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Ethnische Disparitäten in den Grundschulnoten und im Sekundarschulbesuch

7.3 Datenbasis, Variablenkonstruktion und methodisches Vorgehen

7.4.3 Ethnische Disparitäten in den Grundschulnoten und im Sekundarschulbesuch

und postnatalen leistungsrelevanten Bedingungen geschuldet sind, wird mit multiplen linearen Regressionen überprüft. Wie zuvor wird hierbei schrittweise vorgegangen. Gemäß der analy-tischen Trennung schwangerschaftsbezogener und vorschulischer Erfolgsrisiken gehen die Ursachenbündel sowohl separat als auch gemeinsam in die Schätzung ein.

Tabelle 7.5 enthält die Schätzer für die Deutschnote, wobei negative Vorzeichen schlechte-re Noten anzeigen. Zwischen den ethnischen Gruppen besteht ein ausgeprägtes Notengefälle (M10). Wie M11 zeigt, ist die Frühgeburt nur tendenziell mit der Deutschnote assoziiert (p < 0,15), Tabakkonsum aber umso eindeutiger: Kinder mit Müttern, die während der Schwangerschaft regelmäßig rauchten, schneiden fast eine halbe Note schlechter ab. Selbst unregelmäßiges Rauchen zieht Nachteile nach sich. Erwartungsgemäß sind eine stete Vorsor-ge von Geburt an und außerhäusliche Betreuung positiv leistungswirksam: Je kontinuierlicher Vorsorge genutzt wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit für bessere Leistungsbewertungen (M11). Auch Kinder, die vor dem dritten Geburtstag außerhäuslich betreut wurden, profitie-ren in Form besserer Deutschnoten. Alkoholkonsum wähprofitie-rend der Schwangerschaft und post-natale Gesundheit sind hingegen notenirrelevant.

Für türkischstämmige Kinder reduziert sich unter Kontrolle der schwangerschafts- bzw.

geburtsbezogenen und vorschulischen Faktoren die Ausgangsdifferenz von b = -0,61 (M10) auf b = -0,51 (M11), für Spätaussiedlerkinder von b = -0,26 auf b = -0,20. Ihr Beitrag zur Aufklärung ethnisch strukturierter Leistungen im Fach Deutsch ist somit gering. Auch ein verzögerter Schuleintritt, mit der Note erwartungsgemäß (Hypothese 5) negativ assoziiert, vermittelt die Erfolgsnachteile von Migrantenkindern nicht (M12).

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Weder schwangerschaftsbezogene Faktoren noch Frühinvestitionen oder Schuleingangsunterschiede können den ethnischen Notengradienten erklären. Leisten stattdessen soziokulturelle Umstände einen Erklärungsbeitrag?

Im Einklang mit Hypothese 3 sind, wie M13 zeigt, niedrigere Noten Ausdruck ungleicher sozioökonomischer Lern-/Förderopportunitäten in der Familie: Für Spätaussiedlerkinder be-stehen nach Kontrolle der sozialen Schichtzugehörigkeit und häuslichem Platzangebot nur geringe Residualeffekte fort. Nicht so für türkische Nachkommen, für die nach wie vor eine signifikante Notendifferenz zu verbuchen ist, und zwar auch nach Aufnahme (M14) sprach-kultureller Gelegenheiten (Familiensprache, Zeitpunkt der Zuwanderung).

Ist ethnische Bildungsdifferenz durch prä- und postnatale Bedingungen verursacht, dann müsste deren gemeinsame regressionsanalytische Berücksichtigung, die in gesonderten Mo-dellen fortbestehenden Nachteile für türkische Nachkommen aufklären. Wie M15 zeigt, ist die Notendifferenz zwischen Deutschen und Türkischstämmigen von 0,19-Punkten nun nicht mehr signifikant. Eine vollständige Mediation wird hierüber aber nicht erreicht. Vermitteln individuelle Eigenschaften die verbleibenden Herkunftseffekte? Wie gut Kinder den Schulall-tag meistern und wie sie sich sozial verhalten, wird in M16 berücksichtigt. Wie in den

Hypo-Lebensanfängliche Gesundheitsungleichheiten und ihre Bildungsfolgen 128 thesen 7 und 8 postuliert, sind beide Maße relevant: Je besser die Bewältigung des Schulall-tags und je unauffälliger (bzw. konformer) das Sozialverhalten, desto höher der Notenertrag.

Die Koeffizienten für die ethnischen Gruppen nähern sich dem Wert Null. Ferner schwächt sich auch der Misserfolg von Kindern, die während der Embryonalphase Rauchschadstoffen ausgesetzt waren (M15 vs. M16), ab, was als Indiz für die intrauterine Kompetenzprägung gewertet werden kann.

Für die Mathematiknote finden sich insgesamt ähnliche Befunde, obgleich die Dauer der Schwangerschaft weniger relevant ist (Tabelle A 7.1, Anhang). Als bedeutsame Prädiktoren erweisen sich prä- und postnatale Investitionen sowie die soziale Herkunft, über die sich eth-nische differente Mathematiknoten vollständig aufklären lassen. Die Vorzeichen drehen sich nun für die Migrantengruppen sogar um.

