3. Merkmale des „Verschwindenlassens“
3.1. Definition des „Verschwindenlassens“
Da sowohl in der UN‐Konvention gegen das Verschwindenlassen, im Rom Statut als auch bspw in Berichten des Roten Kreuzes vom Verschwindenlassen gesprochen wird, ist es wichtig deren Definitionen näher zu betrachten. Dies soll zu einem besseren Verständnis für den eigentlichen Tatbestand des Verschwindenlassens und dessen Elemente führen. Ferner soll explizit aufgezeigt werden, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit die UN‐Konvention von einem Fall des Verschwindenlassens ausgeht.
3.1.1. „Verschwindenlassen“ im Internationalen Strafrecht ‐ Rom Statut
Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshof ist auf die schwersten Verbrechen beschränkt, welche sich auf die Gemeinschaft der Vereinten Nationen auswirken.146 Art 7 Rom Statut zählt die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ auf.
Darunter fällt gem Art 7 Abs 1 lit i Rom Statut auch das „zwangsweise Verschwindenlassen von Personen“. Dies bedeutet gem Art 7 Abs 2 lit i Rom Statut die
„[…]Festnahme, den Entzug der Freiheit oder die Entführung von Personen durch einen Staat oder politische Organisation oder mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates oder der Organisation, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Person zu erteilen, in der Absicht, sie für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes
145Das Römische Statut ist das festgeschriebene Völkerstrafrecht. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist für die Rom Statut Verbrechen wie Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständig. Jedoch nur wenn die Verletzungen des Völkerstrafrechts auf dem Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten verübt wurde. Ansonsten besteht die Möglichkeit, dass andere Staaten die Zuständigkeit des Internationales Strafgerichtshofs ad hoc anerkennen.
146Vgl Art 5 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (1998).
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zu entziehen.“ Jedoch ist im Rom Statut der Art 7 Abs 1 lit i nur strafbar, wenn eine solche Handlung im „[…] Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wird.“. Diese Definition lässt sich auf die Resolution von 1992 bzw der 1992er Deklaration zurückführen.147
Art 7 Abs 1 lit i Rom Statut beinhaltet zwei „Handlungsalternativen“148 des Verschwindenlassens. Einerseits die Handlung des Freiheitsentzugs und andererseits die darauf folgende Weigerung diese Tat anzuerkennen oder über das Schicksal und den Verbleib des Verschwundenen Auskunft zu geben.
Es lässt sich daraus schließen, dass die Freiheitsentziehung an sich noch nicht den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllt. Erst eine Nachfrage von Verwandten/Bekannten, denen keine Auskunft erteilt wird, ist nötig, um den Tatbestand des „Zwangsweise Verschwindenlassen“ vollständig zu erfüllen.149
Die Freiheitsentziehung „[…] muss im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation erfolgen.“150 Dies bedeutet, dass nur Staaten, politische Organisationen oder dritten Personen mit Unterstützung, Ermächtigung oder Duldung von Staaten oder politischer Organisationen Täter sein können. Im Gegensatz zur UN‐
Konvention sieht das Rom Statut auch politische Organisationen als Täter vor und bezieht sich nicht nur auf staatliche Akteure.151 Der Täter der Freiheitsentziehung muss nicht selbst die Auskunft über den Verbleib des Verschwundenen verweigern. Es reicht aus, wenn jemand im Auftrag des Staates bzw einer politischen Organisation oder durch freiwillige Eingliederung in die Praxis des Verschwindenlassens die Auskunft – trotz Auskunftspflicht‐ verweigert.152
Der Opferbegriff des Verschwindenlassens im Rom Statut richtet sich auf die Zivilbevölkerung. Jedoch können auch Personen des staatlichen Dienstes, Militärangehörige und sonstige Personen Opfer des Verschwindenlassens werden.
147Vgl Werle, Völkerstrafrecht (2012) Rz 986;
Vgl Art 7 Römer Statut des Internationalen Strafrechts (Rom Statut).
148Werle, Völkerstrafrecht (2012) Rz 986.
149Vgl Werle, Völkerstrafrecht (2012) Rz 986f.
150Hartstein Regine, Materielles Völkerstrafrecht, in Kühne/Esser/Gerding, Völkerstrafrecht, Osnabrück (Jonscher Verlag) 2007, 61 (81).
151Deutscher Bundestag, Gesetzesentwurf der Bundesregierung, 32,
<http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/125/1612592.pdf> (08.07.2014).
