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Der primäre Fokus des Beitrages liegt auf der Relevanz von sozialen Beziehungen der Mutter für die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen für ihr Kind (bis zum Alter von 18 Monaten). Darüber hinaus sollen aber andere zentrale persönliche und materielle Faktoren, die das Engagement der Mutter beeinflussen könnten, nicht gänzlich vernachlässigt werden.52 Zu den Faktoren, die neben sozialen Beziehungen einbezogen werden, gehören (a) die sub-jektive Zufriedenheit mit der Mutterrolle und das Zurechtkommen mit den Anforderungen der Mutterrolle und (b) die zeitlichen Ressourcen, die einer Mutter zur Verfügung stehen. Indirekt soll auch über das Schulbildungsniveau der Mutter (c) deren gesundheitsbezogenes Wissen berücksichtigt werden. Diese genannten – im Sinne von Sozialkapital des Kindes zu interpre-tierenden – Ressourcen begünstigen neben materiellen Ressourcen das Ausüben gesundheits-förderlichen Verhaltens (Jungbauer-Gans 2002: 37 – 39). Materielle Faktoren, wie die finan-zielle Ressourcenausstattung, dürften für das Präventivhandeln jedoch von nebengeordneter bzw. indirekter Bedeutung sein, da die gesetzlich verankerten Vorsorgeuntersuchungen bei altersgemäßer Teilnahme kostenlos angeboten werden.

Eine Schlüsselfunktion für den Vorsorgebesuch besitzen demgegenüber allgemeines Wis-sen zur Förderung der Gesundheit sowie spezifisches WisWis-sen zu Vorsorgeuntersuchungen und ihre Relevanz für die frühzeitige Identifizierung entwicklungsbezogener Auffälligkeiten (kognitiv, wie motorisch und mental) und Krankheiten bei Kindern (Thaiss et al. 2010). Da-neben spielen allgemeine Erziehungskompetenzen sowie Kompetenzen im Umgang Alltags-tressoren, welche die Betreuung, Erziehung, Fürsorge und Pflege neugeborener Familienmit-glieder mit sich bringt. Persönliche für das Vorsorgehandeln relevante Ressourcen beziehen sich demnach vor allem auf gesundheitskulturelles Kapital sowie auf persönliche Kompeten-zen für die Bewältigung der Anforderungen an die Elternrolle. Aufgrund der Korrelatin mit Bildung sollte zudem die Klassenposition mit dem Vorsorgebesuch zusammenhängen.

Darüber hinaus kann mithilfe der Familienökonomie (Becker 1981) argumentiert werden, dass in Gesundheitsfragen, das heißt, in Fragen zu Erhalt, Förderung und Vorsorge, Zeit eine wichtige persönliche Handlungsressource oder Restriktion darstellt (Becker und Kurz 2011:

283). Nachfolgend soll das Augenmerk nun auf die Wirksamkeit sozial unterstützender Be-ziehungen im Familien- und Verwandtschaftskreis gelenkt werden. Hierfür gilt es

52 Eine Einengung auf soziale Beziehungen und Ressourcen allein der Mutter (und nicht beider Elternteile), erfolgt aufgrund der Datenlage (vgl. Abschnitt 5). Dies stellt jedoch keine gravierende Einschränkung dar, da gerade in der frühen Lebensphase des Kindes in aller Regel die Mutter die zentrale Bezugsperson des Kindes ist.

Gesundheitliche Ungleichheit im Vorsorgestatus Neugeborener 94 retisch differenziert aufzuzeigen, wie von Müttern besessenes Beziehungskapital die Bewäl-tigung gesundheitsbezogener Erziehungsanforderungen (Vorsorgehandeln) beeinflusst.

Die zentrale Grundannahme lautet, dass die Integration in soziale Beziehungen für die Auf-rechterhaltung und Förderung von Gesundheit der nachwachsenden Generation von Bedeu-tung ist. Verschiedene Studien zeigen, dass es einen robusten Zusammenhang zwischen Sozi-alkapital und gesundheitsförderlichem Verhalten und guter Gesundheit gibt (Drukker et al.

