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FRÜHE HILFEN UND KINDERSCHUTZ – BALANCE ZWISCHEN FÖRDERUNG UND

Im Dokument DOKUMENTATION GEMEINSAM. (Seite 38-41)

Referentinnen und Referenten:

Dr. Gertrud AyerleWissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesundheits- und Pflegewis-senschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Dr. Christiane LudererWissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesundheits- und Pfle-gewissenschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Prof. Dr. Reinhold SchoneFachbereich Sozialwesen, Fachhochschule Münster Moderation:

Cornelia BenninghovenJournalistin und Moderatorin, Köln

Sind die Frühen Hilfen ein primärpräventives Förderangebot für alle Eltern oder Inter-ventionen im Kontext von Kindeswohlgefährdung? Sind die Frühen Hilfen ein freiwilli-ges Angebot für Eltern mit Belastungen oder sind sie Maßnahmen zur Kontrolle von Familien mit erhöhtem Risiko? In dieser Bandbreite werden derzeit in der Fachpraxis die Frühen Hilfen verortet. Eine Standortbestimmung ist daher dringend erforderlich.

In Forum 1 wurde die Begriffsbestimmung vorgestellt und diskutiert, die der wissenschaftli-che Beirat des NFZH in Kooperation mit dem Fachbeirat des NZFH erarbeitet hat. In der Pra-xis sind die Übergänge vom Förderangebot zu einer „verordneten Hilfe“ häufig fließend.

Anhand von Fallbeispielen wurde erarbeitet, wie in der Praxis mit der Schnittstelle zwischen Frühen Hilfen und intervenierendem Kinderschutz umgegangen werden kann.

POSITIONIERUNG DER FORUMSTEILNEHMENDEN

Etwa die Hälfte der Teilnehmenden gab an, in der täglichen Arbeit eher mit Hilfe und Förde-rung befasst zu sein, jedoch auch BerühFörde-rungspunkte zum Bereich der Kontrolle und des Kin-derschutzes zu haben. Die übrigen Teilnehmenden ordneten sich zwischen beiden Bereichen ein. Fachkräfte aus dem Bereich Gesundheit gaben an, eine größere Nähe zum Bereich der Kontrolle zu haben. Die Übergänge in der Praxis sind also fließend und nicht eindeutig zu identifizieren.

KINDERSCHUTZ ZWISCHEN FRÜHEN HILFEN UND GEFÄHRDUNGSSCHUTZ Vortrag von Prof. Dr. Reinhold Schone

Einleitend stellte Prof. Dr. Schonezur Begriffsbestimmung die Frühen Hilfen des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen dem Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung (§8a) gegenüber. Er führte aus, dass der Einsatz Früher Hilfen bei Kindeswohlgefährdung ebenso paradox sei, als würde man von Vorsorge und Früherkennung bei akutem Krankheitsausbruch sprechen (vgl.

„IzKK-Nachrichten 2010“, Heft 1). Schone kam zu dem Schluss, dass Hilfe und Kontrolle eine spannungsgeladene Polarität in der Jugendhilfe kennzeichnen. Grundsätzlich von einem Gegensatz von Hilfe und Kontrolle auszugehen, sei aber für die Gestaltung tragfähiger Hand-lungskonzepte nicht angemessen.

FORUM 1

FORUM 1

FRÜHE HILFEN UND KINDERSCHUTZ –

BALANCE ZWISCHEN FÖRDERUNG UND

KONTROLLE

ERGEBNISSE DER ANSCHLIEßENDEN DISKUSSION

Die anschließende Diskussion verdeutlichte, wie oft die Bereiche Frühe Hilfen und Gefähr-dungsschutz in der Praxis ineinander übergehen und wie notwendig daher eine Differenzie-rung der Begriffe ist. Festgestellt wurde auch, wie wichtig Kontrolle im Kontext der Frühen Hilfen in vielen Fällen sein kann. Dies betrifft insbesondere Professionen, die direkt mit Säug-lingen und deren Eltern in Kontakt stehen. Rechtzeitige Risikoeinschätzungen sind hier besonders relevant. Die Verortung der Schwelle zwischen Frühen Hilfen und Gefährdungs-schutz sollte jedoch letztendlich den Fachkräften des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) überlassen werden. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bereichen erschien den Teilnehmenden als besonders wichtig, ihre Qualität sei derzeit zufriedenstellend. Auch bestand Einigkeit, dass Eltern gegenüber zu jeder Zeit Transparenz herrschen sollte und Stig-matisierung, etwa indem an erster Stelle der Bezug von Hartz IV als Risiko eingestuft werde, dabei unbedingt vermieden werden sollte.

Die Teilnehmenden befanden als wichtige Schritte, das Hebammen-Netz weiter auszubauen und Frühe Hilfen noch früher anzusetzen. Der verbreitete Einsatz Früher Hilfen als Interven-tion solle vermieden werden. Aus den Bereichen Frühe Hilfen und Netzwerkarbeit wurde von interprofessionellen Spannungsfeldern berichtet. Damit Unklarheiten aufgrund mangelnder Kommunikation nicht in die Familien getragen werden, sei die Kommunikation der verschie-denen Professionen untereinander besonders wichtig, um eine klare Aufgabenteilung der ein-zelnen Mitarbeitenden gegenüber den Eltern zu gewährleisten.

