• Keine Ergebnisse gefunden

Pädagogische Hochschule St. Gallen PHSG Studiengang Kindergarten und Primarstufe

Anhang

der Bachelorarbeit

im Rahmen der Ausbildung 2018 – 2021 im Studienbereich Erziehungswissenschaft

von

Unterstützungs- und Präventionsmassnahmen für Schülerinnen und Schüler mit Sozialen Ängsten im

Schulalltag

Andjela Kondic Eichenstrasse 5 9404 Rorschacherberg

Alina Gschwend Waidackerstrasse 36

8592 Uttwil

12. Januar 2021

Begleitung und Begutachtung: Prof. Dr. Wolfgang Schnell

Inhalt

Einverständniserklärung Interview ... 1 Leitfaden Interview ... 2 Farbliche Markierung der Kategorien (aus dem Kategoriensystem) ... 3 Transkriptionskopf – Interview 1 ... 4 Transkription – Interview 1 ... 5 Transkriptionskopf – Interview 2 ... 21 Transkription – Interview 2 ... 22 Transkriptionskopf – Interview 3 ... 36 Transkription – Interview 3 ... 37 Transkriptionskopf – Interview 4 ... 43 Transkription – Interview 4 ... 44 Transkriptionskopf – Interview 5 ... 64 Transkription – Interview 5 ... 65

1

Einverständniserklärung Interview

Forschungsprojekt: Unterstützungs- und Präventionsmassnahmen für Schülerinnen und Schüler mit sozialen Ängsten im Schulalltag

Durchführende Institution: Pädagogische Hochschule SG, Rorschach Forschende: Andjela Kondic, Alina Gschwend

Interviewte/-r:

Interviewdatum:

Beschreibung des Forschungsprojekts (zutreffendes bitte ankreuzen):

□ mündliche Erläuterung ☐ schriftliche Erläuterung

Die Interviews werden mit einem Aufnahmegerät/dem Handy aufgezeichnet und sodann von den Forschenden des Projekts in Schriftform gebracht. Für die weitere wissenschaftliche Auswertung der Interviewtexte werden alle Angaben, die zu einer Identifizierung der Person oder Personen führen könnten, verändert oder aus dem Text entfernt.

Personenbezogene Kontaktdaten werden von Interviewdaten getrennt für Dritte unzugänglich gespeichert. Nach Beendigung des Forschungsprojekts werden Ihre Kontaktdaten automatisch gelöscht.

Die Teilnahme an den Interviews ist freiwillig. Sie haben zu jeder Zeit die Möglichkeit, ein Interview abzubrechen, weitere Interviews abzulehnen und Ihr Einverständnis in eine Aufzeichnung und Niederschrift des/der Interviews zurückziehen, ohne dass Ihnen dadurch irgendwelche Nachteile entstehen.

Ich bin damit einverstanden, im Rahmen des genannten Forschungsprojekts an einem Interview/ an mehreren Interviews teilzunehmen: ☐ja ☐nein

____________________________________________

Nachname, Vorname in Druckschrift

____________________________________________

Ort, Datum, Unterschrift

2

Leitfaden Interview

Beruf:

Berufserfahrung:

Geschlecht:

1. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht mit Schülerinnen und Schüler, die sozial ängstlich sind?

a. In welchen Situationen haben Kinder Soziale Angst?

b. Konnten Sie Auffälligkeiten beobachten?

c. Konnten Sie Auffälligkeiten bei den Klassenmitgliedern/Eltern beobachten?

2. Woran haben Sie erkannt, dass ein Kind Soziale Angst hat?

a. Welche Symptome haben sich beim betroffenen Kind gezeigt?

3. Was verstehen Sie unter Sozialer Angst?

a. Was gehört für Sie dazu? Was nicht? (Prüfungsangst, Leistungsangst, Schüchternheit)

b. Was schätzen Sie, wie häufig kommt Soziale Angst vor?

c. Gibt es komorbide Störungen, die mit Sozialer Angst einhergehen?

4. Welche Erfahrungen haben Sie gesammelt bezüglich Unterstützungsmassnahmen für sozial ängstliche Kinder?

a. Haben Sie sich Theorie zur Hilfe genommen? Falls ja, welche?

