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Hawaiischer Widerstand im 19. und 20. Jahrhundert

2. Historischer Überblick: Geschichten des Verlustes, Geschichten des

2.2 Hawaiischer Widerstand im 19. und 20. Jahrhundert

Petitionen und Versammlungen – hawaiischer Protest im 19. Jahrhundert Wenn der vorangegangene Abschnitt die Stationen und markanten Wende-punkte der politischen Geschichte Hawai‘is im 19. Jahrhundert nachzeichnete und dabei die Reaktionen der hawaiischen Bevölkerung, wo nötig, mit einbe-zog, so wird der vorliegende Abschnitt sich in der Hauptsache mit diesen Reak-tionen beschäftigen und die jeweiligen Formen und Abstufungen eines hawaii-schen Widerstandes zum Gegenstand seiner Darstellung machen.

So ist schon früh ein passiver Widerstand der einfachen Bevölkerung der maka‘āinana gegen die ihnen von den ali‘i abverlangten, dem neuen kapi-talistischen Wirtschaftssystem geschuldeten Arbeitsanforderungen zu ver-zeichnen. Aktiven Widerstand leisteten sie z.B. gegen das von ali‘i und Missi-onaren gemeinsam durchgesetzte Verbote des Hula.73

Unter dem Eindruck der Verfassung von 1840 und des stets wachsen-den Fremdeinflusses nahm der Protest im Jahre 1845 eine andere Form und Qualität an. An König Kamehameha III. gerichtete Petitionen, einige von mehr als 1000 Hawaiiern unterzeichnet, gaben dem Wunsch der maka‘āinana Aus-druck, den Ausländern keine weiteren Zugeständnisse zu machen. Sahlins fasst den Tenor dieser zahlreichen Petitionen zusammen:74

„From all quarters of the Islands, over mass collections of signatures, the people made pleas to the king and governing ali‘i, sometimes with great eloquence, rehearsing especially a triad of objections: to the pres-ence of foreigners in government, to the sale of land to foreigners, and to the naturalization of foreigners as Hawaiian citizens“ (Sahlins 1992:130).

Wie Osorio (2002:31) feststellt, sprach aus all diesen Gesuchen vor allem die Sorge der maka‘āinana, durch die von König und Adel unter Anleitung der Missionare betriebene Politik ihre traditionellen Landrechte zu verlieren.

Fast ein halbes Jahrhundert später führte der breite Protest gegen die unter Androhung von Waffengewalt erzwungene Verfassung zur Gründung der Hui Kālai‘āina, an deren erster öffentlicher Zusammenkunft bis zu 1.500 Me n-schen teilgenommen haben sollen. Als politische Partei der Hawaiier gewann

73 Zu diesen frühen Widerstandsphänomenen in Hawai‘i siehe Ralston (1984:33-6) und Sahlins (1992:108, 113).

74 Für Beispiele dieser Petitionen von 1845 siehe McGregor (2007:197-8), Silva (2004:38-9), Osorio (2002:30-1) und Sahlins (1992:130-1); auch Kuykendall (1947:257-60) und Ralston (1984:35-6).

Hui Kālai‘āina auch die Legislatur-Wahlen von 1890, bei denen es ihr in der Haupsache um den Erhalt der Monarchie und die Stärkung der hawaiischen Wählerschaft ging (Silva 2004:127). Hui Kālai‘āina blieb über den Sturz der Monarchie hinaus ein Sprachrohr hawaiischer Interessen – auch wenn sie durch die jeweils geltenden parlamentarischen Regeln und interne Differenzen nur selten in der Lage war, diese durchzusetzen.

