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3. Lehrlingsausbildung

3.4. Öffnung der Lehrberufe und Werbekampagnen

In den vergangenen Jahren hat ein zunehmend lauter gewordener allgemeiner Ruf der Wirtschaftsvertreter stattgefunden, der sich regelmäßig in diversen Medien finden lässt, dass dringend Lehrlinge und Fachkräfte gesucht werden. (vgl. zB kurier.at 219, o.

S.; diepresse.com 2019, o. S.) Nicht zuletzt auch deswegen wurden in der Struktur der Lehrberufe einige Öffnungsmechanismen in Form von zahlreichen Projekten – welche unterschiedlich stark beworben wurden – geschaffen, um mehr Personen Zugang zur Lehrlingsausbildung zu ermöglichen. Einige werden in diesem Unterkapitel vorgestellt.

Im Jahr 1997 wurde mit dem Berufsreifeprüfungsgesetz (BRPG) ein Weg für Lehrlinge eröffnet, dass sie parallel zur Lehrlingsausbildung mittels der sogenannten Berufsmatura die Berufsreifeprüfung erhalten können, welche dann u. a. für ein Universitäts- oder Fachhochschulstudium berechtigt. Dies ist medial als „Lehre mit Matura“ bzw. „Lehre und Matura“ oder (insbes. früher) unter „Karriere mit Lehre“

bekannt. Es handelt sich dabei um das berufsintegrierte Modell, das teilweise während der Arbeitszeit stattfindet, und das berufsbegleitende Modell, wobei die Matura außerhalb der Arbeitszeit erworben wird. Diese beiden Modelle sind Bestandteil des Förderprogrammes „Berufsmatura: Lehre mit Reifeprüfung“. Die Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung, welche häufig bei den Bildungsträgern Wifi oder BFI erfolgt, ist während des Zeitraumes der Lehrlingsausbildung kostenlos. Mindestens eine und maximal drei von den vier Teilprüfungen28 hat der Lehrling vor der Lehrabschluss-prüfung (LAP) zu absolvieren, um auch nach der LAP weiterhin kostenlos an den Vorbereitungskursen teilnehmen zu können. Die vierte Teilprüfung kann der Lehrling frühestens mit dem Erreichen des 19. Lebensjahres in Verbindung mit einer erfolgreich abgeschlossenen Lehrlingsausbildung ablegen. (vgl. BMDW 2019, o. S.)

Ebenfalls Ende der 1990er Jahre wurde die Überbetriebliche Ausbildung (ÜBA) implementiert. Die ÜBA war eine Maßnahme, um der strukturellen Angebotslücke von betrieblichen Ausbildungsplätzen entgegenzuwirken. Durch die Novellierung des Berufsausbildungsgesetzes 2008 können neben Jugendlichen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen auch nicht erfolgreiche Lehrstellensuchende bzw. jene, die ein Lehrverhältnis abgebrochen haben, die ÜBA in Anspruch nehmen. Diese Maßnahme wird über das Arbeitsmarktservice finanziert und als Ausbildungsträger der Lehrwerkstätten fungieren großteils Erwachsenenbildungseinrichtungen. Die

28 Es handelt sich dabei um die Fächer

- Deutsch (fünfstündige schriftliche Klausurarbeit und mündliche Prüfung) - Mathematik (viereinhalbstündige schriftliche Klausurarbeit)

- Lebende Fremdsprache (fünfstündige schriftliche Klausurarbeit, oder mündliche Prüfung) - Fachbereichsprüfung (schriftliche Klausurarbeit und mündliche Prüfung, oder Projektarbeit)

praktische Ausbildung kann in Praxisbetriebe ausgelagert werden oder es ist auch möglich, dass diese beim Bildungsträger selbst erfolgt. Sozialpädagogische Begleit-maßnahmen sind als Standardelement zusätzlich enthalten. Der Ausbildungsvertrag ist mit jenem von regulären Lehrlingen gleichgestellt und der Antritt zur regulären Lehrabschlussprüfung ist vorgesehen. Konzeptionelle Analysen der ÜBA auf wissenschaftlicher Basis sind bisher nicht erfolgt, jedoch ist deren Durchführung (im Zuge der 2017 in Kraft getretenen Ausbildungspflicht bis 18) angedacht. (vgl. NBB 2018b, 271)

