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3 Theoretische Grundlagen

3.1 EU-Armutsmigration

Armutsmigration bezeichnet eine Wanderbewegung von Menschen, die sich bedingt durch Armut und schlechte Lebensbedingungen auf den Weg machen, um in einem anderen Land ihr Glück zu versuchen. Ursachen dafür, warum Menschen auf der Suche nach einem

Migrationsforschung in sogenannte Pull- und Push-Faktoren eingeteilt. Pull-Faktoren sind durch positive Anreize des Ziellandes gekennzeichnet, Push-Faktoren werden durch die schlechte Situation im Heimatland definiert. (vgl. Europäisches Parlament 2020) Bei der Armutsmigration sind es hauptsächlich Push-Faktoren, die Menschen dazu bewegen, in ein anderes Land zu migrieren, weniger also die Anreize der reichen Länder, als mehr die unerträgliche Situation im Heimatland. (vgl. Matter 2015: 110)

Innerhalb der Europäischen Union findet die Armutsmigration auf Grund von Unterschieden in Bezug auf Einkommen und Lebenssituation der Bevölkerung in den einzelnen Mitgliedsstaaten hauptsächlich von Ost nach West statt. Die EU-Osterweiterung mit Grenzöffnungen und Reisefreiheit eröffnete für viele Menschen in den neuen Mitgliedsländern die Möglichkeit, sich außerhalb des Heimatlandes um ein besseres Leben zu bemühen.

3.1.1 EU-Osterweiterung

Im Rahmen der EU-Osterweiterung in den Jahren 2004 und 2007 gab es in den westlichen Ländern der Europäischen Union die Sorge, dass es auf Grund der Einkommensunterschiede und hoher Arbeitslosigkeit unter der Bevölkerung der Beitrittskandidaten eine starke Zuwanderung aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks geben würde. Es wurden im Vorfeld unterschiedliche Maßnahmen auf EU-Ebene zur Verbesserung der Situation der Bevölkerung in den Beitrittsländern sowie auch auf Ebene der einzelnen Mitgliedsstaaten getroffen, um sich vor einer potentiellen massiven Einwanderung armer Menschen zu schützen.

Bei der Auseinandersetzung mit den möglichen Wanderbewegungen nach einem Beitritt der Länder Slowakei, Polen, Ungarn und Tschechien und später Rumänien und Bulgarien waren auch die Roma-Minderheiten großes Thema.

Die besondere Einbeziehung von Roma-Minderheiten in die Überlegungen hatte zum einen den Grund, dass Roma-Minderheiten in den neuen Mitgliedsstaaten zu den ärmsten der Bevölkerung zählen. (vgl. Matter 2015: 187) Zum anderen sind Roma-Minderheiten in der Gesamtbevölkerung der damaligen östlichen Beitrittskandidaten im Vergleich mit den westlichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zahlenmäßig wesentlich stärker vertreten. Der Anteil von Roma-Minderheiten an der Gesamtbevölkerung liegt etwa in

Rumänien bei über 10%, in der Slowakei bei über 9%, wohingegen sich in den westlichen Staaten der Europäischen Union der Prozentsatz im Promillebereich bewegt. (vgl. Matter 2015: 52 - 53)

Österreich und Deutschland handelten im Rahmen der Beitrittsverhandlungen aus Gründen der Prävention von massiven Zuzügen von Armutsmigrant*innen die sogenannte 2-3-2-Regelung aus, welche besagte, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Menschen aus den neuen Mitgliedsstaaten nur eingeschränkt gelten sollte, zunächst für 2 Jahre, mit der Option auf Verlängerung. Beide Länder nutzten die ganzen sieben Jahre dieser Regelung, bis auch für Menschen aus den neuen Mitgliedsstaaten die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in diesen beiden Ländern galt. (vgl. Matter 2015: 108)

Diese Regelung konnte die Migrationsbewegung allerdings nur zeitlich verzögern. Die EU-Osterweiterung und damit die Öffnung der Grenzen für die Bevölkerung der neuen Mitgliedsstaaten hat bis heute Auswirkungen auf die Zahlen der Migrant*innen in Wien und Österreich.

