• Keine Ergebnisse gefunden

1. E INLEITUNG

1.2. Forschungsinteresse

Die Entwicklung von digitalen Systemen bei gleichzeitigem technischen Fortschritt schaffte es, private Räume und Arbeitswelten in einer Intensität zu durchdringen, dass diese nicht mehr aus dem alltäglichen Leben wegzudenken sind. Die Einführung des Smartphones vor ca. 10 Jahren erscheint uns wie eine Ewigkeit, gleichzeitig ist der Einsatz dieser Technologie aus unserer gegenwärtigen Kommunikation unerlässlich.

Wird die digitale Technologie im Arbeitskontext eingesetzt, sind damit unterschiedliche Erwartungen verbunden. Unternehmer*innen versprechen sich von der Implikation digitaler Prozesse im Unternehmen eine Erhöhung der Unternehmensleistung, mehr Agilität und Flexibilisierung in der Unternehmensstruktur und eine Optimierung der Arbeitsweise, der Produktivität und der Wertschöpfung. Dies begünstigt neue Arbeitsformen wie etwa der Trend in das Home-Office, flexible Arbeitszeitmodelle und mobile Einsatzorte, was durch die ständige Erreichbarkeit der virtuellen Speicherplätze

von überall und jederzeit ermöglicht wird und fördert neue Formen der Zusammenarbeit unter dem Mitarbeiter*innen.

Diskussionen in diesem Feld beschränken sich jedoch oft alleine auf die Beschreibung der im Unternehmen verankerten Kommunikationssoftware, des Einsatzes von digitalen Werkzeugen oder der Entwicklung von innovativen Service Design Angeboten. Im Kontext der Sozialwirtschaft sind Themenkomplexe wie der Einfluss der Digitalisierung auf Leitungsverhalten, Prozessoptimierung, Strategie und Entwicklung noch wenig erforscht. Bücher und Fachliteratur zu diesem Thema beschäftigen sich vordergründig mit IT-Themen, Fragen der Technik oder Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt. (vgl. Pölzl/Wächter 2019: 13) Die meisten Publikationen zu diesem Thema finden sich im Bereich der Neuen Managementtheorie;

im Fokus dieser Arbeiten stehen jedoch meist generalisierende Theorien zur Beschreibung von Digitalisierung hinsichtlich einer Gewinnmaximierung, durch die Automatisierung von Produktionsketten und in weiterer Konsequenz daraus abgeleitete Anweisungen für Führungskräfte. In der Sozialwirtschaft steht jedoch anstelle eines Produktes die Dienstleistung an der Person im Vordergrund, eine Beschäftigung mit dem Einfluss der Digitalisierung auf die Optimierung von Prozessleistung ist damit nur ein Aspekt von vielen weiteren Fragen.

Mittlerweile sind eine Vielzahl von digitalen Technologien in den Unternehmen im Einsatz, welche die Anforderungen an Mitarbeiter*innen und Leitungskräfte verändern und neue Handlungs- und Gestaltungsspielräume eröffnen. Der digitale Einfluss stellt dabei Organisationen der Sozialwirtschaft wie die der Wohnungslosenhilfe insofern vor eine Herausforderung, dass es gilt, zwei gegensätzliche Ansätze miteinander zu verschränken. Eine auf schnellen Wandel und Erneuerung ausgerichtete Technologie trifft auf eine Arbeitswelt, die auf Werte, Kontinuität und Stabilität setzt. Es gilt nun, diese zwei Dimensionen zu vereinen, einerseits die eigenen Werte beizubehalten, aber sich auch auf Erneuerung einzulassen und daraus Angebote für die Anspruchsgruppen zu entwickeln. Um auf die neuen Gegebenheiten reagieren zu können und nicht vom Markt verdrängt zu werden, muss das Management in sozialen Unternehmen bereit sein, neue Wege einzuschlagen. Welche neue Herausforderungen und Potentiale stellen sich dadurch an die Arbeit für Leitungskräfte? Und welche Gestaltungsspielräume werden dadurch eröffnet?

Diese Arbeit versucht, diesen Fragen anhand des Beispiels der Wohnungslosenhilfe nachzugehen. Dabei ist zuerst zu klären, ob Digitalisierung für die Organisationen überhaupt eine Rolle spielt und falls ja, in welchen Bereichen. Immerhin handelt es sich

bei der Kerntätigkeit um soziale Arbeit, um Menschenarbeit, die Face-to-Face passiert.

Es gilt zu klären, welche Sparten und Bereiche in einem sozialen Unternehmen von Digitalisierungsprozessen betroffen sind. Diese Festlegung ist auch Leitungsaufgabe und beeinflusst somit das eigene Rollenverständnis und die weiteren Gestaltungsspielräume und Handlungsfelder.

Im sozialen Sektor sind Führungskräfte meist als Teamleitungen installiert (vor allem in den unteren Ebenen der Organisationen) und verstehen sich in ihrer Selbstwahrnehmung mehr als „Erster unter Gleichen“ (primus inter pares). In ihrer Tätigkeit übernehmen sie aufgabenbezogene Funktionen wie Koordinations- und Moderationsaufgaben und arbeiten nicht selten aktiv im Team mit. Um diesen Unterschied zu markieren, wird im Rahmen dieser Arbeit von einer Verwendung des Begriffes Führung abgesehen, um eine missbräuchliche Deutung zu verhindern. „Führung“ wird dann als Terminus ins Feld geführt, wenn es sich um direkte Zitate, textuelle Verweise oder um den Einsatz von Fachtermini handelt, wie z.B. der Terminus „digitale Führung“. Formen der Team- und Projektzusammenarbeit in der Sozialwirtschaft sind bereits gut erforscht, dazu bieten zahlreiche Publikationen Modelle und Konzepte für eine Analyse und Bewertung der Gestaltungsspielräume an. Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben sich die Bedingungen jedoch verändert und verschärft.