FALLBEISPIELE AUS DER PRAXIS Dr. Christiane Luderer und Dr. Gertrud Ayerle

Zunächst erklärten die Mitarbeiterinnen des Modellprojekts „FrühStart – Familienhebammen in Sachsen-Anhalt“ anhand zweier Fallbeispiele, wie in der Praxis an der Schnittstelle zwi-schen Frühen Hilfen und intervenierendem Kinderschutz agiert werden kann. Die Evaluation des Modellprojekts wurde vom NZFH gefördert.

FALLVIGNETTE 1 – KATRIN

23-jährige verheiratete Frau

ohne Schul- und Berufsabschluss

Überforderung in der Versorgung der Kinder:

sieben Monate (Mädchen), fünf Jahre (Junge)

neigt zu Gewalttätigkeit

schwierige Wohnsituation (Hygiene)

massiver Nikotinmissbrauch beider Elternteile

Probleme im Umgang mit Geld

FRÜHE HILFEN UND KINDERSCHUTZ –

BALANCE ZWISCHEN FÖRDERUNG UND KONTROLLE

Während die Gruppe den ersten Fall als drohende Kindeswohlgefährdung beurteilte, war sie sich im Zweiten Fall unsicher, ob dies ein Kinderschutzfall oder ein Fall für Frühe Hilfen ist.

Gemeinsam mit den Referentinnen wurden Risiken und Potentiale prognostiziert. Eine Tren-nung von Mutter und Kind wurde zunächst erwogen und dann wieder verworfen.

Die Gruppe erarbeitete zu den beiden Fällen Möglichkeiten zum balancierten Umgang mit Förderung und Kontrolle. Bedingung war dabei, Wege aufzuzeigen, die die Beziehungen zu den Familien stabilisieren oder verbessern, ohne sie dabei abzuschrecken. Die verschiedenen Perspektiven der Akteurinnen und Akteure im Netzwerk Früher Hilfen wurden dabei als hilf-reich empfunden. Sie konnten gewährleisten, dass unterschiedliche Belastungsdimensionen erfolgreich erkannt wurden. In der Praxis kann so eine angemessene Balance zwischen Bera-tung, Anleitung und Übernahme kompensatorischer Unterstützung bezüglich der Alltagsge-staltung sowie gezielter Interventionen in den Frühen Hilfen hergestellt werden.

DIE ERGEBNISSE – WICHTIGE BEDINGUNGEN FÜR ERFOLGREICHE FRÜHE HILFE:

Respektvoller Umgang mit der Familie/Beteiligung (ggf. „Runder Tisch“)

Transparente Arbeit auf Helferebene und der Familie gegenüber

Aufbau von Vertrauen, um die Familie als Helfer beim Schutz der Kinder zu gewinnen

Entwicklung von Verständnis für die Sichtweise der Familie

Aufklärung der Eltern über angemessene Fürsorge und Bedürfnisse ihrer Kinder ZUR RELEVANZ VON KRITISCHER REFLEXION UND EVALUATION

Wichtig sei, bei allen Angeboten, den Kinderschutz nicht aus den Augen zu verlieren. So soll-ten sich Akteurinnen und Akteure nicht wegschicken lassen. Sie sollsoll-ten den Familien verdeut-lichen, dass sie die Anwaltschaft für die Kinder übernehmen. So könne vermieden werden, FORUM 1

FALLVIGNETTE 2 – JANINE

Junges Mädchen, 17 Jahre, Realschulabschluss, erwerbslos

gerade aus der Klinik entlassen (2. Woche nach der Geburt)

Notfall-Kaiserschnitt, gesunder Junge

Wechselhafte Gefühlslage, auch dem Kind gegenüber

Neue Wohnsituation: im Elternhaus des vermutlichen Kindesvaters (21 Jahre)

Problematischer familiärer Hintergrund

Verschuldung

dass es überhaupt zu einem Gefährdungsfall kommt. Eine kritische Reflexion und Evaluation von Fällen, in denen Frühe Hilfen nicht rechtzeitig eingesetzt werden konnten, sei in diesem Zusammenhang besonders wichtig. Ist ein Fall nicht eindeutig den Frühen Hilfen oder dem Kinderschutz zuzuordnen, sei es wichtig, auch dort angemessene Hilfen bereitzustellen. So könne oftmals beispielsweise eine Trennung von Mutter und Kind vermieden werden. Die Netzwerkarbeit und eine klare Abgrenzung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten unter Berücksichtigung des Datenschutzes und der Beteiligung der Familie erachteten alle Teilneh-menden als besonders wichtig.

ZUSAMMENFASSUNG

Als Zusammenfassung der Ergebnisse des Forums und zum Stand der Diskussion im Span-nungsfeld zwischen Frühen Hilfen und Kinderschutz wurden folgende Antworten zu den Leitfragen zusammengestellt:

Im Dokument DOKUMENTATION GEMEINSAM. (Seite 38-41)