152Vgl Werle, Völkerstrafrecht (2012) Rz 987,988.
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Gem Art 30 Rom Statut muss hinsichtlich des subjektiven Tatbestandsmerkmals Vorsatz bestehen. Das heißt, dass sowohl bezüglich der Freiheitsentziehung als auch der Auskunftverweigerung der Vorsatz bestehen muss, den Verschwundenen für „[…]
längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen“ und den Personen, die nach dem Opfer suchen, die Auskunft zu verweigern.
Art 5 der UN‐Konvention gegen das Verschwindenlassen übernimmt den Tatbestand des Art 7 Abs 1 lit i Rom Statut, jedoch nach der Auslegung seiner eigenen Definition des Verschwindenlassens.
3.1.2. „Verschwindenlassen“ in der UN‐Konvention
Gemäß Art 1 CPED darf niemand dem Verschwindenlassen unterworfen werden. Die UN‐Konvention hat in Artikel 2 eine eigene Definition für das Verschwindenlassen festgeschrieben. Demnach bedeutet Verschwindenlassen: „[…] die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird.“153 Somit ist die UN‐Konvention im Gegensatz zum Rom Statut auch in Einzelfällen anwendbar, nicht nur in Fällen des „ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung.“154
3.1.3. „Verschwindenlassen“ aus der Sicht der Menschenrechtsorganisationen
Das Rote Kreuz, Amnesty International, Human Rights Watch und viele andere Organisationen haben sich mit der Thematik des Verschwindenlassens befasst und bemühen sich, dass das Verschwindenlassen als Methode abgeschafft wird und unterstützen Betroffene. Die Definition des Verschwindenlassens dieser Organisationen richtet sich nach den gesetzlichen Regelungen des Rom Statuts und der UN‐Konvention. Amnesty International und das Österreichische Rote Kreuz setzen bei der Definition des Verschwindenlassens nicht nur auf die Erläuterung der Tatbestandsmerkmale (Freiheitsberaubung und Auskunftverweigerung), sondern
153Art 2 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
154Art 7 Abs 1 lit i Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (1998);
Vgl Rodley Nigel/ Pollard Matt, The Treatment of Prisoners under International Law, 3rd Edition, Oxford/
New York (Oxford University Press) 2009, 336.
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bieten den Interessierten einen kurzen Einblick in die Geschichte des Verschwindenlassens.155 Amnesty International Ulm erklärt zudem aus sprachwissenschaftlicher Sicht, die Herkunft des Begriffs „Verschwindenlassen“. Es stammt vom spanischen „Detenidos desaparecidos – verschwundene Gefangene“156 ab. Das Österreichische Rote Kreuz definiert Verschwindenlassen folgendermaßen:
„Wird ein Mensch von staatlichen Organen festgenommen, die Inhaftierung jedoch nicht bestätigt und jede Information über Schicksal und Verbleib des Opfers unterbunden, spricht man von ‚Verschwindenlassen‘. Das Schreiben unter Anführungszeichen soll verdeutlichen, dass diese Menschen nicht wirklich
‚verschwunden‘, sondern Opfer einer systematischen Menschenrechtsverletzung geworden sind.“157 Betroffene, wie auch interessierte Personen haben durch die Ausführungen der Menschenrechtsorganisationen die Möglichkeit, sich eingehend über das Verschwindenlassen zu informieren und Hilfe in Anspruch zu nehmen.158 3.2. Tatbestand des „Verschwindenlassens“ ‐ Art 2 UN‐Konvention
Art 2 CPED normiert ‐wie auch Art 7 Rom Statut‐ zwei Tatbestandselemente. Zum einen den Tatbestand der Festnahme bzw Freiheitsentziehung und zum anderen die Auskunftverweigerung.159
155Vgl Fiechtner Urs M., Verhaftet, verschleppt, verschwunden, in Amnesty International Ulm (Hrsg), 2009, <http://www.amnesty‐ulm.de/menschenrechte/verschwundene> (21.07.2014);
Vgl Österreichisches Rotes Kreuz, „Verschwindenlassens“ als systematische Menschenrechtsverletzung, 22.08.2012, <http://www.roteskreuz.at/berichten/news/datum/2012/08/22/verschwindenlassen‐als‐
systematische‐menschenrec/> (21.07.2014).
