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5. D IGITAL L EADERSHIP

5.3. Kompetenz und Eigenschaften der Leitungskräfte

Bei der Befragung der Leitungskräfte zu ihren Berufsbiografien fällt auf, dass diese ein breites Spektrum an diversen Ausbildungen aufweisen, die nicht ausschließlich aus dem sozialen Bereich stammen. Einer der befragten Personen gab an, über einen Lehrabschluss zu verfügen, der Großteil der Leitungskräfte befindet sich immer wieder in Ausbildung, sei es, um Qualifikationen für den sozialen Bereich zu erwerben oder Kompetenzen in einem Leitungslehrgang zu präzisieren. In all den Ausbildungen wurde das Thema Digitalisierung jedoch wenig bis gar nicht behandelt. Allerdings habe man Themen wie demokratischer Leitungsstil, agiles Management, Strategieentwicklung, Teamleitungskomponenten und eine Auseinandersetzung mit Prozessoptimierung und Qualitätssicherung angesprochen, was laut Einschätzung der Leitungskräfte hilfreich sei, um die digitale Transformation der Arbeitswelt zu meistern.

„Ich glaube, dass es schwierig ist, Führung, also gelebte Führung, zu formalisieren für eine Ausbildung. Also ich brauch Techniken, ich muss ein Verständnis von der Organisation haben. Ich sollte natürliche eine Ahnung von einem gewissen formal Prozedere haben, ich sollte eine Ahnung davon haben, wie ticken Gruppen und wenn ich nicht ganz nackert bin, was interpersonelle Skills anbelangt, da kann man manches üben und verstehen.“ (Interview B2 clean, Absatz 115)

Die bisherige Berufserfahrung wird von allen als wichtiger Anteil für den Kompetenzerwerb für die derzeitige Anstellung betrachtet. Besonders die Quereinsteiger*innen unter den Leitungskräften können auf eine breite Ansammlung von Fähigkeiten, Skills und Knowhow zurückgreifen, mit denen den neuen Anforderungen

erfolgreich begegnet wird. Dabei spielen die Anstellungsverhältnisse von Leitungskräften im sozialen Dienstleistungssektor eine nicht unbedeutende Rolle bei der Befähigung zur digitalen Leitung. Denn die in All-in-Verträgen abgegoltenen Leistungen beinhalten bereits Klauseln wie mobile Arbeit, freie Zeiteinteilung und Home-Office Regelungen. Als Leitungskraft in der Sozialwirtschaft ist es laut den interviewten Personen vor allem wichtig, auf Situationen flexibel reagieren zu können. Denn äußere Faktoren, wie es akut die Pandemie darstellt, politische Veränderungen, die unsichere Finanzierungssituation, von oben herab delegierte Strategiewechsel, (wie es gerade die geplante Schließung der Winternotquartiere darstellt, weil der FSW verstärkt auf Chancenhäuser setzt) verlangen immer wieder aufs Neue ein agiles und kreatives Vorgehen. Im Selbstverständnis der befragten Personen hinsichtlich des Leitungsstils lassen sich Tendenzen zur Dezentralisierung feststellen. Die Leitungskräfte sehen sich dabei verstärkt in der Rolle des Coaches, des*der Förderer*in und Mentor*in um motivierend auf die Mitarbeiter*innen einzulenken. Hierarchien werden dabei nicht komplett abgebaut, sondern fungieren weiterhin als Anker und Orientierungsmodell, um die Arbeitsweise zu strukturieren und Rückhalt für Entscheidungen zu geben.

