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Anforderungen an die direkte Kooperation

6 Diskussion der Ergebnisse

6.1 Anforderungen an die direkte Kooperation

Ueli Merten listet in dem Buch „Kooperation kompakt. Kooperation als Strukturmerkmal und Handlungsprinzip der Sozialen Arbeit“ folgende wichtige Erfolgsfaktoren von Kooperation auf:

▪ Zweck und Inhalt der Kooperation

▪ Zuständigkeiten. Verantwortungsbereiche und Ablaufmodelle

▪ Beteiligte Akteure

▪ Gegenseitiges Kennen und Vertrauen

▪ feste Strukturen und Kontinuität

▪ Nutzen der Kooperation

▪ Ressourcen

▪ Personenbezogene Faktoren.

(vgl. Merten, Kaegi 2015: 65-66)

Anhand dieser Erfolgsfaktoren soll die bestehende Zusammenarbeit der Anbieter von Beratung und Unterbringung im Rahmen des Winterpakets mit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe analysiert werden, um daraus Handlungsempfehlungen ableiten zu können.

6.1.1 Zweck, Inhalt und Ziele der Kooperation

Für die Expert*innen ist der Zweck der Kooperation theoretisch sehr klar. Es geht darum sich zur Wahrung des Kinderschutzes über Familien auszutauschen und gemeinsam zu überlegen, welche Maßnahmen in den jeweiligen Einzelfällen dazu beitragen könnten, die Situation der Kinder zu verbessern.

Inhalt ist die Lebenssituation der Kinder, welche im Notquartier leben und deren eventuelle Gefährdung entweder durch die Eltern oder durch die Rahmenbedingungen.

Wenn man aber die gemeinsamen Ziele der Kooperation beleuchtet, so fällt auf, dass hier das gemeinsame Verständnis über relevante Ziele Mängel aufweist. Das übergeordnete gemeinsame Ziel ist der Kinderschutz. Es gibt aber unterschiedliche Zugänge und Einschätzungen dazu, wann eine Gefährdung des Kindeswohls gegeben ist. Deshalb kommt es zu Abweichungen und Differenzen in den Detailzielen.

In der Fachliteratur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass gemeinsame Ziele enorm wichtig sind und eigentlich eine Voraussetzung für das Gelingen einer Kooperation. Um hier eine Annäherung zwischen den Organisationen zu erreichen, gilt es Maßnahmen zu finden, welche dazu führen, dass alle Beteiligten das gleiche Verständnis des obergeordneten Ziels

„Kinderschutz“ haben.

Es wurde im Rahmen der Interviews deutlich, dass die Beurteilung darüber wann eine Gefährdung des Kindeswohls gegeben ist, nur rudimentäre Gemeinsamkeiten aufweist. Die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle und der Notquartiere nannten im Rahmen der Interviews als Gefährdungsmomente psychische und physische Gewalt und Vernachlässigung. Die Mitarbeiter*innen der Wiener Kinder- und Jugendhilfe spannten hingegen bei der möglichen Gefährdung des Kindeswohls einen weiteren Bogen. Es wurden auch die Förderung von Interessen, das Recht auf Bildung, die Situation der Kinder in den Notquartieren sowie Sicherheit und Stabilität genannt.

Diese sehr divergierenden Sichtweisen führen in manchen Fällen dazu, dass die Wiener Kinder- und Jugendhilfe keine Kenntnis von gefährdenden Situationen für Kinder hat, obwohl sie bei einer Intervention Abhilfe schaffen könnte.

Diese unterschiedliche Einschätzung zum Thema Kindeswohlgefährdung führt in einigen Fällen dazu, dass sie nicht in gleichem Maße geschützt und behandelt werden, wie Kinder, die nicht in Notquartieren der Wohnungslosenhilfe leben.

Ein anschauliches Beispiel ist hier jenes der jugendlichen Bewohner*innen in den Notquartieren, welche den Mitarbeiter*innen zwar Sorge bereitet, sie diese Sorge aber nicht an die Wiener Kinder- und Jugendhilfe weitertragen.

Auch die Einschätzung darüber, ab welcher voraussichtlichen Aufenthaltsdauer Schulplätze für Kinder organisiert werden, geht zwischen den Kooperationspartner*innen sehr weit auseinander. Die Situation, dass Kinder nicht die Schule besuchen, sei es weil die Organisation eines Platzes nicht funktioniert oder weil die Mitarbeiter*innen die Perspektive bezüglich des Aufenthalts der Familie in Österreich als nicht lang genug einschätzt, um einen Schulplatz zu organisieren, zeigt, wie sich unterschiedliche Ansichten über Abläufe auf das Wohl der Kinder auswirken können. Das Recht auf Bildung und die Schulpflicht sind in Österreich fest in Gesetzen verankert, und müssen auch für die Kinder, die mit ihren Familien in Notquartieren leben, gelten.

