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WIR BRAUCHEN MEHR KINDERBEWUSSTSEIN

Im Dokument DOKUMENTATION GEMEINSAM. (Seite 34-38)

Die zweite Podiumsdiskussion am 14. Oktober 2010 behandelte das Thema „Strate-gisch in die Zukunft denken – Frühe Hilfen auf dem Weg in die Regelversorgung“. Als Fazit wurde hier gezogen: Es muss noch stärker auf Prävention gesetzt werden. Wei-terhin gilt es, die Verbindlichkeit von Netzwerken zu erhöhen.

Es diskutierten:

Dr. Wolfram HartmannBundesverband der Kinder- und Jugendärzte Uwe LübkingDeutscher Städte- und Gemeindebund

Dr. Andreas MeuschLeiter der Landesvertretungen der Techniker Krankenkasse

Dr. Heidemarie RoseLeiterin der Obersten Landesjugendbehörde und der Abteilung Junge Menschen und Familie, Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, Bremen Lutz StroppeAbteilungsleiter „Kinder und Jugend“ im BMFSFJ

Prof. Dr. ThyenUniversität zu Lübeck, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des NZFH

Dr. Dietrich WersichSenator für Gesundheit und Soziales Hamburg

muss man andocken und sich austauschen, mal sollte einer die Führung übernehmen.

Jedoch, es ist die Aufgabe des NZFH, diese Schiffe gut zu begleiten.“

Am zweiten Kongresstag wurde immer wie-der darauf hingewiesen, dass solche Projekte Zeit bräuchten. Darauf ging auch Ute Thyen ein: „Es ist mein Wunsch an die Politik, Geduld zu haben – man kann nicht Bäume pflanzen und gleichzeitig erwarten, dass sie noch in derselben Legislaturperiode erblü-hen. Lassen Sie uns 25, 30 Jahre Zeit dafür!“

DIE ARBEIT IN DAS REGEL -SYSTEM ÜBERFÜHREN

In der Diskussion wurde klar, dass es sogar schon erste Früchte zu ernten gibt. „Es ist ein Bewusstsein dafür entstanden, was das NZFH ist und wohin die Arbeit gehen soll“, so Lutz Stroppe, Abteilungsleiter der Abteilung Kin-der und Jugend des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. „Man muss über die Legislaturperioden hinaus denken. Bisher können wir auf ein gutes Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen in den Frühen Hilfen zurückbli-cken. Wünschenswert wäre es jedoch, diese Arbeit in das Regelsystem zu überführen.“

In der folgenden Diskussion ging es um die Vorsorgeuntersuchungen und darum, wie wichtig es sei, dass diese von den Eltern wahrgenommen werden. „Denn bei diesen Untersuchungen haben Ärzte auch Zugang zu problematischen Familien mit ihren Kindern“, betonte Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder-und Jugendärzte. „Da nämlich kommt man leichter ins Gespräch, vor allem noch zu einem Zeitpunkt, wo kein sofortiger Hand-lungsdruck besteht. Meine Beobachtung ist,

dass so betreute Kinder auch mit weniger Defiziten eingeschult werden als jene, die bei keiner Vorsorgeuntersuchung waren.“

STÄRKER AUF PRÄVENTION SETZEN Im Anschluss daran drehte sich die Diskus-sion um das Image der Jugendämter. Dr.

Heidemarie Rose, stellvertretende Vorsit-zende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder-und Jugendhilfe, betonte, dass das öffentli-che Bild der Jugendämter Sinne gestärkt werden müsse. Als besonders wichtig erach-tete sie, direkt vor Ort zu jenen Menschen zu gehen, die Unterstützung brauchen. So würde ein Teil der hilfebedürftigen Bevölke-rung auch die Angst vor dieser Institution verlieren. „Viele denken noch, dass dies eine Organisation ist, die Familien im Krisenzu-stand auseinander reißt.“

Dr. Dietrich Wersich, Senator für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucher-schutz in Hamburg, fügte hinzu, dass das Jugendamt sein oftmals schlechtes Image nicht verdient habe: „Wer in irgendeiner Weise Probleme hat und Hilfe in Anspruch nehmen will, ist oft gebrandmarkt. Meine Erfahrung zeigt, dass das Vertrauen in das Gesundheitsamt größer ist als das Vertrau-en in die JugVertrau-endhilfe. Ziel muss es sein, in Schulen, Kindertagesstätten und im Gesundheitswesen das Thema Prävention mit zu bedenken und nicht nur neue Spezi-aleinrichtungen aufzubauen.“

ENGERE ZUSAMMENARBEIT NOTWENDIG

Weiterhin ging es um die zentrale Frage der besseren Zusammenarbeit. Dietrich Wer-sich gab zu bedenken: „Es geht nicht nur darum, sich besser zu vernetzen, sondern es sollte auch auf Qualität geachtet werden.“

Uwe Lübking betonte, es gebe auch Regio-nen ohne ausreichende ärztliche Versor-gung. Deshalb sei es notwendig einen Weg zu finden, die Frühen Hilfen flächende-ckend zu etablieren. Außerdem sei eine Zusammenarbeit mit Partnerinnen und Partnern wie beispielsweise den Kitas von besonderer Relevanz. „Netzwerke dürfen nicht unverbindlich sein!“, so seine abschließende Forderung.

