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2. D IGITALISIERUNG UND DIE S OZIALWIRTSCHAFT

2.1. Digitale Prozesse

Die Begriffe Digitalisierung, digitale Transformation oder digitaler Wandel bezeichnen laut Helmut Kreidenweis, eine Entwicklung, die alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft.

Auslöser dieser Bewegung sind die andauernde fortschreitende technische Entwicklung und Innovationen aus der Informationstechnologie. (vgl. Kreidenweis 2018:11) Den endgültigen Startschuss für die digitale Transformation könnte die Ausbreitung neuer disruptiver Geschäftsmodelle im privaten Sektor eingeleitet haben. Diese

„Entmaterialisierung“ einer bis dato analogen Produktion in digitale Daten, Bits und Bytes verändert die Wertschöpfungsketten in vielen Bereichen der Wirtschaft und bildet die Basis der digitalen Wirtschaft, auch Industrie 4.0 genannt. (vgl. Kreidenweis 2018: 13) Die Entwicklung von digitalen Systemen zur Einbindung von Anwender*innen/User*innen in Kombination mit technischem Fortschritt schaffte es, private Räume und Arbeitswelten zu durchdringen, mehr noch sind diese Systeme nicht mehr aus dem alltäglichen Leben wegzudenken. Das wird vor allem durch Faktoren wie die permanente Leistungssteigerung bei gleichzeitiger Minimalisierung der technischen Komponenten und Preisreduktion möglich. Laut Kreidenweis (2018) sind für die digitale Umwälzung der Arbeitswelt folgende technologischen Errungenschaften ausschlaggebend:

• Internet, permanente Kommunikation und Verfügbarkeit von „Dingen“

• (IoT internet of things)

• Mobilisierung von Internet, via digital device (Smartphone, Tablet, Smartwaches,

…)

• Technologische Entwicklungen wie Cloud Computing, technische Leistung und Speicherung von Daten wird dadurch beliebig skalierbar

• IK, Entwicklung künstlicher Intelligenz, Roboter vor allem im Pflegebereich (vgl.

Kreidenweis 2018:11)

Vor allem letztangeführte technische Innovationen sind für Organisationen der Sozialwirtschaft von Bedeutung. Mit dem Cloud Computing werden erstmals Speicher und Rechenleistungen beliebig skalierbar und der Zugriff auf Daten kann von überall aus erfolgen. Dabei kommt eine Vielzahl von digitalen Anwendungen und Technologien zum

Einsatz. Informationsweitergabe, Terminabsprachen, Netzwerkpartner*innen, Informationen und organisatorische Prozesse werden inzwischen zum größten Teil in elektronischer Form organisiert, abgewickelt, übermittelt und dokumentiert. Dazu gehören klient*innenrelevante Daten genauso wie interne Informationen über das neueste berufsrelevante Wissen, Schulungen und Fortbildungen, Besprechungen, Dienstanweisungen und behördliche Auflagen. Soziale Medien erleichtern den Austausch zwischen Mitarbeiter*innen und Stakeholder-Gruppen, sie dienen der Darstellung von Unternehmen nach Außen, als Instrument der Kommunikation und Mitteilung an die Öffentlichkeit. Mittlerweile kommt in sozialen Unternehmen eine Vielzahl von digitalen Technologien zum Einsatz.

2.1.1. Organisationen der Sozialwirtschaft im Wandel

Der Begriff Sozialwirtschaft beschreibt einen Bereich im Wirtschaftssystem, der sich vorrangig mit der Erbringung von sozialen und gesundheitsorientierten Dienstleistungen zum Nutzen der Gesellschaft befasst. Die Sozialwirtschaft bezieht dabei in der ökonomischen Wertschöpfung eine eigene Position, da die humane Bedarfsdeckung soziale, gesundheitliche sowie andere Probleme und weniger die Absicht einer Gewinnerzielung in das Zentrum stellt. Da der Begriff bis jetzt nicht einheitlich geregelt ist, wird zu den Aktivitäten der Sozialwirtschaft jegliche Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Wohlfahrt hinzugezählt, die größten Bereiche nehmen dabei die soziale Fürsorge, das Gesundheitswesen und die Pflege von Menschen ein.

