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Im letzten Teil der Auswertung wird auf die spezifische Situation des Home-Office und den damit verknüpften Auswirkungen und Herausforderung aus Sicht der Leitungskräfte eingegangen, und die daraus resultierenden Aufgabenbereiche und Verantwortlichkeiten beschrieben.

6.1. Herausforderungen im Home-Office

Mit der Umstellung auf das Home-Office im März 2020 wurden in zahlreichen Betrieben und Organisationen der Wohnungslosenhilfe die Mitarbeiter*innen in die Heimarbeit entsendet. Als Vorteile für das Home-Office werden laut den Leitungskräften das Wegfallen langer Anfahrtswege, eine freie Arbeitszeitgestaltung, eine erhöhte Produktivität, bessere Konzentration durch das Fehlen von Ablenkungen von Kolleg*innen aufgezählt. Auch die fehlende Anwesenheit eines Kontrollorgans wird von manchen Mitarbeiter*innen als Erleichterung angesehen.

„Weil die Vorteile von Home-Office sind, dass ich selbstständig arbeite, nicht ständig einen Chef habe, der mir über die Schulter schaut und kontrolliert, ob ich arbeite, selbstbestimmt. Wo das Ergebnis mehr zählt, als die abgesessene Zeit.“ (Interview B5 clean, Absatz 25)

Aber nicht für alle Beteiligte stellt das Home-Office eine ideale Arbeitsatmosphäre dar.

Für viele Personen wird das Home-Office aufgrund von fehlender technischer Infrastruktur, engen Wohnverhältnissen und fehlenden Arbeitsflächen zur Belastung.

Erschwerend kommt laut den Leitungskräfte hinzu, dass die auf einen Schlag verhängten Home-Office-Zeiten, durch COVID-19, für viele der Mitarbeiter*innen überraschend und in einem zu hohen Tempo umgesetzt wurden. Da nicht alle Arbeitskräfte gleichermaßen über die dafür notwendigen Skills und Kompetenzen verfügen, müssen sich Leitungskräfte die Frage stellen, wie man denn die Entwicklung von Eigenständigkeit, Selbstermächtigung und Vertrauen anregen kann. Auch die positiv ins Feld geführte Work-Live-Balance befindet sich oft in einer eher misslichen Lage. So geben die Befragten einheitlich an, verstärkt Sorge um das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen zu haben, da für viele eine Abgrenzung zwischen Privatzeit und der Arbeit zu Hause aufgrund der verschwimmenden Grenzen nur schwer möglich ist. Zusätzliche betreuungspflichtige Personen im gleichen Haushalt, die fehlende räumliche Trennung, (der Esstisch wird zum Arbeitstisch transformiert und umgekehrt), die gesundheitlich bedenkliche Ausstattung des Arbeitsplatzes (alte Monitore, schlechte Sitzgelegenheiten und leistungsschwache Computer) führe für viele zu einer Verschlechterung der Qualität der Arbeit.

Die Annahme, dass Mitarbeiter*innen in ihren Home-Office-Zeiten weniger Leistung erbringen würden, stellte für die befragten Leitungskräfte keine berechtigte Sorge dar. Im Gegenteil, die interviewten Personen befürchten, dass das fehlende Einhalten von Pausen und die ständige Onlinepräsenz zu einer Erhöhung des Stresspotentials und der Auslastung des Personals führen könnte, was Folgeerkrankungen mit sich bringen würde. Man versucht insofern dagegen zu steuern, indem man verstärkt an die Mitarbeiter*innen appelliert, Ruhezeiten einzuhalten, Bewegungsabläufe einzubauen und sich Strategien zur Kompensation von Arbeits-und Privatzeit anzueignen. Auch fehlte es laut den Expert*innen noch an den rechtlich geregelten Rahmenbedingungen für Home-Office-Zeiten, das beschäftigt die Leitungsorgane in den Interviews nachhaltig.

„Es fehlt für mich noch Klärung, wie ist es mit dem Datenschutz von zu Hause, wie ist es bei der, also habe ich einen Anspruch darauf das für die Arbeit ein Teil meiner Stromrechnung zahlt? Wenn ich jetzt drei Monate gezoomt habe Ende nie und Strom verbraucht habe, was ist mit dem Arbeitszimmer, das ich zu Hause gebraucht habe, wenn ich selbstständig wäre, könnte ich es abschreiben. Ja, und das kannst du jetzt nicht.“ (Interview B1 clean, Absatz 176)

Wichtig dabei ist es laut den Leitungskräften, auch die Kostenfrage zu stellen, inwiefern habe der Betrieb bei Arbeitsmitteln, Energie und sozialen Aufwendungen zu Lasten des Personals einsparen können, weil auf die privaten Mittel der Arbeitnehmer*innen zurückgegriffen wurde.