5. Haben alle Kinder, von denen Sie erzählt haben, die gleiche Unterstützung/das Gleiche gebraucht? (Falls nein, wo lagen die Unterschiede?)

6. Haben Sie Erfahrungen darin, Angstanfälle zu verhindern?

a. Wenn ja, was haben Sie genau gemacht?

i. Haben Sie sich Theorie zur Hilfe genommen? Falls ja, welche?

b. Wenn nein, hätten Sie Ideen wie Angstanfälle präventiv verhindert werden könnten?

3

Farbliche Markierung der Kategorien (aus dem Kategoriensystem)

- Sozial ängstliche Kinder

o Erfahrungen mit sozial ängstlichen Kindern o Angstsituationen sozial ängstlichen Kindern - Auffälligkeiten

o Auffälligkeiten und Symptome bei sozial ängstlichen Kindern o Auffälligkeiten bei Eltern

o Auffälligkeiten bei Gleichaltrigen - Subjektives Wissen über die Soziale Angst

o Verständnis des Begriffs o Ursachen

o Komorbide Störungen o Häufigkeit

o Abgrenzung - Präventivmassnahmen

o Erfahrungen bezüglich Präventivmassnahmen o Ideen zu Präventivmassnahmen

- Unterstützungsmassnahmen

o Erfahrungen bezüglich Unterstützungsmassnahmen

o Unterschiede bezüglich Unterstützungsmassnahmen bei sozial ängstlichen Kindern

- Behandlungen

o Therapien und Theorieansätze

4

Transkriptionskopf – Interview 1

Forschungsprojekt: Präventiv- und Unterstützungsmassnahmen bei sozial ängstlichen Kindern im Schulalltag

Namen der Interviewerinnen: Alina Gschwend, Andjela Kondic

Aufnahmetag/-zeit/-ort: Mittwoch, 28. Oktober 2020; 13.00-14.30 Uhr; U-W (Kanton SG)

Befragter: Primarschullehrer seit 1990

Transkription: erstellt am 29. Oktober 2020 von Andjela Kondic; geglättete Transkription; Mundartausdrücke oder umgangssprachliche Ausdrücke sind kursiv niedergeschrieben; direkte Rede wird mit Anführungs- und Schlusszeichen «»

angekündigt; nicht relevante Teilaussagen, Abschweifungen oder Wiederholungen werden inklusive der Zeit in eckigen Klammern […, min 51:34] aufgeführt;

unverständliche Wörter oder Teilsätze werden inklusive der Zeit in eckigen Klammern [unverständlich, min 53:27] protokolliert; wenn unklar, wer oder was gemeint ist, wird in eckigen Klammern die [Bedeutung] hinzugefügt

Kurzzusammenfassung: Die Gesprächsatmosphäre war entspannt und sehr angenehm. Andjela Kondic kannte den Lehrer aus einem der Praktika aus dem Studium. Das Interview hat einen guten Verlauf gehabt. Bei einigen Fragen hat der Befragte schon Teilaspekte einer anderen Frage beantwortet, sodass Aussagen zum Teil doppelt oder sehr detailliert erwähnt wurden. Aus zeitlichen Gründen mussten die Interviewerinnen teilweise bei Gelegenheit (Pausen) signalisieren, dass man mit der nächsten Frage fortfahren möchte. Schlussendlich konnten aber alle Fragen ohne Zeitdruck beantwortet werden. Es kann festgehalten werden, dass der Befragte sehr viel Erfahrung im Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Sozialen Ängsten gesammelt und diese offen und detailliert mit den Interviewerinnen geteilt hat. Obwohl er kein Experte in diesem Bereich ist, hat er sich viele Tipps und Tricks beigebracht, um sozial ängstliche Kinder im Schulalltag zu «sehen» und zu unterstützen. Dabei haben ihm die Erfahrungen mit Schülerinnen und Schülern sowie mit sozial ängstlichen Bekannten aus seinem Privatleben geholfen. Die zentrale Erkenntnis aus dem Interview ist, dass den Kindern Verständnis für ihre Soziale Angst entgegengebracht werden soll, ohne dabei die Situation zu dramatisieren.