Abschließend wird sich nun der Frage zugewandt, ob das theoretische Modell auch für die Aufklärung ethnischer Ungleichheit in der Sekundarschulbeteiligung empirisch greift. Me-thodisch wird in analogen Schritten vorgegangen. Statt linearer Regressionen werden entspre-chend des binären Kriteriums logistische Regressionen gerechnet: Vorhergesagt wird der Be-such eines höheren (Mittelschule, Gesamtschule, Gymnasium) vs. niedrigen Schultyps (Haupt-/Förderschule). Tabelle 7.6 enthält die Befunde. Für den Modellvergleich werden durchschnittlich marginale Effekte berichtet. Wie M17 zeigt, ist der Besuch eines höheren Schultypus für türkische Nachkommen im Mittel um 21 Prozentpunkte, für Kinder aus Spät-aussiedlerfamilien 7 Prozentpunkte wahrscheinlicher als für deutsche Kinder. Die Positions-differenzen nehmen, wie in Hypothese 2 (zum Einfluss der Schwangerschaft) und Hypothe-se 4 (zu Investitionen im Vorschulalter) angenommen, nach Berücksichtigung schwanger-schaftsbezogener und vorschulischer Entwicklungsgrößen ab, und zwar um durchschnittlich 3 Prozentpunkte für beide Gruppen (M18). Für türkischstämmige Kinder bestehen aber im Gegensatz zu ethnisch-deutschen Nachkommen bedeutsame Differenzen fort. Dabei sind in M18 bis auf die postnatale Gesundheit und der Alkoholkonsum alle Variablen erwartungsge-mäß mit dem Schulbesuch assoziiert: Frühgeborene (p=0,051) und intrauterin regelmäßig Tabakrauch ausgesetzte Kinder haben im Mittel eine geringere Wahrscheinlichkeit, statt die Haupt-/Förderschule eine höhere Schulform zu besuchen. Jene, die kontinuierlich am Krank-heitsfrüherkennungsprogramm teilnahmen oder vor dem dritten Geburtstag formell betreut wurden, positionieren sich eher in höheren Schulformen. Umgekehrt ist dies, erwartungsge-mäß (Hypothese 5), für vom Schulbesuch zurückgestellte Kinder um 15 Prozentpunkte un-wahrscheinlicher; obgleich hiermit kein Erklärungsbeitrag für die Positionsdifferenzen ver-knüpft ist (M19).

Tabelle 7.5: Lineare Regression der Deutschnote (GrundschülerInnen)

Alter (in Monaten) -0,013*** -0,011*** -0,011*** -0,011*** -0,011*** -0,010*** -0,009***

Schwangerschaftsergebnis

Anmerkungen: Unstandardisierte Koeffizienten; Alle Modelle kontrollieren für Region + Interviewperson.

Signifikanz: ***p < 0.001; ** p < 0.01; * p < 0.05; ~ p < 0.10; Eigene Analysen auf Basis des KiGGS (2003–2006).

Lebensanfängliche Gesundheitsungleichheiten und ihre Bildungsfolgen 130

Tabelle 7.6: Logistische Regression des Schulbesuchs (SekundarschülerInnen, inkl. Gesamtschülerschaft) Haupt-/Förderschulschulbesuch1

Gesundheitsprobleme nach Geburt -0,014 -0,017 -0,004 -0,007

Entwicklungsinvestitionen Tabakkonsum (Ref.: Nein)

Ab und zu 0,120*** 0,118*** 0,066*** 0,056***

Regelmäßig 0,218*** 0,210*** 0,115*** 0,101***

Alkoholkonsum -0,042* -0,039* -0,016 -0,018

Gewichtszunahme < 12 kg 0,026* 0,024~ 0,017 0,018

Präventionsneigung -0,012*** -0,012*** -0,008** -0,007**

Kindergartenbesuch

Wohnraumfläche (pro Person) -0,002** -0,002** -0,002** -0,002**

Ein-Eltern-Familie 0,014 0,015 0,008 0,008

Anmerkungen: 1Abhängige Variable: Haupt-/Förderschulbesuch vs. Realschule/Gymnasium/Gesamtschule; Average Margi-nal Effects (AME); Alle Modelle kontrollieren für Region + Interviewperson.

Signifikanz: ***p < 0.001; ** p < 0.01; * p < 0.05; ~ p < 0.10; Eigene Analysen auf Basis des KiGGS (2003–2006).

Insgesamt bleibt die Mediation bildungspositioneller Disparitäten über prä- und postnatale Einflüsse hinter den Erwartungen zurück. Erst nach Kontrolle sozioökonomischer und demo-graphischer Merkmale lässt sich ein substanzieller Rückgang im Ausmaß ethnischer Schulbe-suchsnachteile feststellen (M20). Für die türkischstämmige Sekundarschülerschaft lässt sich allein über die soziale Herkunft 75 Prozent der positionellen Ausgangsdifferenz (in M17) er-klären. Positionsnachteile der Spätaussiedlerkinder werden vollständig über soziale Pfade vermittelt. Noch verbleibende Residualeffekte verringern sich jedoch für beide Gruppen, wenn Sprachlerngelegenheiten und Zuwanderungszeitpunkt kontrolliert werden (M21). Wer-den entwicklungsbiologische und soziokulturelle Erklärungsstränge zusammengeführt, ergibt sich kein nennenswerter zusätzlicher Erklärungsbeitrag (M22). Erst nach Berücksichtigung der Bewältigung des Schulalltags und des Verhaltens (wobei nur letzteres Merkmal mit dem Schulbesuch assoziiert ist) schwächt sich der positionelle Abstand merklich ab (M23). Wie im Methodenabschnitt dargelegt, wird für die Analysen ergänzend ein alternatives Schulerfolgs-maß verwendet. Dieses unterscheidet zwischen dem Besuch der Haupt-/Förderschule und der Realschule/Gymnasium, d.h. die Gesamtschülerschaft wird von den Analysen ausgeschlossen.

Wie die Regressionskoeffizienten der Vergleichsmodelle (siehe Tabelle A 7.2, Anhang) zei-gen, legen die ähnlichen Befunde keine abweichenden Interpretationen nahe.