3.1.2 Roma-Minderheiten

Max Matter beschreibt in seinem Buch „Nirgendwo erwünscht. Zur Armutsmigration aus Zentral- und Südosteuropa in die Länder der EU-15 unter besonderer Berücksichtigung von Angehörigen der Roma-Minderheiten“, dass man bei der Diskussion um das Thema Armutsmigration nicht darum herumkommt, auch die Situation der Roma Bevölkerung der Europäischen Union zu beleuchten.

Die Gründe dafür liegen einerseits darin, dass Roma-Minderheiten in Europa zu den ärmsten Bevölkerungsschichten zählen. Dies begründet, warum sie einen Teil der Armutsmigrant*innen ausmachen. Andererseits muss auch beachtet werden, dass Roma in der Geschichte Europas jahrhundertelang benachteiligt, ausgegrenzt und verfolgt wurden.

Dies führte zu ihrer heutigen Position als die Ärmsten der Armen. Die Diskriminierung an sich stellt aber auch einen nicht zu verleugnenden Grund für eine mögliche Migration in andere Länder dar. (vgl. Matter 2015: 23)

Viele Angehörige der Roma Bevölkerung sind in wichtigen Bereichen des Lebens schlechter gestellt als die Mehrheit der Bevölkerung. Sie leben in prekären Wohnverhältnissen, haben

bei Angehörigen der Roma-Minderheiten deutlich höher, als bei der Mehrheitsbevölkerung.

(vgl. Matter 2015: 107)

Zahlen zu Angehörigen der Roma Minderheit sind sehr schwer zu benennen, da einerseits Erhebungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich gestaltet sind, andererseits die Einteilung von Menschen in eine Minderheit der Roma allgemein umstritten ist, da es sich bei dieser Minderheit um viele verschiedene ethnische Gruppen handelt und die Gruppe der Roma eigentlich bisher nicht definiert wurde. (vgl. Matter 2015: 47- 48) Bei den Zahlen, die vorliegen, handelt es sich also um Schätzungen, welche je nach Quelle von 8-10 Millionen Menschen in Europa ausgehen. (vgl. ebd.: 50) Diese sind Teil der Migrationsbewegungen von Ost nach West innerhalb von Europa.

3.1.3 Zahlen zu Armut in der Europäischen Union

Im Jahr 2017 waren laut Europäischer Kommission 22,4 % der EU-Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, darunter 24,9 % der Kinder. (vgl. Europäische Kommission 2020) Dabei ist die von Armut bedrohte Bevölkerung in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht gleichmäßig verteilt. Europäische Statistiken zeigen, dass Bulgarien und Rumänien, gefolgt von Griechenland, Lettland und Litauen wesentlich höhere Zahlen bei der Risikobevölkerung aufweisen. (vgl. Statista GmbH 2020) Die großen Unterschiede in Bezug auf Armut der Bevölkerung innerhalb der Länder der Europäischen Union ist also auch mehr als 10 Jahre nach der EU-Osterweiterung ein großes Thema. Diese Situation hat nach wie vor Auswirkungen auf Wanderbewegungen innerhalb der Europäischen Union.

