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Im folgenden Kapitel werden die aktuelle Situation sowie der Stand der Forschung zur Ausgangslage thematisiert. Anschließend werden die Forschungsfrage und das Ziel der Forschung ausgeführt.

2.1 Ausgangslage

In Wien gibt es im Rahmen der Wiener Wohnungslosenhilfe ein breites Angebot für obdachlose und wohnungslose Personen. Die Art der Betreuung und Versorgung ist aber an bestimmte Anspruchsberechtigungen, welche später genauer erläutert werden, gebunden.

Für Menschen, die diese Anspruchsberechtigungen nicht erfüllen, stellt die Stadt Wien seit einigen Jahren im Rahmen des sogenannten Winterpakets über die kalten Monate des Jahres Schlafplätze in Notquartieren zur Verfügung. Ziel dieser Initiative war und ist es zu verhindern, dass im Winter Menschen in Wien auf der Straße nächtigen müssen. Auch Familien mit Kindern können diese Angebote nutzen.

Der Fokus der vorliegenden Masterarbeit liegt auf diesen nicht-anspruchsberechtigten EU-Bürger*innen, die gemeinsam mit ihren Kindern in der Saison 2019/20 in Wien im Rahmen des Winterpakets der Stadt Wien einen Wohnplatz belegt haben.

Diese Familien kommen meist als Armutsmigrant*innen nach Österreich, und versuchen auf Grund ihrer prekären Lebensbedingungen im Heimatland ihre Situation in einem anderen EU-Land zu verbessern. Der Begriff „nicht-anspruchsberechtigte EU-Bürger*innen“ ist in den Organisationen der Wiener Wohnungslosenhilfe, mit dem Versuch eine Beschreibung der unterschiedlichen Zielgruppen zu formulieren, gewachsen.

Kinder sind in jeder Gesellschaft eine sehr vulnerable Gruppe, sie brauchen Aufmerksamkeit und Schutz, gerade dann, wenn ihre Lebensbedingungen eine besondere Härte aufweisen.

Kinder, die in Wohnungslosenquartieren aufwachsen, haben in den unterschiedlichsten Bereichen ihres Lebens Nachteile, welche sich negativ auf ihre emotionale, wie auch ihre physische Entwicklung auswirken können.

Oftmals sind es strukturelle Gegebenheiten wie beispielsweise erschwerte Bedingungen einen Schul- oder Kindergartenplatz zu bekommen, mangelnde Krankenversicherung oder

soziale Ausgrenzung wegen der Herkunft oder der Obdachlosigkeit an sich, welche die Kinder benachteiligen.

Kinder, die auf Grund der Situation ihrer Eltern keinen Anspruch auf die regulären Leistungen der Wiener Wohnungslosenhilfe haben, werden in Wien zusätzlich auch einer systematischen Ungleichbehandlung ausgesetzt. Die Betreuung und Unterbringung von Familien ohne Anspruchsberechtigungen erfolgt in Notquartieren, welche in den räumlichen Gegebenheiten, der Ausstattung und auch bei der Ausbildung der Mitarbeiter*innen schlechter gestellt sind, als Einrichtungen für anspruchsberechtigte Personen.

In Bezug auf den Kinderschutz stellt sich die Frage, ob hier bei nicht-anspruchsberechtigten wohnungslosen Kindern im Rahmen der Wahrung des Kindeswohls die gleichen Maßstäbe angewandt werden, wie dies bei Kindern mit festem Wohnsitz in Wien, und somit gänzlich anderen Lebensbedingungen, der Fall ist. Werden beispielsweise bei Kindern, die mit ihren Eltern in Notquartieren leben, die prekären Lebensbedingungen, das Recht auf Bildung, das Recht auf adäquate Gesundheitsversorgung oder auch die Notwenigkeit der Freizeitgestaltung in Überlegungen zu einer möglichen Kindeswohlgefährdung miteinbezogen, oder gelten für diese Kinder andere Gradmesser und Standards.