Moderatorin Sabine Brandi stellte die Frage, wie es um die Offenheit der Eltern stehe. Dietrich Wersich erklärte: „Die Bereitschaft der Eltern zur Zusammenarbeit ist oft vorhanden. Wir müssen stärker daran anknüpfen.“ Andreas Meusch, Leiter der Landesvertretung der Techniker Kranken-kasse, lenkte den Fokus dabei auf die Sensi-bilisierung durch die Hebammen. „Auch hier ist eine bessere Vernetzung nötig, Infra-strukturen müssen für die Einzelhilfen gestärkt werden, eben um Bedürftige aus ihrer Isolation herauszuholen.“

VERNETZUNG ALS WICHTIGE AUFGABE DES JUGENDAMTES Lutz Stroppe sprach von der Wichtigkeit eines strukturellen Wandels in der Zusam-menarbeit rund um das Thema Schwan-gerschaft und Geburt. „Es beginnt bei den Hebammen, den Schwangerschaftsbera-tungsstellen oder - aus finanziellen Grün-den - bei der Stiftung Mutter und Kind;

das sind die Anknüpfungspunkte für erste Kontakte zu Familien in belasteten Lebenslagen. Dem Jugendamt kommt die zentrale Aufgabe zu, diese Akteure zusam-men zu bringen. Das Problem ist, dass sich immer mehr Eltern überfordert fühlen und nicht wissen, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollen. Dafür gibt es viele Gründe. So existieren immer weniger Vorbilder in der eigenen Familie, an denen sich die Eltern orientieren können und Sicherheit im Umgang mit Neugeborenen schöpfen.“ Er verwies in diesem Zusam-menhang noch einmal darauf, dass Jugendämter viele neue Aufgaben erhal-PODIUMSDISKUSSION STRATEGISCH IN DIE ZUKUNFT DENKEN –

FRÜHE HILFEN AUF DEM WEG IN DIE REGELVERSORGUNG

ten, und deswegen immer wieder neu in die Lage versetzt werden müssen, diese auch bewältigen zu können.

EMPATHIE FÜR SOZIAL SCHWACHE ENTWICKELN

Diskutiert wurde auch das Thema Unter-stützung. Diese würde umso besser gelin-gen, wenn man für bedürftige Familien Empathien entwickeln würde, betonte Hei-demarie Rose: „Das gilt besonders für finan-ziell schwache Menschen, die gerne Kinder haben möchten.“

Daran knüpfte Ute Thyen an: „Soziale Pro-bleme gab es immer, jetzt stehen Kinder zwar mehr im Zentrum, aber sie haben auch eine kleinere Lobby. Deshalb ist Empathie wichtig. Doch das Thema ist zweischneidig. Einerseits ist die Anteilnah-me gestiegen, andererseits sind auch die Standards gewachsen. Die Frage ist heutzu-tage häufig: Wie perfekt muss ein Kind sein?

Früher galten einige Makel noch als normal,

heute gibt es einen starken Druck, auf allen Gebieten mithalten zu müssen. Diesbezüg-lich haben sich die Ansprüche erhöht, auch seitens der Gesellschaft.“

Wolfram Hartmann wies auf den Aspekt hin, dass heutzutage sogar jene Kinder ein-geschult würden, die sprachliche Mängel aufwiesen und noch nie ein Buch in der Hand gehalten haben: „Frühe Hilfen müs-sen das Potential der Kinder fördern. Auch insofern, dass Kinder mit Kindern spielen, was zum Teil nicht selbstverständlich ist, wenn sie nicht in die Kita gehen und nur von Erwachsenen umgeben sind. „Wir brauchen mehr Kinderbewusstsein in der Gesellschaft!“, war seine Forderung, der alle Teilnehmenden zustimmten.

Das Fazit des zweiten Kongresstages: Das NZFH muss noch stärker auf Prävention hinwirken, eine größere Sensibilisierung der Gesellschaft für Frühe Hilfen erreichen und deren Weg in das Regelsystem bereiten.

Konzentriertes Auditorium bei der Podiumsdiskussion

„Strategisch in die Zukunft denken“– Frühe Hilfen auf dem Weg in die Regelversor-gung.

Prof. Dr. Reinhold Schone

FRÜHE HILFEN UND KINDERSCHUTZ –

Im Dokument DOKUMENTATION GEMEINSAM. (Seite 34-38)