Im Streit gegen die unpopuläre Verfassung kam es auch zu einem ers-ten Versuch hawaiischer Nationalisers-ten, ihre Ziele mit Waffengewalt zu erzwin-gen.75 Am 30. Juli 1889 besetzten bewaffnete Widerständler unter Führung von Robert Kalanihiapo Wilcox den ‘Iolani Palast in Honolulu, bevor angelandete US-Truppen sie überwältigten. Dabei fanden acht der Aufständischen den Tod, 12 wurden verwundet und insgesamt 70 wegen Verrat, Verschwörung oder Rebellion angeklagt. Nur drei der Angeklagten wurde tatsächlich der Prozess gemacht: unter ihnen auch Wilcox, der jedoch von einem hawaiischen Ge-schworenengericht freigesprochen wurde.76 Auffällig ist die fehlende breite Unterstützung des Aufstandes durch die hawaiische Bevölkerung, was McGre-gor-Alegado in ihrer Analyse des Widerstandes gegen die Verfassung von 1887 zu erklären sucht:

„The ‚Rebellion‘ of 1889 must be viewed as one event in a continued process of Hawaiian resistance to the erosion of both their culture and their political power. Seen in this light, it illustrates some of the main obstacles in that movement. Grass roots political activism was not a part of the Hawaiian tradition, and its lack left the ‚rebels‘ of 1889 helpless in the face of what was, after all, a comparatively small, but determined force opposing them. Mistrust of self-promoting leaders may also have played a part in keeping potential supporters of the up-rising from uniting around Wilcox and his companions. Kalākaua like his predecessors on the throne, had made his terms with the foreigners and had a stake in the continuation of this arrangement ... Finally, the monarchy failed to gain support for its defense except a small sector of middle and upper middle class Hawaiians. This may have stemmed from the failure of past monarchs to protect the interests of the Hawai-ian people“ (McGregor-Alegado 1979:127).

75 Ein zweiter, ebenfalls erfolgloser Versuch fand 1895 mit dem Ziel statt, die abgesetzte Königin wieder an die Macht zu bringen.

76 Es fällt auf, dass sowohl hier wie auch bei den Prozessen nach dem missglückten Versuch Wilcox’ von 1895 die Königin wieder an die Macht zu bringen, hawaiische Gerichte noch sehr wohl in der Lage sind, auf die Bestrafung dieser gegen den herrschenden Status Quo gerichteten Taten zu verzichten. Inwieweit dies ein Spezifikum der damaligen staatlichen Situation in Hawai‘i oder ein Beispiel für die Konfliktbewältigung in kleinen Gesellschaften ist, muss hier offen bleiben.

2. Historischer Überblick: Geschichten des Verlustes, Geschichten des Widerstands 57 Der hawaiische Widerstand blieb im Wesentlichen gewaltfrei und gewann in der kurzen Regierungszeit Lili‘uokalanis beständig an Kraft. Nur kurze Zeit nach ihrem Sturz gründeten sich zwei weitere hawaiische politische Organisa-tionen: die Hui Hawai‘i Aloha ‘Āina und die Hui Hawai‘i Aloha ‘Āina o Nā Wāhine, in der sich hawaiische Frauen zusammengeschlossen hatten. Die im hawaiischen Namen der Organisationen enthaltene Wendung „Aloha ‘Āina“,

„Liebe zum Land“, drückt eine Vorstellung aus, die sich in vielen Sprichwör-tern (‘Ōlelo No‘eau) wieder findet und die erst zum Ende des 19. Jahrhunderts im Englischen mit „patriotic“ übersetzt wird.77 Die beiden genannten Organisa-tionen werden denn auch sowohl in der zeitgenössischen als auch in der aktuel-len Literatur mit dem Namen „Hawaiian Patriotic League“ bezeichnet. Noenoe Silva (2004:131-2) geht in ihrer Studie des hawaiischen Widerstands im 19.

Jahrhundert auf diese Namensgebung ein und weist auf die sehr unterschiedli-chen Konnotationen der beiden Begriffe „Aloha ‘Āina“ und „patriotic“ 78

Nach Gründung der Republik verlagerten sich die Äußerungen des Widerstandes zu einem großen Teil in die hawaiischsprachige Presse und in der Folge wurden Herausgeber mit Strafverfahren überzogen und einige Zeitungen mussten gar ihr Erscheinen einstellen. Allein schon die hawaiische Sprache war inzwischen zu einem Medium des Widerstandes geworden: wie Chapin (1996:99) feststellt, verzichteten die Zeitungen der Opposition zunehmend auf englische Texte und erschienen schließlich fast ausschließlich in hawaiischer Sprache, die ihre Bedeutung als offizielle Sprache gegen Ende des 19. Jahr-hunderts bereits verloren hatte. Die Zeitungen veröffentlichten auch die Lieder (mele), die den missglückten Aufstand von 1895 feierten und die zum Ende des Jahres 1895 im „Buke Mele Lāhui“

