9 Nutzungsszenarien in der Wikipedia
9.6 Informationsqualität in der Wikipedia
Beim selektiven Vorgehen der Nutzer spielt auch die Qualität der angebotenen Inhalt-‐‑
selemente eine Rolle [Wang und Soergel, 1998]. Es ist damit vorstellbar, dass selbst, wenn ein Fließtext präferiert würde, z.B. eine Tabelle lieber betrachtet wird, sollte die Qualität des Fließtextes mangelhaft sein. Die Qualität der Inhalte in der Wikipedia wird deshalb hier besprochen.
Auch in der Wikipedia befinden sich nicht korrekte Angaben, sogar bewusste Falsch-‐‑
meldungen. Durch die transparente Bearbeitung allerdings lässt sich das teilweise kon-‐‑
trollieren, denn Veränderungen sind immer kenntlich gemacht und müssen auch in der Regel durch Administratoren freigegeben werden. Das schützt allerdings nicht vor unwissentlich platzierten fehlerhaften Informationen.
Grundsätzlich sind Bedenken zur Qualität nicht von der Hand zu weisen, denn es ist fraglich, wie eine Qualitätskontrolle stattfinden kann, wenn jeder alles verändern kann (mit Einschränkungen, Artikel können gesperrt werden wenn z.B. ein sog. edit-‐‑war20
20Edit-war bedeutet, dass Autoren gegenseitig die Änderungen des jeweils anderen sofort wieder rück-gängig machen oder überschreiben, meistens motiviert durch Fehlen eines Konsens über bestimmte Streitpunkte.
droht oder aber sie werden nicht weiter für die Allgemeinheit zur Bearbeitung freige-‐‑
geben da sie bereits eine sehr hohe Qualitätsstufe erreicht haben).
Es gab bereits auch Fälle, bei denen Politiker oder große Konzerne bewusst Artikel zu ihrem Vorteil oder jemand anderes Nachteil verändert haben [Grzanna et al., 2011].
Durch die Funktionsweise der Wikipedia (siehe Kapitel 9.3) werden solche Vorkomm-‐‑
nisse allerdings von der Gemeinschaft in der Regel zeitnah aufgedeckt. Generell stehen in der Wikipedia die Information und ihre Qualität immer im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Autoren. Das ist zunächst bewusst gewollt, um dadurch – theore-‐‑
tisch – eine Optimierung zu erreichen. Die Idee dahinter ist, dass sich aus den vielen Meinungen und Beiträgen der mittlerweile sehr großen Menge der Wikipedianer die jeweils besten Beiträge durchsetzen.
In der Theorie bedeutet das, dass festgelegt ist, was „richtig“ oder „das Beste“ ist und das System der kollaborativen Arbeitsweise sorgt dafür, dass die entsprechenden In-‐‑
formationen bestehen bleiben.
Tatsächlich aber ist diese Frage komplexer, da es für vieles bewusst keine konkreten Regeln gibt, da die Wikipedia so frei wie möglich, sprich mit einem Minimum an Re-‐‑
geln auskommen möchte. Für manche Punkte werden Richtlinien auf der Seite aufge-‐‑
führt, die wiederum im Konsens und der Eigenregie der Usergemeinschaft entstanden sind. Bei anderen Punkten allerdings fehlt dagegen ein Konsens, der als Regel, Vorgabe oder Maßstab für die Optimierung der Beiträge herangezogen werden könnte.