2005; Kawachi et al. 1999; Lindstrom 2005; Lundborg 2005; Mohensi und Lindstrom 2007).

6.4.1 Sozialkapital der Mutter

Als klassischer Bezugspunkt medizinsoziologischen Wissens machte bereits Durkheim (1970) auf den positiven Einfluss sozialer Integration auf die Gesundheit aufmerksam (House et al.

1988: 296; Siegrist 1995: 14). Praktisch bedeutet die soziale Integration der Mutter, dass diese durch die Einbindung in soziale Beziehungen soziale Unterstützung erfährt. Gleichzeitig be-wirkt die Einbindung in soziale Beziehungen auch soziale Kontrolle, wodurch normengerech-tes Handeln, z.B. in Form der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen gefördert werden sollte.

Soziale Integration erscheint besonders in Situationen außergewöhnlicher Belastungen be-deutsam. Die Geburt eines Kindes stellt ein kritisches Lebensereignis dar, das häufig zu ei-nem Gefühl der Überforderung der Mutter führt, unabhängig davon, ob der Umgang mit dem Kind genossen wird. Die Belastungen resultieren auch daraus, dass die tatsächlichen Anforde-rungen des Mutter- und Vaterdaseins häufig zunächst unterschätzt werden (Bründel und Hur-relmann 1996: 25). Alleinerziehende, die sich in keiner Partnerschaft befinden, sind dabei aufgrund ihrer alleinigen oder hauptsächlichen Zuständigkeit für Kind und Haushalt (und eventuell für das Einkommen) in einer besonders schwierigen Situation. Denn diese Aufgaben erfordern Zeit und Kraft, die in Einelternfamilien besonders knappe Güter sind (Helfferich et al. 2003). Gesundheitsförderndes Handeln könnte daher für Alleinerziehende schwerer als für andere Mütter zu realisieren sein. Die erste Hypothese lautet damit:

H1: Wachsen Kinder mit nur einem Elternteil, dann nehmen sie im Vergleich zu Kindern, die mit beiden Elternteilen aufwachsen, seltener an Vorsorgeuntersuchungen teil.

Bei Bestehen einer Partnerschaft kann die Unterstützung durch den Partner unterschiedlich stark ausfallen. Dabei kann zwischen emotionaler und instrumenteller Unterstützung durch den Partner unterschieden werden, wobei wir keine begründeten Vermutungen darüber haben, welcher Unterstützungsaspekt relevanter ist. Es lässt sich eine weitere Hypothese formulieren:

H2: Je mehr sich Mütter von ihrem Partner (a) emotional und (b) instrumentell unterstützt fühlen, desto eher findet eine Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen statt.

Zwar ist zu vermuten, dass Alleinerziehende im Allgemeinen weniger soziale Unterstützung erfahren, da sie im Alltag keine oder nur geringfügige Unterstützung durch einen Partner ha-ben, allerdings ist denkbar, dass diese fehlende Unterstützung durch andere soziale Beziehun-gen im Freundes- oder Verwandtschaftskreis kompensiert wird. Aufgrund der Datenlage wird sich aber nur auf Personen aus dem Verwandtschaftskreis und auch nur auf die instrumentelle

Unterstützung konzentriert. Zumindest die Einschränkung auf Verwandte erscheint nicht sehr problematisch, da soziale Unterstützungsleistungen für Familien mit Kindern vor allem durch den engeren Verwandtenkreis geleistet werden. Einen positiven Gesundheitseffekt verwandt-schaftlicher Unterstützung vermuten wir deshalb, weil umfassende Unterstützungsressourcen eine (zeit)entlastende Funktion haben (Bühler 2007: 407). Es ist demnach anzunehmen, dass Mütter durch die zeitweilige Übernahme der Kinderbetreuung durch Dritte persönliche für die physische und mentale Erholung bedeutsame Freiräume gewinnen und sich die so entstehen-den regenerativen Potenziale positiv auf die Aktivitäten, die zum Kindeswohl unternommen werden, auswirken. Darüber hinaus begünstigen Familienmitglieder über soziale Kontrolle gesundheitsförderliches Handeln (House et al. 1988). Zu erwarten ist daher Folgendes:

H3: (a) Je größer die Anzahl Personen im Verwandtschaftskreis ist, die bei der Kinderbetreu-ung unterstützt, und (b) je mehr Stunden pro Woche KinderbetreuKinderbetreu-ung durch Verwandte übernommen wird, desto wahrscheinlicher ist die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchun-gen.