5

Transkription – Interview 1

I1 = Interviewerin 1 = Andjela Kondic I2 = Interviewerin 2 = Alina Gschwend B1= Befragter 1

I 1: Ich habe dir ja geschrieben, um was es geht. Und zwar um sozial ängstliche Kinder.

Und du wirst uns ja jetzt etwas davon erzählen. Die erste Frage ist: Welche Erfahrungen hast du gemacht mit Kindern, die sozial ängstlich sind?

B1: Das ist jetzt eine weit gefasste Frage.

I1: Einfach, dass du erzählst was dir in den Sinn kommt.

5

B1: So frei, was ich damit assoziiere. «**». Also, sind natürlich oft jetzt im Unterricht und im Klassenzimmer meistens eher unauffällige Kinder, auch angenehme Kinder, weil sie eben auch still sind, weil sie sich nicht hervortun. Oftmals sind sie auch sehr angepasst und treten wenig, also mindestens so im Gruppenverband, für ihre eigenen Bedürfnisse ein. Sie sind die, die man als harmoniebedürftig bezeichnen könnte, 10

geben oft nach. Meistens strecken sie fast nicht auf…sie reden viel sehr leise.

I1: Also reden sie leise oder oft, wie meinst du das?

B1: Wenn sie reden, dann reden sie leise, aber sie reden gar nicht gerne in einer Gruppe. Es kann aber dann im Einzelkontakt mit den Lehrpersonen eventuell anders aussehen, dass sie da gerne pläuderlet, wenn sie einmal Vertrauen gefasst haben.

15

Aber bis sie das Vertrauen auf eine Gruppe übertragen können, braucht es viel.

Passiert vielleicht auch gar nie in dieser Zeit, in der man sie als Klassenlehrperson bei sich hat. Vielfach berichten die Eltern...Also man bekommt Feedbacks von den Eltern:

«Das Kind traut sich nicht». Oder sie berichten davon: «Das Kind hat Konflikte», oder es leidet unter etwas Bestimmtem oder unter dem Verhalten von einem anderen Kind.

20

Selber würde man es von denen Kindern nicht erfahren, sondern vielfach kommt es über die Eltern. «*». Einige von diesen Kindern machen auch nicht viel ab oder sind immer zu spät. Zum Beispiel, wenn freie Gruppenbildung ist, warten sie einfach einmal.

Sie ergreifen keine Initiative. Sie warten einfach, bis sie in eine Gruppe eingeladen werden. Aber durch das, dass sie sonst so wenig Präsenz markieren, kommt oft 25

niemand auf die Idee, sie aktiv anzusprechen. Das heisst aber nicht, dass man sie nicht mag oder sie ausgrenzt. Sie werden oft nicht so wahrgenommen. Oder wenn sie krank sind und fehlen, kann es auch passieren, dass es uh lang geht, bis es jemandem von den anderen auffällt.

I1: Und das mit der Gruppenbildung, wenn sie frei entscheiden dürfen: Wie ist das mit 30

ihren Kollegen? Also Klassenkameraden, mit denen sie es gut haben. Sind sie da auch so zögerlich?

B1: Da habe ich schon Verschiedenes erlebt. Es gibt die einen, wenn einmal die Gruppen oder Paare gebildet sind, egal, ob das mit Lösle ist oder es die Lehrperson bestimmt hat, oder es sich so ergeben hat, oder sie jemand gefragt hat, dass sie [sozial 35

ängstliche Kinder] aus sich herauskommen. Das kann sein. Ich habe auch schon solche erlebt, die quasi ein, zwei beste Freundinnen oder Kollegen gehabt haben, die

6 sie vielleicht schon sehr lang kennen. Mit denen sie sehr vertraut sind. Bei denen sind sie gar nicht so ängstlich und zurückhaltend, sondern nur bei anderen, die sie entweder nicht gut kennen oder ihnen vielleicht auch zu wild sind oder zu lebhaft sind…Dass 40

dort so die Zurückgezogenheit kommt. Und dann kann es auch sein, sagen wir, wir haben ausgelost oder Lehrpersonen haben zugeteilt, dass sie dann, wenn sie mit so einem Kind zusammen sind, dass dort dann auch fast nichts von ihnen kommt.