3.1.4 Zahlen zu Migration Österreich und Wien

Im Jahr 2019 lebten 251.129 Menschen mit EU (Europäische Union) oder EFTA (Europäische Freihandelsassoziation) Staatsbürgerschaft in Wien, das sind 13,2 % der Wiener Bevölkerung. (vgl. Wiener Sozialbericht 2019: 7) Diese Zahl wuchs seit dem EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995 stetig an, einen neuerlichen Höhepunkt hatte sie jeweils in den Jahren der EU-Osterweiterung in den Jahren 2004, 2007 und 2013. (vgl. ebd. 5) Die

größte Gruppe stellen hier Menschen aus Deutschland dar, gefolgt von Polen, Rumänien und Ungarn. (vgl. ebd. 7)

„Nach einzelnen Herkunftsländern betrachtet spiegeln sich in den unterschiedlichen Aufenthaltsdauern die Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte wider: Mehr als die Hälfte der WienerInnen mit Herkunft aus der Slowakei, Rumänien und Italien, sowie fast zwei Drittel der Wiener Bevölkerung aus Ungarn und Bulgarien sind erst in den letzten neun Jahren zugewandert.“ (Wiener Sozialbericht 2019: 12)

Diese Zahlen untermauern, dass die EU-Osterweiterung durchaus Wanderbewegungen ausgelöst hat und dass eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen außerhalb ihrer Heimatländer auf der Suche nach einem besseren Leben ist.

Ungeachtet der Gründe für eine Migration armer EU-Bürger*innen, und der Tatsache, ob diese den Roma-Minderheiten angehören oder nicht, muss beachtet werden, dass es viele Armutsmigrant*innen auch im Zielland nicht schaffen adäquat Fuß zu fassen, und sich am Arbeits- und Wohnungsmarkt zu integrieren. Ein Teil von ihnen ist gezwungen, in den Städten der westlichen EU-Länder Angebote der Wohnungslosenhilfe in Anspruch zu nehmen, um nicht ohne finanzielle Mittel und ohne Dach über dem Kopf auf der Straße zu leben. Dieser Umstand ist wiederum für die vorliegende Masterarbeit relevant, da sich diese Menschen in den Zahlen der Wohnungslosen sowie den Nutzer*innen des Winterpakets wiederfinden.

3.1.5 EU-Armutsmigrant*innen in der Wohnungslosigkeit

Im Jahr 2016 hat der Fonds Soziales Wien gemeinsam mit dem Fachbereich Betreutes Wohnen und der Wiener Wohnungslosenhilfe eine Studie in Auftrag gegeben, um die Merkmale der Menschen, welche die Angebote des Winterpakets nutzten, zu erheben. Dabei wurden sowohl biographische Daten erhoben als auch Gründe für die Ausreise sowie den Bedarf in Hinsicht auf die Angebotslandschaft der Wiener Wohnungslosenhilfe. Im Rahmen dieser Erhebung wurden über 1000 Personen interviewt, welche im Winter 2015/16 Angebote des Winterpakets in Anspruch genommen hatten.

Unter anderem konzentrierte sich die Studie Grundlagenerhebung „NutzerInnen Winternothilfe“ der L&R Sozialforschung auf die zentralen Motive der Nutzer*innen des

Studie wird Armut als zentrales Motiv für die Migration angegeben. (vgl. Riesenfelder, Danzer 2016: 30)

Viele der Nutzer*innen des Winterpakets gaben im Rahmen dieser Interviews an, im Heimatland nicht mit ihrem Einkommen ausgekommen zu sein. (vgl. ebd.) Ziel ihres Aufenthalts in Österreich sei es, hier eine bessere Lebensgrundlage für sich und ihre Familien zu schaffen. Die Arbeitssuche war der treibende Faktor für die meisten Menschen, sich in Richtung Österreich aufzumachen. (vgl. Riesenfelder, Danzer 2016: 16) Als weitere Gründe wurden eine mangelnde Wohnsituation oder private Probleme angegeben. (vgl. ebd.:

17)

Die Herkunftsländer der Nutzer*innen des Winterpakets waren laut dieser Studie zum Großteil jene der neuen EU-Mitgliedsstaaten, also Rumänien, Ungarn, Slowakei, Bulgarien und Polen, zahlenmäßig in dieser Reihenfolge. (vgl. Riesenfelder, Danzer 2016: 16)