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Anforderungen an Sozialwirtschaftliche Organisationen in Wien

6 Diskussion der Ergebnisse

6.2 Anforderungen an Sozialwirtschaftliche Organisationen in Wien

Sozialwirtschaftliche Organisationen tragen in Wien das gesamte Netz der Wohnungslosenhilfe. Auch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe ist mit ihrem Aufgabengebiet Teil der Landschaft der Sozialwirtschaft in Wien.

Im folgenden Kapitel sollen Anforderungen an die Organisationen beschrieben werden, welche aus den Ergebnissen der Expert*inneninterviews gewonnen wurden.

Zum einen betreffen diese die oftmals mangelnde Ausstattung der Notquartiere im Rahmen des Winterpakets der Stadt Wien, zum anderen das für die Zusammenarbeit erschwerende

Fremdbild der Arbeit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe. Außerdem werden die Themen der Schwerpunktsetzung in diesem Bereich, die speziellen Bedürfnisse von Jugendlichen in der Wohnungslosigkeit sowie die Situation mit Dolmetscher*innen und Sprachbarrieren in der Zusammenarbeit mit den Familien besprochen.

6.2.1 Notquartiere

In Bezug auf die Ausstattung der Notquartiere, sowohl in den Bereichen Möblierung und Rückzugsmöglichkeiten und Privatsphäre als auch hinsichtlich der Ausbildung von Mitarbeiter*innen ist ein eklatanter Unterschied bei den verschiedenen Angeboten der Wohnungslosenhilfe in Wien gegeben.

Der Unterschied zu den Notquartieren des Winterpakets zeigt sich beispielsweise am Haus Favorita, einem der sogenannten Chancenhäuser von Obdach Wien. Auch dort können Familien mit Kindern Unterkunft nehmen. Es sind bei einer Unterbringung im Haus Favorita wie auch bei den Notquartieren des Winterpakets keine Anspruchsvoraussetzungen im Sinne der Wiener Wohnungslosenhilfe zu erfüllen, allerdings sind diese Wohneinheiten kostenpflichtig. Eine Familie muss zwischen € 180,- und € 360,- pro Monat für die Unterkunft bezahlen. Im Chancenhaus Favorita sind die Familien in möblierten Wohneinheiten inklusive Bad, WC und Küche untergebracht.

Von den Sozialarbeiter*innen vor Ort wird umfassende Beratung angeboten, beispielsweise zu den Themen Kinderbetreuung und Schule. Außerdem gibt es regelmäßige Freizeitangebote für die Kinder sowie medizinische Betreuung vor Ort.

(vgl. Obdach Wien - Chancenhaus Favorita 2020)

In den Chancenhäusern gibt es also eine bedeutend bessere und adäquatere Versorgung von Minderjährigen mit Blick auf einige der wesentlichen Faktoren, welche Kinder und Jugendliche und deren Familien bei der Entwicklung unterstützen können.

Nicht nur die Ausstattung der Wohnräume, sondern gerade auch die psychosoziale Ausbildung der Mitarbeiter*innen macht es möglich, dass der Fokus bei der Betreuung stärker auf dem Wohl der Kinder liegen kann Die Vernetzung zur Wiener Kinder- und Jugendhilfe beziehungsweise die Einschätzung einer Gefährdung der Kinder tragen dazu

bei, dass Kinder in der Wohnungslosigkeit hier die gleichen Schutzmechanismen zur Verfügung haben wie alle anderen Kinder, die in Wien leben.

Insgesamt zeigt sich also, dass es eine Ungleichbehandlung von Kindern, die auf Grund der finanziellen Situation ihrer Eltern in Notquartieren des Winterpakets unterkommen müssen und Kindern, deren Eltern zumindest kleine Geldbeträge zur Verfügung haben, gibt. Hier ist von Seiten der Wohnungslosenhilfe eine Gleichbehandlung der Kinder im strukturellen Rahmen der Angebote zu fordern.

Den Blick auf die Situation von Kindern in der Wohnungslosigkeit haben in Quartieren des Winterpakets sowie auch in der Beratungsstelle Sozial- und Rückkehrberatung ausschließlich Mitarbeiter*innen ohne sozialarbeiterische Ausbildung, die, wie aus den Interviews hervorgeht, durchwegs ein Verständnis von Kindeswohl und Kinderrechten haben, welches nicht alle Bereiche des Kinderschutzes beinhaltet.