I1: Mit den Wilden?

B1: Genau. Also mit denen, bei denen sie wirklich Vertrauen aufgebaut haben, dort 45

«**»…Ich glaube, das habe ich fast gar nie erlebt, dass so ein Kind niemanden gehabt hat, mit dem es in Austausch treten konnte oder Vertrautheit entwickelt hat. Und dann hat man sie vielleicht mal in der Garderobe schwätze gehört. Ich will es nicht mit Garantie sagen, aber praktisch alle haben so jemanden gehabt.

I1: Wenn wir schon dabei sind: Was sind Auffälligkeiten, welche du bei 50

Klassenmitgliedern, bei anderen, beobachten konntest? Du hast jetzt schon einiges erwähnt, aber wie haben andere Kinder reagiert?

B1: Ja, ich habe das erwähnt von Nicht-wahrnehmen, ohne einen bösen Willen dahinter. Dann natürlich auch, dass sie in dem Alter weniger auf solche Kinder zugehen, dass sie sie wie vergessen, wenn man dort als Lehrperson nicht ein wenig 55

aktiv steuert. «*» Es ist den anderen in diesem Alter aber auch gar nicht bewusst, den meisten Kindern, dass es jetzt Gspänli hat, die anders ticken. Und dass es nicht selbstverständlich ist, dass man sagen kann, was einen stört, oder dass man jemanden fragen kann: «Willst du mit mir in der Pause...?». Wie so, das Bewusstsein für das Problem an sich, haben sie nicht in dem Alter. Das sehe ich auch ein bisschen 60

als die Aufgabe von der Schule an, dass man auf eine feine Art thematisiert, damit sich diese Kinder auch irgendwo wiederfinden, quasi in einem Rollenbild. Also zum Beispiel man hat eine Geschichte, in der ein Kind vorkommt, welches Probleme hat, etwas zu fragen oder zu sagen, dass es nicht drauskommt. Also gerade jetzt habe ich Eine in der Klasse. Sie passt genau in diese Kategorie hinein. In letzter Zeit ist es wieder ein 65

paarmal vorgekommen, dass sie sich einfach nicht meldet, wenn sie ein Problem hat.

Es ist immer die Kollegin, die dann sagt: «F. kommt nicht weiter», oder «Darf F. die Hundertertabelle nehmen, um das Problem zu lösen?» F. selber geniert sich ein wenig, dass sie das Gefühl hat, andere denken sie käme nicht draus. Da hat es natürlich auch andere Kinder, aber die kommen trotzdem zu mir und sagen, sie kommen nicht weiter.

70

Aber F. macht das nicht. Und auch, wenn ich sie darauf anspreche, warum sie nicht ufgstreckt hat, wenn es nicht weitergeht, sagt sie: «Ja, eifach».

I1: Welche Klasse ist das?

B1: Zweite Klasse. In dem Alter kann man sehr gut mit Geschichten und Bilderbüchern arbeiten. Mittlerweile gibt es ja zu fast allem etwas. Ich erfinde meistens Geschichten 75

selber. Ja, sodass die Kinder auch merken «Aha, da in der Geschichte ist auch jemand wie ich», und manchmal sagen sie sogar: «Ja, ich habe das auch», oder ich sage:

«Dort und dort und dort, und in dieser Situation, habe ich das auch gehabt und mich gefragt: «Soll ich mich trauen?»». Und das ist meistens dann so ein Trigger, bei dem sich ein Kind für sich etwas denkt oder sogar sagt: «Ja, das habe ich auch schon 80

gehabt», und einfach so zu merken «Andere haben das auch!» hilft und für die anderen

7 Kinder auch zu merken «Aha, so könnte man auch glismet sein», oder «Wenn ich jetzt fest studiere, hat es auch eine krasse Situation gegeben, in der ich das auch nicht geschafft habe». Merken, «Das gibt es und ist so». Und auch miteinander nach Lösungen suchen, wenn man in so einer Situation steckt. «Was könnte man 85

machen?».

I1: Wenn wir schon von Situationen reden. Was sind Situationen, in denen du bemerkt hast, dass Kinder Soziale Angst haben oder haben könnten?