1.2.1. Die COVID-19-Pandemie als Beschleuniger

„Zwei externe Ereignisse haben diesen dezentralen, iterativen Such- und Lernprozess der Arbeitsgestaltung partiell überlagert, indem sie eine firmenweite Gestaltungsaktivität erforderlich machten und weitere Akteure auf den Plan riefen: Das eine war der Markterfolg von MS Teams ab 2017, das andere die Corona Pandemie 2020.“

(Hardwig/Weißmann 2021: 194)

Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie wurde die Digitalisierung der Arbeitswelt zusätzlich befeuert. Schlagartig musste die Arbeit ins Home-Office verlagert werden, die Nutzung digitaler Informationstechnologie wurde dabei ad hoc zu einem für die Betriebe überlebenswichtigem Tool, um Prozesse und Leistung aufrechtzuerhalten. Die österreichische Wirtschaft scheint auf diese plötzliche Umstellung nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein, denn der Digitalisierungsgrad der wirtschaftlichen Bereiche und Angebote, die einen reibungslosen Ablauf nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie gewährleisten hätte können, waren vor allem zu Beginn der Krise nur in

unzureichendem Maße vorhanden. (vgl. Wiener Zeitung 2021) So prägen seit dem Ausbruch der Pandemie verstärkt Fragen nach digitalen Techniken und deren Einsatz für das Gelingen virtueller Arbeit sowie arbeitspolitische Diskussion über das Recht auf Home-Office-Nutzung den öffentlichen Diskurs, der durch die Pandemie um ein Vielfaches beschleunigt wurde. Für die Arbeit der Leitungskräfte bedeutete die schlagartige Umstellung der Arbeit in das Home-Office, digitales Knowhow, Krisenmanagement und Steuerungsprozesse zu kombinieren, um die Prozesse weiterhin organisieren zu können.

Für das Forschungsvorhaben stellen sich daher Fragen nach dem Ausmaß der Anpassung der Arbeitsorganisation an die digitalen Anforderungen, hervorgerufen durch die Pandemie. Welche veränderten Anforderungen an die Leitungskräfte gehen damit einher, welchen Stellenwert haben dabei digitale Mittel und Werkzeuge für eine Verbesserung der Kommunikation, Formen der Zusammenarbeit und Arbeitsbedingungen für das Unternehmen? Und inwiefern ändert sich die Arbeitskultur dadurch, welche Veränderungen lassen sich feststellen und welche tiefgreifende Auswirkung hat diese Implementierung auf die Zukunft?

1.2.2. Der Bereich der Wohnungslosenhilfe

Die Entscheidung, den Fokus dieser Forschung auf das Feld der Wohnungslosenarbeit zu legen, hat mehrere Gründe. Vordergründig war die Annahme, dass Digitalisierungsmaßnahmen auf Aspekte wie Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität beruhen - allesamt Anforderungen, die bereits schon lange als wesentliche Elemente für die Gestaltung der Arbeit in der Wohnungslosenhilfe bekannt sind. Diese zeichnet aus, dass sie bedarfsorientiert und ganzheitlich arbeitet und im Zentrum ihres Handelns den Menschen setzt. Dies wird unter anderem durch das Betreten der Lebenswelten der Klient*innen, das Angebot zur Nutzung von sozialen Räumen wie Tagesstätten und Nachtquartieren sowie niederschwelligen Unterstützungsangeboten wie Beratung und Betreuung erreicht. Daher ist es nur folgerichtig, dass im Zuge der Digitalisierung diese sozialen Räume mit digitalen Datenräumen und Lebenswelten erweitert werden. Organisationen der Wohnungslosenhilfe und damit auch die Leitungskräfte fungieren durch diese Wertehaltung als Katalysator, als moralische und ethische Instanz. Sie sind bei der Entwicklung von digitalen Angeboten besonders gefordert zu gewährleisten, dass die verschiedenen Anspruchsgruppen nicht von einer Teilhabe ausgeschlossen werden.

Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Wahl des Forschungsfeldes liegt in der Struktur und Arbeitsweise der Organisationen selbst. Leitungskräfte im Bereich der Wohnungslosenhilfe sind es bereits gewohnt, Teams zu koordinieren, die sich durch Formen von eigenständiger Arbeitsweise und Zusammenarbeit auszeichnen. Wenn es also darum geht, neue Techniken und Dienste in Abläufe zu integrieren, Personal und Akteure zu qualifizieren, Relevantes von Unbrauchbarem zu trennen, sind diese Organisationsformen der Sozialwirtschaft bereits durch ihrer Struktur besonders „agil“, diese schnell anzuwenden und umzusetzen. Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie war die Wohnungslosenarbeit besonders gefordert, innerhalb kürzester Zeit unter Berücksichtigung der genannten Faktoren eine Digitalisierung der Prozesse voranzutreiben, ohne dabei auf die eigenen Ideale und Wertehaltung zu verzichten. Die Perspektive der handelnden Personen, die an diesen Prozessen beteiligt waren, kann als Ausgangspunkt für eine Analyse genommen werden, die den Versuch unternimmt, ein Regelwerk hinter den Überlegungen, organisatorischen Planungen und Steuerungsprozessen auszuforschen.