• Keine Ergebnisse gefunden

5. D IGITAL L EADERSHIP

5.1. Digitalisierung aus der Leitungsperspektive

„Man kann da immer zwei Seiten sehen, als dystopische Mission oder als extreme Sicherheitsmaßnahme. Mit einer Infrarotkamera sehe ich einfach, dass da jemand im Gebüsch schläft und kann hingehen und nachfragen. Es betrifft dann halt die Anonymität, es hat immer zwei Seiten. Man muss die Gefahren betrachten, aber man muss auch schauen, was hat es für Vorteile. Was sicher in der Digitalisierung verloren geht, ist, dass die Anonymität verschwindet. Man kann sich nicht mehr verstecken, man versteckt sich nirgends mehr. Das muss den Leute klar sein, man wird oder man ist zum Großteil schon ein gläserner Mensch.“ (Interview B5 clean, Absatz 51)

Wie bereits im ersten Abschnitt erwähnt, stellt die Digitalisierung für 90% der befragten Leitungskräfte einen für ihre Arbeit relevanten und einschneidenden Prozess dar, den es zu lenken gilt und damit zur Leitungsaufgabe wird. In der Einschätzung um den Stellenwert der Digitalisierung für ihre Arbeit gehen die Meinung jedoch auseinander.

Generell lässt sich aus den erhobenen Daten ableiten, dass sich der Impact von Digitalisierungsmaßnahmen proportional zur Größe des Unternehmens verhält. Als Leitungskraft eines kleinen Unternehmens mit kleinen Teams und gleichbleibenden Klient*innenzahlen wird die Notwendigkeit, Prozesse des Kerngeschäfts zu digitalisieren als vernachlässigbar betrachtet.

„Also ich bin (...) nicht überzeugt ob Digitalisierung das Thema ist, mit dem wir uns in unseren Arbeitsfelder auseinandersetzen sollen.“ (Interview B2 clean, Absatz 97)

Leitungskräfte von mittleren und größeren Unternehmen sehen in der Digitalisierung Veränderungspotential und Entwicklungschancen, die Umsetzung und Anwendung im Unternehmen wird aber als belastend, weil ressourcenintensiv und zeitanfordernd, eingeschätzt. Die Befragten gaben an, dass die Implementierung digitaler Techniken zum Zwecke einer Prozessoptimierung in ihren Organisationen in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen haben, seit dem Ausbruch von COVID-19 aber schlagartig zugenommen habe. Jedoch sind sich die Befragten dabei uneinig, ob es sich bei vielen dieser Anwendungen tatsächlich um eine digitale Transformation der Arbeit handle.

„Aber ich find das ist eigentlich nicht Digitalisierung der sozialen Arbeit, sondern das ist die Digitalisierung der Verwaltung der sozialen Arbeit. Also das würde ich immer unterscheiden und ich glaub das die soziale Arbeit mit Ausnahme von Dokumentation und eventuell Projektentwicklungsfragestellungen auch nur bedingt digitalisierbar ist.“

(Interview B2 clean, Absatz 55)

Die Leitungskräfte bemerken bei der Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen immer wieder Rückstände bei den Soft Skills unter den Mitarbeiter*innen, was mit den ungleich verteilten Zugängen zu digitalen Mitteln und dem unterschiedlichen Knowhow begründet wird. Dass kann, so befürchten diese, zu ungewollten Ausschlussmechanismen führen.

„Manche Leute, die nicht mitgezogen haben, die keine Möglichkeiten hatten und das jetzt tun müssen, das wird schwierig, das aufzuholen. Das wird sicher zum Problem. Das wird Leute aus dem Arbeitsmarkt ein Stück entfernen.“ (Interview B5 clean, Absatz 17)

Angesichts dieser neuen Form der Ausgrenzung sei es umso wichtiger, einer digitalen Wende kritisch gegenüberzustehen und daraus resultierenden sozialen Ungerechtigkeiten entgegenzusteuern. Dazu müssten aber vermehrt die verschiedenen Anspruchsgruppen an der Entwicklung und Umsetzung von digitalen Strategien beteiligt werden. Der Großteil der Befragten gibt jedoch an, auf Digitalisierungsschritte im Unternehmen wenig bis gar keinen Einfluss zu haben, da die Implementierung von digitalen Prozessen zumeist top down von der Geschäftsleitung und dem Vorstand verordnet werden.

„Nein wir haben bis jetzt noch ganz wenige Schnittstellen zur Konzipierung gemeinsam, was die Nutzung betrifft. Wir XXX kritisieren das auch immer, das ist aber auch Teil des Diskussionsprozesses, das wir immer zu wenig eingebunden sind bei der Ausholung von Strategien.“ (Interview B5 clean, Absatz 13)

Aufgrund des Digitalisierungsschubes durch COVID-19 wurde von den Leitungskräften die mangelhafte technische Infrastruktur der Organisationen, der Rückstand des Digitalisierungsgrad im Unternehmen und schlechte Internetkapazitäten festgestellt, welches bei hoher Nutzung schnell überlastet war. Diese Mängel galt es während des ersten Lockdown im März 2020 schnell zu beseitigen, wobei die Umverteilung technischer Geräte zu Beginn einer der größten Aufgabenbereiche darstellte. Nicht alle Mitarbeiter*innen waren gleichermaßen ausgerüstet und am gleichen technischen Stand.