6.1.2 Zuständigkeiten, Verantwortungsbereiche und Ablaufmodelle

Die Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche sind klar abgesteckt. Die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle sowie der Notquartiere melden sich bei der Wiener Kinder- und Jugendhilfe, wenn sie eine Gefahr für Kinder wahrnehmen und diese nicht ohne Unterstützung abwenden können. Es fällt dann in den Verantwortungsbereich der Wiener Kinder- und Jugendhilfe entsprechende Maßnahmen zu setzen.

Es herrschte aber unter den Expert*innen keine klare Übereinstimmung darüber, wie die einzelnen darauffolgenden Arbeitsschritte besser aufgeteilt werden könnten. Hier müsste abgesteckt und besprochen werden, wer welche Aufgaben in Einzelfällen übernimmt und durchführt.

Prozess- und Ablaufmodelle sind sehr informell geregelt. Es gibt keine klaren Handlungsanweisungen dafür, wann eine Meldung an die Wiener Kinder- und Jugendhilfe gemacht werden muss.

Wie im vorhergegangenen Kapitel bereits beschrieben, ist auch eine große Schwankungsbreite bei der Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls gegeben.

Die Expert*innen schlugen im Rahmen der Interviews vor, Weiterbildungen für die Mitarbeiter*innen der Notquartiere und der Beratungsstelle abzuhalten, damit im Rahmen der Kooperation die Abläufe klarere Strukturen bekommen, und bei den Kindern die gleichen Maßstäbe angewandt werden, wie bei der in Österreich fest verankerten Bevölkerung.

Gleichzeitig wurden auch Fortbildungen für die Mitarbeiter*innen der Wiener Kinder- und Jugendhilfe zu speziellen Themen der Obdach- und Wohnungslosigkeit für sinnvoll erachtet, um eine bessere Basis für Einschätzung und Bewertung sowie Verständnis der Situation von Kindern in Wohnungslosigkeit zu schaffen.

Schriftlich festgelegte Leitfäden oder Handlungsanweisungen wurden bis auf eine/n Expert*in von den Interviewpartner*innen für nicht notwendig gehalten.

6.1.3 Beteiligte Akteur*innen

Im Rahmen der Interviews wurde versucht zu erheben, ob es notwendig wäre, weitere Akteur*innen in die Kooperation zu holen. Die Expert*innen erwähnten dabei je nach ihrem Einsatzbereich unterschiedliche Organisationen, deren Einbindung für ein besseres Gelingen der Wahrung des Kinderschutzes hilfreich sein könnte. Hier wurden das BZWO (Beratungszentrum für Wohnungslosenhilfe), das AMS (Arbeitsmarktservice), die Magistratsabteilung10 (Wiener Kindergärten) und die Magistratsabteilung 40 (Soziales-, Sozial- und Gesundheitsrecht - Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger mit sozialen und finanziellen Problemen) sowie die Bildungsdirektion, zuständig für alle Schulen in Wien, genannt.

Diese Einbindung ist insofern schwierig, als dass nicht alle oben genannten Organisationen ihre Arbeitsgebiete nach inhaltlichen Schwerpunkten, wie dem bereits erwähnten

„Obdachlosenschwerpunkt“ bei der Kinder- und Jugendhilfe aufgeteilt haben, sondern eher regional strukturiert sind. Da die Notquartiere nicht auf einzelne Bezirke beschränkt sind, wäre hier eine Wien-weite enge Zusammenarbeit notwendig, was den Kreis der Beteiligten enorm groß machen würde.

Dennoch ist zu bedenken, dass weitere Organisationen der Sozialwirtschaft und Behörden für eine Kooperation im Sinne des Kindeswohls notwendig wären. Dies würde dafürsprechen, einen Schwerpunkt für Obdachlose auch in diesen Institutionen zu überlegen und anzuregen.

Ohne einer solchen Spezialisierung bleibt es weiterhin notwendig, durch persönliche Kontakte bestehende Kooperationen mit einzelnen Mitarbeiter*innen der genannten Organisationen und Behörden zu pflegen und auszubauen.