sowie die enge Beziehung des hawaiischen Terminus zu traditionellen kosmologi-schen Vorstellungen hin. In der Wendung „ka poe aloha ‘āina“ („the people who love the land“) wurde der Begriff „Aloha ‘Āina“ auch für die Verteidiger und Verfechter der Souveränität des hawaiischen Königreichs verwendet und ist heute in seinen unterschiedlichen, bisweilen unscharfen Bedeutungen im Kontext der Autonomiebewegung weiterhin in Gebrauch.

79

Im zeitlichen Vorfeld der Annexion protestierten die politischen Ver-treter der hawaiischen Bevölkerung auf das schärfste gegen die Pläne der „Re-publik Hawai‘i“. So riefen die großen Organisationen zu Versammlungen auf,

gesammelt erschienen. In den mele äußer-te sich ein wachsender Nationalismus, der vor dem Hinäußer-tergrund einer Konfron-tation von Royalisten und Befürwortern der Annexion in der politischen Dis-kussion immer deutlicher an Boden gewann (Stillmann 1989:19).

77 Cf. Pukui u. Elbert (1986:21); Pukui, Elbert u. Mookini (1974:268-9).

78 So ist der hawaiische Begriff im Gegensatz zu seinen europäischen Analogien nicht ge-schlechtsbezogen und hat darüber hinaus eine völlig andere Herleitung, die sich nicht auf eine staatliche Organisationsform bezieht.

79 „Buch der Lieder der Nation“ [U.M.]

an denen tausende teilnahmen. Und wieder unterzeichneten viele tausend Ha-waiier eine Petition der Hui Aloha ‘Āina, die dem US-Kongress von einer De-legation überbracht wurde. Sie beinhaltete die Forderung nach einem Referen-dum unter der hawaiischen Bevölkerung – die Regierung einer kleinen Min-derheit habe nicht das Recht, über die Souveränität Hawai‘is zu entscheiden, so die Verfasser. Die Vorsitzenden der Hui Aloha ‘Āina sandten auch ein Memo-randum an den US-Gesandten in Hawai‘i, in dem es u.a. heißt:

„The Declaration of American Independence expresses that Govern-ments derive their just powers from the consent of the governed;

Therefore, Be it RESOLVED: That as the representatives of a large and influential body of native Hawaiians, we solemnly protest against an-nexation in the manner proposed and without reference to the consent of the people of the Hawaiian Islands“ (zitiert nach Russ 1992:364-5).

Wie der Wortlaut dieses Zitates, die Geschichte der Petitionen und Versamm-lungen sowie auch die interne Struktur von Organisationen wie Hui Kalai‘āina und Hui Aloha ‘Āina zeigen, waren Forderungen und Formen des Widersta n-des – sieht man einmal von den an die hawaiische Bevölkerung gerichteten mele ab – an westlichen Rechts- und Politikvorstellungen orientiert.80 Dies kann angesichts einer mehr als 70-jährigen Über- und Umformung zumindest der in den Städten lebenden hawaiischen Gesellschaft durch euro-amerikanische Normen nicht wirklich verwundern. Auch die ehemalige Köni-gin Lili‘uokalani, die mit einer Delegation nach Washington und Boston gereist war, um Unterstützung gegen die Annexion Hawai‘is zu gewinnen, präsentiert sich im Rahmen der amerikanischer Konventionen als gebildete und wohlha-bende Frau – nicht zuletzt um den von der US-Presse geschürten Vorurteilen über die hawaiische Bevölkerung und ihre Königin entgegenzuwirken.81

Für die heutige Autonomiebewegung ist die von den Politikern und Politikerinnen des 19. Jahrhunderts geleistete Arbeit insoweit von bleibender Bedeutung, als völkerrechtliche wie auch im Rahmen nationaler Gesetze ein-klagbare Ansprüche auf Eigenständigkeit und Souveränität weiterhin Bestand haben. Auch wenn die ablehnende Haltung der hawaiischen Bevölkerung nicht in Statistiken erfasst wurde, so zeigen doch die Reaktionen ihrer maßgeblichen Vertreter eine durchgängige und deutliche Ablehnung aller von Haole und den

80 Silva (2004:162) weist darauf hin, dass sich fast alle Quellen auf das Geschehen in Honolulu sowie einigen anderen größeren Orten in Hawai‘i beziehen; wie (und ob) sich der hawaiische Widerstand in den eher traditionell geprägten ruralen Gebieten des Archipels äußerte ist bisher noch nicht erschlossen.

