhafterem Interesse die Anliegen aller Völker ununterbro-chen verfolgen und sich immer mehr bewußt sind, daß sie als lebendige Glieder zur allgemeinen Menschheitsfamilie gehören." (18.2, Nr.145)

Für die grundlegende Sicht der Menschenrechte und deren Entfaltung aus der Würde des Menschen steht der erste Teil von PT: „Die Ordnung unter den Men-schen" (18.2, Nr.8-45).

Diese Ordnung wird einmal nach der Vernunft, zum anderen nach dem Glauben entfaltet:

„Jedem menschlichen Zusammenleben, das gut geordnet und fruchtbar sein soll, muß das Prinzip zugrunde liegen, daß jeder Mensch seinem Wesen nach Person ist. Er hat eine Natur, die mit Vernunft und Willensfreiheit ausgestattet ist; er hat daher aus sich Rechte und Pflichten, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur hervorgehen. Wie sie allgemein gültig und unverletzlich sind, können sie auch in keiner Weise veräußert werden ..." (18.2, Nr.9)

„Wenn wir die Würde der menschlichen Person nach den Offenbarungsweisheiten betrachten, müssen wir sie noch viel höher einschätzen. Denn die Menschen sind

ja durch das Blut Jesu Christi erlöst, durch die himmlische Gnade Kinder und Freunde Gottes geworden und zu Erben der ewigen Herrlichkeit eingesetzt." (18.2, Nr.10)

Inhalt und Begründung werden so getrennt. Das Christliche wird als ein Modus der Begründung eingeführt, von dem wir Christen glauben, daß er von höherer Qualität ist; inhaltlicher Konsens über die Menschenrechte ist möglich, auch wenn die Begründungen divergieren. Dieser Konsens aber ist kein zufälliger, sondern auch als Vernunfturteil gut und verläßlich begründet sowie für Christen einsichtig und nachvollziehbar.

In Nr. 11-27 wird dann ein Menschenrechtskatalog entwickelt, der durch einige Eigenheiten auffällt: Er ist der Menschenrechtsdeklaration der UN sehr nahe; er bezieht die Rechte nicht nur auf den politischen Freiraum des Individuums gegen-über dem Staat, sondern besteht auch aus „moralischen und kulturellen Rechten", ökonomischen (18.2, Nr.18-22) und Teilhaberechten:

„Dazu kommt, daß mit der Würde der menschlichen Person das Recht verknüpft ist, am öffentlichen Leben aktiv teilzunehmen und zum Gemeinwohl beizutragen.

Dazu sagte Unser Vorgänger Pius XII.: ,Weit entfernt, nur Gegenstand und gleich-sam ein passives Element des sozialen Lebens zu sein, ist und muß er vielmehr dessen Träger, Grundlage und Ziel sein' (Weihnachtsbotschaft 1944, UG 3472)."

(18.2, Nr.26)

In Nr. 28-45 werden den Rechten Pflichten hinzugefügt, die in verschiedener Form mit den Rechten, vor allem den Rechten anderer zusammenhängen. Schon auf einer sehr grundsätzlichen Ebene wird somit deutlich, wie sich Rechte und Pflichten gegenseitig bedingen:

„... das Recht, frei nach der Wahrheit zu forschen. (hängt) mit der Pflicht (zusam-men), immer tiefer und weiter nach der Wahrheit zu suchen." (18.2, Nr.29)

„Daraus folgt auch, daß in der menschlichen Gemeinschaft dem natürlichen Recht des einen eine Pflicht der anderen entspricht: die Pflicht nämlich, jenes Recht an-zuerkennen und zu achten." (18.2, Nr.30)

Unter den Pastoralen Weisungen im 5. Teil wird die „Pflicht, am öffentlichen Le-ben teilzunehmen" (18.2, Nr.146) an erster Stelle genannt: „Nochmals ermahnen Wir Unsere Söhne, sie möchten sich für die Wahrnehmung der öffentlichen Aufga-ben bereitwillig zur Verfügung stellen und mitwirken, das Wohl der gesamten Menschheit und des eigenen Staates zu fördern."

Nr. 35-36 faßt dann das ganze Kapitel nochmals thematisch zusammen: „Zusam- menleben in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit."19 Es sind jene Werte

19 Diese Begrifflichkeit wird von GS zur Bestimmung des notwendigen politischen Entwick-lungsprozesses in dynamischer Form aufgegriffen und prägt fortan die kirchliche Soziallehre:

und Tugenden, die — wie oben am Beispiel von GS dargestellt (vgl. 1.22.3) und nun nochmals in anderer Form — den Kern der christlichen Anthropologie aus-machten. Diese vier Grundbegriffe werden dann auf allen sozialen Analyseebenen immer wieder zum Prüfkriterium für Frieden gemacht: Die Beziehungen zwischen den Menschen und der Staatsgewalt im eigenen Gemeinwesen. aber auch die zwi-schen politizwi-schen Gemeinschaften bis hin zur „Völkergemeinschaft" sind — sollen sie dem Frieden dienen und in Frieden gelingen — an diesen Grundwerten zu ori-entieren.

Mit Nr. 37-38 („Gott. das Fundament der sittlichen Ordnung") endet die themati-sche Entfaltung dieses ersten und grundlegenden Teils von PT. Die vier „Prinzi-pien" werden in geraffter Form wiederholt:

..Die Ordnung

jedoch, die im menschlichen Zusammenleben waltet, ist ganz geisti-ger Art: auf der Wahrheit aufruhend, ist sie nach den Geboten der Gerechtigkeit zu verwirklichen; sie verlangt, durch gegenseitige Liebe beseelt und zur Vollendung geführt zu werden; schließlich ist sie in ungeschmälerter Freiheit zu einer täglich menschenwürdigeren Harmonie zu gestalten."

Im Dokument Die Friedenslehre (Seite 47-51)

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