Für den Schutz der Kinder sowie auch für die Sicherstellung der Gleichbehandlung aller Kinder in Wien wäre es notwendig, das Verständnis über die Themen Kinderschutz, Kindeswohl und Kinderrechte anzugleichen, beziehungsweise zu überlegen, ob auch in den Notquartieren Mitarbeiter*innen mit psychosozialer Ausbildung beschäftigt werden sollten.

6.2.2 Fremdbild der Wiener Kinder- und Jugendhilfe

Im Rahmen der Interviews fiel auf, dass die Außensicht auf die Arbeit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe von Misstrauen geprägt ist. Es besteht die Angst, dass Kinder frühzeitig oder auch grundlos aus ihren Familien genommen werden. Auch wenn die bisherigen Erfahrungen mit der Arbeit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe wie in den Expert*inneninterviews durchwegs angeführt, eine positive ist, so bleibt doch immer wieder der Zusatz, dass dies offenbar eine Ausnahme darstelle.

Aus der Berufserfahrung der Forscherin gibt es das Wissen, dass sich dieses Misstrauen nicht auf den Bereich der Notquartiere des Winterpakets beschränkt, sondern generell sowohl in der Bevölkerung als auch bei anderen Kooperationspartner*innen der Wiener Kinder- und Jugendhilfe besteht.

Dem kann einerseits im Rahmen der direkten Kontakte der Mitarbeiter*innen der Wiener Kinder- und Jugendhilfe mit den Familien und professionellen Kooperationspartner*innen

entgegengesteuert werden. Andererseits sollte es auch Aufgabe der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe sein, diesem nachhaltig negativen Bild in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Es muss der Fokus auf die positiven Aspekte von Kinderschutz und weniger auf das „böse Jugendamt, welches die Kinder holt“ gelegt werden.

6.2.3 Schwerpunkt Obdachlose

Im Rahmen der Expert*inneninterviews wurde diskutiert, ob eine Fokussierung auf einen Schwerpunkt der Arbeit mit wohnungs- und obdachlosen Familien, wie es bei der Wiener Kinder- und Jugendhilfe der Fall ist, positive Auswirkungen auf die Kooperation und auf die Situation der Kinder und Jugendlichen hat.

Gemeint ist hier eine Schwerpunktsetzung für Organisationen und Behörden, deren Aufgabengebiete generell mit Kindern zu tun haben, wie beispielsweise die Bildungsdirektion oder die Magistratsabteilung 10.

Eine Schwerpunktsetzung kann Vor- und Nachteile mit sich bringen. Sowohl die negativen Faktoren, wie die Gefahr einer möglichen Stigmatisierung der Familien und einer strukturellen Ungleichbehandlung, als auch die positiven Aspekte der Spezialisierung wie besseres Wissen und Verständnis um die Situation von obdach- und wohnungslosen Familien wurden hier beleuchtet.

Diese Spezialisierung auf den Bereich der anspruchslosen EU-Bürger*innen wird in der Landschaft der Wiener Wohnungslosenhilfe bereits in großem Maße gelebt. Für diese Klient*innengruppe gibt es spezialisierte Einrichtungen, welche ihre Leistungen anbieten.

Im Bereich der Wiener Magistratsabteilungen wird eine Spezialisierung auf einen Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosenschwerpunkt in einigen Organisationsabteilungen umgesetzt. Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe lebt diese Schwerpunktsetzung bereits, die Magistratsabteilung 40 hat eine solche Spezialisierung Mitte des Jahres umgesetzt. Die Bildungsdirektion, oder auch die Magistratsabteilung 10 haben jedoch keinerlei Spezialisierung in diesem Bereich.

Es gilt dennoch abzuwägen, ob eine Spezialisierung und Schwerpunktsetzung in diesem Bereich nicht auch zu einer systematischen Diskriminierung der Gruppe der

nicht-anspruchsberechtigten EU-Bürger*innen führt. Im System der Wiener Wohnungslosenhilfe ist dies, wie bereits aufgezeigt, im Falle der Unterbringung von Familien bereits der Fall.

Für diese Überlegungen konnte im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit keine eindeutige Lösung gefunden werden. Hier gilt es weiterhin die Für und Wider zu erforschen und abzuwägen.

6.2.4 Jugendliche

Die Jugendlichen selbst haben, wie die Expert*inneninterviews ergaben, ganz spezielle Problemlagen, wenn sie sich mit ihren Familien in Notquartieren des Winterpakets aufhalten.

