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4. Legitimation von Bewertungen

4.7. Körper-Geist-Dualismus in der Arbeit

Heutzutage erhält man den Eindruck, dass geistige Fähigkeiten sehr viel höher bewertet werden als Fertigkeiten, welche man mit Händen verrichtet. An dieser Stelle soll betont werden, dass auch bei letzterem geistige Fähigkeiten erforderlich sind, nur wird diese Tatsache häufig ignoriert. Dieses Kapitel beleuchtet, wie diese hierarchische Wertigkeit von Arbeit historisch entstanden ist.

Der Volkswirt Leonhard Bauer (1984, 66f.) beschreibt, dass der Grad an der gesellschaftlichen Achtung von Tätigkeiten in sich selbst begründet wird und er verweist auf die griechische Antike, dass eine Geringschätzung gewisser Tätigkeiten aus dem Standesdünkel der Gut-Situierten und Mächtigen stammen dürfte. Die Privilegierten sahen Arbeit – welche ausschließlich von Sklaven, Frauen und Kindern verrichtet wurde – als mühsam und als Qual an, denn sie stellte Zwang und Notwendigkeit dar. Mit Arbeit von anderen wurde das Notwendige für die Herren und Herrinnen bereitgestellt. Die Tätigkeit des Herstellens unterschied man allerdings von dieser dienenden Arbeit. Die Arbeit der Menschen, die Dinge herstellten, wurde gesellschaftlich mehr geachtet als die zuvor beschriebene dienende Arbeit.

Nichtsdestotrotz wurde der Handwerker aber auch nicht als vollkommen frei angesehen. Überhaupt betrachteten Privilegierte jene Menschen, die für den Unterhalt arbeiten mussten und nicht am öffentlichen Leben teilhatten, als nicht frei, als Sklaven der Notwendigkeit. Bauer (ebd.) verweist weiters auf Aristoteles Befund,

dass Arbeit und Tugend sich gegenseitig ausschlössen. Jene Tätigkeiten, bei welchen sich der Körper am meisten abnutzte, wurden am niedrigsten bewertet.

So konnte ein freier Bürger lediglich noch die vornehmste Tätigkeit in Form von sozialpolitischem und gesellschaftlichem Handeln, betreiben. Dass man dies mit Muße betrieb, wurde vorausgesetzt. Die Unterscheidung zwischen Muße und Arbeit (wozu auch das Handwerk zählte) bedeutete eine Klassendifferenzierung:

„Denn was mit Verstand vorauszuschauen vermag, ist von Natur aus das Regierende und Herrschende, was aber mit seinem Körper das Vorgesehene auszuführen vermag, ist das von Natur Regierte und Dienende“ (vgl. ebd. 70)

Aristoteles Ansicht, dass das Herrenverhältnis gegenüber Sklaven, Frauen und Kindern durch Vernunftbegabung versus Vernunftlosigkeit begründet wird, setzte sich viele Jahrhunderte fort. Der Philosoph begründete dies damit, dass etwa ein Sklave kein planendes Vermögen besäße, die Frau zwar schon, jedoch ohne Entscheidungskraft, und das Kind noch unvollkommen. Die Menschenwürde ist in vielen Teilen der Welt heutzutage gleichgestellt, jedoch die seit vielen Jahrhunderte andauernde gesellschaftliche Differenzierung nicht überwunden. Diese Masterarbeit soll insbesondere die Bewertung von verschiedenen Tätigkeiten aufzeigen, damit letztlich ein Grundstein für das Bewusstwerden der künstlich konstruierten Hierarchisierung der Differenz gelegt werden kann.

Bauer (ebd., 89) diskutiert außerdem die Einflüsse der Sklavenarbeit auf die freie Arbeit und bringt das Charakteristikum ein, dass damit eine generelle Ablehnung körperlicher Arbeit einhergeht. Körperliche Arbeit wurde dabei also mit Sklavenarbeit gleichgesetzt. Daher war es eines freien Mannes unwürdig, selbst zu arbeiten.

