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Instrumente der Pflegefinanzierung

8.1 (1) Grundsätzlich wurde die Pflege über fünf zentrale Instrumente finanziert:

• Der Bund gewährte den Pflegebedürftigen über die Pensionsversicherung Pflege­

geld zur Finanzierung informeller oder formeller Pflegedienstleistungen.

• Im Falle der 24–Stunden–Betreuung erhielten die Pflegebedürftigen bei Erfüllung der Voraussetzungen Förderungen vom Sozialministeriumservice, finanziert im Verhältnis 60 zu 40 zwischen Bund und Ländern.

• Bei mobilen Diensten gewährten die Länder Förderungen.

• Im Fall der stationären Betreuung übernahmen die Länder (mitfinanziert von den Gemeinden) als Träger der Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung jene Beträge, die von den Betroffenen nicht selbst finanziert werden konnten.

• Der Bund stellte den Ländern im Wege des allgemeinen Finanzausgleichs und zusätz­

lich aus dem Pflegefonds sowie seit 2018 als Ersatz des Pflegeregresses finanzielle Mittel zur Verfügung, um deren Leistungen mitzufinanzieren (TZ 12).

(2) In einigen Ländern galten diverse Besonderheiten: Zum Beispiel unterstützten Niederösterreich, das Burgenland und ab 2019 auch Vorarlberg die 24–Stunden–

Betreuung mit zusätzlichen Förderungen. In der Steiermark konnte neben den Förderungen für mobile Dienste zur Abdeckung eines allfälligen weiteren Finanzie­

rungsbedarfs für mobile Dienste auch Sozialhilfe bezogen werden. In Tirol finanzier­

ten die Gemeinden die Errichtung von Pflegeheimen direkt. Im Übrigen wurden die Errichtungskosten meist über die Tarife durch die Betroffenen oder die Sozialhilfe finanziert; weiters flossen z.B. Wohnbaudarlehen oder Bedarfszuweisungs mittel für die Errichtung von Heimen. Im Hintergrund erfolgten noch Zahlungsströme von geringerer Bedeutung für die Pflegebedürftigen: etwa der Ersatz der Vorsteuer oder die Mitfinanzierung von medizinischer Hauskrankenpflege durch die Krankenversi­

cherungsträger oder die Gesundheitsfonds der Länder.

(3) Zu diesem System der Finanzierung war anzumerken:

a) Die Gesamtkosten und deren Entwicklung waren in keiner einheitlichen Übersicht erfasst und in keinem einheitlichen Prozess steuerbar. Es trafen die Einzelfallentschei­

dungen der Pensionsversicherungsträger, die Valorisierungsentscheidungen des Bundesgesetzgebers, Förderentscheidungen des Sozialministeriumservice und der Länder sowie die Investitions– und Tarifentscheidungen der Länder und Gemeinden zusammen.

Investitionen waren uneinheitlich erfasst. Obwohl die Entwicklung der Heimplätze ein wesentlicher Faktor für die Versorgung und die Kosten war, fand keine einheit liche Messung von Abschreibungen und Reinvestitionen statt. Teilweise wurden Investitio­

nen direkt von Gebietskörperschaften übernommen, teilweise gefördert und teilweise

in durch Sozialhilfe, Pflegegeld und Eigenbeiträge finanzierten Tarifen über Tagsätze abgedeckt.

b) Die Finanzierung war unterschiedlich, je nachdem ob sie durch Pflegeeinrichtun­

gen oder im Rahmen der Gesundheitsversorgung erfolgte. So konnte z.B. die Anstel­

lung von medizinischem Personal in bestimmten Wiener Pflegeeinrichtungen zwar Spitalsaufenthalte und Transporte vermeiden, dafür fielen zusätzliche Kosten in den Pflegeheimen an. Umgekehrt verursachten Rehabilitationsmaßnahmen Kosten im Gesundheitssystem, allenfalls konnten diese aber weitere Kosten der Pflegebedürf­

tigkeit vermeiden. Eine frühere Entlassung aus Spitälern in Pflegeheime entlastete die Spitäler, belastete jedoch wiederum die Heime. Eine gemeinsame Betrachtung fehlte trotz der vielfältigen Wechselwirkungen. Im Gegensatz dazu bestand z.B. in Deutschland für Personen in Pflegeheimen grundsätzlich eine Finanzierung von Krankenbehandlung und Pflege aus einer einzigen Quelle (Pflegeversicherung).

