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4. D ARSTELLUNG DER E RGEBNISSE

4.4. Anwendung der Digitalisierung in der Wohnungslosenhilfe

In Hinblick auf die Relevanz digitaler Mittel und Techniken für die Sozialwirtschaft waren sich alle befragten Personen einig, dass die Digitalisierung im sozialen Sektor als wichtig und einschneidend erachtet wird. Bei diesem Prozess handelt es sich laut den Befragten aber um kein neues Phänomen, sondern diese Umstellung setzte bereits in den 1990ern ein, als man im Rahmen der Professionalisierung der Sozialen Arbeit über digitale Systeme die Datenerfassung zentralisierte. Dabei wurden Techniken und Arbeitsmittel wie die Dokumentation, die Verwaltung von Daten und die Erfassung von Wirkung und Qualität formalisiert und in große Datenbanksysteme überführt. Insofern sind laut Aussage der Expert*innen Unternehmen der Wohnungslosenhilfe seit ca. 20 Jahren mit digitalen Techniken konfrontiert.

„Da sind wir sehr digital in dem Bereich und zwar schon sehr lange. Das hat schon früh angefangen, ich arbeite nur so, seit ich arbeite. Akten haben wir schon lange nicht mehr, da waren andere viel langsamer als wir. Das haben wir seit dem Jahr 2000 nicht mehr, und mittlerweile [sic!] das dritte Programm.“ (Interview B4 clean, Absatz 105)

Digitale Techniken und Anwendungen werden vor allem in den Bereiche Personalwesen, Administration und Systeme der Arbeitszeiterfassung eingesetzt. Im strategischen und operativen Bereich sind laut den Expert*innen digitale Techniken dann im Einsatz, wenn es gilt, in virtuellen Arbeitskontexten die Projektarbeit zu koordinieren, die Kommunikationskanäle zu steuern, sich zu vernetzen und die Öffentlichkeit zu informieren. In Hinblick auf Evaluation und Wirkungsmessung werden digitale Mittel eingesetzt, um die Sicherung von Qualität zu gewährleisten, die Leistung und Auslastung der Einrichtungen zu messen und aussagekräftige Daten zu gewinnen. In der

klient*innenbasierten Arbeit sind es vor allem Datenbanksysteme, die eine wertvolle Ressource darstellen, und mittlerweile mit personalisierten Zugriffsrechten gesichert sind.

In Hinblick auf die jünger werdende Zielgruppen der Wohnungslosenhilfe wird laut den Leitungskräften der Einsatz von digitalen Web-Applikationen, Smart Service Design und Messenger Diensten immer wichtiger. Vorrangiger Gedanke dabei ist es über die Angebote der Wohnungslosenhilfe zu informieren, die Zugänge dazu möglichst niederschwellig zu schaffen, und vorab bereits signifikante Fragen zu klären.

„Das sind ganz einfache Fragen, da muss man nichts angeben und tippen, da muss man nur klicken „ja/ nein, sind Sie alleinstehend oder nicht“, „Haben Sie einen Hund?“ - dann weiß man schon wohin, welche Einrichtungen zuständig sind. Alle anderen sind dann schon ausgeschieden. Solche Tools gibt es jetzt schon, aber man muss bereits fähig sein, ins Internet zu schauen.“ (Interview B5 clean, Absatz 49)

Bei einer Einschätzung der Wirkung von digitalen Prozessen auf das Arbeitsfeld der Wohnungslosenhilfe ist es wichtig, in der Analyse die Organisationsgröße mit zu berücksichtigen. Kleinere Organisation und NGOs, die nicht an das (digitale) Wiener Wohnungslosenhilfe-Netzwerk angebunden sind, haben wenig bis gar keine Prozesse digitalisiert. Akteure wie FSW, Rotes Kreuz und die Caritas sind in ein zentralisiertes Datenbanksystem eingebettet, über welches jederzeit datenschutzrechtlich konforme Informationen und prozessrelevantes Wissen abgerufen werden kann. Unternehmen der Sozialwirtschaft profitieren dadurch an der Digitalisierung durch einen für ihre Arbeit wesentlichen Informationsvorsprung. Die Zusammenarbeit und Vernetzung innerhalb der Organisationen wurde mit der „Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter“(siehe Kapitel 2.2.1.) wesentlich vereinheitlicht und damit erheblich verbessert. Nicht zuletzt, weil man Prozesse wie die Wartung, Weiterentwicklung und Verbesserung jetzt an Drittanbieter auslagern kann.

4.4.1. Die COVID-19-Pandemie als Beschleuniger von Digitalisierungsprozessen Im Zuge des ersten COVID-19-Lockdown wurden auch in der Wohnungslosenhilfe Mitarbeiter*innen und Leitungskräfte abwechselnd oder andauernd ins „Home-Office“

geschickt. Teams wurden strikt geteilt, um Belegschaft und Klient*innen zu schützen sowie krankheitsbedingte Totalausfälle der gesamten Belegschaft der Einrichtungen zu verhindern. Manche Beratungsstellen wurden aufgrund der mangelhaften

Sicherheitsauflagen vorübergehend geschlossen. Es galt laut den befragten Leitungskräften, den Betrieb so weit wie möglich aus dem Home-Office heraus zu organisieren. So berichten die befragten Personen, dass sie im ersten Lockdown im März 2020, neben dem Einholen von Informationen und dem Organisieren von Schutzausrüstung, vor allem damit beschäftigt gewesen seien, die Mitarbeiter*innen mit einer digitale Infrastruktur zu versorgen und eine datenschutzrechtlich konforme Kommunikationswege in den virtuellen Arbeitskontext zu integrieren.