156Fiechtner in Amnesty International Ulm,
<http://www.amnesty‐ulm.de/menschenrechte/verschwundene> (18.07.2014).
157Österreichisches Rotes Kreuz, „Verschwindenlassens“ als systematische Menschenrechtsverletzung, 22.08.2012,<http://www.roteskreuz.at/berichten/news/datum/2012/08/22/verschwindenlassen‐als‐
Vgl Österreichisches Rotes Kreuz, „Verschwindenlassens“ als systematische Menschenrechtsverletzung, 22.08.2012, <http://www.roteskreuz.at/berichten/news/datum/2012/08/22/verschwindenlassen‐als‐
systematische‐menschenrec/> (18.07.2014).
159Vgl Hummer Waldemar/Mayr‐Singer Jelka, Wider die Straflosigkeit – Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, in Vereinte Nationen – Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, 05/07 (2007) 183 (186).
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3.2.1. Erstes Tatbestandselement: Die Freiheitsberaubung
Die Freiheitsberaubung in Art 2 CPED ist weit ausgelegt und kann nur schwer umgangen werden.160 Dies soll einer Straffreiheit von Tätern aufgrund einer zu engen Auslegung der Freiheitberaubung vorbeugen. Die Freiheitsberaubung muss von einem Bediensteten des Staates oder von Personen, welche mit der Unterstützung, Duldung oder Ermächtigung des Staates handeln, durchgeführt werden.161 Bereits eine stillschweigende Duldung des Staates wird als Beteiligung gewertet.162 Um die Rechtslücke bezüglich nicht‐staatlicher Akteure, welche nicht explizit als Täter in der UN‐Konvention erfasst sind, zu schließen, wurde in Art 3 CPED jeder Vertragsstaat verpflichtet: „geeignete Maßnahmen, um wegen Handlungen im Sinne des Artikels 2, die von Personen oder Personengruppen ohne Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates begangen werden, zu ermitteln und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.“163
3.2.2. Zweites Tatbestandselement: Die Auskunftverweigerung
Die Auskunftverweigerung setzt voraus, dass sich jemand nach dem Verschwundenen erkundigt und staatliche Institutionen bzw Bedienstete daraufhin keine Auskunft über dessen Schicksal und Verbleib geben können. Eine Auskunftverweigerung ist nur möglich, wenn eine bestimmte Staatsperson oder Institution über den Verbleib bzw den Zustand des Verschwundenen Bescheid weiß und die Information rechtswidriger Weise vorenthält. Problematisch an dieser Voraussetzung ist die Tatsache, dass ein Angehöriger oder Bekannter aktiv nach dem Schicksal des Verschwundenen fragen muss, damit das zweite Tatbestandsmerkmal erfüllt ist. Wie die geschichtlichen Vorfälle (Kapitel 2.1.) verdeutlichen, wird die Methode des Verschwindenlassens dazu angewandt, um die Bevölkerung einzuschüchtern und gleichsam dadurch die Nachfrage der Angehörigen nach einem Verschwundenen zu erschweren oder sogar gänzlich zu verhindern.164
160Vgl Hummer/Mayr‐Singer in Vereinte Nationen 183 (186).
161Vgl Art 2 Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor Verschwindenlassen (2006).
162Vgl Hummer/Mayr‐Singer in Vereinte Nationen 183 (186).
163Art 3 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
164Vgl Hummer/Mayr‐Singer in Vereinte Nationen 183 (186);
Vgl Deutscher Bundestag, Gesetzesentwurf der Bundesregierung, 32,
<http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/125/1612592.pdf> (09.07.2014).