81 Zum Aufenthalt Lili‘uokalanis in den USA und den von der Presse vermittelten Bildern siehe ausführlich Silva (2004:164 ff.).

2. Historischer Überblick: Geschichten des Verlustes, Geschichten des Widerstands 59 USA eingeleiteten Schritte zur Einschränkung und letztlich Aufhebung der Souveränität der Monarchie und des hawaiischen Staates.

1998 jährte sich das Datum der Annexion zum 100. Male. Aus diesem Anlass befasste sich „Self-Determination“, der Newsletter des Kanaka Maoli Tribunal Kōmike (eine Gruppierung der heutigen Autonomiebewegung), mit dem Widerstand der Jahre 1897 bis 1898 und schrieb in seinem Aufmacher:

„After 100 years, our people are still fighting U.S. colonialism ... This issue of Self-Determination is a tribute to our Kanaka Maoli people’s resistance and our continuing struggle against those who deny our rights to land, self-determination and sovereignty“ (Self-Determination, March 1998).

Nach der Annexion verlagerten sich Protest und hawaiische Politik in die Strukturen der Legislative und der Verwaltung des Territoriums, ein politischer Widerstand wie in den Jahren zuvor ist nicht mehr dokumentiert.82 Erst zum Ende der 1960er Jahre regte sich wieder öffentlicher Protest und eine hawaii-sche Bewegung formulierte erneut Forderungen nach kultureller Eigenständig-keit und politischer Autonomie. Im Folgenden werde ich die Entwicklung die-ser Bewegung, die sich selbst durchaus in der Tradition des Widerstandes im 19. Jahrhundert sieht, nachzeichnen.

(Neu-) Anfänge in den 1970er Jahren

Schon seit den 1960er Jahren lenkte die Revitalisierung hawaiischen Hand-werks und hawaiischer Künste den Blick auf die Hawaiier und ihre vielfach vergessen geglaubten Traditionen. Diese „Hawaiian Renaissance“ war zugleich Resultat und Inspiration eines erneuerten Selbstbewusstseins der hawaiischen Minderheit, das sich in den von sozialen Umbrüchen gekennzeichneten 1970er Jahren zunehmend in politischen Forderungen äußerte.

Große Teile der Bevölkerung des Bundesstaates profitierten zu Beginn dieses Jahrzehnts noch einmal besonders von einem „Wirtschaftswunder“, das sich auf die ökonomischen Umstrukturierungen im Zuge der Staatswerdung 1959 zurückführen ließ. Andere, unter ihnen der größte Teil der Hawaiier, blie-ben in der sozialen und ökonomischen Entwicklung der Inselgesellschaft im-mer weiter zurück – auch das „Neue Hawai‘i“ (Kent 1983:3) hatte sich nicht von einer ethnischen Stratifizierung befreit, die von den aufeinander folgenden Einwanderungsphasen des 19. Jahrhunderts geprägt war und die das soziale Leben seit den 1950er Jahren weiterhin bestimmte (cf. McGregor-Alegado

82 Inwieweit hier eventuelle neuere historische Forschungen weitere Erkenntnisse hinsichtlich einer Fortdauer des außerparlamentarischen hawaiischen Widerstandes in der Zeit zwischen Annexion und Aufnahme in die USA liefern können, bleibt abzuwarten.

1980:34). Nutznießer der gewandelten Verhältnisse waren wiederum die Haole und die seit den Tagen des Territoriums in der sozialen Schichtung der Gesell-schaft Hawai‘is aufgestiegenen Bürger chinesischer, japanischer und koreani-scher Abstammung, während ein großer Teil der Hawaiier, aber auch der Fili-pinos und Samoaner von den ökonomischen Entwicklungen kaum profitierten.