B1: Natürlich Eine der auffälligsten ist schon, dass sie sich nicht melden, nicht reden, sich wenig äussern.

90

I1: Was ist das zum Beispiel für eine Situation? Im Kreis oder generell?

B1: Ja, im Kreis. Aber auch sonst im alltäglichen Leben…dass man sie relativ wenig kommunizieren sieht als Lehrperson. Klar, es gibt manchmal auch andere Gründe.

Das könnten Sprachbarrieren sein, aber das ist dann ziemlich offensichtlich. Aber es gibt auch solche, die können kaum Deutsch und sind trotzdem die ganze Zeit am 95

Reden, Tun und man hört sie am lautesten. «*». Dann auch so Sachen, dass sie [sozial ängstliche Kinder] nirgends alleine hin wollen. Nur schon, wenn du sie zur Lehrerin nebenan schickst, um zu fragen, ob sie noch Scheren, Leim oder sonst was haben.

Natürlich, sie gehen auch gerne zu zweit, beziehungsweise, jeder will mit. Weil, das ist natürlich spannend. Aber diese Kinder machen dann solche Aufträge gar nicht gerne.

100

Und wenn sie dann alleine gehen sollen, dann siehst du, dass sie schon fast weinen.

Dann ist das schlimm für sie, weil da brauchst du dann wirklich deine soziale Kompetenz. «Ich gehe jetzt und klopfe da an, dann steht da eine Person an der Tür, die ich nicht kenne und dann muss ich noch sagen, was ich will». Das ist natürlich dann eine ganz grosse Herausforderung. Eltern berichten dann auch so Sachen, dass 105

zum Beispiel das Kind nicht nach draussen spielen will, allenfalls «Gspänli» zu ihnen nach Hause kommen müssen. In einer gewissen Phase ist das normal, aber dass es auch schwierig ist irgendwo hinzugehen, sogar auf Besuch… beim Gotti oder Tante einen ganzen Tag oder Nachmittag auf Besuch. Der Gedanke, in Tagesstrukturen oder die KiTa zu gehen, dass das der Horror ist. Oder Mittagstisch. Oder ab einem gewissen 110

Alter, ist es so, dass man als Eltern Kinder auch in den Dorfladen schicken kann und sagen kann: «Du, hol dies oder jenes», und das ist dann auch völlig unmöglich. Oder im Coop nochmals zum Regal schicken, weil die Milch vergessen worden ist. Das sind Sachen, die Kinder in diesem Alter eigentlich sehr gerne machen. Dann ist es schon sehr auffällig, wenn sie sich weigern oder nicht trauen.

115

I1: Das sind jetzt alles Sachen, die die Eltern dir berichtet haben?

B1: Wenn ich sie im Schulhaus umher schicke, ist es das, was ich merke und das andere … Ich frage eben genau diese Eltern: «Macht das Kind das? Geht das? Können sie…?», und dann merken sie plötzlich «Nein, geht alles nicht». Das sind natürlich dann gleichzeitig wieder Trainingsfelder, in denen sie das zu trainieren versuchen 120

können. Versuchen, die Angst zu überwinden, Erfolgserlebnisse zu sammeln.

Telefonieren kann auch so etwas sein. Es gibt viele Kinder die in der Schule provisorisch abgemacht haben und dann sagen Eltern: «Ruf du L. an.» Das wollen sie dann auch vielleicht nicht unbedingt.

8 I1: Das ist also eine grosse Herausforderung, obwohl es ihre Kollegen sind.

125

B1: Ja. Aber das findet man auch bei vielen Erwachsenen. Es ist erstaunlich. Mehr als man denkt.

I1: An was erkennst du, dass ein Kind Angst hat? Abgesehen von den Situationen, da hast du ja schon einiges erzählt.

B1: Vermeidungsverhalten, von Sachen, die man generell als selbstverständlich und 130

easy sieht. Manchmal sagen sie es auch: «Ich traue mich nicht.»

I1: In der Sprache also auch. Wie oft kommt das vor, dass sie es selber sagen?

B1: «*» Es sind meistens Situationen, in denen es auch andere Kinder sagen würden.