Laut Hartmut Kopf und Raimund Schmolze-Krahn verhält sich Digitalisierung im Gegensatz zur Sozialwirtschaft disruptiv. (vgl. Kopf/Schmolze-Krahn 2019: 81) Disruptiv, weil sie sich nicht linear, sondern aus einem Konglomerat an technischen Innovationen entwickelt, die nur schwer vorhersehbar und steuerbar sind. Soziale Innovationen stellen die Sozialwirtschaft insofern vor ein Problem, dass die auf schnellen Wandel und Erneuerung ausgerichtete Digitalisierung auf eine Wirtschaftsform trifft, die auf Komponenten wie Qualität, Verlässlichkeit und Kontinuität setzt. Diese trifft auf einen beschleunigten gesellschaftlichen Wandel, der auf Flexibilität und Veränderung setzt.

Unternehmen und Wirtschaftsformen in der Sozialwirtschaft zeichnen sich im Vergleich zu privaten Unternehmen besonders oft durch flache Hierarchien aus. Die Kernleistung wird von hoch qualifizierten und eigenverantwortlichen professionellen Kräften erbracht, oft unterstützt von freiwilligen Mitarbeiter*innen. Nicht selten reagieren Unternehmen der Sozialwirtschaft auf digitale Transformationsprozesse mit innerbetrieblichem Widerstand von der Analyse über die Strategieentwicklung bis hin zur Leistungserbringung. (vgl.

Pölzl/Wächter 2019: 14) Die COVID19-Pandemie und die Maßnahmenpakete, die Staaten geschnürt haben, beschleunigen diesen Prozess gerade. Bereits während des ersten Lockdowns im März 2020 wurde die Arbeit von Unternehmen auf digitale Arbeit im Home-Office umgestellt, dabei auftretende Hürden und technische Probleme in kürzester Zeit beseitigt. Die Digitalisierung setzte in einer Geschwindigkeit und Breite ein, die sich vor der COVID-19-Pandemie niemand vorstellen hätte können. Die Auswirkungen auf den Digitalisierungsgrad der Arbeitswelt wurden damit auch in der Soziwalwirtschaft spürbar.

2.1.2. COVID-19 als Faktor der Beschleunigung

Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands Österreich, benennt in einer APA-Aussendung die COVID-19-Krise als Urknall der Digitalisierung (Will 2020). Digital Austria bezeichnet die COVID-19-Krise sogar als Chance, welche die vielen Möglichkeiten aufzeigt, die Digitalisierung bietet:

„Sie hilft zum Beispiel bei der Früherkennung und hält neue Lösungen im Umgang mit Risiken bereit. Ob es sich dabei um die freiwillige Nutzung einer App handelt, Videokonferenzen im Beruf oder Video-Chats mit Familienmitgliedern – hätten wir den digitalen Fortschritt nicht, wäre diese Krise und ihre Bewältigung um ein Vielfaches schwieriger gewesen.“ (digital Austria 2021)

Durch COVID-19 als beschleunigenden Faktor wird aktuell wieder intensiv über Digitalisierung nachgedacht. Diskussionen auf politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene zeigen aber, dass es bei dem Thema Digitalisierung um mehr geht als um eine reine Automatisierung von Geschäftsmodellen. Digitalisierung wird als soziale Innovation gedacht, die das Potential hat, „neue soziale Praktiken, die gesellschaftlichen Herausforderungen kontextbezogen, zielgerichtet und das Gemeinwohl fördernd“ (Kopf, Schmolze-Krahn 2018: 88) begegnen, sowie soziale Veränderung mitzugestalten. Durch die COVID-19-Pandemie wurde die Nutzung digitaler Informationstechnologien zu einem wichtigen Tool, Serviceleistungen und Prozesse aufrechtzuerhalten und Informationen weiterzutragen. Leitungskräfte hatten in sehr kurzer Zeit diese Umstellung auf digitale Medien zu bewerkstelligen und für die entsprechende digitale Infrastruktur, Aufbereitung und gezielte Weitergabe von Wissen und Informationen zu sorgen. Gleichzeitig mussten die Kompetenzen von Mitarbeiter*innen

evaluiert, koordiniert sowie durch Schulungen und digitale Weiterbildungen intensiviert und erweitert werden. Erschwerend kamen regelmäßige Updates an verpflichtende Sicherheitsauflagen und Hygiene-Richtlinien, Erkrankungen und Ausfällen von Mitarbeiter*innen, das Eruieren von Ansteckungsrisiken und das Feststellen von Clustern hinzu.

