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Krieg ist nicht das Ergebnis glücklicher Umstände, sondern Folge menschlichen Handelns; Frieden wird in dem Maße möglich, als Menschen ihre Einstellungen,

Im Dokument Die Friedenslehre (Seite 96-101)

letztlich ihr „Herz" ändern. Dann aber ist ein anspruchsvoller Friede erreichbar:

„Es ist meine tiefe Überzeugung, es ist das Leitmotiv der Bibel und des christli-chen Denkens, es ist, wie ich hoffe, die Erkenntnis vieler Menschristli-chen guten Willens, daß der Krieg im Herzen des Menschen geboren wird. Der Mensch ist es, der tötet, und nicht sein Schwert oder, heute, seine Raketen. Das ‚Herz' im Sinne der Bibel ist das Innerste der menschlichen Person in ihrer Beziehung zum Guten, zum Nächsten, zu Gott. Es handelt sich dabei nicht in erster Linie um seine Gefühle, sondern um sein Gewissen, seine Überzeugungen, die Weltanschauung, die einer hat, %%-ie auch die Leidenschaften, die ihn bewegen. Mit dem Herzen ist der Mensch empfänglich für die absoluten Werte des Guten, für Gerechtigkeit, Brü-derlichkeit und Frieden. Zu einer Entartung des Herzens kommt es besonders,

wenn das Gewissen dasjenige gut oder schlecht nennt, was es seinen materiellen Interessen oder seinem Machtwillen zuliebe wählen oder ablehnen möchte."

(10.17,867)

„Wenn die gegenwärtigen Systeme. die das ,Herz' des Menschen hervorgebracht hat, sich als unfähig für die Erhaltung des Friedens erweisen, dann muß eben die-ses ,Eierz' des Menschen erneuert werden, um die Systeme, Institutionen und Me-thoden erneuern zu können. Der christliche Glaube kennt ein Wort, um diese grundlegende Änderung des Herzens zu bezeichnen: Es ist die ‚Bekehrung'. All-gemein gesprochen handelt es sich darum, die Klarsicht und Unparteilichkeit zu-sammen mit der Freiheit des Geistes. den Sinn für Gerechtigkeit mit der Achtung vor den Menschenrechten, den Sinn für einen angemessenen Ausgleich mit welt-weiter Solidarität zwischen den Reichen und den Armen, das gegenseitige Ver-trauen und die brüderliche Liebe wiederzufinden. Es ist vor allem nötig, daß die Personen und die Völker eine wahre Freiheit des Geistes erlangen, um sich un-fruchtbarer Verhaltensweisen der Vergangenheit sowie des in sich verschlossenen und einseitigen Charakters von philosophischen und sozialen Systemen bewußt zu werden, die von fragwürdigen Voraussetzungen ausgehen und den Menschen mit seiner Geschichte auf ein begrenztes Feld von materiellen Kräften einengen, die nur auf die Macht der Waffen oder der Wirtschaft setzen, die die Menschen in Kategorien einschließen, bei denen ausschließlich das Gegeneinander vorherrscht.

die einbahnige Lösungen anpreisen, die die komplexen Wirklichkeiten im Leben der Nationen mißachten und diese daran hindern, sich in Freiheit damit zu befas-sen. Es muß also zu einer Prüfung dieser Systeme kommen, die offenkundig in Sackgassen führen und Dialog und Verständigung einfrieren lassen, die das Miß-trauen fördern und Bedrohung und Gefahr vermehren, ohne die wirklichen Pro-bleme zu lösen und echte Sicherheit zu bieten ... Diese Umwandlung in der Tiefe des Geistes und des Herzens erfordert gewiß großen Mut, den Mut der Demut und der Einsicht; sie muß, ausgehend vom Gewissen der einzelnen Personen, das kol-lektive Denken erreichen. Ist es eine Utopie, darauf zu hoffen?" (10.17,869) Es ist zu beklagen, daß unzulängliche oder gar widersprüchliche Friedensvorstel-lungen, die eigentlich der Vergangenheit angehören müßten, wiederaufleben. In der Auseinandersetzung um solche Ideen und Einstellungen wird über die Chance des Friedens entschieden — diese Mahnung durchzieht die römischen Dokumente wie ein roter Faden:

„... wird feststellen, daß man die Ideen die die Welt leiten, von Grund auf richtig-stellen muß. Er wird festrichtig-stellen, daß alle diese Leitideen zum Teil falsch sind, weil sie personengebunden, engherzig und selbstsüchtig sind. Er wird feststellen, daß im Grunde nur eine Idee wahr und gut ist, nämlich jene der allumfassenden Liebe, d.h. des Friedens. Er wird endlich feststellen, daß diese Idee höchst einfach und gleichzeitig sehr schwierig ist. In sich sehr einfach, denn der Mensch ist für die Liebe geschaffen, für den Frieden. Sie ist aber auch schwierig. Wie kann man lie-ben? Wie kann man die Liebe zur Würde eines allgemeinen Prinzips erhelie-ben? Wie kann die Liebe ihren Platz behaupten bei der Geisteshaltung des modernen Men-schen, die ganz durchdrungen ist vom Kampf, vom Egoismus und vom Haß? ...

Jawohl, der Friede beginnt im tiefsten Herzen des Menschen. Zuerst muß man den Frieden erkennen, ihn bejahen, ihn wollen, ihn lieben. Dann werden wir ihn erle-

ben und ihn durch eine neue Lebensführung zum Ausdruck bringen: in der Welt-anschauung, in der Gesellschaftslehre und in der Politik." (10.3,61)

„Am Ende des Krieges hatten alle gesagt: genug. Genug womit? Genug mit all dem, was dieses Ilinmorden von Menschen und die ungeheure Zerstörung verur-sacht hatte. Sofort nach dem Krieg, am Beginn der heutigen Generation, kam der Menschheit klar zu Bewußtsein: Es genügt nicht, bloß Gräber aufzurichten, Wun-den zu heilen ..., man muß vielmehr die Ursachen des erfolgten Weltbrandes aus dem Wege räumen. Die Ursachen: sie aufzufinden und zu beseitigen; dies war die weise Einsicht ... Alle schienen zu durchgreifenden Veränderungen bereit zu sein, um neue Konflikte zu vermeiden. Von den politischen, sozialen und wirtschaftli-chen Strukturen begann sich ein Horizont wunderbarer sittlicher und sozialer Er-neuerung abzuzeichnen; man sprach von Gerechtigkeit, von Menschenrechten, von der Unterstützung der Schwachen, von geordnetem Zusammenleben, von planvol-ler Zusammenarbeit, von Einigung auf Weltebene ...; die Welt fing an, sich nach den Grundsätzen der Solidarität und des allgemeinen Wohlstandes zu organisieren.

Der Weg hin zum Frieden, als der normalen und satzungsgemäßen Bedingung für das Leben auf der Welt, schien definitiv vorgezeichnet. Was aber sehen wir nach fünfundzwanzig Jahren dieses wirklichen und idyllischen Fortschritts?" Der Papst nennt nun einmal die Kriege, dann „daß die sozialen, rassischen und religiösen Diskriminierungen andauern und, hier und dort, sogar zunehmen. Wir sehen, daß die Mentalität von einst wiederkehrt, der Mensch scheint sich, zunächst auf psy-chologische, dann auf politische 1 laltungen der Vergangenheit wieder festlegen zu wollen. Die Dämonen von gestern stehen wieder auf. Es kehrt die Vorherrschaft der wirtschaftlichen Interessen zurück und mit ihr die Möglichkeit, sie leicht zur Ausbeutung der Schwachen zu mißbrauchen. Die Neigung zu Haß und Klassen-kampf kehrt wieder, und es ersteht somit erneut eine krankhafte Anfälligkeit für internationale Konflikte und für Bürgerkriege; es kehrt das Wettrennen um Natio-nalprestige und politische Macht zurück; ebenso die harte Frontstellung zwischen entgegengesetzten Ambitionen, zwischen engstirnigen und unversöhnlichen Parti-kularismen der Rassen und der ideologischen Systeme ...; man versteht den Frie-den wieder als ein reines Gleichgewicht mächtiger Gewalten und erschreckender Rüstungen." (10.4,71 ff)

