• Keine Ergebnisse gefunden

3 Theoretische Grundlagen

3.4 Kinder und Armut

Kinder sind eine der vulnerabelsten Gruppen innerhalb jeder Gesellschaft und bedürfen daher besonderer Aufmerksamkeit und Schutz. Wenn Kinder und ihre Familien von Armut betroffen sind, macht es sie noch anfälliger dafür, in den verschiedensten Bereichen ihres Lebens benachteiligt zu sein und dadurch schlechtere Chancen in ihrem zukünftigen Leben als Erwachsene zu haben.

Kinder in der Wohnungslosigkeit sind in der Forschung bisher kaum erwähnt, da sie meist nicht auffallen. Sie haben ein Dach über dem Kopf und leben mit ihren Eltern, sind also keine sogenannten Straßenkinder, die auf Grund ihrer Sichtbarkeit auf den Straßen der Metropolen in der ganzen Welt im Rahmen von Forschung, aber auch spezifischen Hilfsprojekten und Unterstützungsmaßnahmen wesentlich präsenter sind als jene Gruppe, von der in der vorliegenden Masterarbeit gesprochen wird.

Um die Sichtbarkeit dieser Kinder zu erhöhen und damit mögliche Verbesserungen im Rahmen der Unterstützung und Hilfeleistung für diese Kinder und ihre Familien anbieten zu können, soll im folgenden Kapitel darauf eingegangen werden, wie sich das Leben in Wohnungslosenquartieren auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirken kann.

3.4.1 Auswirkungen von Wohnungslosigkeit auf Kinder

„Long periods in shelter take their toll” (Baptista 2018: 8)

Kinder in der Wohnungslosigkeit sind eine besonders vulnerable Gruppe. Selbst wenn die familiären Strukturen und Beziehungen gefestigt sind und die Eltern ihre Kinder keiner Vernachlässigung oder Gewalt aussetzen, so gibt es doch viele Bereiche in ihrem Leben, die sie anfälliger für diverse emotionale und kognitive Mängel machen.

Eine Studie aus Irland aus dem Jahr 2002 von Ann Marie Halpenny "A Place for Children?

Children in Families Living in Emergency Accommodation: The Perspectives of Children, Parents and Professionals" beschäftigte sich sehr detailliert mit möglichen Auswirkungen von Wohnungslosigkeit auf Kinder in den Bereichen der emotionalen und physischen Gesundheit sowie der Bildung. Im Rahmen der Studie wurden Eltern, Kinder und

Sozialarbeiter*innen interviewt, um die Situation von wohnungslosen Kindern zu erheben.

Einige der Ergebnisse der Studie sind auch auf Kinder nicht-anspruchsberechtigter EU-Bürger*innen in Notquartieren in Wien übertragbar, da die einzelnen Aspekte negativer Folgen eines Lebens und Aufwachsens in Notquartieren für Kinder nicht an ein bestimmtes Land oder die Nationalität der Bewohner*innen gebunden sind.

So beschreiben die Autor*innen, dass der Mangel an Platz und Rückzugsmöglichkeiten in Notquartieren sowie in vielen Fällen auch die fehlende Möglichkeit selbst zu kochen, großen negativen Einfluss auf viele Bereiche der Entwicklung von Kindern haben kann. Eltern haben auf Grund der beengten Wohnverhältnisse oft Schwierigkeiten, den Kindern Normalität und Stabilität im Alltag zu bieten. Gerade für Teenager und ältere Kinder stellt der Mangel an Privatsphäre, wenn Familien auf engstem Raum zusammenleben müssen, einen starken negativen Einfluss auf ihre Entwicklung dar. (vgl. Halpenny et.al 2002: 15 und 31)

Bei vielen Kindern zeigen sich Probleme unterschiedlichster Art während des Heranwachsens durch Verhaltensauffälligkeiten und mangelnde soziale Kompetenz. Viele der zum Zeitpunkt der Studie beforschten Kinder wurden als weniger sozial und auffälliger in ihrem Verhalten beschrieben. (vgl. Halpenny et.al 2002: 5)

Das ständige Leben in einer Ausnahmesituation stellt aber nicht nur die Kinder, sondern die gesamte Familie vor Herausforderungen. Die Veränderung dieser Umstände wie beispielsweise eine bessere Ausstattung der Quartiere, mehr Platz für die einzelnen Familien, bedarf einer kompletten Reformierung vieler Bereiche.

Um Kinder und ihre Familien dabei zu unterstützen trotz ihrer prekären Situation ein Stück weit Normalität und Stabilität in ihren Alltag im Notquartier zu bringen, gibt es einige spezielle Bereiche, auf die ein Fokus bei der Zusammenarbeit mit den Familien gelegt werden kann. Dies ist zum einen die Möglichkeit, regelmäßig die Schule oder den Kindergarten zu besuchen, zum anderen die Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, ihre Freizeit zumindest teilweise mit Gleichaltrigen verbringen zu können. Weiters ist für die körperliche Entwicklung eine adäquate Gesundheitsversorgung von Bedeutung. Im Folgenden soll auf diese Bereiche näher eingegangen werden.