„Und deswegen ist es mir auch eine wichtige Sache, sozusagen mit meiner Erfahrung, die ich gemacht habe, dort so ein bisschen moderativ und coachingmäßig vorzugehen und die verschiedenen Ideen, die die Personen haben, einbringen zu können. So und dort zu schauen, ok was ist aus meiner Erfahrung eher möglich, wo können Stolpersteine liegen. Und sonst soll sich das Team selbst dafür entscheiden, was sie tun. Sonst gibt es natürlich andere Sachen, die natürlich eine gewisse Hierarchie auch benötigen.“

(Interview B3 clean, Absatz 22)

Aus den Interviews wird ersichtlich, dass New Work Konzepte bereits Platz in der Arbeitskultur einnehmen, ein positiv besetztes Arbeitsklima als wesentlich erachtet wird und man stärker auf Befähigung der Mitarbeiter*innen setzt und eine demokratische Ausrichtung des Leitungsstils pflegt. Alle Interviewpartner*innen geben an, dass dabei die Komponenten Vertrauen und die Fähigkeit, Verantwortung abgeben, als essentiell für ein gutes Gelingen erachtet werden.

5.4. Digitale Teams

Die Arbeit in Teameinheiten zu organisieren, sei laut Aussagen der befragten Personen im Sektor der Wohnungslosenhilfe kein neues Phänomen, sondern habe sich bereits schon länger etabliert. Durch den Ausbruch der COVID-19-Pandemie und den verordneten Home-Office-Zeiten wurde diese Form der Zusammenarbeit auf eine digitale Ebene transferiert. Angesichts der Neuartigkeit dieses Phänomens geben die befragten Personen jedoch an, wenig bis gar keine Ressentiments unter den Mitarbeiter*innen zu verspüren, was auf die Ausbildung und den Generationenwechsel zurückzuführen sei. In der virtuellen Zusammenarbeit sind es vor allem die Arbeits- und Teambesprechungen, denen die Leitungskräfte eine weit höhere Priorität einräumen als zuvor. Denn diese strukturieren nicht nur den Arbeitsalltag, sondern dienen auch als Forum des Austauschs und der Absprache zwischen den Teammitgliedern. Die befragten Expert*innen geben auch an, eine Veränderung in der Qualität der Zusammenarbeit zu bemerken. Diese sei strukturierter, dadurch zeitressourcenschonender und der Umgang unter den Mitarbeiter*innen sei wertschätzender geworden.

„Jetzt mittlerweile hat es sich zum Beispiel eingeschliffen, auch weil wir mehr Mitarbeiter*innen geworden sind in der Teamsitzung, dass sich alle mit der Meldefunktion melden. Sie werden dann sozusagen aufgerufen. Und nehmen auch sehr, sehr stark Rücksicht aufeinander.“ (Interview B3 clean, Absatz 64)

Das wird von den Leitungskräften mit der langanhaltenden Dauer der Pandemie erklärt, wobei davon ausgegangen wird, dass sich die Mitarbeiter*innen inzwischen an die Umstände gewöhnt und ihre Arbeitsweisen optimiert haben. Die Aufteilung der Mitarbeiter*innen in kleinere Teams und Arbeitsgruppen wird generell von allen Leitungskräften als positiv wahrgenommen, weil die Arbeit damit effizienter, einfacher und strukturierter wird. Als ein weiterer Nebeneffekt wird eine stärkere Fokussierung auf Team- und Selbstorganisation unter den Mitarbeiter*innen beobachtet, aber auch die Entfremdung durch das Wegfallen persönlicher physischer Kontakte und informeller Räumen wie Tür- und Angelgespräche. Diese Pausengespräche haben für die Leitungskräfte einen hohen sozialen Stellenwert, da sie Konflikte verhindern, für eine positive Stimmung und kollegiales Miteinander sorgen und ein wichtiger Ort für die Kommunikationsweitergabe darstellen.

„Bei der Kaffeemaschine, wo man sich vielleicht kurz austauscht, „ah okay, die Behörde hat mich immer noch nicht zurück gerufen“ und die Zweite sagt, „ah, mich auch nicht“ und dann erfährt man bei der nächsten Gelegenheit, die vierte Person ist auch nicht angerufen worden, dann kommt man zu mir (Anm.: Leitung) und sagt: „Wir haben jetzt drei seltsame Erfahrungen mit dieser Behörde gemacht, vielleicht sollte man da intervenieren!““ (Interview B1 clean, Absatz 125)

Bei der Auswertung der Interviews ist bemerkenswert, wie oft das Wort Vertrauen fällt.