Im Mittelalter gab es das Sklaventum in dem Sinne nicht mehr, nun verrichteten Menschen einzelne Arbeitsleistungen für jemand gegen Entgelt. Durch die Befreiung vom Grundherrn und dem christlichen Leistungsethos68 erfolgte eine generelle Neugestaltung der Gesellschaft. Die Oberschicht war nun ebenfalls im Kreislauf der Arbeit vertreten, und die Unter- und Mittelschicht erfahren mehr gesellschaftliche Akzeptanz, wobei letztere an gesellschaftlich-politischer Macht gewinnt. Nun wurde

68 Die wohl bekanntesten Glaubenssätze in diesem Zusammenhang sind die des Benediktinerordens

„Ora et labora“ („Bete und arbeite“) und auch im 2. Brief des Paulus an die Thessalonicher (3, 10-11) („Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“), wobei letzterer im aufkommenden Industriezeitalter in Arbeitshäusern als Leitgedanke verwendet wurde, damit eine gesellschaftliche Fabrikdisziplin unter kapitalistischen Vorzeichen durchgesetzt werden konnte.

scharf zwischen Nichtarbeit und Arbeit getrennt, wobei jeder, der in welcher Form auch immer eine als legitim erachtete Arbeit verrichtete, mehr oder weniger angesehen war. Zuvor unterprivilegierte arbeitende Menschen wurden unter diesen Vorzeichen freier und selbständiger. Auch Frauen waren Zunftmitglieder, insbesondere in Berufsbereichen, die als naturgemäß weiblich angesehen wurden (zB Textilfabrikation, Spinnerei, Weberei, Handel). Frauen wurden jedoch ab dem späten 15. Jh. sukzessive hinaus- und in untergeordnete und nicht- bzw. schlechtbezahlte Tätigkeiten hineingedrängt (zB Hausarbeit innerhalb der Familie). Zugleich brachte das immer stärker werdende Handelskapital die meisten Handwerker unter Bedrängnis und überhaupt alle Berufe in immer stärker werdende Abhängigkeit zueinander. (vgl.

ebd., 75f.)

Seit dem Hochmittelalter wandelte sich die Arbeitsauffassung des Herstellens. An die Stelle des Erklärens, Interpretierens und Reproduzierens trat das Nutzbarmachen, Herstellen und Vermehren. Die Tradition der Antike wurde von Techniken abgelöst – nun gewann nicht mehr das bessere Argument, sondern mittels der „neue Wissenschaft“ machte man sich die Natur nutzbar. Die Wissenschaft gewann sehr an Macht, und Handwerkstätigkeit wurde nicht mit Wissenschaft in Verbindung gebracht:

„Dafür (Handwerk) sind die niedersten Sklaven zuständig; die Weisheit wohnt anderswo, sie bildet nicht die Hände zur Arbeit, sondern sie unterweist die Seelen.“

(Seneca 1702, zit. n. Bauer 1984, 76)

Arbeit wurde infolgedessen weniger mit einem Stand in Verbindung gebracht, sondern mehr im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, wobei es legitim war, innerhalb der Gesellschaft von Eigeninteressen geleitet zu werden. Durch Arbeit erwirbt der Mensch Eigentum, und Arbeit verleiht den Dingen ihren Wert – dies spiegelt sich in der modernen Begrifflichkeit von Arbeit wider. Arbeit wurde zwischenzeitlich mit anderen Werten besetzt: Arbeit, welche ursprünglich verrichtet werden musste, um Armut zu vermindern, war nun zu einer Folge von Reichtum geworden. Der Perspektivenwechsel wurde dadurch möglich, da Arbeit als von Zwang und Notwendigkeit befreit und damit als freudvoll angesehen worden ist. Ob im Industriezeitalter die Lohnarbeiter/innen die Arbeit unter den damaligen Umständen tatsächlich als Glück angesehen haben, darf ernsthaft bezweifelt werden. (vgl. ebd., 77).

Mit der Industrialisierung verloren Handwerker weitgehend ihre Herrschaft über den Produktionsprozess, da die selbständigen Meister zunehmend von Kapitalgebern abhängig wurden. Im 19. Jahrhundert gewannen zudem Positionen der Bürger an Macht mit der Konsequenz, dass nicht die bürgerliche Gleichheitsforderung, sondern eine bürgerliche Ideologie von Gleichheit in das gesellschaftliche System Einzug hielt.

Das Bürgertum spaltete sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jh., wobei Großbürger mittels Großorganisationen des Spätkapitalismus eine zentrale Gestaltungsmacht erwarben, denn sie verfügten über andere, da letztere ihnen lohnabhängig waren. (vgl.

ebd., 79f.) Dies griff u.a. Karl Marx ausführlich auf, worauf in einem nachfolgenden Kapitel noch eingegangen wird.