Die Auffassung von hoher Qualität ist bei den Autoren in der Wikipedia bisweilen unterschiedlich. Dabei erstrecken sich Streitfragen nicht nur auf die faktische Richtig-‐‑
keit von Informationen, sondern es geht auch um ästhetische, ethische, wissenschaftli-‐‑
che, weltanschauliche und grundsätzliche Dinge. Auch wenn die Regel des „Neutralen Standpunktes“21 gilt, so gibt es hier bisweilen keinen Konsens. Das liegt in erster Linie an der Heterogenität der Autoren und den damit zahllosen Standpunkten, Ge-‐‑
schmacksfragen, Bildungsständen und ähnlichem. So sind auch die Ziele und Interes-‐‑
sen der zahlreichen Autoren und Leser der WP oft nicht die gleichen. Wie [Wang und Soergel, 1998] beschreiben, spielen auch bei der Auswahl bzw. bei der Entscheidung
21 Ein proprietäres Konzept der Wikipedia zur Vermeidung von Grundsatzdiskussionen und Wertungen in den Artikeln, siehe dazu: Wikipedia: Neutraler Standpunkt:
[http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Neutraler_Standpunkt] (Abgerufen 5.Juni 2014).
des Nutzers für oder gegen einen Inhalt diese Kriterien eine Rolle. Somit kann ein In-‐‑
halt auch aus z.B. ethischen Gründen abgelehnt werden.
Generell ist die Qualität der Wikipedia Artikel vergleichbar mit denen einer redaktio-‐‑
nell erstellten Enzyklopädie, wie eine Studie der Nature [Giles, 2005] zeigt. Hier wur-‐‑
den 50 Artikel einer Zufallsstichprobe zweier Enzyklopädien aus einem breiten natur-‐‑
wissenschaftlichen Themenfeld (englischsprachige Wikipedia und Enzyklopedia Britan-‐‑
nica) ausgewertet [Giles, 2005]. Die Artikel wurden von Fachexperten bewertet, die jeweils nicht wussten, aus welchem Werk der jeweilige Artikel stammte. Es zeigte sich, dass die Qualität zwar in einigen Artikel stärker schwankte, generell aber nicht sehr unterschiedlich war.
Einen guten Ein-‐‑ und Überblick über die Qualitätsforschung an der Wikipedia gibt Hammwöhner [Hammwöhner, 2007]. Er zeigt anhand verschiedener Beispiele [Giles, 2005; Stvilia et al., 2005a; Wiegand, 2007, Stvilia et al., 2005b], wo methodische Schwie-‐‑
rigkeiten bei der Qualitätsmessung an der Wikipedia auftreten. Diese Schwierigkeiten reichen von der Auswahl der Qualitätskriterien bis hin zur Auswahl des zu bewerten-‐‑
den Umfangs. So beziehen sich die einen Studien nur auf die inhaltliche Qualität eini-‐‑
ger Artikel, während andere auch die Softwareumgebung und die Struktur der Enzyk-‐‑
lopädie berücksichtigen. Da die Qualität nach [Wang und Soergel, 1998] ein Kriterium ist, das bei der Evaluation der Inhalte durch den Nutzer eine Rolle spielt, ist die Quali-‐‑
tätssicherung ein wichtiger Aspekt.
[Hammwöhner, 2007] testete die Qualität der Inhalte der deutschen Wikipedia im Ver-‐‑
gleich mit der einer Printausgabe der Brockhaus Enzyklopädie. Dabei wurden anhand einer Stichprobe die verschiedenen Artikel auf Umfang, Vollständigkeit, Quantität und Qualität der Quellenangaben sowie formale Korrektheit untersucht. Das Ergebnis fiel je nach Kategorie zwar unterschiedlich aus, in Summe aber waren die Artikel in beiden Enzyklopädien von ähnlicher Qualität. Im Vergleich zu einer früheren Studie von Schlieker im Jahr 2005 [Schlieker, 2005] war aber vor allem ein Fortschritt seitens der Wikipedia bemerkenswert.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Inhalte der Wikipedia in Fragen der Qualität, der Inhaltstiefe, der Struktur und dem (möglichen) Umfang der Artikel theo-‐‑
retisch geeignet sind, um auch Gegenstand explorativen Stöberns [Adafre und Rijke, 2006] und/oder einer Freizeitsuche zu sein.