„ .... ein Kommunikationstool der Videokonferenz, wo ich im besten Fall noch einen Bildschirm teilen kann und mir Daten hin- und herschicken. Und da gab es schon vorher gute Lösungen und die gibt es jetzt von groß bis klein, ob ich jetzt die eine oder andere Software verwende. [sic!] Wo ist der Server, wer betreibt das Ganze und sobald ich es schaff, dass ich was habe, wo die Daten in Europa bleiben, kann ich mehr oder weniger darauf bauen, dass das passt. [sic!]“ (Interview B2 clean, Absatz 67)

Dabei spielten Faktoren wie der Standort der Server, die Prozessleistung, Kosteneffizienz und Leistungsperformance eine große Rolle in der Wahl des Kommunikationsmittels.

Eine der Leitungspersonen gab im Interview an, in ihrem Unternehmen mehrere Videokonferenzlösungen getestet zu haben, bis sie die geeignete fand.

„Serving monkey, dann Skype, das haben wir alle gemacht, bevor wir uns überlegt haben, ob das datenschutzrechtlich geht oder so, dann Jitsi, das hat nicht so gut geklappt von der Verbindung und Qualität usw., und wir haben dann Zoom verwendet. Irgendwann war bei Zoom der große Skandal, dass die Daten in die USA wandern, es ist eine amerikanische Firma. Mit eyeson haben wir einen Anbieter gefunden, der aus Österreich war und wo es datenschutzrechtlich am sichersten ausgesehen hat. Und dann hat Zoom auf europäische Server umgestellt. Das waren dann so die Prozessschritte. “ (Interview B1 clean, Absatz 68)

Die Leitungskräfte gaben an während des ersten Lockdown ein höheres Aufkommen von Homepageabrufen und Anfragen von Klient*innen über E-Mail und Kanäle der sozialen Medien bemerkt zu haben. Neu hinzu kamen Beratungstermine und Fallbesprechungen mit den Klient*innen über Instant-Messenger Dienste. Arbeitsgespräche und

Teamsitzungen fanden online statt, sogar Supervision wurde, wenn möglich über Videochats organisiert.

4.4.2. Einfacher oder Komplexer?

„Ob das jetzt einfacher oder weniger geworden ist, weiß ich nicht, es ist stärker strukturiert, eindeutiger und es ist einheitlicher“ (Interview B2 clean, Absatz 53).

Im besten Fall, so gibt eine der interviewten Personen an, werden Prozesse zwar nicht einfacher, aber einfacher zu bearbeiten und transparenter für alle Mitwirkende. Das durch die Digitalisierung Prozesse verkürzt und Ressourcen schonender eingesetzt werden, wird aus Erfahrung der Expert*innen eher als Ausnahme gewertet. Das sei damit zu begründen, dass die dafür benötigten Kulturtechniken und das digitales Knowhow unter den Mitarbeiter*innen ungleich verteilt sind, vieles erst in virtuellen Arbeitsaufwänden erprobt werden muss, damit zu zusätzlichen Arbeitsaufwand führt und die Mitarbeiter*innen unterschiedlich lange benötigen, um sich einzuarbeiten.

Datenschutzrichtlinien verkomplizieren die Prozesse dabei zusätzlich, weil sie einen hohen administrativen Aufwand erfordern und damit den Workflow erschweren und verzögern. Als positiv wird von den befragten Expert*innen vor allem die rasche und einfache Informationsbeschaffung und -weitergabe über digitale Kommunikationsformen gewertet, die eine verbesserte Zusammenarbeit und Vernetzung unter den Organisationen ermöglicht. So können systemrelevante Informationen und Daten schnell getauscht und notwendige Treffen kurzfristig virtuell anberaumt werden, auch die Erreichbarkeit der Behörden und anderer Einrichtungen haben stark zugenommen, bei einer gleichzeitiger Verkürzung von Kommunikationswegen. Allerdings ist in der Zusammenarbeit mit Behörden noch Verbesserungspotential festzustellen. Vor allem während des ersten COVID-19-Lockdown wird die Kollaboration mit den Behörden MA40, Meldeamt und AMS als besonders zeitintensiv und schwierig wahrgenommen. Eine Verbesserung wird aufgrund der datenschutzrechtlichen Bestimmungen von den Leitungskräften aber als unrealistisch gesehen. Ein weiteres Problem, laut einer der befragten Personen stellt die unmittelbare Abhängigkeit von der Infrastruktur dar. Bei technischen Problemen, Programmabstürzen oder Internetausfall kann einfach nicht mehr gearbeitet werden, was zu überfüllten Wartezimmer und Unruhe unter allen Beteiligten führt.