In Österreich gibt es an sich eine klare Gesetzgebung und Vorgaben den Kinderschutz und das Kindeswohl betreffend. Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe (Magistratsabteilung 11) ist verpflichtet, die Wahrung des Kindeswohls zu gewährleisten und Kinder und Jugendliche vor Gefahren zu schützen. Den betreuenden Organisationen im Rahmen des Winterpakets fällt die Aufgabe zu, die Wiener Kinder- und Jugendhilfe über mögliche Missstände und Gefahren für die betreffenden Kinder zu informieren.

Diese Kooperation zwischen der für den Kinderschutz zuständigen Wiener Kinder- und Jugendhilfe und den Anbietern von Beratung, Unterbringung und Betreuung von Familien nicht-anspruchsberechtigter EU-Bürger*innen wird im Rahmen dieser Masterarbeit auf ihre Wirkung und Erfolge untersucht.

2.2 Stand der Forschung

Zum Thema Wohnungslosigkeit, speziell auch mit dem Fokus auf nicht- anspruchsberechtigte EU-Bürger*innen, wurden am FH Campus Wien bereits einige

Obdachlose EU-BürgerInnen in der Wiener Wohnungslosenhilfe“ beschreibt die Situation von obdachlosen nicht-anspruchsberechtigten EU-Bürger*innen in Wien und beforscht, vor welchen Herausforderungen sozialwirtschaftliche Organisationen bei der Betreuung dieser Zielgruppe stehen. (vgl. Krivda 2018)

Peter Chwistek hat sich in seinem Beitrag „Obdachlose EU-Bürger_innen und die Wiener Wohnungslosenhilfe. Eine Bestandsaufnahme.“ im wissenschaftlichen Journal österreichischer Fachhochschul-Studiengänge Soziale Arbeit mit der Entstehung des Winterpakets und dem historischen Kontext der EU-Armutsmigration auseinandergesetzt.

(vgl. Chwistek 2013)

Die vom Fonds Soziales Wien und dem Fachbereich betreutes Wohnen in Auftrag gegebene Studie „Grundlagenerhebung NutzerInnen Winternothilfe“ der L&R Sozialforschung konzentriert sich auf die zentralen Motive der Nutzer*innen des Wiener Winterpakets für ihre Auswanderung aus ihren jeweiligen Heimatländern und stellt Zahlen zu den Nutzer*innen der Notquartiere des Wiener Winterpakets zur Verfügung. (vgl. Riesenfelder, Danzer 2015)

Bezüglich des Winterpakets der Stadt Wien gibt es außerdem Jahresberichte der einzelnen Einrichtungen sowie von Obdach Wien und dem Fonds Soziales Wien.

Zu Kinderrechten, Kindeswohl sowie Kinder und Armut wurden Forschungen in vielen unterschiedlichen Publikationen dokumentiert. Hervorzuheben ist hier das Buch von Margherita Zander „Kinderarmut. Einführendes Handbuch für Forschung und Soziale Praxis“, welches viele Faktoren und Auswirkungen von Armut auf die Entwicklung von Kindern beschreibt. (vgl. Zander 2005)

Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe bringt jährlich einen Jahresbericht heraus, wobei die Arbeit mit Kindern, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind, nur einen sehr marginalen Platz einnimmt.

Insgesamt gibt es aber in der Fachliteratur kaum Publikationen, die sich speziell mit den Auswirkungen von Obdachlosigkeit auf Kinder auseinandersetzen. Kinder in der Wohnungslosenhilfe sind eine eher kleine Gruppe, der hauptsächliche Fokus der Arbeit sowohl bei den Quartieren der Wohnungslosenhilfe als auch in der Arbeit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe liegt nicht auf obdachlosen Kindern, weshalb es hier in der Forschung noch keine groß angelegten Studien gibt.

Kinder in der Wohnungslosigkeit sind relativ unsichtbar, sie fallen in der Gesellschaft weniger auf, als dies beispielsweise Straßenkinder tun. Dies könnte ein weiterer Grund dafür sein, warum sich der Großteil der Literatur und Studien entweder auf jugendliche Obdachlose oder auf Straßenkinder konzentriert. Diese Studien bieten aber sowohl inhaltlich als auch strukturell nicht die spezifischen Informationen und Überlegungen für die für diese Masterarbeit beforschte Zielgruppe.

