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4. Legitimation von Bewertungen

4.11. Arbeiter und Angestellte

Die Art der Tätigkeit wird offensichtlich über die rechtliche Stellung des Arbeitnehmers differenziert und ist in Österreich (auch in anderen Industrieländern) grob in „Arbeiter“

und „Angestellter“ (und „Beamter“ sowie „Vertragsbediensteter“, worauf hier jedoch nicht eingegangen wird) eingeteilt. Mittels diesen Begriffen wird eine soziale Differenzierung ausgedrückt, welche historisch gewachsen ist und bis heute fortgeführt wird. Neben soziokulturellen Merkmalen basiert die Unterscheidung auch auf formalen und funktionalen Kriterien. Allgemein und umgangssprachlich wird dem Arbeiter eine überwiegend körperliche Tätigkeit und dem Angestellten bzw. Beamten eine überwiegend geistige Tätigkeit zugeschrieben, dies kann man aus den gesetzlichen Regelungen interpretieren, obwohl der Begriff des Angestellten gesetzlich nicht allgemein bestimmt ist und Arbeiter alle Arbeitnehmer sind, die nicht Angestellte sind. Ein Angestellter verrichtet eine Tätigkeit, wobei eine kaufmännische oder büromäßige Arbeit geleistet oder eine leitende, beaufsichtigende bzw. sonstige

gehobene Tätigkeit ausgeübt wird. Diese Arten der Einteilung des Arbeitnehmers sind mit ihren Rahmenbedingungen in verschiedenen Gesetzen geregelt (u. a. AngG bei den Angestellten, GewO sowie ABGB bei den Arbeitern sowie der Branchenkollektivvertrag bei beiden Gruppen), wobei es in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Tendenz zur Vereinheitlichung der rechtlichen Stellung von Arbeitern und Angestellten gibt. (vgl.

Sturm-Kek 2013, 17ff.)

Zuletzt wurden mit 1. Juli 2018 wesentliche Gleichsetzungen hinsichtlich der Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankenstand und der Dienstverhinderungsgründe durchgeführt. Es ist zudem bereits beschlossen, dass ab 1. Jänner 2021 auch die meisten Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten vereinheitlicht werden.

(vgl. wko.at, 2019a, o. S.)

Weiterhin unterschieden wird die Art des Entgeltes in Form von Lohn beim Arbeiter und Gehalt beim Angestellten; beim Lehrling spricht man von Lehrlingsentschädigung.

Das Gehalt stellt in der Regel eine fest vereinbarte Summe dar, während beim Lohn häufig nach Stunden abgerechnet wird und der Betrag nach veränderbaren Faktoren (zB Monatslänge, Akkordlohn etc.) variieren kann. Der Facharbeiter erhält gewöhnlich einen höheren Lohn als ein Hilfsarbeiter, während das Gehalt je nach Art der Tätigkeit in Gehaltsstufen eingeteilt ist. (vgl. gehaltsvergleich.com, 2019, o. S.)

Tatsächlich gibt es heute keine gravierenden Unterschiede zwischen der rechtlichen Stellung von Arbeitern und Angestellten mehr, bzw. die noch bestehenden Unterschiede im Arbeits- und Sozialrecht werden von Jahr zu Jahr kleiner bzw.

harmonisiert. Die Einteilung in Arbeiter und Angestellte ist ein Relikt aus den Zeiten der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts. Seit der Technologisierung bzw.