„Also eigentlich bräuchte es neue Abrechnungssysteme in dem Moment, oder man müsste alles genau aufschlüsseln, Klopapier anteilig, Arbeitsraum anteilig, Strom, Wasser, Handy …“ (Interview B1 clean, Absatz 177)

Im Interview gibt eine der Leitungskräfte an, dass die Organisation diesbezüglich gemeinsam mit dem Betriebsrat an einer Lösung arbeite, aber man noch auf die Beschlüsse der österreichische Regierung warte.

6.2. Psychische, soziale und gesundheitliche Belastungen

Angesichts der multipluralen Lebenslagen der Kund*innen und Klient*innen in der Wohnungslosenhilfe sind es die Mitarbeiter*innen der Organisationen gewohnt, sich in ihrer Arbeit emotional abzugrenzen. Dafür ist laut den interviewten Personen ein gut strukturiertes und klar abgegrenztes Arbeitsfeld wichtig und hilfreich. Im Kontext von Home-Office-Zeiten stellt sich daher die berechtigte Frage und Sorge nach den Abgrenzungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter*innen, wenn die Krisengespräche im Wohnzimmer oder in der eigenen Küche stattfinden. Das erfordert von den Mitarbeiter*innen neue Strategien der Abgrenzung, die erst erlernt werden müssen. Auch offeriert der Bildschirmausschnitt während der Onlineberatung Einblicke in die persönlichen Lebenswelten der Angestellten, worunter das professionellen Klient*innen-Betreuer*innen Verhältnis leidet. Durch die fehlende räumliche Trennung und emotionale Distanzierung laufen viele der Angestellten Gefahr, mehr zu arbeiten, nicht Erledigtes abends oder in ihrer Freizeit zu erledigen Hier geben die Leitungskräfte an in Zukunft besonders gefordert sein, das Arbeitspensum ihre Mitarbeiter*innen im Auge zu behalten und im Notfall Ruhezeiten zu verordnen.

Die befragten Leitungskräfte führen auch ins Feld, dass je länger der Lockdown anhalte, sie vermehrt Einbußen in der Qualität der Arbeit bemerken. Die ständige Onlinepräsenz wird von den Mitarbeiter*innen, durch das Fehlen von zwischenmenschlichen physischen Kontakte, als zunehmende Belastung empfunden. Darunter leiden Frustrationstoleranz, Belastbarkeit und das Konfliktpotential steigt. Mit der sozialen Distanzierungen wird ein

größeres Aufkommen an Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen, Missverständnisse in der Kommunikation, ein erhöhtes Konfliktpotential und die Minderung von Vertrauen bemerkt, was die Arbeitsatmosphäre zusätzlich erschwert. Es sei jetzt laut den Leitungskräften besonders wichtig, vermehrte Achtsamkeit an den Tag zu legen und mögliche Stimmungsschwankungen der Mitarbeiter*innen zu tolerieren.

„Das ich deutlich toleranter zum Beispiel bin, wenn irgendjemand mal am Telefon flapsig ist, oder mit einer Behörde spreche, oder wenn ich eine flapsige E-Mail bekomme, kann ich das durchaus mehr nachvollziehen, woran das liegen könnte.“ (Interview B3 clean, Absatz 89)

Auch das Wegfallen von gemeinsamen Essenszeiten und das gemeinsame Benutzen von Pausen und Sozialräumen machen sich bemerkbar und drückt auf die physische und psychische Stimmung. Gerade für Personen, die gerne mit Menschen arbeiten, nimmt das Risiko für Vereinsamung und Depression zu. Hinzu kommt ein weiterer Stressfaktor, nämlich die scheinbar permanente Verfügbarkeit der Angestellten. Da mit Hilfe von Onlinetools Meetings und Besprechungen leichter und schneller zu organisieren sind, wird hierbei eine Zunahme verzeichnet, die ebenfalls zur Belastung der Mitarbeiter*innen führt.

„Und gleichzeitig die ständige Verfügbarkeit aus der Sicht der Arbeitgeber, „na, der ist ja eh daheim“, „der kann ja gleich was tun“ „der ist ja eh immer verfügbar, den rufe ich schnell an“.“ (Interview B5 clean, Absatz 25)

All diese ins Feld geführten Faktoren erhöhen das Stresslevel unter den Mitarbeiter*innen, mögliche Folgen sind Nervosität, Lustlosigkeit, Schlafstörungen und Selbstzweifel und können auf Perspektive zu psychischen Folgeerkrankungen wie Burnout und Depressionen führen. Ein weiteres oft unterschätztes, aber nicht zu vernachlässigendes Gesundheitsrisiko stellen die Arbeitsbedingungen am Heim-Arbeitsplatz dar. Kaum einer der Mitarbeiter*innen, so befürchten die Interviewten Personen, verfügt daheim über die ergonomisch ausgestatteten Büromöbel, Gesundheitsstühle und kalibrierte Monitore, wie sie am Arbeitsplatz vorhanden sind.

