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Herkunftsbedingte Ungleichheiten im Bildungserfolg

Hinterlässt ein nachteiliger Start ins Leben mittel- und langfristig Spuren beim Kompetenz- und Bildungserwerb? Die Antwort auf diese bildungspolitische Frage lautet wahrscheinlich.

Pessimistisch betrachtet legen Wechselwirkungen zwischen Säuglingsgesundheit und Bildung negative Effekte nahe (Lynch 2011: 523). Obwohl diese Frage in der deutschen Bildungsfor-schung gerade an Bedeutung gewinnt, wurde ihr aus den bereits angesprochenen Datenbe-schränkungen – und womöglich auch aufgrund einer skeptischen Haltung der Soziologie ge-genüber „entwicklungsbiologischen“ Einflüssen – kaum nachgegangen (Jäkel et al. 2013).

Die Ursachen früher gesundheitlicher Ungleichheiten und ihrer Bildungskorrelate liegen des-halb noch im Halbdunkel und stellen wichtige soziologische Leerstellen in der Literatur dar.

In welchen soziologischen Arbeiten und in welchen Kontexten wird auf die Schwangerschaft als Ursprung der sozialen Ungleichheitsgeschichte im Bildungswesen aufmerksam gemacht?

Die fetal-origin-These wurde im deutschen Forschungskontext im Zusammenhang mit den relativ stark ausgeprägten Bildungsnachteilen sozial benachteiligter (Wolke und Meyer 1999) Migrantenkinder (Kristen 2008) ins Feld geführt. Hintergrund hierfür ist, dass es insbesondere für Migrantenkinder bislang nur partiell gelungen ist ihren relativen Bildungsmisserfolg allein über sozioökonomische und sprachkulturelle Bedingungen aufzuklären (Esser 2006), was eine eine Unterspezifizierung der theoretischen Erklärungsmodelle nahelegt und Anlass zur Suche nach weiteren Ursachen gibt, die, wie bereits im Theoriekapitel herausgestellt, bei vorgeburt-lichen Entwicklungs- und nachgeburtvorgeburt-lichen Lebensphasen ansetzt (vgl. Kristen 2008). 13

Ziel ist es nun herauszufinden, ob in untere Sozialschichten und Migrantenfamilien gebore-ne Kinder möglicherweise deshalb in der Schule schlechter abschgebore-neiden, weil ihre Entwick-lungschancen während der Schwangerschaft teilweise unter weniger guten Vorzeichen stan-den und ihre Beteiligung an stan-den U-Untersuchungen zur Früherkennung gesundheitlicher und

13 In Kapitel 2 wurde nicht gesondert auf die Rolle migrationsspezifischer (z.B. sprachkultureller Faktoren mit Blick auf die Verwendung und Beherrschung der Sprache des Ziellandes oder aspirationsbezogener Faktoren) eingegangen (hierzu der ausführliche Überblick bei Diehl et al. 2016). Auf einschlägige Literatur zu spezifisch ethnischen Faktoren, welche für den Erwerb von Gesundheit und Bildung bedeutsam sind, wird in der vorlie-genden Arbeit jedoch an anderer Stelle (im Theorieteil von Kapitel 7) und dies detailliert mit Blick auf die hier im Untersuchungsfokus stehenden zwei Migrantengruppen bezuggenommen.

Soziale Herkunft

Sozialkapital

Präventionsverhalten

Ableitung der Forschungsfragen 52 kognitiver Entwicklungsnachteile im Mittel geringer ausfällt. Im Zentrum der Betrachtung stehen daher soziale und ethnische Ungleichheitserscheinungen in a) der Schulfähigkeit (Er-gebnis der Einschulungsuntersuchung), b) den Grundschulnoten (Deutsch und Mathematik) sowie c) in der Sekundarschulpositionierung (Besuch eines weiterführenden Bildungsgangs).

Abbildung 3.3 veranschaulicht schematisch das Erklärungsmodell, in dem das Elternhaus als vor- wie nachgeburtlicher Risikofaktor für die Gesundheit Neugeborener und deren späte-ren Chancen im Bildungssystem konzeptualisiert wird (für eine diffespäte-renziertere Darstellung siehe Kapitel 7). Die ausgewählten Bildungskriterien decken in ihrer Bandbreite verschiedene Erfolgsaspekte zu verschiedenen Zeitpunkten in der Bildungslaufbahn ab. Dies trägt dem ge-ringen Kenntnisstand Rechnung, wie lang der Arm lebensanfänglicher Gesundheitsdisparitä-ten sowie präventionsbezogener UngleichheiGesundheitsdisparitä-ten tatsächlich reicht. Lassen sich „nur“ mittel-fristige Effekte auf die Akkumulation von Kompetenzen bei Schulanfängern und Schulanfän-gerinnen feststellen? Oder gehen von schwangerschafts- und präventionsbezogenen Faktoren auch langfristige Effekte aus, etwa in Bezug auf Ungleichheiten im Notenerfolg in der Grund-schule oder in der Bildungspositionierung? Für Deutschland ist dies eine offene Frage. Folg-lich ist es sinnvoll den Forschungszugang nicht a priori auf ein Bildungsmaß zu verengen.