Digitalisierung haben sich viele Berufsbilder dermaßen gewandelt, dass bei einer vormals überwiegend körperlich-geistigen Arbeit nahezu vollständig die körperlich zu verrichtenden Anteile weggefallen sind. Wank (1992, 482) führt als Beispiel den Beruf des Drehers77 an und erklärt sich diese nicht richtige Einteilung mit:

„Dennoch wird dieser vorwiegend geistig tätige Dreher unzweifelhaft als Arbeiter eingestuft, da – und das kann die einzige Erklärung sein – der Dreher zu früherer Zeit schwere körperliche Arbeit zu verrichten hatte. (…) Die Unterscheidung wird also nicht nach der geistigen Tätigkeit, Qualifikation oder körperlichen Belastung beurteilt, sondern danach, woraus sie erwachsen ist.“

77 Dieser Lehrberuf wurde in Österreich mit 01.11.2012 durch den Lehrberuf Metallbearbeitung ersetzt.

(vgl. Bundesgesetzblatt vom 30.05.2012, 182. Verordnung)

Die Einteilung zwischen Arbeitern und Angestellten ist ungenau, und es gibt Fälle, wo eine ähnliche Tätigkeit zu unterschiedlichen Einteilungen führt. Es ist eine gewisse Willkür nicht wegzuweisen, denn ein Teil von Angestellten verrichtet mechanische Tätigkeiten, während viele Arbeiter neben technischem bzw. handwerklichem Können geistig hoch konzentriert tätig sein müssen. Aus diametraler Perspektive kann man daneben feststellen, dass auch Arbeitnehmer mit einem hohen Routineanteil den Kopf einzusetzen haben, während Arbeitnehmer, wo geistiges Wissen sehr stark gefordert ist, auch teilweise mechanische Tätigkeiten zu verrichten haben. (vgl. Sturm-Kek 2013, 20)

Durch Rahmenbedingungen in Form von vielen verschiedenen Gesetzen, welche es zu ändern sehr aufwändig sein würde, wird eine Gleichstellung zusätzlich erschwert.

Jedoch ist immer noch von einer Schlechterstellung der Arbeiter im Vergleich zu Angestellten auszugehen, da der ÖGB im Jahre 1995 mit der „Aktion Fairness“ auf die Problematik aufmerksam machte, dass der Arbeiter rechtlich schlechter gestellt sei als der Angestellte. Seitdem wurden zahlreiche Angleichungen durchgeführt. Dennoch scheinen die Unterschiede nicht so geringfügig zu sein, dass man sie ignorieren könnte – die Wirtschaftskammer Österreich etwa hebt in ihrem Internetauftritt hervor (vgl.

Abb. 6):

Abb. 6: Information der Wirtschaftskammer Österreich Quelle: wko.at (2019b)

Es ist davon auszugehen, dass es sich bei Fachkräften, welche für die produktive Arbeit zuständig sind, insbesondere im Handwerk, Gewerbe und der Industrie überwiegend um Arbeiter handelt. Ein Lehrling wird in der rechtlichen Stellung weder als Arbeiter noch als Angestellter eingestuft, bei einem Lehrverhältnis gilt das Berufsausbildungs-gesetz (BAG). Nach der Lehrabschlussprüfung wird der ehemalige Lehrling abhängig von der Art der Tätigkeit als Arbeiter oder als Angestellter eingestuft.

Ein Blick auf die lohnsteuerpflichtigen Entgelte78 zwischen Arbeitern und Angestellten zeigt weiters (vgl. Tab. 3), dass Angestellte hohe Entgelte erhalten können, die Arbeitern verwehrt bleiben: Die Zahlen der Arbeitnehmer entwickeln sich ab einem jährlichen Bruttoeinkommen ab 40.000,- Euro deutlich auseinander. In der Stufe ab 100.000,- Euro Brutto jährlich ist kein einziger Arbeiter mehr vertreten, jedoch noch ca. 100.000 Angestellte. Daraus kann man schließen, dass es eine gläserne Decke79 gibt, über diese nur Angestellte eintreten können. Dieser Unterschied wird öffentlich so gut wie gar nicht diskutiert.

