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Die Gedenkfeiern an den Umsturz von 1893: ‘Onipa‘a

6. Das Gedenkjahr 1993: Brennpunkte symbolischer Politik

6.1 Die Gedenkfeiern an den Umsturz von 1893: ‘Onipa‘a

Der persönliche Wahlspruch Lili‘uokalanis „‘Onipa‘a!“ – „Standhaftigkeit!“

wurde zum Motto einer Gedenkveranstaltung in Honolulu, die vom 13. bis zum 17. Januar 1993 große öffentliche Beachtung fand. Diese Aufmerksamkeit war dem Ereignis nicht nur wegen der gewählten Veranstaltungsformen gewiss – so bildete z.B. eine dramatische, vom Fernsehen übertragene Inszenierung der Vorgänge von 1893 an den Originalschauplätzen gewissermaßen die Klammer der gesamten Veranstaltung. Darüber hinaus trug auch die Vielzahl der betei-ligten hawaiischen Organisationen sowie das starke Engagement des Bundes-staates und der Stadt Honolulu das Seine sehr dazu bei. Darstellung und Be-trachtung dieses Abschnitts umfassen gleichermaßen die der „‘Onipa‘a!“-Veranstaltung vorausgegangenen politischen Absichtsbekundungen und Pla-nungen und darüber hinaus die unmittelbar auf die Veranstaltung folgenden Reaktionen, um so das in die Öffentlichkeit transportierte Bild hawaiischer Geschichte und gegenwärtiger Autonomievorstellungen ein Stück weit abzu-runden und plastischer zu profilieren.

Die Planungen für ‘Onipa‘a und das Medienecho im Vorfeld der Gedenkfeier Die ‘Onipa‘a-veranstaltung des Jahres 1993 ist ein erhellendes Beispiel für das oft nicht deutlich erkennbare Nebeneinander, die enge Vermengung von staat-lichen Initiativen und Interessen einerseits und den Aktivitäten und Bestrebun-gen der Autonomiebewegung andererseits. Nicht zuletzt deshalb ist sie auch Gegenstand verschiedener Publikationen, die das Ereignis aus jeweils unter-schiedlichen Gesichtspunkten betrachten und auf die ich mich im Folgenden u.a. beziehen werde.269

Mit einem Gesetz (Hawaii Session Laws 1992:738-40) legte das Par-lament die rechtlichen und finanziellen Grundlagen für eine zentrale und offizi-elle Veranstaltung zur Erinnerung an den Sturz der letzten hawaiischen Monar-chin und erklärte den 17. Januar 1993 zu einem „day of commemoration for the people of the State to recognize and observe the life of Queen Liliuokalani“. Im Einzelnen sah das Gesetz die Übertragung der administrativen Aufgaben an das Office of Hawaiian Affairs (OHA) vor, dem zu diesem Zweck Geldmittel in

269 Zu nennen sind neben anderen OHA 1994 b; Baker 1997; Schweizer 2005:423-46.

6. Das Gedenkjahr 1993: Brennpunkte symbolischer Politik 181 Höhe von US$ 180.000 aus dem Staatshaushalt zur Verfügung gestellt wurden, die durch Eigenmittel in gleicher Höhe zu ergänzen waren. Die eigentliche Planung des „Events“ oblag einem Organisationsgremium („‘Onipa‘a Centennial Committee“) von 24 ehrenamtlichen Mitgliedern, deren Mehrheit hawaiischer Abstammung sein sollte. Des Weiteren bestimmte das Gesetz, dass Beiträge und Vorschläge hawaiischer Gruppen bei den Planungen zu berück-sichtigen seien und dass die eigentlichen Feierlichkeiten auf das Wochenende des 17. Januar 1993 begrenzt sein sollten.

Im Unterschied zu anderen staatlicherseits eingerichteten Gremien, die sich mit hawaiischen Angelegenheiten befassten, spielten die einflussreichen Gruppierungen der Autonomiebewegung bei der Benennung der Mitglieder keine Rolle: Bei den meisten von ihnen handelte es sich um mehr oder weniger bekannte Namen der hawaiischen Kulturszene sowie staatlicher und nicht-staatlicher Institutionen (cf. Baker 1997:647). Neben der Sponsorensuche270

Als Veranstaltungsort sahen die Organisatoren das Areal des ‘Iolani Palastes vor – eine nahe liegende, jedoch zunächst nicht unproblematische Wahl: Hatte doch im Juni 1992 eine Eingreiftruppe der Polizei eine unange-meldete hawaiische Kundgebung beendet und insgesamt 32 Personen verhaf-tet.

sowie der Organisation der zentralen Feierlichkeiten stand die Einbindung der verschiedenen von Einzelpersonen und hawaiischen Organisationen (unter ihnen auch Ka Lāhui Hawai‘i) in die Gesamtplanung eingebrachten ‘Onipa‘a-Projekte.

271 Dies gab Befürchtungen gewaltsamer Auseinandersetzungen im eigentli-chen Gedenkjahr Nahrung und warf Fragen nach der Nutzung des symbolträch-tigen Areals durch Hawaiier auf, die in der Presse ausgiebig diskutiert wur-den.272 So scheint ein Leitartikel des Honolulu Star-Bulletin bereits von mehr oder weniger gewalttätigen Ausschreitungen im folgenden Jahr auszugehen:

„It [die Aufhebung der Klagen gegen die Demonstranten; U.M.] pro-vides one less issue to fuel the militancy of celebrants of next year’s 100th anniversary of the overthrow of the monarchy. Meetings at

270 Neben Institutionen des Bundesstaates und der Stadt Honolulu sind auch zahlreiche bedeuten-de Unternehmen bedeuten-der Finanz- und Tourismusindustrie auf bedeuten-der Sponsorenliste zu finbedeuten-den (so u.a.