„Man muß realistisch sein, sagen die Opportunisten: nur das ist der mögliche Frie-den; eine Übereinkunft, ein teilweiser und zerbrechlicher Ausgleich. Die Men-schen seien eines besseren Friedens nicht fähig. Somit müßte sich also die Menschheit am Ende des 20. Jahrhunderts mit einem Frieden begnügen, der sich aus einem diplomatischen Gleichgewicht und einer gewissen Regelung sich wi-derstreitender Interessen ergibt, und nichts mehr?" (10.6,114)

„Wiederum steigt es in den Köpfen wie eine unvermeidbare Logik auf: was zählt, ist die Kraft; der Mensch wird höchstens den Kräftekomplex auf den Ausgleich ih-res Gegensatzes hinführen; aber von der Gewalt kann die menschliche Gemein-schaft nicht Abstand nehmen." (10.7,130)

„Wir wollen uns an die Wirklichkeit halten ..., daß in der monumentalen Maschi-nerie unserer Zivilisation irgendetwas nicht gut funktioniert. Diese könnte durch einen Fehler in ihrer Konstruktion zu einem unbeschreiblichen Weltbrand explo-dieren." (10.8,1441)

„Die Verantwortlichen müssen dies alles in ihrem Herzen und Gewissen erwägen und jeden Machiavellismus verbannen; sie werden darüber ihren Völkern und Gott Rechenschaft geben.” (10.17,872)

GS beansprucht nicht, eine umfassende Wesensdefinition des Friedens zu geben, darum die weniger anspruchsvolle Überschrift „Vom Wesen des Friedens". Es soll nicht Abschließendes gesagt werden, aber Wesentliches, und dies aus einer christ-lichen Perspektive oder wie die Formulierung häufig lautet: Es sind „die Probleme der Zivilisation im Lichte der christlichen Botschaft zu beleuchten".

Zwei dynamische, unser Handeln und unsere Einstellungen betreffende Merkmale werden hervorgehoben: Friede ist „,Werk der Gerechtigkeit' (Is 32,17)" (2.61) und "Frucht der Liebe". (2.62)

2.61 Friede ist „Werk der Gerechtigkeit"

Hier kann GS in geraffter Kürze an all das erinnern, was im ersten Teil systema-tisch behandelt wurde: Die Eingebundenheit des Menschen durch seine Vernunft in die Schöpfungsordnung und seine Gemeinwohlverpflichtung, die Sicht des Menschen als Sünder und Erlöster.

Zwei bleibende Herausforderungen werden das Ringen um den Frieden immer begleiten: Einmal unterliegt das Gemeinwohl „in seinen konkreten Anforderungen ... dem ständigen Wandel der Zeiten; darum ist der Friede niemals endgültiger Besitz, sondern immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe". Zum anderen bleiben wir Menschen Sünder und insofern Friedensbedroher. Auch darum ist Friede die Bezeichnung eines endlosen Prozesses, nicht eines ein für allemal erreichbaren oder je erreichten Zustandes. Was bleibt sind die Gefährdungen, die Aufgaben, die Maßstäbe — so der Maßstab der Gerechtigkeit:

„Der Friede verlangt eine Änderung der Mißstände und geht eins mit der Sache der Gerechtigkeit." (10.2,48)

„Der Friede erwächst nicht nur aus dem Erlöschen der Kriegsherde; selbst wenn alle erloschen wären, würden unvermeidlich andere entstehen, solange Ungerech-tigkeit und Unterdrückung weiter die Welt regieren. Der Friede wächst aus der Ge-rechtigkeit: ‚Opus iustitiae pax`, das Werk der Gerechtigkeit wird der Friede sein (Jes 32,17). Nun aber kann und muß die Wissenschaft, die nach der Wahrheit sucht und die frei ist von jeder Ideologie, die Gerechtigkeit in der Welt fördern ..."

(3,1194)

indem wir mit lauter Stimme feststellen, wie absurd ein moderner Krieg ist und wie darum der Friede eine absolute Forderung geworden ist, ein Friede. der nicht auf dem Übergewicht der Waffen, die heute mit einer ungeheuren Zerstö-rungskraft ausgestattet sind, wie uns die Tragödie Japans in Erinnerung ruft, und

auch nicht auf der strukturellen Gewalt, wie einige politische Systeme sie anwen-den, begründet werden kann, sondern auf einer geduldigen, sachbezogenen und verständnisvollen Methode in Gerechtigkeit und Freiheit, wie sie von den großen internationalen Institutionen, die es heute gibt, entwickelt und beachtet wird."