78 Diese Grafik spiegelt nicht die tatsächlich vereinnahmten Entgelte wider, da hier die nichtlohnsteuerpflichtigen Einkünfte in Form der sogenannten Schwarzarbeit bzw. Schattenwirtschaft, welche im Jahr 2017 geschätzte 19 Milliarden Euro (vgl. kurier.at 2018, o. S.) beträgt, nicht inkludiert sind. Diese sind unmöglich zu erfassen. Falls dies möglich wäre, würde es hier zu einer Verschiebung kommen. Schätzungen gehen davon aus, dass Schwarzarbeit insbes. im Handwerk, Gewerbe und in der Bauwirtschaft vorkommt, also müsste dies bei Arbeitern hinzugerechnet werden. Allerdings ist ebenso davon auszugehen, dass bei Angestellten nicht alle Zuwendungen bei den lohnsteuerpflichtigen Einkünften erfasst sind.

79 Der Ausdruck „gläserne Decke“ ist relativ neu und im Duden (noch) nicht zu finden. Der Begriff glass ceiling wurde erstmals in den 1980er Jahren im Wall Street Journal (USA) verwendet. Heute benutzt man die Formulierung der gläsernen Decke meist in Bezug auf qualifizierte Frauen, welche meist im mittleren Management ihre letzte berufliche Position finden und ihnen eine Stelle im Top-Management verwehrt bleibt. Als Hindernisse für die Durchdringung in die nächsthöhere Position werden Vorurteile, Stereotype, ungünstige organisationale Strukturen und keine optimale Vereinbarkeit von Kindern und Karriere angenommen. (vgl. Littmann-Wernli & Schubert 2002, 1f.) Hier wird der Begriff der gläsernen Decke nicht auf Frauen im Verhältnis zu Männern, sondern sinngemäß auf Arbeiter im Verhältnis zu Angestellten verwendet. (Anmerkung: Die Gruppen der Arbeiter und Angestellten inkludieren jeweils alle Geschlechter, wie auch in diesem Kapitel insgesamt. Wenn man eine Gruppe benennt oder definiert, wäre es m. E. bloßer Selbstzweck, diese auch noch nach Geschlechter zu differenzieren, wo es qualitativ keinen Unterschied bzw. keine höhere Aussagekraft gibt.)

Tab. 3: Steuerpflichtige 2017 in Österreich nach sozialer Stellung und Bruttobezugsstufen

(eingeschränkt auf ArbeiterInnen und Angestelle, ohne Beamte, Vertragsbedienstete und Sonstige Aktivbezüge) Quelle: Statistik Austria (2018, o. S.)

Größere öffentliche Aufmerksamkeit erhält ein weiteres historisch gewachsenes Phänomen hinsichtlich des Unterschiedes in der Entgelthöhe zwischen Männern und Frauen. Bei Frauen wirkt sich diese in benachteiligender Weise mehrfach aus, u. a. in der Teilzeitarbeit während der Kindererziehung, aufgrund derer später geringere Pensionsbeiträge wegen der Teilzeitarbeit erreicht werden. Eine Hauptproblematik besteht weiterhin in der unbezahlten bzw. nicht pensionswirksamen Tätigkeit der familiären Haushalts- und Sorgearbeit (welche auch Arbeit darstellt, aber keine Erwerbsarbeit). Hinsichtlich des Entgeltes bei der Erwerbsarbeit ist festzustellen, dass Frauen bezogen auf das Entgelt gegenüber Männern unter gleichen Faktoren ca. 60 Tage im Jahr gratis arbeiten. Der medienwirksame sogenannte „Equal Pay Day“ (dieser Begriff kann mit „Gleicher Lohn-/Gehaltstag“ übersetzt werden), welcher je nach Berechnungsmethode zweimal im Jahr stattfindet (derzeit Februar und Oktober) macht auf diese Problematik aufmerksam mit der Tendenz, dass der Unterschied im Entgelt zwischen den Geschlechtern kontinuierlich geringfügig kleiner wird. Die Initiative „Equal Pay Day in Österreich“ hatte im Jahr 2019 ihr zehnjähriges Jubiläum.

(vgl. equal-pay-day.at 2019, o. S.)