2.1.3. Digitalisierung in sozialwirtschaftlichen Unternehmen, Chancen für die Sozialwirtschaft

Digitalisierung betrifft mich nicht. Ich arbeite mit Menschen, nicht mit Computern!“ (Pölzl / Wächter 2019: 92)

Lange Zeit saß man dem Irrtum auf, dass sich die digitale Entwicklung ausschließlich auf den Bereich der Assistenz analoger Prozesse und Abläufe beschränken wird, auf die bloße Handhabung und Sicherung von Daten. Mitarbeiter*innen von sozialwirtschaftlichen Unternehmen nutzen jedoch schon längst digitale Kommunikationstechnologie, um untereinander oder mit Klient*innen Kontakt zu halten, Daten auszutauschen, Arbeitszeiten zu koordinieren und das auch mobil von verschiedenen Einsatzorten aus, gleichgültig, ob das den Richtlinien des Unternehmen entspricht oder nicht. (vgl. Pölzl/Wächter 2019: 92). In geläufigen Mediendiskursen ist dabei öfters von der Sorge zu hören, dass die durch Digitalisierung hervorgerufene Transformation der Arbeitswelt ganze Berufsgruppen auslöschen werde. Laut dem Politikwissenschaftler Joachim Rock ist diese Sorge unbegründet. Denn nicht die Arbeitsfelder oder Berufsbilder ändern sich, sondern die Tätigkeiten. (vgl. Rock 2018: 29) Gerade die Sozialwirtschaft könnte von der Digitalisierung profitieren, da sie diese nutzen kann, um ihre Relevanz für die Gesamtgesellschaft besser präsentieren zu können. Rock unterscheidet dabei sechs zentrale Kernbereiche:

• Organisationen der Sozialwirtschaft ermöglichen eine bedarfsgerechte soziale Infrastruktur in der analogen Welt. Sie übersetzen digitale Serviceangebote in bedarfsorientierte Dienstleistungen.

• Die Organisationen sind darauf bedacht, gesetzeskonform zu arbeiten, denn neue Technologien bergen oft datenschutzrechtliche Fallstricke und Sicherheitslücken.

Wenn es darum geht, neue Techniken und Dienste in Abläufe zu integrieren, Personal und Akteure zu qualifizieren, Relevantes von Unbrauchbarem zu trennen, sind Organisationen der Sozialwirtschaft „Trüffelschweine“.

• Diese Organisationen sind Katalysatoren für gesellschaftliche, soziale und technische Errungenschaften. Bestehende Leistungskomplexe werden in Einzelteile zerlegt und neu angeordnet, integriert und flexibel arrangiert und in der Anwendung mit den Klient*innen direkt überprüft. Das schafft Synergieeffekte und fördert Kooperationen .

• Die Sozialwirtschaft hat stets einen ganzheitlichen Blick auf Prozesse, sie arbeitet bedarfsorientiert und ist dadurch gefordert, die Responsivität und Entwicklung ihrer Angebote alternativ zu gewährleisten

• Einrichtungen der Sozialwirtschaft organisieren sich gerne kreativ in Kollaborationen mit Start-ups, Social Entrepreneurs und bekannten Akteuren der sozialen Szene. Daraus entstehen innovative Ideen und Synergieeffekte mit dem Ziel, digitale Instrumente zu entwickeln, welche die Leistung noch besser an die Bedarfsgemeinschaft anpassen.

Die digitale Entscheidungslogik ist mit aktuellem Entwicklungsstand dieser Arbeit binär.

Das bedeutet, die Sprache, auf der alle digitalen Anwendungen basieren, besteht aus Codes, die auf Kombinationen aus 0 und 1 aufbauen. Diese Werte stehen in keiner Wertigkeit zu richtigem und falschem Handeln. Hier fungieren soziale Organisationen wiederum als auf Werte aufbauendes Gewissen, als moralische und ethische Instanz.

(vgl. Rock 2018: 31)

Dieses Modell erscheint auf den ersten Blick etwas idealisiert gehalten, ist jedoch exemplarisch für die Chancen, die sich durch den Einsatz von digitalen Techniken für die Sozialwirtschaft eröffnen. Gerade durch die Wertehaltung und Menschenzentriertheit bietet sie die idealen Bedingungen, um den Umgang mit Digitalisierung zu administrieren, erproben und weiterzuentwickeln, was wiederum als positiver Nutzen in die Gesamtgesellschaft zurückfließen könnte.