c) Die Verantwortung für die Finanzierung war unklar aufgeteilt: Der Bund trug aufgrund der Einnahme der Steuern und Abgaben eine Gesamtverantwortung zur Finanzierung (Finanzausgleich, Pflegegeld, Dotierung Pflegefonds), die Länder jedoch die Verantwortung für die wesentlichen Kostentreiber (Anzahl der Pflegeplätze, Tarife) und sie entschieden, in welchem Ausmaß die allgemeinen Mittel des Finanz­

ausgleichs für die Pflege zu verwenden waren. Da die Geldleistungen bzw. Förderungen nicht automatisch valorisiert wurden,22 war die Dotierung des Pflegefonds laufend Gegenstand von Verhandlungen. Die länderweise Zuordnung der Mittel erfolgte dabei nach vier verschiedenen Kriterien, nämlich teilweise nach Pflegebedarf (Pflege­

geld), teilweise nach einem Bevölkerungsschlüssel (Pflegefonds), teilweise nach den Kosten der Betreuung (Ersatz der Kosten infolge des Pflegeregressentfalls) und teil­

weise nach den Kriterien des allgemeinen Finanzausgleichs. Die Gemeinden trugen zwar insbesondere über die Sozialhilfeumlage zur Finanzierung bei (35 % in Tirol, je 40 % in Oberösterreich, Vorarlberg und in der Steiermark, je 50 % im Burgenland, in Kärnten, Niederösterreich und Salzburg), waren aber nur teilweise in die Planung und Steuerung eingebunden.

22 Im Juli 2019 beschloss das Parlament eine automatische Valorisierung des Pflegegeldes ab 2020.

d) Die Einbindung der Pflegebedürftigen in die Finanzierung folgte keinen klaren Steuerungsgesichtspunkten:

– Das gewährte Pflegegeld war nicht an einen Verwendungsnachweis geknüpft oder an der konkreten in Anspruch genommenen Leistung ausgerichtet. Von den rd. 2,6 Mrd. EUR Pflegegeld im Jahr 2016 flossen rd. 0,5 Mrd. EUR im Wege einer Legalzession für stationäre Unterbringung an die Länder. Selbst bei Hinzurech­

nung der Eigenbeiträge für mobile Dienste, 24–Stunden–Betreuung etc. lagen über die Verwendung (z.B. zur allgemeinen Lebensführung der Betroffenen, für konkrete Pflegebedarfe wie Hilfsmittel oder zur Abgeltung informeller Pflege durch Angehörige) eines erheblichen Teils des Pflegegeldes keine Informationen vor.

– Auch die einbehaltenen Eigenbeiträge der Pflegebedürftigen waren nicht nach Steuerungsgesichtspunkten ausgerichtet. Da bei stationärer Unterbringung in der Regel das gesamte Einkommen herangezogen wurde, bei mobilen Diensten ein Eigenbeitrag je Stunde kalkuliert war und bei der 24–Stunden–Betreuung die Höhe der Eigenmittel letztlich durch freie Vereinbarung zwischen Betreuungs­

personen, Agenturen und betreuten Personen festzulegen war, ergab sich erst im Einzelfall, welche finanziellen Folgen die Entscheidung zwischen bestimmten Leistungen hatte. Für die 24–Stunden–Betreuung und die mobilen Dienste war ohne entsprechende Eigenmittel teilweise die Inanspruchnahme wirtschaftlich unmöglich, bei Unterbringung in einem Pflegeheim konnten die Träger der Sozi­

alhilfe bzw. Mindestsicherung Fehlbeträge ausgleichen. Durch das Abstellen auf das Einkommen zur Zeit der Pflegebedürftigkeit bestanden keine Anreize für eine individuelle finanzielle Vorsorge.

(4) Im Regierungsprogramm 2017 bis 2022 war die Ausarbeitung eines Konzepts zur langfristigen Finanzierung der Pflege unter Einbindung der betroffenen Institutionen und Gebietskörperschaften vorgesehen. Das Regierungsprogramm 2020 bis 2024 nannte im Hinblick auf die Sicherstellung der Pflegefinanzierung Maßnahmen wie Pflegeversicherung, Einrichtung einer Taskforce oder die Weiterentwicklung des Pflegegeldsystems.

8.2 Der RH hatte wiederholt eine nachhaltige Finanzierung der Pflege und eine Gesamtstrategie für alle Angebote empfohlen. Er befürwortete daher die im Regie­

rungsprogramm 2017 bis 2022 vorgesehene Ausarbeitung eines Konzepts zur lang­

fristigen Finanzierung der Pflege und verwies auf die im Regierungsprogramm 2020 bis 2024 angekündigten Finanzierungsänderungen. Der RH wies dazu auf vier grund­

sätzliche Schwächen des bestehenden Finanzierungssystems hin; es fehlten

• Informationen (z.B. hinsichtlich der Investitionen) und klare Prozesse für eine über­

geordnete Steuerung,

• eine klare Zuordnung der Verantwortung über die Gesamtkosten der Pflege und der damit verbundenen Mittelherkunft und Mittelverwendung,

• eine gemeinsame Betrachtung von Gesundheits– und Pflegesystem und

• klare Steuerungsgesichtspunkte für die Einbindung der Pflegebedürftigen in die Finanzierung (allfällige Zweckwidmung mit Verwendungsnachweis des Pflegegeldes, unterschiedliche Eigenbeiträge innerhalb und außerhalb der stationären Pflege, allfällige Anreize für eine individuelle finanzielle Vorsorge).