Vertrauen wird als wesentlich für das Gelingen und Funktionieren der Arbeitsabläufe angenommen und funktioniert als soziales Bindemittel zwischen den Teammitgliedern und den Leitungskräften. Vertrauen gewinnt vor allem dann an Bedeutung, wenn sich der Arbeitsplatz dem Blick der Leitung entzieht. Um diese Komponente zu fördern, setzen die Befragten verstärkt auf Faktoren wie positives Feedback, Ermutigung und Motivation der Mitarbeiter*innen. In den Interviews wird immer wieder betont, wie wichtig es sei, an einer positiv besetzten Fehlerkultur zu arbeiten, indem man als Leitungskraft Vertrauen in die Mitarbeiter*innen signalisiere und Fehler als Chance begreife, Prozesse zu verbessern.

Angesichts der neuen Arbeitsformen wie das Home-Office und den daraus resultierenden Veränderung der Arbeitskultur, wird eine Auseinandersetzung mit Themen wie Stressmanagement, Konfliktmanagement, Burnout-Prävention und körperliche Betätigung aus der Leitungsperspektive als wichtig erachtet. Bei der Frage nach unterstützenden Weiterbildungsmaßnahmen werden vor allem Workshops und Weiterbildungen zur Unterstützung des Erhalts der geistigen und physischen Gesundheit genannt.

5.4.1. Kommunikation

Die Kommunikation und Informationsweitergabe über digitale Tools zu organisieren, bedeutet auf viele der bisherigen erprobten und eingespielten Kommunikationskanäle zu verzichten und neue Regeln des Redeverhaltens zu etablieren. Denn die virtuelle Onlinepräsenz erfordert von allen Teilnehmer*innen eine ganz andere Achtsamkeit und Klarheit, als es die bisherige analoge kommunikative Praxis zuvor benötigte. So berichten die Leitungskräfte, sie hätten zu Beginn der Pandemie bei online Teamsitzungen mit Chaos und respektlosen Redeverhalten gerechnet, und waren überrascht, dass genau das Gegenteil eintraf. Die einzelnen Teammitglieder adaptierten schnell ihr Redeverhalten an die Voraussetzungen der Software, im Sinne eines konstruktiven Miteinanders. Einer der Leitungskräfte gab an:

„Es klappt in manchen Bezügen besser als in live Teamsitzungen, einfach aus dem Grund heraus, dass alle eine gewisse Vorsicht haben. Ich habe geglaubt, dass alle durcheinanderreden, so und das passiert nicht, es gab auch einen Wechsel.“ (Interview B3 clean, Absatz 64)

Aufgrund der guten Erfahrungswerte gaben alle Leitungskräfte an, diese Art des Austausches nach dem Ende von COVID-19 beibehalten zu wollen, und manche Konferenzen und Besprechungen auch weiter online organisieren zu wollen. Nach außen erleichtern die etablierten Kommunikationskanäle, wie E-Mail und digitale Plattformen der Wiener Wohnungslosenhilfe den Austausch an Informationen und sorgen weitgehend für Transparenz. Angesichts der COVID-19-Quarantänemaßnahmen mussten oft ganze Belegschaften mit ihren Klient*innen in manchen Einrichtungen isoliert werden. Das verlangte einen enormen logistischen Aufwand und eine rasche Abwicklung und Informationsweitergabe zwischen den Beteiligten. Mit Hilfe der bereits etablierten digitalen Struktur gelang es, mehrere hundert Personen zu verwalten und zu koordinieren. Diesbezüglich gab es seitens der Leitungskräfte keine Verbesserungsvorschläge.