Größere Organisationen konnten es sich zwar leisten, ihre Mitarbeiter*innen mit Arbeitsgeräten auszustatten, kleinere Organisationen mussten auf die private Ausstattung der Mitarbeiter*innen rückgreifen.

„Weil da natürlich teilweise die Ressourcen nicht vorhanden sind, die psychischen harten Ressourcen, keine Zugänge und auch kein Wissen über die Verwendung.“ (Interview B5 clean, Absatz 7)

Angesichts des Digitalisierungsrückstandes im Unternehmen waren Leitungskräfte zu Beginn der Pandemie zusätzlich gefordert, den Mitarbeiter*innen die notwendigen Soft Skills zu vermitteln. Dazu wurden laut den Interviewten Einführungsworkshops und Tutorials organisiert, oft in Zusammenarbeit mit den IT-Abteilungen. Als hilfreich wurde dabei eine Selbstorganisation unter den Mitarbeiter*innen und die gegenseitige Unterstützung beim Erlernen von neuen Techniken und Anwendungen, empfunden.

5.1.1. Digitalisierung und Arbeitsmodelle

Angesichts der disruptiven Veränderungsprozesse, die durch digitale Techniken in Unternehmen initiiert werden, müssen sich Leitungskräfte verstärkt mit den Formen von digitaler Arbeit und virtueller Zusammenarbeit auseinandersetzen, wie es die Team- und Projektarbeit impliziert. In der Sozialwirtschaft, so geben die Leitungskräfte an, war es jedoch bereits vor dem Ausbruch von COVID-19 Usus, Mitarbeiter*innen in Teams zu organisieren und an Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Laut den befragten Personen wird die digitale Technik als hilfreich empfunden, Demokratisierungsprozesse im Unternehmen voranzutreiben, und aktiv Mitarbeiter*innen einzubinden. Digitale Prozesse sind transparent und bieten Raum für Vernetzung, Zusammenarbeit und Partizipation. Diese Möglichkeiten werden jedoch nicht durch die Technik alleine geschaffen, sondern das Fundament dafür muss bereits in der Arbeitskultur implementiert worden sein. Strenge hierarchische Ablaufunternehmen werden laut der Aussage einer Leitungskraft nicht demokratischer, wenn sie eine digitale Videosoftware verwenden.

Auch die Annahme, dass alle Mitarbeiter*innen gleichermaßen daran interessiert seien, Verantwortung für Prozesse zu übernehmen, ist falsch. Daher stellten sich Fragen nach dem Status quo der Einrichtung und inwiefern digitale Prozesse dabei unterstützen können, Zieldefinitionen besser zu formulieren und zu erreichen.

„In weiterer Folge geht es um die Fragestellung, wie man Angebot oder bestehende Prozesse verbessern kann, indem man sie in sehr klare und durchaus enge Strukturen in eine Digitalisierung presst. D.h. Digitalisierung ist ja eine Strukturierung eigentlich, und (da)durch eine Technik.“ (Interview B2 clean, Absatz 33)

Die befragten Personen geben an, dass es zunächst wichtig sei, die Digitalisierung unter Einbezug der Mitarbeiter*innen als Strategie zu formulieren, um diese dann gemeinsam

umzusetzen. Dabei spielen vor allem die IT Abteilungen der jeweiligen Unternehmen eine große Rolle bei der Entwicklung und Implementierung von digitalen Prozessen.

5.1.2. Rolle der IT-Abteilung

Viele der befragten Organisationen verfügen über eine eigene IT-Abteilung, mit der mehr oder weniger lose zusammengearbeitet wird. Dabei bemängeln die befragten Personen immer wieder die fehlende Zusammenarbeit zwischen den Organisationsebenen.

„Das ist eine Unternehmensentscheidung, ich weiß nicht, was die andern entschieden haben, das unterliegt den jeweiligen Sicherheitsabteilungen der Unternehmen.“ (Interview B5 clean, Absatz 33)

Die befragten Leitungskräfte sind sich darüber einig, in Zukunft an der Entwicklung von digitalen Strategien und Softwarelösungen mehr partizipieren zu wollen. Mit der Einführung der Software HR 360 bei den Organisationen Rotes Kreuz und FSW arbeite man bereits eng mit den Anspruchsgruppen und der IT Abteilung zusammen. Bei den Themen technische und administrative Sicherheitsvorkehrungen gaben die Expert*innen an, froh darüber zu sein, dass dies von der IT-Abteilung abgedeckt werde und sie daran nicht beteiligt sind.

„Aber da gibt es bei uns eine Hotline, wo alles Verdächtige hingeschickt wird und sofort gecheckt wird. Und wenn da was verdächtig ist, gibt es sofort eine Meldung an alle.“

(Interview B5 clean, Absatz 41)

Während des ersten COVID-19-Lockdown wurde die Zusammenarbeit zwischen den IT- Abteilung und den Leitungskräften intensiver. Zusammen wurde an schnellen und sicheren Softwarelösungen gearbeitet und Strategien und Maßnahmen entwickelt. Die IT- Abteilungen waren auch mit daran mitbeteiligt, den Mitarbeiter*innen das notwendige Knowhow zu vermitteln und anwendungsbasiertes Wissen für alle verständlich aufzubereiten. Diese Form der Zusammenarbeit wäre laut den Befragten auch für die Zukunft wichtig und könnte weiter ausgebaut werden.