3.4.2 Bildung

„School is argued to have potential as an ally for children, a guarantor of basic protection, a capacity builder, a secure base from which to explore the self and the world, an integrator into community and culture, a gateway to adult opportunities and a resource for parents and communities. It is suggested that school can have a special supportive value for children experiencing adversity…” (Halpenny et.al 2002: 53, zit.nach Gilligan 1998)

In dem Buch von Margherita Zander „Kinderarmut. Einführendes Handbuch für Forschung und soziale Praxis“ aus dem Jahr 2005 beschreiben verschiedene Autor*innen Schutzfaktoren, die Kinderdabeiunterstützen, ihre Situation besser zu bewältigen und trotz schwieriger Lebensverhältnisse gesund und emotional stabil aufzuwachsen. Neben einem liebevollen und intakten Elternhaus sind das “die Förderung von Teilhabe, Integration Bildung und Gesundheit“. (Zander 2005: 107)

Elemente kindheitsbezogener Armutsprävention werden auch als „Schutzfaktoren auf drei Ebenen“ beschrieben: „individuelle Eigenschaften des Kindes, familiäre Charakteristika, außerfamiliäre Unterstützungssysteme“ (Zander 2005: 137) Diese außerfamiliären Unterstützungssysteme können zumindest die Basis für eine aktive Teilhabe dieser Kinder am sozialen Leben in Österreich sorgen. Hier ist es essentiell, Schul- und Kindergartenplätze zur Verfügung zu stellen und somit nicht nur Bildung, sondern auch die soziale Interaktion unter Gleichaltrigen zu ermöglichen.

Ausbildung leistet außerdem einen wichtigen Beitrag dazu, Kindern, deren Familien von Wohnungslosigkeit betroffen sind, bessere Chancen im späteren Leben zu bieten als ihre Eltern sie haben und aus dem von Armut und Entbehrungen gekennzeichneten Leben auszubrechen. Allerdings ist auch die Absolvierung des Lerninhalts für Kinder, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind, bedeutsam und herausfordernder als für andere Kinder.

Wie in der Studie von Halpenny Ann Marie herausgefunden wurde, macht es auch der Faktor, dass es wenige Rückzugsmöglichkeiten gibt, Kindern und Jugendlichen schwerer ihre Hausübungen zu erledigen. (vgl. Halpenny et.al 2002: 53)

3.4.3 Peers

Forschungen zu Kinderarmut haben ergeben, dass gerade auch die Möglichkeit für Kinder soziale Kontakte mit Gleichaltrigen zu pflegen, einen Schutzfaktor darstellen kann. Das soziale Lernen in der Peergroup ist ein wichtiger Faktor für eine gesunde Entwicklung von Kindern und ermöglicht es ihnen zusätzlich Netzwerke zu schaffen.

„Kontakt und Erfahrung im Umgang mit Kindern verschiedener kultureller und sozioökonomischer Herkunft verbessern die Fähigkeit der Kinder, sich ein umfassenderes soziales Netz aufzubauen; (…)“ (Zander 2005: 25)

„Die Peers bieten Entwicklungsanstöße für die Sozialentwicklung, für die kognitive Entwicklung, für das Selbstkonzept und für das moralische Urteilen.“ (Zander 2005: 146) Kinder entwickeln ihre sozialen Fertigkeiten über Spielen und den Austausch mit Gleichaltrigen. Wenn ihnen Platz und Möglichkeiten mit anderen Kindern in Kontakt zu treten fehlen, wirkt sich auch das negativ auf ihre Entwicklung aus. (vgl. Halpenny et.al 2002: 30)

Verbringen also Kinder den Großteil ihrer Zeit ausschließlich mit erwachsenen Kontaktpersonen, fehlt ihnen ein wesentliches Element für die Entwicklung ihrer sozialen Fähigkeiten. Zum einen können diese Kontakte mit einem regelmäßigen Kindergarten- und Schulbesuch gewährleistet werden. Zum anderen bestünde auch die Möglichkeit, die Eltern durch die Mitarbeiter*innen der Notquartiere hinsichtlich einer aktiven Freizeitgestaltung anzuleiten.

3.4.4 Gesundheit

In Bezug auf die Gesundheitsversorgung und den allgemeinen Gesundheitszustand der Kinder der besagten Studie lassen sich einige Punkte auf die Kinder nicht-anspruchsberechtigter EU-Bürger*innen übertragen. So wird beschrieben, dass viele Kinder nicht den aktuellen Impfstatus haben, sie wegen des Platzmangels öfter erkranken, und viele Kinder nicht regelmäßig von medizinischem Personal untersucht werden. (vgl. Halpenny et.al 2002: 51)

Nicht anspruchsberechtige EU-Bürger*innen haben in Wien keine Krankenversicherung, somit sind sie und ihre Kinder auf Organisationen angewiesen, welche Menschen ohne Versicherung behandeln.

3.4.5 Gefährdung des Kindeswohls

Insgesamt muss gesehen werden, dass die Situation einer wohnungslosen Familie prekär und meist nicht förderlich für ein gesundes Zuhause ist. Viele Kinder und Jugendliche sind zusätzlich zu der Tatsache, dass sie wohnungslos und finanziell benachteiligt sind, auch noch den unterschiedlichsten Formen von Vernachlässigung sowie psychischer, physischer oder sexueller Gewalt ausgesetzt.

„Je geringer die finanziellen und materiellen Ressourcen und je schwieriger das soziale Umfeld und je desorganisierter die Familiensituation und je belasteter und defizitärer die persönliche Situation der erziehenden Eltern/des erziehenden Elternteils und je herausfordernder die Situation und das Verhalten des Kindes, um so [sic!] stärker steigt das Risiko, daß [sic!] Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Kind sich zu massiven Vernachlässigungssituationen des Kindes verdichten.“ (Schone et.al 1997: 33, zit. nach Kobliha 2017: 5).

All diese Faktoren zeigen die Wichtigkeit den Fokus auf dem Schutz der Kinder zu legen.

Auf die Möglichkeiten, welche die Wiener Kinder- und Jugendhilfe hat und in welcher Form sie arbeitet wird im Kapitel 3.6 Wiener Kinder- und Jugendhilfe näher eingegangen.