Eine von der EU-Kommission in Belgien durchgeführte Studie „Homelessness from a child’s perspective“ legt hingegen genau eines ihrer Ergebnisse auf die Situation von Kindern in Wohnungslosenquartieren. Es wird beschrieben, wie die Unsichtbarkeit wohnungsloser Kinder dazu führen kann, dass sie beispielsweise von der Kinder- und Jugendhilfe weniger gesehen werden und somit auch weniger geschützt sind. (vgl. Halpenny et.al 2002) Auch in Bezug auf Strategien, welche EU-weit im Zusammenhang mit Wohnungslosigkeit erstellt werden, kann die Unsichtbarkeit von versteckt Obdachlosen und in Folge deren Nicht-Beachtung einen großen Einfluss auf die Wirkung geplanter Maßnahmen haben. (vgl. Baptista 2018: 7)

2.3 Forschungsfrage und Ziel

Im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit liegt das Forschungsinteresse einerseits darin zu erheben, wie die aktuelle Kooperation zwischen den Akteur*innen der Sozialwirtschaft, welche mit Kindern nicht-anspruchsberechtigter EU-Bürger*innen arbeiten, funktioniert, und welche Veränderungsvorschläge für eine Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Ziel einer größeren Wirkungsorientierung im Sinne der Kinder gefunden werden können.

Andererseits soll aber auch aufgezeigt werden, welche Chancen Kindern im aktuellen System genommen werden und welche Möglichkeiten es gibt, die Chancengleichheit für diese Kinder zu erhöhen. Veränderungspotential gibt es hier auf drei unterschiedlichen Ebenen:

Eine Ebene stellt die direkte Kooperation zwischen den Organisationen, welche mit den Kindern in Notquartieren des Wiener Winterpakets arbeiten, dar. Die zweite Ebene bildet die Angebotsstruktur der Akteur*innen der Sozialwirtschaft. Als dritte Ebene muss auf die Verantwortlichen der Stadt Wien und die verantwortlichen Politiker*innen in Österreich und

Folgende Forschungsfrage ergab sich aus dem beschriebenen Forschungsinteresse:

Was sind die aktuellen Herausforderungen und die zukünftigen Gestaltungsmöglichkeiten für Akteur*innen der Sozialwirtschaft in der Arbeit mit Kindern in Notquartieren der Stadt Wien sowohl im Rahmen der direkten Kooperation als auch auf den verschiedenen Ebenen der Sozialwirtschaft Wiens und der Politik?

2.4 Erkenntniswert – Relevanz für die Praxis

Wie weiter oben erwähnt, wurde das Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit an den entsprechenden Studiengängen mit dem Fokus auf Soziale Arbeit bereits in einigen Masterarbeiten beforscht. Auch zur speziellen Zielgruppe der nicht-anspruchsberechtigen EU-Bürger*innen in der Wohnungslosigkeit wurde bereits ein fachlicher Schwerpunkt in Arbeiten gelegt.

Der Fokus auf die Kinder, die häufig mit ihren Familien gemeinsam in den Notquartieren des Winterpakets unterkommen, fehlt aber bisher. Auch wenn die Gruppe der Familien nur einen kleinen Prozentsatz - sowohl in der Arbeit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe als auch bei der Wiener Wohnungslosenhilfe - ausmachen, so gilt es dennoch auch hier genauer hinzusehen.

Forschungen zu Kinderarmut belegen, dass Armut allein bereits schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben kann, und sich

„(…) sowohl chronische, als auch vorübergehende Zeiträume der Armut schädlich auf das Leben und das Wohlergehen der Kinder auswirken“ (Zander 2005: 16)

Die vorliegende Masterarbeit verfolgt zwei Ziele. Einerseits soll aufgezeigt werden, wie strukturelle Gegebenheiten eine Benachteiligung der Kinder nicht-anspruchsberechtigter EU-Bürger*innen bedingen, und welche Möglichkeiten und Forderungen es gibt, um diese Diskriminierung zu beheben.

Andererseits können auch im Bereich der direkten Kooperation für die Mitarbeiter*innen der Organisationen der Sozialwirtschaft mögliche Veränderungen aufgezeigt werden, um eine systemimmanente Diskriminierung zu mindern, und in Einzelfällen in der direkten Betreuung und Auseinandersetzung mit den Kindern deren Chancen für ein besseres Leben zu erhöhen.