Die Hypothesen sollten sowohl für Alleinerziehende als auch für Mütter in Partnerschaft gel-ten. Allerdings ist zu vermuten, dass der gesundheitsförderliche Aspekt für Alleinerziehende bedeutsamer ist, da sie nicht auf einen (unterstützenden) Partner zurückgreifen können.

6.4.2 Sonstige Ressourcen der Mutter

Auch die eigenen Ressourcen und Kompetenzen der Mutter sollten von zentraler Bedeutung für ihr Gesundheitshandeln in Bezug auf das Kind sein. Hierbei kann als erstes angenommen werden, dass eine Mutter um so eher gesundheitsförderlich für ihr Kind handeln wird, je bes-ser sie mit der Mutterrolle zurechtkommt und je zufriedener sie mit der Mutterrolle ist. Anzu-nehmen ist auch, dass die Enge der Beziehung zwischen Mutter und Kind die gesundheitliche und psychische Entwicklung des Kindes positiv beeinflusst (Petermann et al. 2000: 27). So wird vermutetet, dass eine in der Schwangerschaft gegebene Unerwünschtheit des Kindes zu einer weniger starken Eltern-Kind-Beziehung führt, welche potentiell das familiäre Klima und die Entwicklung des Kindes stören kann (Jungbauer-Gans und Kriwy 2004: 17). Die genann-ten Einflussgrößen können unter dem Begriff „psychosoziales Wohlbefinden in Bezug auf die Mutterrolle“ zusammengefasst werden. Die entsprechende Hypothese lautet:

H4: Je besser das psychosoziale Wohlbefinden der Frau in Bezug auf ihre Mutterrolle ist, desto eher nimmt sie die kindbezogenen Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch.

Darüber wird erwartet, dass die zeitliche Verfügbarkeit der Mutter (und des Vaters) für das Kind eine entscheidende Bedingung für den Zugang zum Humankapital und den gesundheits-bezogenen Aktivitäten der Eltern ist (Coleman 1988). Zeit und Aufmerksamkeit für das ein-zelne Kind sollten mit steigender Geschwisterzahl abnehmen, was in der Folge Auswirkungen auf das Ausmaß der gesundheitsbezogenen Aktivitäten haben könnte. Ebenso ist zu erwarten, dass sich im Mutterschutz oder Elternzeit befindende Mütter über größere zeitliche Spielräu-me verfügen, als erwerbstätige Mütter. Folglich wird eine weitere Hypothese formuliert:

Gesundheitliche Ungleichheit im Vorsorgestatus Neugeborener 96 H5: Je mehr Zeit der Mutter für das einzelne Kind zur Verfügung steht, desto

wahrscheinli-cher ist die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen für Kinder.

Insbesondere für die Hypothesen 2, 3 und 4 ist zu bedenken, dass Endogenitätsprobleme auf-treten können: Das psychosoziale Wohlbefinden der Mutter kann gemindert sein, weil die Gesundheit des Kindes schlecht ist. Und die Unterstützung durch Partner und Verwandte ist vielleicht hoch, weil das Kind erkrankt ist. Gleichzeitig hat die Gesundheit des Kindes ver-mutlich einen direkten Einfluss auf die Teilnahme an den U-Untersuchungen. Um dem Endo-ginitätsproblem zu begegnen, werden in den späteren Regressionsmodellen Indikatoren zur objektiven körperlichen Gesundheit des Kindes (bei der Geburt festgestellte Störungen) und Schwangerschaftskomplikationen (pränatale Muttergesundheit) berücksichtigt.