Beispiel: Draussen auf dem Pausenplatz hat ein Grosser sie angerempelt und dann trauen sich die meisten Kleineren nicht, darauf zu reagieren. Dann sagen sie auch:

135

«Ich habe mich nicht getraut zu sagen: «du hast mir weh getan».»

I1: Gibt es körperliche Symptome oder Anzeichen?

B1: Vielen von diesen Kindern sieht man es an der Körperhaltung an. Das kann natürlich auch andere Gründe haben. Einfach so ein bisschen [B1 zeigt es vor]

Schultern eingesunken. Dann oftmals, nicht immer, ein bedrückter oder skeptischer 140

Blick. Ich denke gerade wieder an F. Sie macht immer so eine Mischung aus besorgt, skeptisch, schlecht gelaunt im Ausdruck, in der Mimik. Wenn ich mich so erinnere…die allermeisten, ausser es ist noch ADHS dabei, die ich in diese Kategorie tun müsste, sind auch in ihren Bewegungen eher ruhig. Sie sind nicht die, die herumhüpfen wie verrückt. Aber man kann nicht den Rückschluss machen, wenn sie nicht herumhüpfen, 145

dann hätten sie das [Soziale Angst]. Aber es ist schon ein wenig ein Merkmal, welches auf viele zutrifft.

I1: Also nicht alle die so sind, sind ängstlich. Aber viele die ängstlich sind, sind in Bewegungen ruhig.

B1: Ja genau.

150

I1: Du hast jetzt viel erzählt, weil du auch sehr viel Erfahrung hast. Was verstehst du unter Sozialer Angst? Wenn du es definieren müsstest, was gehört dazu?

B1: «**». Wenn ich mit einem Definitionsversuch anfange, würde ich sagen: Angst, in Austausch, in Kommunikation mit anderen Menschen zu treten. Irgendwie keine Zuversicht haben, dass diese Kommunikation erfolgreich ist. Dazu gehört auch die 155

Angst, verletzt zu werden, zurückgewiesen zu werden, sich irgendwie zu outen. Aber das sind meine Mutmassungen. Weil ich habe schon mit Erwachsenen geredet, die das haben. Und bei einigen hat man das, wenn man sie flüchtig erlebt hat im Kollegenkreis, gar nicht wahrgenommen. Und wenn sie dann ihren Kollegen davon erzählt haben, sagen sie: «Das hätte ich nie gedacht! Du wirkst überhaupt nicht so.»

160

Sie selber konnten dann aber auch nicht formulieren, was genau das Problem ist.

I1: Was denkst du, aus welchem Grund merkt man das bei Erwachsenen nicht mehr so?

9 B1: Ich denke, sie sind erfolgreicher im Vermeiden, weil ein Kind bekommt vieles vorgegeben, das es machen soll, zum Beispiel gerade in der Schule. Und als 165

Erwachsener kannst du dir dann meistens ein Stück weit das Leben selber einrichten und dann gestaltest du möglichst vieles so, dass dir wohl dabei ist. Dann hast du natürlich auch viel mehr Strategien und Hilfsmittel zur Verfügung. Ich denke gerade bei den Jungen [jungen Erwachsenen]. Statt telefonieren schreibst du ein Whatsapp.

I1: Das ist ein sehr guter Punkt.

170

B1: Zu meiner Zeit konntest du das nicht, ausser du wolltest einen Brief schreiben und 14 Tage warten. Du musstest telefonieren. Es gab nichts anderes. kein Mail, kein nichts. Das hat heute auch zur Folge, dass man es nicht mehr so wahrnimmt. Ich nehme auch an, dass man gewisse Sachen auch lernt. «Es lässt sich nicht vermeiden, ich muss jetzt halt.» Es ist jedes Mal eine riesige Überwindung, man glaubt gar nicht, 175

was es die Leute kostet, das Telefon in die Finger zu nehmen und das zu machen.

Aber sie wissen jetzt einfach, sie müssen es und haben es gelernt. In dieser Situation nimmt auch vielleicht niemand mehr Rücksicht darauf. Bei einem Kind, wenn die Eltern

Aber sie wissen jetzt einfach, sie müssen es und haben es gelernt. In dieser Situation nimmt auch vielleicht niemand mehr Rücksicht darauf. Bei einem Kind, wenn die Eltern