6.1.4 Gegenseitiges Kennen und Vertrauen

Die einzelnen Akteur*innen kennen sich gut. Allerdings zeigt gerade das Thema „Angst vor dem Jugendamt“, dass auf Seiten der Notquartiere und der Beratungsstelle das Vertrauen in die Institution Wiener Kinder- und Jugendhilfe nicht gegeben ist. Dies ist ein Thema, dass generell ein Dilemma in der Wahrnehmung der Arbeit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe

Aufklärungsarbeit die allgemeine Meinung der Bevölkerung korrigieren. Allerdings zeigen gerade auch die Ergebnisse der vorliegenden Masterarbeit, dass selbst Professionist*innen der Sozialen Arbeit oftmals Ressentiments gegenüber der Arbeit der Wiener Kinder- und Jugendhilfe haben. Über den Dachverband der Wiener Sozialeinrichtungen, ein Zusammenschluss aller großen Wiener Organisationen, die im Rahmen der Sozialwirtschaft tätig sind, könnten hier entsprechende Informationsveranstaltungen in diesem Bereich den Kenntnisstand bezüglich der Aufgaben und Arbeitsweise der Wiener Kinder- und Jugendhilfe für alle Beteiligten erhöhen.

In einzelnen Bereichen können aber auch die Akteur*innen der direkten Kooperation insofern entgegensteuern, als dass genauer auf die Auswirkungen einer Maßnahme durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe auf die Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen der Quartiere geachtet wird. Es wurde in einem der Expert*inneninterviews erwähnt, dass eine Kindesabnahme oft eine sehr schwierige Situation im Notquartier und der weiteren Zusammenarbeit mit den Familien hinterlässt. Hier könnten klare Abläufe, wie beispielsweise Abnahmen möglichst nicht im Notquartier selbst, sondern wenn möglich in der Regionalstelle 6/7/8/9 der Wiener Kinder- und Jugendhilfe stattfinden zu lassen, Abhilfe schaffen.

Die Faktoren der persönlichen Ebene im Rahmen der Kooperation scheinen also bei diesem Kooperationsmodell gut zu funktionieren. Allerdings besteht das Problem, dass bei einem Wechsel von einzelnen Mitarbeiter*innen diese persönliche Komponente wegfällt, und somit auch die positiven Aspekte, die aktuell zu meist guten Ergebnissen und Wirkungen der Kooperation zwischen den Anbietern des Winterpakets und der Wiener Kinder- und Jugendhilfe führen, wegfallen.

6.1.5 Feste Strukturen und Kontinuität

An festen Strukturen sind Austauschtreffen zu Beginn und Ende des Winterpakets bereits als Teil der Kooperation verankert. Hier wurde im Rahmen der Interviews der Wunsch geäußert, auch in der Mitte des Winterpakets ein solches Treffen abzuhalten, um eventuell noch Fragen oder Probleme diskutieren zu können.

Gesamt gesehen ist die aktuelle Zusammenarbeit geprägt von äußerst geringen formalen Strukturen und Vorgaben. Die Expert*innen sprachen sich im Rahmen der geführten

Interviews allerdings Großteils gegen eine stärkere Formalisierung des aktuellen Konzepts der Kooperation aus. Sie betonten die Wichtigkeit von Flexibilität und gaben an, derzeit keinen Bedarf an festeren Strukturen zu sehen.

Auch die Kontinuität ist nur innerhalb einer Saison des Winterpakets gegeben, da sich in der aktuellen Kooperation viel an den persönlichen Kontakten orientiert. Diese sind über das restliche Jahr hinweg schwer aufrecht zu erhalten, da die Mitarbeiter*innen des Winterpakets nur saisonal angestellt werden und im Sozialbereich insgesamt die Fluktuation hoch ist.

6.1.6 Nutzen der Kooperation

Für die Beschäftigten der Notquartiere ist der Nutzen der Interventionen durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe nicht immer gegeben. Da ein großer Unterschied in der Einschätzung von Gefährdungsmomenten für Kinder vorhanden ist, ist eine massive Maßnahme der Wiener Kinder- und Jugendhilfe für die Mitarbeiter*innen der Notquartiere oft nicht nachvollziehbar und im Gegenteil sogar ein Umstand, den man auf Grund der direkten Konfrontation und Zusammenarbeit mit den Eltern, eher vermeiden möchte.

Für die Mitarbeiter*innen der Wiener Kinder- und Jugendhilfe hingegen ist die Kooperation unbedingt notwendig, um überhaupt tätig werden zu können.

