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70 bis 80% der sozialphobischen Personen sind von weiteren psychischen (komorbiden) Störungen betroffen (Leichsenring et al., 2015, S. 9). Dabei ist bekannt, dass Frauen im Mittel unter einer grösseren Anzahl komorbider Krankheiten leiden als Männer (ebd.). Zu den Komorbiditäten zählen andere Angststörungen, depressive Erkrankungen und Substanzabhängigkeiten (ebd.).

Eine komorbide Störung kann Vermeidungs- und Rückzugsverhalten noch weiter fördern, wodurch die wahrgenommene Lebensqualität weiter sinkt (Szafranski et al., 2014, zit. in Schmitz & Asbrand, 2020, S.29).

10.1 Andere Angststörungen

Da andere Angststörungen besonders häufig komorbid zur Sozialen Phobie auftreten, ist es wichtig, genau abzuklären, ob eine weitere Angststörung vorliegt oder ob die Sozialen Ängste in einer anderen Diagnose besser erfasst werden können (Szafranski et al., 2014, zit. in Schmitz & Asbrand, 2020, S. 29). Obwohl gewisse Faktoren verschiedener Angststörungen sehr ähnlich sind, wie zum Beispiel zurückhaltendes Temperament oder negative Lernerfahrungen, ist für die Therapieplanung entscheidend, die Symptomatik möglicher Komorbiditäten differenziert zu erfassen (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 29).

Die häufigste Komorbidität der Sozialen Angststörung stellt die Spezifische Phobie dar (Beidel et al., 1999, zit. in ebd.). Diese Phobie beschreibt eine ausgeprägte Angst vor spezifischen Objekten oder Situationen (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 29). Zehn Prozent aller von der Sozialen Angststörung Betroffenen leiden komorbid auch an der Spezifischen Phobie (Beidel, Turner & Morris, 1999, zit. in ebd.). Weiter tritt eine komorbide «Emotionale Störung mit Trennungsangst» sehr häufig auf, nämlich bei sechs Prozent der Erkrankten (Beidel et al., 1999, zit. in ebd.). Da Angststörungen sehr eng miteinander assoziiert werden, ist es für die Diagnosestellung entscheidend, festzustellen, welche Kognitionen mit der Angststörung einhergehen (Schmitz &

Asbrand, 2020, S. 30). Dies kann beispielsweise die Angst vor anderen Kindern, vor Prüfungen oder vor der «Trennung von den Eltern» sein (ebd.).

10.2 Selektiver Mutismus

Der Selektive Mutismus ist eine weitere Komorbidität der Sozialen Angststörung (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 30). Dabei zeigen sich Auffälligkeiten, wie das Verstummen in Situationen, in denen die soziale Erwartung des Sprechens besteht (ebd.). Das Kind kann hingegen in anderen Situationen sprechen (ebd.). Bislang ist noch nicht vollständig geklärt, ob das Schweigen in sozialen Situationen eine separate Störung ist oder eine Extremform der Vermeidung eines Kindes mit Sozialen Angststörungen (Bögels et al., 2010, zit. in Schmitz & Asbrand, 2020, S.30). Diese Komorbidität tritt vor allem bei jüngeren Kindern auf (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 30).

Somit ist es denkbar, dass das Verstummen ein gelerntes Sicherheitsverhalten ist, um einer sozialen Situation in der Schule möglichst effektiv aus dem Weg zu gehen (ebd.).

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10.3 Depressive Störung

Rund 50% der Betroffenen mit Sozialer Angststörung leiden im Laufe ihres Lebens an einer depressiven Erkrankung (Last, Perrin, Hersen & Kazdin, 1992, zit. in Schmitz &

Asbrand, 2020, S. 31). Eine Depressive Störung äussert sich über niedergedrückte Stimmung, Interessenlosigkeit, verminderten Antrieb und häufig einen sozialen Rückzug (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 31). Für eine endgültige Diagnose müssen die Symptome klinisch bedeutsamen Leidensdruck erzeugen, der eine Beeinträchtigung im Alltag mit sich bringt (ebd.). Auch hier ist es so, dass Mädchen häufiger unter einer Depression leiden (Epkins & Heckler, 2011, zit. in ebd.). Im Unterschied zu einer Sozialen Angststörung tritt der soziale Rückzug bei einer Depressiven Störung nicht aus Angst vor Abweisung durch andere auf, sondern aus Interessenlosigkeit (Schmitz

& Asbrand, 2020, S.31). Allerdings weisen die beiden Störungen gemeinsame Grundlagen, wie einen erhöhten Neurotizismus11, auf (Epkins & Heckler, 2011, zit. in ebd). Ausserdem zeigen sich bei beiden Störungsbildern verminderte positive Emotionen als auch eine geringe Kontrolle über die eigene Emotionalität (ebd.). Das Zusammenspiel dieser Temperamentsfaktoren und bestimmten Umweltfaktoren, wie als gering wahrgenommene elterliche Unterstützung, trägt zusätzlich zur Entstehung depressiver und sozial ängstlicher Symptomatik bei (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 31).

Auch hier spielen gewisse genetische Grundlagen bei der Entstehung von Angst und Depression eine Rolle. (Epkins & Heckler, 2011, zit. in ebd.).

Wird die kognitive Sichtweise betrachtet, tendieren Personen mit einer Sozialen Angststörung zu einem negativen Fokus, wenn sie an soziale Situationen denken (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 32). Diese Tendenz bildet einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Depressiven Störung (Nolen-Hoeksema, 2000, zit. in ebd.). Ein anderes Modell führt die Entstehung einer Depressiven Störung auf das starke Rückzugsverhalten und die dadurch fehlenden positiven Verstärker zurück (Cummings et al., 2014, zit. in Schmitz & Asbrand, 2020, S. 32).