Insbesondere der immense Landbedarf der Tourismus- sowie der Im-mobilienindustrie sollte zu Zusammenstößen zwischen Industrievertretern und staatlichen Ordnungshütern auf der einen und betroffenen Landnutzern auf der anderen Seite führen. Letztere fanden Unterstützung bei einem großen Protest-potential, das weit über den Kreis der unmittelbar von Kündigungen und Land-nahme Betroffenen hinausreichte – die bedeutenden sozialen Bewegungen in den USA der 1950er und 1960er Jahre, die Bürgerrechtsbewegung, die Anti-Vietnamkriegsbewegung sowie die Bewegungen der Native Americans und der Afroamerikaner, waren auch in Hawai‘i nicht ohne Resonanz geblieben.

Eine der frühesten und zugleich bedeutendsten Auseinandersetzungen im Kontext der Umnutzung von Land war der 1970 beginnende Konflikt um die Räumung und anschließende Neubebauung von Siedlungsland im Kalama Tal an der Südostspitze der Insel O‘ahu – ein Konflikt, dem verschiedene Au-toren eine Katalysatorfunktion für die Entwicklung einer politischen Bewegung der Hawaiier zusprechen.83

Noch vor der ersten Räumungsaktion im Kalama Valley gründete sich im Um-feld der Universität von Hawai‘i in Mānoa das Kōkua Kalama Committee

Das gesamte Kalama Valley gehörte zum Grundbe-sitz des Bishop Estate. Die Tatsache, dass der Bishop Estate, durch die testa-mentarischen Verfügungen einer Urenkelin Kamehamehas I. errichtet und mit dem alleinigen Stiftungsziel der Ausbildung hawaiischer Kinder und Jugendli-cher, als grundsätzlich hawaiische Institution galt (s. Kau 1991:281-4), trug zu dem besonderen Charakter dieses Landkonfliktes bei.

84, dessen Mitglieder überwiegend hawaiischer Abstammung waren. Wie Haunani-Kay Trask schreibt, war die Ausweitung des Konfliktes im politischen Umfeld der beginnenden 1970er Jahre durchaus vorhersehbar:

„The historic link between campus activists and a grass-roots commu-nity could have been predicted by any keen observer of the time. On the verge of victory in their anti-war offensive, students had already made the connection between American cultural, political, and eco-nomic exploitation of Third World People abroad and the same kind of exploitation of local people of color at home. All that was missing was a community“ (H.-K. Trask 1987:133).

83 Zu nennen sind hier vor allem H.-K. Trask (1987), die Autoren des Textes Ethnic Studies 221 (1974) sowie Milner (2006), auf die ich mich im Folgenden beziehe.

84 Kōkua: Hilfe, Unterstützung [U.M.].

2. Historischer Überblick: Geschichten des Verlustes, Geschichten des Widerstands 61 Wie Trask hier feststellt, spielten zu diesem frühen Zeitpunkt Aspekte der Eth-nizität keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr forderte die Kons-tellation dieses Konfliktes – hier der mächtige Bishop Estate im Bunde mit finanzkräftigen US-Investoren, dort die machtlosen Vertreter eines immer mehr der Vergangenheit zugehörigen ländlichen Lebensstils – die Assoziation mit dem Kampf gegen die US-amerikanischen Hegemonialbestrebungen geradezu heraus.

„With Kalama Valley, you really had a landmark struggle. You had the antiwar movement, SDS [Students for a Democratic Society; U.M.], The Resistance, Youth Action, all now looking at this small valley across from Sandy Beach, on ‘Ehukai Road. Bishop Estate – a huge landowner, allegedly acting for Native Hawaiians, but actually an in-strument of colonialization – was letting Kaiser, a major company, have that land to develop into affluent housing. Because Kaiser got ma-jor defense department contracts, the antiwar movement saw that tak-ing Kaiser on in Kalama Valley, where they were destroytak-ing the life-style of yet another people, was a very important way of connecting is-sues“ (John Witeck, in: Mast u. Mast 1996:345).85