2.1.4. Zahlen und Fakten

Die Digitalisierung der Wirtschaft schreitet rasch voran und verändert nachhaltig die Gesellschaft. Verglichen mit anderen Branchen ist die Sozial- und Gesundheitswirtschaft laut Kopf und Schmolze-Krahn in Deutschland rund zehn Jahre im Rückstand. (vgl. ebd.:

83) Bei der Recherche zu aktuellen Zahlen, die Aufschluss über den Grad der Digitalisierung und den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie in Österreichs sozialem Sektor geben könnten, scheitert man alleine daran, dass die Sozialwirtschaft als Form im Bereich der Gesundheit angesiedelt ist und erhobene Zahlen damit untrennbar verbunden sind. Diese konzentrieren sich vor allem auf den Einsatz von KI (künstlicher Intelligenz) im Pflegebereich, die Implementierung und Weiterentwicklung elektronischer Gesundheitsakten, die Errichtung von Anlauf- und Beratungsstellen für die gesamte Bevölkerung und die Anbindung sowie digitale Umsetzung von online-Beratung.(vgl. Digital Roadmap Austria 2016: 30) Diese wenig ausdifferenzierte Faktenlage könnte meiner Meinung nach das mangelnde Bewusstsein für die Bedeutung der Digitalisierung in der Branche der Sozialwirtschaft und den Stellenwert der Sozialwirtschaft selbst widerspiegeln.

Um eine Einschätzung vorzunehmen, werden Daten aus dem Monitoring Report der WKO Österreich (2018) herangezogen. Diese geben einen groben Gesamtüberblick über den Digitalisierungs- und Innovationsgrad der Allgemeinwirtschaft. Verglichen wurden fünfunddreißig Länder, davon siebzehn aus der EU sowie asiatische und amerikanische Länder. Österreich schneidet dabei im Bereich Innovation und Digitalisierung im oberen Viertel im Ländervergleich ab.

Abb. 1: European Innovation Scoreboard (WKO, MONITORING REPORT 2018: 6)

Für den Monitoring Report kamen vor allen Innovationsindikatoren zum Einsatz, die Humanressourcen, Forschung, Finanzierung, Unternehmensaktivitäten, Investitionen und Technologietransfer bemessen.

Der Digital Economy & Society-Index gibt über die Anwendung von Humankapital, Internetnutzung, digitale Technologie und Anbindung an öffentliche Dienstleistungen Aufschluss. Das Ergebnis dieser WKO-Studie kann folgendermaßen zusammengefasst werden: In Österreich mangelt es an Fachkräften, um den Prozess der Digitalisierung voranzutreiben. Beim Grad der Digitalisierung schätzt die WKO Österreich auf Platz neunzehn ein. Es fehlt in den wirtschaftlichen Unternehmungen an Risikobereitschaft, um Innovationen anzuregen, im Global Creativity-Index, welcher die Kreativität in verschiedenen Dimensionen misst, schneidet Österreich in den Kategorien Talent, Technologie und Toleranz mittelmäßig ab. (vgl. WKO Monitoringreport 2018, 20).

Österreich erreicht beim Digital Economy & Society-Index zwar den zehnten Rang und belegt in der Dimension öffentliche digitale Dienstleistungen (5) und bei der Nutzung von Humankapital (7) gute Werte. Jedoch liegt Österreich in der Kategorie Integration von digitalen Technologien auf Rang vierzehn und verschlechterte sich im Vergleich zum Vorjahr um vier Plätze. (vgl. WKO Monitoringreport 2018, 13). Um also eine Digitalisierung vorantreiben und mitgestalten zu können, müssen sich Akteure der heimischen Wirtschaft vermehrt mit disruptiven Organisationsformen auseinandersetzen, um auf die aktuellen Anforderungen reagieren zu können, dies gilt auch für den sozialen Sektor.

Land (Auswahl) 2017 2016

Dänemark 1 1

Finnland 2 4

Schweden 3 3

UK 7 6

Irland 8 8

Estland 10 12

Österreich 10 12

Deutschland 11 9

Ungarn 21 20

Italien 25 25

Abb. 2: Digital Economy & Society Index (WKO, MONITORING REPORT 2018: 13)