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Sind beide Tatbestandselemente erfüllt, ist die unmittelbare Folge der Freiheitsentziehung und der Auskunftverweigerung, dass der Verschwundene dem Schutz des Gesetzes entzogen wird. „Hierbei wird das subjektive Tatelement des Vorsatzes nicht gefordert – im Gegensatz zum IStGH‐Statut [Rom Statut], das »die Absicht, sie für längere Zeit dem Rechtsschutz zu entziehen« verlangt. Ebenso wenig spielt die Dauer dieses Schutzentzugs eine Rolle.“165
3.3. Täterbegriff – Art 6 UN‐Konvention
Der Täterbegriff wird in Art 6 CPED ausgeführt. Demnach muss jeder Vertragsstaat erforderliche Maßnahmen treffen, um zumindest bestimmte Personen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Zu diesen bestimmten Personen zählt derjenige, der „[…]
ein Verschwindenlassen begeht, anordnet, dazu auffordert, dazu anstiftet, es zu begehen versucht, Mittäter oder Gehilfe an einem Verschwindenlassen ist oder an ihm teilnimmt;“166 Gleichermaßen werden auch Vorgesetzte dem Täterbegriff gem Art 6 Abs 1 lit b Z i CPED unterstellt. Der Vorgesetzte muss Kenntnis darüber haben, dass unter seiner Führung Untergebene „Verbrechen des Verschwindenlassens begingen oder zu begehen im Begriff waren, oder eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer Acht ließ;“167 Vorgesetzte sind ebenso für die tatsächliche Kontrolle und Verantwortung an Verbrechen des Verschwindenlassens strafbar.168 Der Vorgesetzte ist strafrechtlich ebenso verantwortlich zu machen, wenn er „[…] nicht alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um die Begehung eines Verschwindenlassens zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Ermittlung und Strafverfolgung vorzulegen.“169
165Hummer/Mayr‐Singer in Vereinte Nationen 183 (186).
166Art 6 Abs 1 lit a Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006);
Vgl Crawshaw Ralph/Cullen Stuart/Williamson Tom, Human Rights and Policing, Leiden Netherlands (Martinus Nijhoff Publishers) 2007, 141.
167Art 6 Abs 1 lit b Z i Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
168Vgl Deutscher Bundestag, Gesetzesentwurf der Bundesregierung, 33,
<http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/125/1612592.pdf> (18.07.2014);
Vgl Art 24 Abs 6 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006);
Vgl Art 6 Abs 1 lit a Z ii Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
169Art 6 Abs 1 lit b Z iii Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
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Die Rechtfertigung eines Täters aufgrund einer Anordnung oder Anweisung einer zivilen, militärischen oder anderen öffentlichen Gewalt gehandelt zu haben, wird durch den Art 6 Abs 2 CPED ausgeschlossen.
Der Täterbegriff der UN‐Konvention lässt sich dahingehend von dem des Rom Statuts unterscheiden, dass im Rom Statut zusätzlich politische Organisationen als Täter in Frage kommen.170
Zivile Personen können bei Anwendung der UN‐Konvention keine Täter des Verschwindenlassens darstellen. Art 3 CPED verpflichtet die Vertragsstaaten allerdings, geeignete Maßnahmen zu treffen, um gegen von zivilen Personen oder Personengruppen begangenes Verschwindenlassens vorzugehen, zu ermitteln und diese vor Gericht zu stellen.171 Art 4 CPED sieht zudem vor, dass das Verschwindenlassen in den Vertragsstaaten als Straftat statuiert und verfolgt werden muss.
3.4. Opferbegriff – Art 24 UN‐Konvention
Art 24 CPED definiert wer Opfer im Sinne der UN‐Konvention ist. Dabei bezieht sich der Opferbegriff nicht nur auf den unmittelbar Betroffenen, also den Verschwundenen selbst, sondern auch auf „jede natürliche Person, die als unmittelbare Folge eines Verschwindenlassens geschädigt worden ist.“172 Somit sind die Angehörigen, denen die Auskunft über das Schicksal der verschwundenen Person verweigert wird, im Opferbegriff mit inbegriffen. Folglich normiert Art 24 CPED unmittelbare wie auch die mittelbaren Opfer des Verschwindenlassens und sieht somit ausdrücklich das Recht der mittelbaren Opfer auf Auskunft vor.173 „Das Verschwindenlassen kann eine unmenschliche Behandlung der Angehörigen sein.“174, denn besonders das familiäre
170Vgl Heinz Wolfgang S., Das neue internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, Essay No. 8, in Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg), April 2008, 9,
<http://www.institut‐fuer‐menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Essay/essay_no_8_das_n eue_int_uebereinkommen_z_schutz_aller_personen_vor_dem_verschwindenlassen.pdf> (18.07.2014).
171Vgl Praetor Intermedia UG (Hrsg), Handeln nichtstaatlicher Akteure,
<http://www.verschwindenlassen.de/handeln‐nichtstaatlicher‐akteure‐3213/> (18.07.2014).
172Art 24 Abs 1 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
173Vgl Hummer/Mayr‐Singer in Vereinte Nationen 183 (187);
Vgl Rodley/Pollard, The Treatment of Prisoners under International Law (2009) 359;
Vgl Fernández de Casadevante Romani Carlos, International Law of Victims, Heidelberg/New York/Dordrecht/London (Springer Verlag) 2012, 55.