Das Konzept einer „wissenschaftlichen Betriebsführung“, das auf den amerikanischen Ingenieur und Arbeitswissenschaftler Frederick Winslow Taylor zurückgeht, führte infolgedessen zu weitreichenden Änderungen im Zusammenhang mit der Bewertung von Arbeit:

„Das Wesentliche dieses Systems ... ist … die systematische Vorausplanung und Vorausberechnung (und vorausgehende Neuentwicklung) aller Elemente des Arbeitsprozesses, der als Gesamtprozeß nicht mehr in der Vorstellung des Arbeiters, sondern nur noch in der Vorstellung eines speziellen Managements besteht.“

(Taylor 1911, zit. n. Bauer 1984, 79)

So wurde es möglich, dass das Wissen der Arbeiter und ihre Verfügungsgewalt über den Prozess bzw. das Ergebnis der Arbeit in den Managementbereich übergeführt wurden. Das Konzept von Taylor sieht u. a. vor, dass in einem ersten Schritt Kenntnisse über den Arbeitsprozess zusammengetragen und –gefasst werden69, dieses Wissen ausschließlich im Managementbereich weiterentwickelt wird und schließlich dieses Wissensmonopol dazu dient, jeden Arbeitsschritt kontrollieren zu können. Dieses Betriebsführungskonzept wurde in vielen Varianten weiterentwickelt, wobei die Sphären zwischen Management und Produktion getrennt blieben. Dabei bezieht sich die Tätigkeit des Managementbereichs primär auf sozial-politisch-gesellschaftliches Handeln, Kommunikation im Sinne von miteinander reden, Vereinbarungen und Entscheidungen treffen, die sich auf andere auswirken. Zugleich stellen diese

69 „Den Betriebsleitern fällt die Aufgabe … zu, all die überlieferten Kenntnisse zusammenzutragen, die früher im Besitz des einzelnen Arbeiters waren, sie zu klassifizieren und in Tabellen zu bringen, und diese Kenntnisse zu Regeln, Gesetzen und Formeln zu reduzieren…“ (Taylor 1911, zit. n. Bauer 1984, 79)

Tätigkeiten eine gesellschaftlich notwendige Koordinierungsfunktion dar, mit dem das stark gegliederte Produktions- und Verteilungssystem funktioniert. (vgl. ebd.)

Bauer (1984, 81f.) geht zudem davon aus, dass nicht die verschiedenen Tätigkeiten der Menschen das Problem sind, sondern dass diese Tätigkeiten gesellschaftlich organisiert sind und infolgedessen zumeist eine erzwungene Bewertung innehaben.

Außerdem werde eine ökonomisch bedeutsame Knappheit überwiegend durch Eigentum geformt – dies modifiziere das natürliche Mengenverhältnis. Gesellschaft-liche Faktoren seien es, welche über die relative Höhe der Abgeltung entscheiden würden. Das Ausmaß drücke sich in Einkommen und gesellschaftlicher Anerkennung aus, und erfolge im Wesentlichen herrschaftlich. Am mächtigsten seien die bestbezahlten und prestigereichsten Tätigkeiten mit sozialpolitischer Handlungs-macht, dann folgten die herstellenden Arbeiten und zum Schluss seien wiederholende Tätigkeiten (Fließband, Reinigung, Haushalt) zu nennen.

Auch wenn schöpferische Arbeit in der wandelnden Welt an Bedeutung gewinnen wird, notwendige Arbeit wird immer eine entscheidende Rolle spielen. Dass beide Arten von Arbeit relevant sind, steht außer Frage. Bauer macht außerdem darauf aufmerksam, dass das ungerechte Bewertungsproblem nicht durch die Separierung von schöpferischer und notwendiger Tätigkeit entsteht, sondern „durch die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen und Bewertungen, unter denen sie verrichtet werden.“ (ebd.)

Beispielsweise werden planende Tätigkeiten höher bewertet als ausführende, und in den Genuss dieser besseren Möglichkeit in Form von Einkommen bzw. Prestige kommen Arbeitgeber mehr denn Arbeitnehmer, da die gesellschaftliche Organisation dies vorwiegend ersteren ermöglicht. Zunehmende Dequalifizierung und Polarisierung von ausführenden Tätigkeiten werden dabei zugunsten von Handlungs-Potenz auf der Managementseite genutzt. (ebd.)