10.4 Suchterkrankungen

Sucherkrankungen spielen im Kindesalter oft noch keine Rolle, doch können bei unbehandelter Sozialer Angststörung im Jugend- und Erwachsenenalter höchst relevant werden (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 33). Der Sozialen Angststörung folgt im (jungen) Erwachsenenalter häufig ein missbräuchlicher Konsum von Alkohol (Ham, Bonin & Hope, 2007, zit. in ebd.). Etwa 19-28% der sozialphobischen Erwachsenen erkranken an missbräuchlichem Alkoholkonsum (ebd.). Eine epidemiologische Studie aus den USA berichtet, dass bei der Sozialen Angststörung in 48.2% der Fälle eine Alkoholabhängigkeit, in 22.3% Drogenmissbrauch und in 33% eine Nikotinabhängigkeit einhergehen (Grant et al., 2005, zit. in Schmitz & Asbrand, 2020, S. 33). Die neuen sozialen Situationen, die im Jugend- und Erwachsenenalter auftreten, werden mit Hilfe von Alkohol gemeistert (Ham et al., 2007, zit. in Schmitz &

Asbrand, 2020, S. 33). Alkohol ist dabei eine einfache und verfügbare Methode, um Gefühle von Angst zu bewältigen (ebd.). Eine Soziale Angststörung stellt somit einen

11 «Gesamtverfassung, die durch emotionale Labilität, Schüchternheit und Gehemmtheit charakterisiert ist»

(Bibliographisches Institut GmbH, 2020, Abschnitt 3)

31 Risikofaktor für einen schädlichen Umgang mit Substanzen dar (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 33).

10.5 Generalisierte Angststörung

Soziale Ängste können auch bei einer Generalisierten Angststörung vorkommen (vgl.

Schmitz & Asbrand, 2020, S. 34). Allerdings geht eine Generalisierte Angststörung über die Angst in sozialen Situationen hinaus (ebd.). Sie umfasst anhaltende Ängste über die Qualität der eigenen Leistungen, «Fähigkeiten in der Schule, Pünktlichkeit, Naturkatastrophen», Anspannung, Befürchtungen und Sorgen in Bezug auf alltägliche Ereignisse (Rotthaus, 2020, S. 18; Schmitz & Asbrand, 2020, S. 34). Die Angstreaktionen zeigen sich über einen Zeitraum von sechs Monaten und treten in verschiedenen Bereichen wie Familie, Schule oder im allgemeinen Weltgeschehen auf (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 34). Eine Generalisierte Angststörung kann sich dementsprechend sowohl als Sorgen im Alltag (Verspätung), dem eigenen Wohlbefinden, der Gesundheit der Familie, aber auch in sozialen Situationen und Leistungssituationen zeigen (ebd.). Eine genaue und differenzierte Diagnose ist folglich entscheidend (ebd.). Die Ängste wechseln sprunghaft zwischen verschiedenen Bereichen und im Unterschied zu einer Sozialen Angststörung, beinhaltet eine Generalisierte Angststörung keine Vermeidungskomponente (WHO, 1994, zit. in ebd.).

Dies bedeutet, dass Situationen aufgesucht werden, obwohl sie angstbesetzt sind (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 34). Gewisse Ähnlichkeiten zu einer Sozialen Angststörung können im kognitiven Charakter festgestellt werden. Patienten und Patientinnen tendieren zum Katastrophieren und zur «worst case»-Erwartung in einer Situation (ebd.). Personen mit einer Generalisierten Angststörung springen von einer kleinen Sorge direkt zur Katastrophenannahme (ebd.). Schmitz und Asbrand verdeutlichen dies anhand eines Beispiels in der Schule (2020, S. 34):

1. Ich bin nicht auf die Matheprüfung vorbereitet.

2. Ich bekomme sicher eine 3.

3. Ich werde die Klasse wiederholen müssen.

4. «Ich schaffe meinen Schulabschluss nicht.»

5. «Ich finde keinen Job.»

6. «Ich werde obdachlos sein.»

Personen mit einer Sozialen Angststörung bleiben dagegen im Hier und Jetzt (ebd.).

Sie nehmen für die konkrete Situation das Schlimmste an, beispielsweise: «Ich werde mich beim Referat versprechen und alle werden mich auslachen» (ebd.).

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10.6 Schlussfolgerung

Die oben genannten komorbiden Störungen, die mit der Sozialen Phobie einhergehen können, sind sehr naheliegend und es gibt viele Symptome, die zu verschiedenen (Angst-) Erkrankungen gehören können (Schmitz & Asbrand, 2020, S. 33). Deshalb ist es von Bedeutung, eine genaue Anamnese der Symptomatik und deren Ursachen zu erstellen (ebd.). Berichtet ein Kind beispielsweise von der Angst vor dem Schulbesuch und von der Vermeidung dessen, kann dies verschiedene Ursachen haben (ebd.).

Einerseits könnte die Symptomatik zu einer Spezifischen Phobie passen (z.B. durch die Vermeidung der Schule aus Angst vor Prüfungen), andererseits ist auch eine Emotionale Störung mit Trennungsängstlichkeit (z.B. Vermeidung der Schule aus Angst vor Trennung von den Eltern) eine mögliche Diagnose (ebd.). Weitere Krankheitsbilder, welche die oben genannte Symptomatik auslösen können, sind die Generalisierte Angststörung («Vermeidung der Schule aufgrund verschiedener Ängste, z.B. Leistungsängste oder soziale Ängste») oder auch soziale Schwierigkeiten (Vermeidung der Schule aufgrund von Mobbing) (ebd.).

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