174Peters Anne/Altwicker Tilmann, Europäische Menschenrechtskonventionen, 2. Auflage, München (C.H.Beck Verlag) 2012, 63.
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Leben der Opfer ist durch das Fehlen eines Angehörigen stark beeinträchtigt und darüber hinaus kann es dadurch zu finanziellen Schwierigkeiten der Hinterbliebenen kommen. Die seelische Belastung des Nichtwissens kann zu schweren psychischen Erkrankungen und Stresserscheinungen führen, die sich folglich auch negativ auf die physische Gesundheit auswirken kann.
Die Abschreckungs‐ und Einschüchterungswirkung einer solchen Straftat übt sich jedoch nicht nur auf die unmittelbaren und mittelbaren Opfer aus. Auch die nähere Bekanntschaft der Opfer, wie bspw Nachbarn und Bekannte werden vom Verschwindenlassen tangiert, denn auch sie müssen fürchten, dieser Praktik zum Opfer fallen.
Zusammenarbeit der Vertragsstaaten bei der Unterstützung der Opfer – Art 15 CPED Die UN‐Konvention gegen das Verschwindenlassen verpflichtet die Vertragsstaaten in Art 15 CPED zusammenzuarbeiten und gegenseitig zu unterstützen, wenn es um die Unterstützung der Opfer, die Suche nach Verschwundenen, die Ermittlung des Aufenthaltsortes, die Freilassung des Verschwundenen oder im Fall des Todes um die Exhumierung, Identifizierung oder Überführung des Leichnams geht. Dies soll eine umfangreichere Möglichkeit bieten, die Angehörigen zu unterstützen und die Ermittlungen länderübergreifend voran zu treiben.
Die Rechte der Opfer
Die Auskunftspflicht umfasst gem Art 24 Abs 2 CPED nicht nur Informationen über den Verbleib des Verschwundenen, sondern auch über die Umständen des Verschwindens sowie Hinweise zu den Ergebnissen der laufenden Untersuchung.
Die Pflicht der Vertragsstaaten, den Aufenthaltsort des Verschwundenen schnell zu ermitteln und ihn rasch freizulassen, wird in Art 24 Abs 3 CPED geregelt. Falls der Verschwundene tot aufgefunden werden sollte, verpflichten sich die Vertragsstaaten den Leichnam zu überführen und das Schicksal des Verschwundenen vollständig aufzuklären.
Das „Recht auf Wiedergutmachung und auf umgehende, gerechte und angemessene Entschädigung“175 der Opfer ist in Art 24 CPED festgeschrieben. Dabei umfasst die Wiedergutmachung „den Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens sowie
175Art 24 Abs 4 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006);
Vgl Hummer/Mayr‐Singer in Vereinte Nationen 183 (187).
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gegebenenfalls andere Arten der Wiedergutmachung wie a) Restitution; b) die Rehabilitation; c) die Genugtuung einschließlich der Wiederherstellung der Würde und des Ansehens; d) die Garantie der Nichtwiederholung.“176 Ebenso werden die Staaten verpflichtet, sich um die Rechtsstellung der verschwundenen Personen und deren Angehörigen zu kümmern.177
Bildung von Organisationen und Vereinen zur Unterstützung der Opfer
Im Zusammenhang mit der Definition des Opferbegriffs und den Rechten der Opfer, wird im Art 24 Abs 7 CPED das „Recht auf Bildung von Organisationen und Vereinen, deren Ziel es ist, dazu beizutragen, die Umstände der Fälle von Verschwindenlassen und das Schicksal der verschwundenen Personen aufzuklären sowie Opfer des Verschwindenlassens zu unterstützen“ manifestiert und das freie Recht sich an diesen zu beteiligen festgehalten.