Seit 2003 gibt es für Personen, welche aufgrund einer Einschränkung keine reguläre Lehrlingsausbildung absolvieren können die Möglichkeit, mittels der integrativen Berufsausbildung (IBA) einen Lehrberuf zu erlernen. Die Ausbildung kann entweder in einem Lehrbetrieb oder im Rahmen der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung erfolgen. Die Entscheidung, ob ein Lehrling für die IBA infrage kommt, fällt in die Zuständigkeit des Arbeitsmarktservices. Während der Lehrzeit begleitet bzw.

unterstützt eine Assistenz den Lehrling und steht als Vermittlungsperson zwischen Lehrling, Lehrstelle und Berufsschule zur Verfügung und ist auch für diverse organisatorische Belange (zB Nachhilfekurse) zuständig. Rund 80 % der Jugendlichen in der integrativen Berufsausbildung befinden sich in einer verlängerten Lehre. Wie beim regulären Lehrabschluss steht auch hier am Ende der Lehrzeit, die gegenüber der regelzeitlichen Lehrlingsausbildung um ein bis maximal zwei Jahre erhöht ist, die Lehrabschlussprüfung. Die Teilqualifizierung stellt hingegen keine Lehrlingsausbildung dar, da diese im Vergleich dazu nicht auf dem vollen Ausbildungsplan, sondern auf einer individuellen Ausbildungsplanung basiert. Dabei werden unter Mitwirkung der/des Jugendlichen, mindestens einer erziehungsberechtigten Person, dem Lehrbetrieb und der Arbeitsassistenz die Bereiche der Ausbildung festgelegt. (vgl.

wko.at 2019c, o. S.)

Die bundesweite Koordinationsstelle für Lehrlings- und Lehrbetriebscoaching – eine Initiative von Wirtschafts- und Sozialministerium – befasst sich seit 2015 unter dem Grundsatz „Lehre statt Leere“ mit Problemen, welche im Lehrverhältnis bzw. auch außerhalb des Lehrverhältnisses auftreten. Diese kostenlose Förderung in Form des Lehrlingscoachings können Lehrlinge mit Ausnahme von Teilnehmenden einer überbetrieblichen Lehrlingsausbildung bzw. sich in einer Teilqualifikation befindende

Personen in Anspruch nehmen. Auch Lehrbetriebe können dieses Förderprogramm hinsichtlich Beratungs- und Unterstützungsleistungen, welche überwiegend von berufserfahrenen SozialpädagogInnen durchgeführt werden, unentgeltlich nutzen.

(vgl. wko.at 2019d, o. S.) Das Lehrlingscoaching ist erstmals in den 1990er Jahren eingeführt worden (vgl. Schumacher & Schaffenrath 2005, 38f.)

Ein neues Projekt für die Entschärfung des Fach- und Arbeitskräfteengpasses stellt die noch nicht in allen Bundesländern Österreichs etablierte „Duale Akademie“ dar, welche in anderen Worten mit einer „Lehre nach der Matura“29 beschrieben werden kann. Damit werden insbesondere AHS-MaturantInnen und StudentInnen angesprochen, wobei die Teilnehmenden innerhalb von eineinhalb bis zweieinhalb Jahren eine Fachausbildung in einem Lehrberuf absolvieren können. Um als Lehrbetrieb bei diesem Programm teilnehmen zu können, bedarf es eines gültigen Feststellungsbescheides. Die Lehrlingsentschädigung, welche die Lehrbetriebe zu bezahlen haben, wird um eine Arbeitsmarktservice-Förderung aufgestockt, sodass die Teilnehmenden ein Bruttoentgelt in Höhe eines Angestellten- bzw. (Hilfs-) Arbeiterverhältnisses lt. Kollektivvertrag beziehen. Derzeit bieten das Burgenland sowie Oberösterreich, Wien, Vorarlberg und Salzburg eine Ausbildungsmöglichkeit in der Dualen Akademie mit einer gegenwärtigen Bandbreite von einem bis mehreren der sieben modern gestalteten Berufsbilder30 an. Bei erfolgreichem Abschluss erhalten AbsolventInnen über das Zertifikat der Lehrabschlussprüfung hinaus zusätzlich ein Diplom der Dualen Akademie. (vgl. wko.at 2019e, o. S.)