Fehlender Bewegungsmangel, lange Bildschirmzeiten und schlechte Sitzhaltung können längerfristige physischen Erkrankungen und Sehschwächen zur Folge haben.

6.3. Juristische Grauzone

Bei der Durchführung dieser Untersuchung war noch keine einheitliche verpflichtende Regelung des Home-Office in Kraft. Nach einem entsprechenden Entwurf der österreichischen Regierung zur Regelung von Home-Office-Zeiten im Frühjahr 2021 (vgl.

Deloitte Legal 2021) wird das Home-Office zwar als Vereinbarung zwischen Unternehmensseite und Mitarbeiter*innen geregelt, ist aber nach wie vor nicht verpflichtend. Die Mitarbeiter*innen können daher nach wie vor nicht selbst entscheiden, ob sie von zu Hause aus arbeiten oder nicht. Ungenügend geklärt sind dabei laut den befragten Leitungskräften Fragen zur Sicherheit des Arbeitsplatzes, die Rückvergütung von privat zu Arbeitszwecken eingesetzten Mitteln und Aufwendungen, die Klärung der Rahmenbedingungen von Arbeitsunfällen und Datenrechtsverstöße. Was die Handhabung von Arbeitsunfällen, die zu Hause passieren, betrifft, gelten zwar die gleichen Bedingungen wie am Arbeitsplatz im Büro, aber ab wann ein Unfall im Home-Office als Arbeitsunfall gewertet werden kann, ist laut den Leitungskräften ungenügend ausformuliert.

„Die sind noch nicht ausjudiziert, soweit ich weiß, das ist noch nicht geklärt. Was passiert, wenn ich mit der Klientin telefonier, stolpere und den Fuß breche oder so.“ (Interview B1 clean, Absatz 125)

Des Weiteren fehlt es an einer genauen Definition der Handhabung der verschiedenen datenschutzrechtlichen Rechtsverstöße in Privaträumen zu Arbeitszwecken, auch hier gelten die allgemeinen Verordnungen für Unternehmen und Betriebe. Das impliziert aber, dass am Arbeitsplatz der Mitarbeiter*innen die gleichen technischen Sicherheitsvorkehrungen vorherrschen wie im Betrieb. Für die Leitungskräfte stellt sich dabei die Frage, wie diese Sicherheit zu gewährleisten ist, wenn in den Räumen gleichzeitig Familienmitglieder vorhanden sind, die Einblick auf personenbezogene Daten, Akten und Datenträger nehmen können, weil sie z.B. offen auf dem Küchentisch liegen.

In der Frage der anteilsmäßigen Rückvergütung von Kosten, die bei den Arbeitnehmer*innen durch den Einsatz privater Mittel entstehen, ist nach wie vor keine ideale Lösung ausverhandelt. Auch hier sieht das Gesetz eine steuerrechtliche Lösung vor. Beträge zur Anschaffung von Arbeitsgeräten und Arbeitsplatzausstattung können zwar als Werbekosten seitens der Mitarbeiter*innen und als Ausgaben der

Arbeitnehmer*innenseite abgeschrieben werden, das stellt aber laut einer Leitungskraft für den sozialen Bereich eine unbefriedigende Alternative dar.

„... denn die Frage ist, wie viel man verdient, ob da die steuerliche Lösung die richtige ist.

Wenn ich Teilzeit arbeite und kaum Lohnsteuer zahle, 30 oder 35 Stunden arbeite, dann sind 300 Euro Abschreibposten sehr schön, aber wenn ich kaum Steuer zahle, nutzt mir der nichts“ (Interview B5 clean, Absatz 29)

Da im sozialen Bereiche anteilsmäßig mehr Frauen in Teilzeit arbeiten, würde das vor allem die Arbeitnehmer*innen stärker treffen. Bei den für die Arbeit eingesetzten Geräten stellt sich auch die Frage nach der Verantwortlichkeit für Reparaturen. Generell sind laut den befragten Personen die Rechte und Pflichten der Mitarbeiter*innen im Home-Office noch als ungenügend festgelegt und benötigen klarere Richtlinien. Da bewegt man sich laut einer Leitung stark im Graubereich. Vor allem die fast zwanghafte Entsendung der Mitarbeiter*innen in das Home-Office stößt stark an die Grenzen der Rechtlichkeit. Denn laut der Vereinbarung zum Home-Office (vgl. Deloitte Legal 2021): dürfen Arbeitgeber*innen ohne entsprechenden Eintrag im Arbeitsvertrag Mitarbeiter*innen nicht Home-Office anordnen.

„Aber da sind einfach die Arbeitgeberverpflichtungen und die Sicherheit der Mitarbeiter*innen von uns zu schützen im Vordergrund als das Interesse der Person.“

(Interview B5 clean, Absatz 23)