Ein Problem ist der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten, da sie der Schulpflicht entwachsen sind. Gleichzeitig bringen die Jugendlichen meist nicht die passenden Voraussetzungen für eine Integration am österreichischen Arbeitsmarkt mit. Das Fehlen von Rückzugsmöglichkeiten und Privatsphäre in den Quartieren ist gerade für Menschen im Teenageralter besonders belastend.

Jugendliche brauchen für die Herausbildung ihrer sozialen Kompetenz und ihre emotionale Entwicklung regelmäßigen und ausgeprägten Kontakt zu Gleichaltrigen, welcher sowohl mittels Schulbesuchs als auch im Rahmen einer entsprechenden Freizeitgestaltung erfolgen kann. Beide Anforderungen fehlen weitgehend.

Die aktuelle Situation zeigt, dass gerade Jugendliche in den Notquartieren des Winterpakets eine sehr unsichtbare und wenig beachtete Gruppe sind, deren Bedürfnisse weniger wahrgenommen werden als die der jüngeren Kinder.

6.2.5 Sprache und Dolmetsch

In der Arbeit mit Familien, die im Rahmen der Armutsmigration aus anderen europäischen Ländern nach Österreich kommen, bildet meist die Sprachbarriere eine Problematik, die eine effektive Zusammenarbeit oftmals erschwert, wenn nicht gar verhindert.

Dies kann durch die Anstellung von sprachkompetenten Mitarbeiter*innen behoben werden.

Ist dies nicht möglich, muss ein ausreichendes Budget für Dolmetscher*innen zur Verfügung stehen.

Hier wurde in mehreren Interviews im Kontext der vorliegenden Masterarbeit betont, dass es auf Grund mehrerer Faktoren notwendig ist, professionelle Dolmetscher*innen einzusetzen. Einerseits sind es die sensiblen Thematiken in Gesprächen mit den Familien in Bezug auf den Kinderschutz und die Gefährdung des Kindeswohls. Andererseits macht die Tatsache, dass viele der Familien der Roma-Minderheit angehören, die in vielen Situationen Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen machen, entsprechende Professionalität und Sensibilität notwendig. Mangelndes Feingefühl durch Übersetzer*innen sind für die ohnehin schwierigen Gesprächsinhalte noch zusätzlich hinderlich.

Da es sich bei der Arbeit mit EU-Bürger*innen fast immer um die Arbeit mit Menschen handelt, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, kommt den Dolmetsch-Leistungen ein besonderes Augenmerk zu. Um fachlich gut arbeiten zu können, ist es in der Sozialen Arbeit unumgänglich mit Menschen ausreichend kommunizieren zu können.

6.2.6 Veränderungsvorschläge

Die Organisationen der Sozialwirtschaft sind aufgefordert in der Beratung, Unterbringung und Betreuung der speziellen Zielgruppe der nicht-anspruchsberechtigten EU-Bürger*innen darauf zu achten, dass keine strukturellen Benachteiligungen für die Kinder dieser Familien bestehen. Dies betrifft speziell die Unterbringung in den Notquartieren, welche aktuell nicht die gleichen Standards aufweisen, wie Notquartiere für Familien, die finanziell ein wenig bessergestellt sind.

Durch eine adäquate Ausbildung der Mitarbeiter*innen der Notquartiere kann darüber hinaus sichergestellt werden, dass auch die spezifischen Problemlagen der Zielgruppe der Jugendlichen einerseits mehr Beachtung finden und entsprechend bearbeitet werden können.

Weiters ist darauf zu achten, dass die sprachlichen Barrieren, welche inhaltliche die Zusammenarbeit mit den Familien erheblich erschweren, wenn nicht unmöglich machen, weitgehend minimiert werden, sei dies durch eine Erhöhung des Dolmetsch-Budgets oder die Beschäftigung von Mitarbeiter*innen mit fundierten Sprachkenntnissen.

Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe ist aufgefordert, sich aktiv mit dem Fremdbild der eigenen Arbeit auseinanderzusetzen und zu versuchen, mittels geeigneter Maßnahmen Abhilfe zu schaffen, um die Kooperation mit anderen Institutionen effektiver gestalten zu können.

Die Auseinandersetzung mit der Schwerpunktsetzung in sozialwirtschaftlichen Organisationen bleibt weiter zu diskutieren. Wichtig ist es eine Balance zu finden zwischen der Sicherstellung der inhaltlichen Kompetenz bei der Arbeit mit der speziellen Zielgruppe und einer Gleichbehandlung dieser mit anderen Zielgruppen der Sozialen Arbeit.

6.3 Anforderungen an die Politik in Österreich und auf