Außerdem ist es gemäß § 23 (5) BAG möglich, die Lehrabschlussprüfung ausnahms-weise ohne Nachweis der Voraussetzungen, welche im selben Paragraphen geregelt sind, abzulegen. Diese können Personen in Anspruch nehmen, die das 18. Lebensjahr

29 In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten eine Tendenz, zuerst eine weiterführende Schule zu besuchen und nach diesem Abschluss eine Lehre zu beginnen. So wiesen im Jahr 2017 ca. 40 % der Auszubildenden mit neu abgeschlossenem Ausbildungsvertrag einen Realabschluss und ca. 30 % einen Abschluss, welcher zu einem Studium berechtigt, auf. 25 % entfallen auf einen Hauptschulabschluss und der Rest auf keinen Abschluss einer Hauptschule. (vgl. bmbf.de 2020, 72) Inwiefern sich in Österreich das neue Projekt der „Dualen Akademie“ etablieren kann, kann vermutlich in einigen Jahren analysiert werden.

30 In Wien ist die Absolvierung der Dualen Akademie derzeit in „Gardening & Florestry“ möglich. In Oberösterreich kann man bereits zwischen den Bereichen „Technics“, „Sales & Market“, „Logistics Management“, IT & Software“, Banking & Finance“ und „Tourism Management“ auswählen. Für Tirol sind ab Herbst 2020 zwei „Technics“-Ausbildungen (Maschinenbautechnik und Labortechnik, jeweils mit einer 2,5-jährigen Ausbildungszeit) im Rahmen der Dualen Akademie geplant. (vgl. Tiroler Tageszeitung 2020, S. 12)

vollendet haben und glaubhaft machen können, die erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse in anderer Weise erworben zu haben. Ebenso können Personen ausnahmsweise antreten, die mindestens die Hälfte der Lehrzeit in dem Lehrberuf zurückgelegt und keine Möglichkeit mehr haben, die restliche Lehrzeit zu absolvieren.

(vgl. RIS 2019, o. S.) In verwandten Lehrberufen kann man Zusatzprüfungen ablegen, um den Lehrabschluss im verwandten Lehrberuf zu erhalten (vgl. ebd.).

Daneben sind für Lehrlinge mehrere Förderungen implementiert worden (Anmerkung:

für SchülerInnen bzw. Studierende gibt es auch eine Vielzahl an Förderungen. An dieser Stelle wird auf die ungerechte Finanzierungsstruktur zwischen Studierenden, für die die Studienzeiten zumindest an öffentlichen Universitäten im Großen und Ganzen kostenlos zur Verfügung gestellt werden, und angehenden Meistern31, welche diese Ausbildung selbst abzüglich einer nur teilweisen finanziellen Förderung zu bezahlen haben, aufmerksam gemacht). Beim Vorbereitungskurs für die Lehrabschlussprüfung bspw. übernimmt der Bund bis zu 100 Prozent der Kurskosten. Die Prüfungsgebühr bei der Lehrabschlussprüfung beim erstmaligen Antritt, derzeit in Höhe von 106,- Euro, hat der Lehrbetrieb zu bezahlen, allfällige weitere Antritte sind kostenlos. Zur Lehrabschluss-prüfung kann beliebig oft angetreten werden. Seit 2015 gibt es die Begabtenförderung, wobei das erklärte Ziel ist, durch diese Prämie einen „Beitrag zur Anhebung des allgemeinen Ausbildungsniveaus bei Lehrlingen sowie zur Verbesserung des Ansehens von Lehrberufen“ (tirol.gv.at 2019, o.S.) zu gewährleisten. Bei Erfüllung der Leistungskriterien kann die Basisförderung von € 100,- sowie bis zu drei Zusatz-förderungen in Höhe von 50,- bis 100,- Euro beantragt werden. Diese Prämien werden mehrmals im Jahr von der zuständigen Person im Landesrat im Zuge von Übergabe-feiern übergeben. (vgl. ebd.) Ebenfalls bietet die Arbeiterkammer Tirol etwa eine Bildungsbeihilfe für Lehrlinge jährlich zwischen 300,- und 690,- Euro an. (vgl. AK 2019, o. S.)