Dieses Ungleichgewicht führt auch in Bezug des Nutzens der Kooperation für alle Beteiligten zu dem bereits beschriebenen Dilemma. Deshalb soll hier nochmals betont werden, dass sowohl das Wissen um eine Gefährdung des Kindeswohls bei den Mitarbeiter*innen des Winterpakets als auch das Verständnis der speziellen Situation von Familien in Notquartieren bei den Mitarbeiter*innen der Wiener Kinder- und Jugendhilfe verstärkt gefördert und hergestellt werden muss.

6.1.7 Ressourcen

Wie fast überall in der Sozialwirtschaft in Österreich sind auch bei den Organisationen, die Angebote im Rahmen des Winterpakets setzen, die Ressourcen knapp. Dies zeigt sich nicht

nur bei der Ausstattung der Quartiere oder bei den Themen des Dolmetschbugdets sondern auch bei der Beschäftigung von Menschen mit psychosozialer Ausbildung.

Damit eine Zusammenarbeit aktiv und wirkungsorientiert gestalten werden kann, brauchen die einzelnen Mitarbeiter*innen Zeit, um mit den Kooperationspartner*innen kommunizieren zu können, sei dies telefonisch, persönlich oder im Rahmen einer Teilnahme an Austauschtreffen.

Die zeitlichen Ressourcen für einen kommunikativen Austausch wurden im Rahmen der Interviews von keiner/m der Expert*innen als mangelhaft thematisiert. Es scheint daher so, dass für Telefonate, Gespräche und Austauschtreffen sowohl bei der Wiener Kinder- und Jugendhilfe als auch bei den Notquartieren und der Beratungsstelle zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen und selbstverständlich als Teil der Arbeitszeit gesehen werden.

6.1.8 Personenbezogene Faktoren

Wie bereits erwähnt, läuft die aktuelle Kooperation eher informell ab, ohne klare Richtlinien und Vorgaben. In solchen Situationen sind der individuelle Einsatz der Mitarbeiter*innen und deren persönliche Qualitäten besonders wichtig für ein Funktionieren der Kooperation.

Diese Qualitäten werden von den Expert*innen in den Interviews allen an der Kooperation beteiligten Personen in hohem Maße bescheinigt. Es gibt ein großes Bemühen um gegenseitiges Verständnis und Wertschätzung. Die letzten beiden Jahre gab es keine nennenswerten Fluktuationen bei den beteiligten Mitarbeiter*innen, somit konnte sich das System auch ohne klare Strukturen gut erhalten.

6.1.9 Veränderungsvorschläge

Zusammengefasst gibt es also für die Kooperationspartner*innen einige Punkte, die zu einer Verbesserung der Kooperation und in weiterer Folge zu einer Erhöhung der Lebensqualität und der Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder beitragen können.

Als wichtigster Punkt ist hier das Erreichen einer gemeinsamen Zielsetzung zu erwähnen.

Hierzu sind Fortbildungen für die Mitarbeiter*innen beider Seiten das Mittel der Wahl, da

ein gleicher Wissensstand in den verschiedenen Arbeitsbereichen die Möglichkeit erhöht, zu einem kollektiven Ziel zu gelangen.

Auch für die Herstellung eines gleichwertigen Nutzens der Kooperation für alle Akteur*innen hat sich gezeigt, dass grundlegendes gemeinsames Wissen ein Faktor ist, der zur Erreichung dieser Komponente führen kann.

Dieser bessere gegenseitige Kenntnisstand bezüglich der Arbeitsweise und des Auftrags des Kooperationspartners kann in weiterer Folge nicht nur zu einer Veränderung der Beurteilung einer Gefährdung des Kindeswohls bei den Mitarbeiter*innen von Beratungsstelle und Notquartieren führen, sondern auch zu größerer Rücksichtnahme bei Maßnahmen durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe.

Weiters führt das Wissen um Vorgangsweise und Auftrag des Kooperationspartners dazu, dass einerseits die Arbeitsaufteilung klar und logisch ist, und andererseits auch zu einem Abbau gegenseitiger Ressentiments und der Erhöhung des Vertrauens nicht nur in die einzelnen Mitarbeiter*innen sondern auch in die jeweilige Institution.

Das Einbinden weiterer Organisationen in die Kooperation wird zwar prinzipiell als eine positive Möglichkeit eingeschätzt, allerdings muss dazu auch innerhalb der Sozialwirtschaft Wiens sowie bei den relevanten Behörden eine Umstrukturierung im Sinne der Spezialisierung stattfinden, was von den aktuellen Kooperationspartner*innen nicht selbstständig herbeigeführt werden kann.

6.2 Anforderungen an Sozialwirtschaftliche