Kinder als Opfer des Verschwindenlassens
In der UN‐Konvention wurden spezielle Regelungen zum Schutz von Kindern eingefügt, welche selbst bzw deren Eltern unmittelbare Opfer des Verschwindenlassens sind oder Kinder, die während des Verschwindenlassens der Mutter geboren wurden.178 Insbesondere die „Fälschung, das Verbergen oder die Vernichtung von Dokumenten, welche die wahre Identität der […] Kinder bescheinigen“ soll strafrechtlich geahndet werden und dem Verschwindenlassen entgegenwirken. Denn die illegale Adoptionspraxis steht in vielen Fällen in einem engen Zusammenhang mit Fällen des Verschwindenlassens.179 Ebenso soll Art 25 CPED vor rechtswidrigen Adoptionen schützen und die Möglichkeit bieten, Kinder wiederzufinden und in ihre Herkunftsfamilie zurückzuführen.180 Hierzu können widerrechtliche Adoptionen gemäß der UN‐Konvention nach einem Überprüfungsverfahren aufgehoben werden. Jedoch
176Art 24 Abs 5 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
177Vgl Deutscher Bundestag, Gesetzesentwurf der Bundesregierung, 37f,
<http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/125/1612592.pdf> (17.07.2014);
Vgl Art 24 Abs 6 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006);
Vgl Sterr Silvi, Sozialfragen und Menschenrechte, in Vereinte Nationen – Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, 2/07, 2007, 75 (75).
178Vgl Hummer/Mayr‐Singer in Vereinte Nationen 183 (187);
Vgl Art 25 Abs 1 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
179Vgl Scovazzi/Citroni, The Struggle Against Enforced Disappearance (2007) 14.
180Vgl Wolfrum, The Max Planck Encyclopedia of Public International Law Volume II (2012) 148;
Vgl Deutscher Bundestag, Gesetzesentwurf der Bundesregierung, 38,
<http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/125/1612592.pdf> (17.07.2014);
Vgl Art 25 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
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ist bei diesen Fällen gem Art 25 Abs 5 CPED das Wohl des Kindes vorrangig, welches in Art 3 UN‐Kinderrechtskonvention näher erläutert wird und auch in dieser UN‐
Konvention Anwendung findet.181 Des Weiteren gilt: Ist ein Kind bereits fähig sich eine eigene Meinung zu bilden, soll diese unter Berücksichtigung von Alter und Reife miteinbezogen werden.182
3.5. Exkurs: Menschenrechtsorganisationen und ihre Aufgaben gegen das Verschwindenlassen
In der UN‐Konvention ist festgelegt, dass Organisationen oder Vereine mit dem Ziel Fälle des Verschwindenlassens aufzuklären und Hinterbliebenen zu unterstützen gebildet werden können. Auch ist das Recht solchen Organisationen beizutreten ist in Art 24 Abs 7 CPED der UN‐Konvention verankert.
Die Organisationen haben meist mehrere Dienststellen eingerichtet, bei denen Fälle des Verschwindenlassens gemeldet werden können und die Opfer des Verschwindenlassens unterstützt werden. Nach eingegangener Meldung werden die Fälle an den Ausschuss gegen das Verschwindenlassen (CED) weitergeleitet.
Amnesty International bspw nutzt ein „Aktionsnetz der urgent actions (Eilaktionen), das in besonders schweren oder dringenden Fällen von Menschenrechtsverletzungen wie etwa dem ‚Verschwindenlassen‘ [tätig wird] […] Innerhalb von 48 Stunden erhalten Tausende von Teilnehmern183 in aller Welt kurz gefasste, aber präzise Hintergrund‐
informationen über einen aktuellen Fall und werden gebeten sich […] an die verantwortlichen Behörden eines Landes zu wenden.“184 Eine solche Maßnahme hat zur Folge, dass die betroffenen Staaten aufgrund des dadurch ausgeübten Öffentlichkeitsdrucks, schnell und effektiv handeln müssen. Des Weiteren hat sich Amnesty International damit befasst, ein „14‐Punkte‐Programm zur Verhinderung von
‚Verschwindenlassens‘“185 auszuarbeiten, der ua eine „Informationspflicht über
181Vgl Deutscher Bundestag, Gesetzesentwurf der Bundesregierung, 38,
<http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/125/1612592.pdf> (17.07.2014);
Vgl Art 3 Übereinkommen über die Rechte des Kindes (1989).
182Vgl Art 25 Abs 5 Internationales Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen (2006).
183Amnesty International ist eine Menschenrechtsorganisation und hat weltweit ein Netzwerk von Menschenrechtsaktivisten aufgebaut, welche in diesen Fällen tätig werden.
184Fiechtner in Amnesty International Ulm,
<http://www.amnesty‐ulm.de/menschenrechte/verschwundene> (18.07.2014).
185Amnesty International Deutschland, 14‐Punkte‐Programm zur Verhinderung von
185Amnesty International Deutschland, 14‐Punkte‐Programm zur Verhinderung von