31 Im Regierungsprogramm 2020-2024 finden sich geplante Maßnahmen darüber, wie man den Meistertitel aufzuwerten und bestehende objektive bzw. subjektiv empfundene Geringwertigkeiten gegenüber dem universitären Bildungsweg auszugleichen versucht. Zwei geplante Maßnahmen werden an dieser Stelle angeführt: „Erlass der Meisterprüfungsgebühren prüfen“ und „eintragungsfähigen Titel für offizielle Dokumente schaffen“. (vgl. Die neue Volkspartei & Die Grünen 2020, 302) So sollen die Titel

„Meister“ und „Meisterin“ bzw. in der Abkürzung „Msr.“ künftig dem Namen vorangestellt werden können. (vgl. Scheichelbauer-Schuster 2020, 16)

Weiters wird insbes. seit den letzten zwei Jahren intensiv darüber debattiert, ob (die mit Stand November rund 800) Lehrlinge trotz negativen Asylbescheides die Lehre innerhalb der vorgesehenen Lehrzeit beenden dürfen. VertreterInnen der Wirtschaft und die betroffenen Lehrbetriebe befürworten dies, die zuständigen PolitikerInnen treten diesem Vorhaben eher mit Vorbehalt gegenüber auf. Im März 2019 entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass auch die Lehrlingsausbildung in einem Mangelberuf32 den positiven Asylbescheid nicht ersetzt (vgl. derstandard.at 2019, o.

S.) Gegenwärtig erlaubt es die aktuelle Rechtslage basierend auf einem Erlass aus dem Jahr 2018 nicht, Asylwerbenden ohne positiven Bescheid eine Lehre zu beginnen. Wie Anfang November 2019 bekanntgegeben wurde, soll ein Vorschlag zum Abschiebestopp ausgearbeitet und im Parlament eingebracht werden, da die Mehrheit der Parteien sich lt. Innenminister Wolfgang Peschorn nun dafür ausspricht. (vgl. orf.at 2019, o. S.) Die Diskussion erstreckt sich im Allgemeinen über Lehrlinge hinaus, bspw.

ob Regelungen für Fachkräfte aus Drittstaaten gelockert werden sollen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Weitere Maßnahmen wie die überregionale Jobvermittlung, zB dass im Tourismus wegen des Fachkräftemangels Arbeitssuchende von Ost- nach Westösterreich umziehen müssen, werden derzeit außerdem politisch angedacht, denn „[n]icht an Übernachtungsgästen mangelt es dem Tourismus, sondern an jenen, die kochen, servieren und die Zimmer machen“. (Tiroler Tageszeitung 2020a, 19)

Nicht näher ausgeführt, aber erwähnt werden an dieser Stelle die seit vielen Jahren stattfindenden Lehrlingswettbewerbe auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene, welche als zentrale Meilensteine in der Qualitätsmessung gelten. Dabei können Lehrlinge während der Lehrzeit Ihre Fähigkeiten im Rahmen von Wettbewerbs-aufgaben mit anderen Lehrlingen, die denselben Lehrberuf in Österreich erlernen, messen. (vgl. wko.at 2019g, o. S.)

32 Die Mangelberufsliste umfasst 45 Berufe im Jahr 2019, darunter befinden sich die Berufsbilder der Kellner/innen, Gaststättenköch(e)innen, Zimmerer/innen, Elektrotechniker/innen, Fräser/innen , Schwarzdecker/innen sowie der diplomierten Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, um nur einige aufzuzählen. (vgl. wko.at 2019f, S. 1) Derzeit befindet sich die Mangelberufsliste für 2020 mit insgesamt 54 Berufen in Begutachtung (vgl. orf.at 2019a, o. S.) Im Jahr 2018 wurden 27, im Jahr 2017 lediglich 11 Berufe darauf verzeichnet. Wenn die Stellenandrangsziffer 1,5 nicht übersteigt (d. i. dann der Fall, wenn auf eine ausgeschriebene Stelle lt. AMS höchstens 1,5 Arbeitssuchende kommen) handelt es sich um einen Mangelberuf. (vgl. jobberie.at 2019, o. S.)

Grundsätzlich ist es weiters möglich, dass Lehrlinge ab dem 3. Lehrjahr über das Erasmus+-Programm, das von der EU mitfinanziert wird, ein unbezahltes Auslands-praktikum zur beruflichen Bildung von mindestens zwei Wochen bis maximal zwölf Monate in Anspruch nehmen. Der Ersatz der Lehrlingsentschädigung kann beantragt werden und es ist ein Selbstbehalt von 200,- bis 650,- Euro zu bezahlen. Die Plätze sind jedoch begrenzt und die bürokratischen Erfordernisse relativ aufwändig. (vgl.

Erasmusplus, ifa und xchange 2019, o. S.)