Der RH empfahl dem Sozialministerium und den Ländern, ein nachhaltiges Finanzie­

rungssystem zu entwickeln und dabei insbesondere die Anforderungen

• einer koordinierten Gesamtsteuerung und einer klaren Zuordnung der Verantwor­

tung über die Gesamtkosten der Pflege und der damit verbundenen Mittelherkunft und Mittelverwendung sowie

• einer Schnittstelle zwischen Gesundheit und Pflege

unter Einbeziehung der Pflegebedürftigen (Pflegegeld, Eigenbeiträge) zu berück­

sichtigen.

8.3 (1) Das Sozialministerium wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sich aus den

§§ 1 und 20 Bundespflegegeldgesetz und der Judikatur des Obersten Gerichtshofes eine Zweckwidmung des Pflegegeldes ergebe. Demnach habe das Pflegegeld den Zweck, in Form eines Beitrags pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten. Bei Nichterreichen des definierten Zwecks sei eine Umwandlung in eine Sachleistung vorgesehen. Werde die Annahme dieser Sachleistung ohne triftigen Grund verweigert, ruhe der Pflegegeldanspruch.

Nach Ansicht des Sozialministeriums sei aufgrund der demografischen Entwicklung und der längeren Lebenserwartung mit einer Zunahme von pflegebedürftigen Menschen und einer Kostensteigerung zu rechnen. Dies sei auch davon abhängig, wie z.B. präventive Maßnahmen greifen würden oder der technische Fortschritt in die Betreuung integriert werden könne.

Bezogen auf die Entwicklung eines nachhaltigen Finanzierungssystems wies das Sozialministerium darauf hin, dass eine bereits im Jahr 2011 eingerichtete Reform­

arbeitsgruppe „Pflege“ zum Ergebnis gekommen sei, die Pflege und Betreuung aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren und auch für die Zeit vor der Pflegebedürftig­

keit eine nachhaltige Steuer– statt Beitragsfinanzierung zu überlegen. Darüber hinaus habe das Sozialministerium im Jahr 2019 eine Studie zur Pflegefinanzierung in Österreich im internationalen Vergleich an das Institut für Höhere Studien vergeben.

Wie mit den voraussichtlich Ende 2019 vorliegenden Ergebnissen der Studie umzu­

gehen sei, werde Teil einer politischen Diskussion sein. Darüber hinaus solle die Bedeutung der Prävention systematisch betrachtet werden. Diese Schritte würden der Vorbereitung dienen, damit eine zukünftige Regierung fundiert entscheiden könne.

(2) Das Land Kärnten stimmte in seiner Stellungnahme der Empfehlung grundsätz­

lich zu.

(3) Das Land Niederösterreich verwies auf seine Stellungnahme zu TZ 9.

(4) Das Land Salzburg merkte in seiner Stellungnahme an, dass die aktuelle Rechts­

lage der Empfehlung des RH widerspreche, ein nachhaltiges Finanzierungssystem mit einer koordinierten Gesamtsteuerung und einer klaren Zuordnung der Verant­

wortung über die Gesamtkosten der Pflege und der damit verbundenen Mittel­

herkunft und Mittelverwendung zu entwickeln.

(5) Das Land Tirol betonte in seiner Stellungnahme, dass die Berücksichtigung von Abschreibungen in den Heimtarifen wegen seines dualen Finanzierungssystems für die Errichtung und den Betrieb von Pflegeheimen nicht zulässig sei.

(6) Die Stadt Wien sagte in ihrer Stellungnahme zu, sich in entsprechende Vorhaben einzubringen und dafür ihre Mitarbeit und Expertise anzubieten. Sie fordere seit Jahren ein nachhaltiges Konzept zur Finanzierung der Langzeitpflege. Ihre Aufforderung an den Bund, die Befristung des Finanzierungsmodells des Pflegefonds aufzuheben, sei in mehreren Beschlüssen der Landessozialreferentenkonferenz dokumentiert.

8.4 Der RH stimmte dem Land Salzburg zu, dass eine Neuordnung der Finanzierung auch Änderungen in den Rechtsgrundlagen erfordert.