(10.11,514)

Worin aber besteht diese friedensbedeutsame Gerechtigkeit?

"Eine Gesellschaft ist aber nicht gerecht, nicht menschlich, wenn sie nicht die Grundrechte der menschlichen Person achtet. Kriegerische Gesinnung dagegen entsteht und reift dort, wo die unveräußerlichen Rechte des Menschen verletzt werden. Selbst wenn die Diktatur und der Totalitarismus das Seufzen der ausge-beuteten und unterdrückten Menschen für einige Zeit ersticken, bewahrt der recht-denkende Mensch die Überzeugung, daß nichts diese Verletzung der Menschen-rechte zu rechtfertigen vermag. Er hat den Mut, für die anderen, die leiden, seine Stimme zu erheben und weigert sich, vor der Ungerechtigkeit zu kapitulieren, sich mit ihr zu kompromittieren. Derjenige, der den Frieden zutiefst will, wird sogar — so paradox dies auch klingt — jeden Pazifismus zurückweisen, der nur Feigheit oder eine simple Wahrung der Ruhe sein würde. Jene, die versuchen, anderen ihre Herrschaft aufzuzwingen, werden stets dem Widerstand von einsichtigen und mu-tigen Männern und Frauen begegnen, die bereit sind, die Freiheit zu verteidigen, um die Gerechtigkeit zu fördern." (10.17,870)

Es versteht sich, daß sich die Frage nach der Gerechtigkeit heute in weltweitem Maßstab stellt und daß weltweit Gerechtigkeitsverletzungen zu Gewalt und Krie-gen führen:

„In der Tat, wenn die soziale Frage eine weltweite Dimension erlangt hat, dann darum, weil die Forderung nach Gerechtigkeit n4ir auf dieser Ebene erfüllt werden kann. Sich um eine solche Forderung nicht zu kümmern, könnte bewirken, daß auf seiten der Opfer der Ungerechtigkeit die Versuchung zu einer gewalttätigen Ant-wort aufbricht, wie es am Beginn vieler Kriege geschieht." (18.5, Nr.13)

An diese umfassenden Gerechtigkeits- und Gemeinwohlforderungen ist jeder Staat gebunden:

„Der Verteidiger der Menschenrechte muß seinem Wesen nach der Staat sein, je-der Staat, dem das Naturrecht als Aufgabe und Ziel eben das ,irdische Gemein-wohl' überträgt. Aber wie mein Vorgänger Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Pacem in terris betonte, darf das Gemeinwohl nicht anders verstanden werden, als daß es dem Menschen, und zwar dem ganzen Menschen Rechnung trägt. Das Ge-meinwohl ist nicht eine Ideologie oder Theorie, sondern es ist eine Verpflichtung, Bedingungen für eine volle Entwicklung aller zu schaffen, die zu einem bestimm-ten gesellschaftlichen System gehören (vgl. Gaudium et spes, Nr.74). Die Aner-kennung der natürlichen Rechte des Menschen ist eine Vorbedingung für die Exi-stenz des Rechtsstaates: ,Das Wohl des Menschen' — sagte ich in der Enzyklika Redemptor hominis — ,muß als Grundfaktor des Gemeinwohls das wesentliche Kriterium für alle Programme, Systeme und Regime bilden' (Nr.17). Dieser auf die Person bezogene Gesichtspunkt findet sich heute in den Verfassungstexten der

freien Staaten ausdrücklich genannt oder zumindest implizit in sie aufgenommen.

und seine Bedeutung wurde in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung feierlich verkündet; er erlegt dem Staat genaue Verpflichtungen auf, um die Ziele der Per-sonen zu garantieren, die diesen Staat bilden (vgl. Redemptor haminis. Nr.17)."

(19,279)

„Somit ergibt sich notwendigerweise die Pflicht, die Gesetze und die Systeme einer ständigen Überprüfung vom Gesichtspunkt der objektiven und unverletzli-chen Rechte des Mensunverletzli-chen her zu unterziehen." (19,282)

Zwar bestehen weiter Unklarheiten über den Inhalt der Gerechtigkeit; dennoch ist

Im Dokument Die Friedenslehre (Seite 96-101)

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