Abbildung 3.3: Erklärungsmodell zu herkunftsspezifischem Bildungserfolg

Anmerkung: Eigene Darstellung.

Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen einerseits der Nachwuchs aus sozial weniger begüns-tigen Bevölkerungsschichten und andererseits der Nachwuchs aus Familien mit Migrationsge-schichte. Dabei wird der Migrationshintergrund möglichst differenziert erfasst, wobei zwi-schen zwei Herkunftsgruppen (und der Gruppe der Nicht-Migranten als Referenz) unterschie-den wird: Kindern mit türkischen und ethnisch-deutschen Familienwurzeln. Beide Gruppen stellen in quantitativer Hinsicht einen bedeutsamen Anteil an der Bevölkerung Deutschlands.

Der Fokus auf türkischstämmige Kinder wird zudem darüber motiviert, dass diese im deut-schen Bildungssystem in der Vergangenheit (Alba et al. 1994) wie Gegenwart (Kristen und Dollmann 2009; Dollmann 2010) im Durchschnitt am schlechtesten abschneiden. Gleichzeitig fällt diese Gruppe durch eine relativ hohe Frühgeburtsprävalenz (RKI 2008) und hiermit asso-ziierter Anpassungsprobleme nach der Geburt auf (David und Pachaly 2010). Kinder mit eth-nisch-deutschen Eltern (Spätaussiedlerfamilien) erzielen gegenüber türkischstämmigen Kin-dern relativ gute schulische Ergebnisse (Esser 2006; Fuchs und Sixt 2008; Gresch und Becker

Soziale Herkunft

Geburtsergebnis

Bildungserwerb

2010; Söhn 2008). Darüber hinaus startet diese Gruppe seltener mit gesundheitlichen Nachtei-len ins Leben (Milewski und Peters 2014). Allerdings liegen zu Bildungserfolg und Säug-lingsgesundheit von Spätaussiedlerkindern als Angehörige einer relativ jungen Zuwanderer-gruppe, welche in sozioökonomischer und sprachkultureller Hinsicht eine mittlere Position zwischen der türkischstämmigen Minderheits- und der deutschen Mehrheitsbevölkerung ein-nimmt (Strobel und Kristen 2015; Diehl et al. 2016), nur sehr wenige Forschungsarbeiten vor.

Ihr Einbezug in die Theoriediskussion und in die Analysen dient daher als wichtige Kontrast-folie, um die ermittelten empirischen Befunde mit Blick auf ihre Plausibilität und Relevanz soziologisch besser einordnen zu können.

Datengrundlage und Methodik 54

4 Datengrundlage und Methodik

Um die im zweiten Kapitel skizzierten ressourcen- und lebenslauftheoretischen Überlegungen einer empirischen Bewährungsprobe zu unterziehen, bedarf es mit Blick auf die Erhebungsin-halte und den Stichprobenumfang anspruchsvollen Datenmaterials. Letzterer Aspekt ist insbe-sondere für die Untersuchung sozialgruppenspezifischer Strukturphänomene von Bedeutung.

Für die Beantwortung der Frage, ob Gesundheits- und Bildungschancen bereits vor der Ge-burt geprägt werden, sind differenzierte Informationen zu Schwangerschaft, Investitionsver-halten, Schulerfolg und Familienhintergrund notwendig. Die amtliche Datenlage zur Kindge-sundheit ist recht dürftig (Kamtsiuris et al. 2007a) und hilft in diesem Kontext nicht weiter.

Um dennoch die theoretisch aufgezeigten Ungleichheitsmechanismen einem Test zu unter-ziehen, um in anderen Worten also „hinter die Fassaden gesellschaftlicher [Ungleichheits-]Strukturen“ (Berger 1963: 42) schauen zu können, wird deshalb behelfsweise auf alternative sekundärstatistische Informationsquellen zurückgegriffen. Ein idealerweise den gesamten Lebenslauf abdeckendes, aktuelles und bundesweit repräsentatives Datengroßprojekt ist das Nationale Bildungspanel (The National Educational Panel Study: NEPS, siehe Blossfeld et al.

2011). Allerdings muss die NEPS-Neugeborenenkohorte erst noch „altern“, um empirisch die Bedeutung schwangerschaftsbezogener Bildungsrisiken abschätzen zu können. Zum jetzigen Zeitpunkt geeignete Surveydaten stellen jedoch das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) und der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) bereit. Im nachfolgenden Kapitel wird ein Kurzüberblick über beide Surveys gegeben. Über die Variablenkonstruktion und das me-thodische Vorgehen wird an anderer Stelle, nämlich in den Hauptkapiteln 5, 6 und 7 ausführ-lich Auskunft gegeben.