Nach verschiedenen aufeinander folgenden Räumungsaktionen verschärfte sich der Konflikt im Frühjahr 1971 mit der Besetzung des Tales, in dem nur noch sechs der ursprünglichen Bewohner ausharrten, durch verschiedene Unterstüt-zergruppen. Tonangebend war hierbei das frühere Kōkua Kalama Committee, das sich inzwischen in Kōkua Hawai‘i umbenannt hatte: ein bezeichnender Hinweis auf die weiter gefasste Bedeutung, die der Auseinandersetzung im Kalama Valley inzwischen beigemessen wurde. Auch an der Besetzung betei-ligt waren „The Hawaiians“, eine gleichfalls 1970 gegründete Gruppierung mit einer ausschließlich hawaiischen Mitgliedschaft.86Als Kōkua Hawai‘i schlie ß-lich alle an den Protesten beteiligten Haole aufforderte, das Tal zu verlassen, bedeutete dies jedoch noch keine Hawaiisierung des Konfliktes: vielmehr war dies Ausdruck einer kulturellen Differenzierung zwischen Haole auf der einen und den „Locals“, den Angehörigen der unterprivilegierten ethnischen Grup-pen, auf der anderen Seite.87

85 John Witeck, Assistant Director der Gewerkschaft United Public Worker Hawai‘i, war zur Zeit der Kalama Valley-Proteste Leiter der Youth Action, einer Organisation in kirchlicher Träger-schaft, die zur „Antiwar“-Bewegung gehörte und soziale Projekte unterstützte.

Diese Abweisung der euro-amerikanischen Mit-streiter sollte die Ablehnung des mit ihnen assoziierten „weißen“

US-86 „The Hawaiians“ verfolgten hauptsächlich das Ziel, hawaiische Belange in der Politik des Staates deutlicher hervorzuheben sowie die staatliche Vergabe von Siedlungsland an Hawaiier zu beschleunigen (Ethnic Studies 221 1974:19-25).

87 Zum Konzept der sozialen und kulturellen Kategorie „Local“ in Hawai‘i siehe Kapitel 3.3.

amerikanischen Lebensstils, zu dem eben auch die geplante Eigenheimsiedlung gehörte, verdeutlichen und zugleich die mediale Aufmerksamkeit auf die „tra-ditionelle“, mit der Natur und Einfachheit assoziierte Lebensweise der sozial benachteiligten lokalen Bevölkerung lenken (cf. H.-K. Trask 1987:146).

In den Auseinandersetzungen um die Landnutzung im Kalama Valley, die letztlich im Sinne der Landeigner und Investoren entschieden wurden, klin-gen bereits die wesentlichen Themen einer hawaiischen Bewegung an, die sich im Laufe der 1970er Jahre immer deutlicher aus dem Spektrum der gegen das politische und soziale Establishment gerichteten Gruppierungen herauskristalli-sierte:

• Eine starke Konzentration auf das Land und seine Nutzung, aus der sich in der Folgezeit eine immer deutlichere Forderung nach hawaii-scher Autonomie und Souveränität entwickeln sollte;

• eine betonte Abgrenzung von den Haole und zunehmend auch von der nicht-hawaiischen lokalen Bevölkerung, d.h. die Entwicklung einer ethnisch geprägten Bewegung und die Ethnisierung eines als grund-sätzlich empfundenen Konfliktes zwischen den wirtschaftlichen Inte-ressen einer kleinen Minderheit und der Mehrheit der Bevölkerung in Hawai‘i;

• das Beharren auf den überkommenen Vorrechten der Hawaiier als ers-ten Bewohnern des Archipels und Nachfahren der Bürger des souverä-nen Königreichs Hawai‘i;

• und schließlich der am Beispiel Kalama Valley bereits deutlich zutage tretende Konflikt zwischen Hawaiiern unterschiedlicher Lebenssphä-ren, der mit der wachsenden Ausdifferenzierung der Bewegung noch zunehmen wird.

Diesen letzten Punkt fasst Haunani-Kay Trask noch einmal prägnant am Bei-spiel des Kalama Valley-Konfliktes zusammen:

„The painful experience of class distinctions became the agonizing re-ality of class confrontation within the Hawaiian community itself. Not

„The painful experience of class distinctions became the agonizing re-ality of class confrontation within the Hawaiian community itself. Not