Hawaiian Airlines, Aloha Airlines, Bank of Hawai‘i, Hawai‘i National Bank, Aloha Petroleum und Outrigger Hotels; siehe OHA 1997:X).

271 Zu den Zielen dieser Aktion vor dem ‘Iolani Palast siehe Kawehi Kanui Gill (1992).

272 Siehe z.B. „Arrests anger Hawaiians“, David Oshiro (H S-B 12.6.1992:A1, A4); „Protest worries Iolani friends”, Pat Omandam (H S-B 13.6.1992:A3); “Iolani Palace: learning from a protest”, (HA 13.6.1992); “Feared palace would be stormed, official says”, Kevin Dayton (HA 13.6.1992:A1-2); “28 protesters plead not guilty”, Shannon Tangonan (HA 20.6.1992:A1);

“State drops charges in palace case” (HA 31.7.1992:A1); „Hawaiians urged to find palace proto-col accord“, Stu Glauberman (HA 2.7.1992:A1-2); „Hawaiians keep gathering low-key, hopes high“, Kris Tanahara u. William Kresnak (HA 5.7.1992:A1-2).

Kawaiahao Church between state officials and leaders of Hawaiian re-ligious and community groups resulted in guidelines to govern activi-ties at the palace, and a July 4th program commemorating the 1894 start of the short-lived Hawaiian republic took place without incident.

The July 4th event and now the dismissal of the June 11 trespassing charges offer fresh hope that 1993’s centennial can be observed in an atmosphere of civility and respect”.273

In den Wochen vor dem Jahrestag erschien eine Vielzahl von Veröffentlichun-gen in der lokalen Presse Hawai’is: historische DarstellunVeröffentlichun-gen fanden sich da-runter ebenso wie aktuelle Kommentare zu den 100 Jahre zurückliegenden Ereignissen sowie deren Folgen, und auch die Forderungen der Autonomiebe-wegung wurden veröffentlicht und (kritisch) beleuchtet. Eine der umfang-reichsten Veröffentlichungen war „Overthrow: a day-by-day account of the overthrow of Hawaii’s monarchy 100 years ago“ – eine 16 Druckseiten umfas-sende Beilage des Honolulu Advertiser.274 Auf diese Beschreibung des Um-sturzes (der Honolulu Advertiser kündigte sie als „objective look at the events and issues involved“ an) folgte eine Serie von Artikeln, die „subjektiven“ An-sichten zum Thema gewidmet waren.

Das multikulturelle Hawai‘i und die „Gefahr“ der Autonomie

Als letzter Autor dieser kurzen Serie kam der damalige Gouverneur John Waihe‘e zu Wort.275 Waihe‘e, erster und bislang einziger hawaiischstämmiger Gouverneur des Inselstaates, bezog in seinem Textbeitrag keinen klaren Stand-punkt hinsichtlich hawaiischer Autonomieentwürfe. Nachdem der Gouverneur den Umsturz als „internationale Aggression“ und „Unrecht“ charakterisiert und die seines Erachtens wesentlichen Punkte für eine weitergehende Besserstel-lung der Hawaiier benannt hatte, schloss er den Artikel mit den Worten:

„Finally, as governor of all the people of Hawaii, I have strong con-cerns that, in the process of returning self-determination to Hawaiians, we may 1) ultimately fail to improve the lot of all Hawaiians and 2) in-advertently undermine the multi-cultural community that has taken generations to work out. We must not do either. […]

Ours is a special place, created out of a unique history. The cultural ex-periment that was thrust upon us through coincidences was ours to

273 „Dropping the charges“, (H S-B 31.7.1992:A3); siehe auch „State sensitivity needed in future demonstrations“, (H S-B 13.6.1992:A3).

274 „Overthrow: a day-by day account of the overthrow of Hawaii’s monarchy 100 years ago“, (HA 19.11.1992); diese Darstellung des Umsturzes wurde u.a. auch von Hui Na‘auao in die von dieser Organisation verteilten Informationsmaterialien aufgenommen.

275 Waihe‘e war von 1986 bis 1994 Gouverneur des Bundesstaates Hawai‘i.

6. Das Gedenkjahr 1993: Brennpunkte symbolischer Politik 183 fashion. It could have divided us, as it has other communities in other parts of the world faced with a diversity of members. Or it could define us. Fortunately, we collectively chose to let our diversity define who we are. In striving to right the grievous wrong done to Hawaiians as a people and as a nation, we also need to keep that in mind.“276

Waihe‘e beschrieb die Entwicklung der multikulturellen Gesellschaft Hawai‘is als Erfolgsgeschichte, die offenkundige und vielfach untersuchte andauernde Benachteiligung großer Teile gerade der hawaiischen Bevölkerung findet sich verklausuliert am Anfang des Zitats. Ein eher symbolischer Akt des Gouver-neurs sollte später darauf verweisen, wie groß das Konfliktpotenzial einer ein-deutigeren Positionierung hinsichtlich des Umsturzes und seiner Auswirkungen offenbar hätte sein können: Für die Dauer der ‘Onipa‘a-Feierlichkeiten ordnete Waihe‘e das Einholen der amerikanischen Flagge an und ließ sie durch die Flagge des Königreichs Hawai‘i ersetzen, die allerdings in unveränderter Form bis heute die Flagge des Bundesstaates geblieben ist. Eine heftige Kontroverse, die sich auch in den Leserbriefspalten der Tageszeitungen niederschlug, war die Folge.277

Die Wochen vor der eigentlichen Gedenkfeier boten den Medien aber nicht nur Anlass zur Auseinandersetzung mit der Geschichte des Bundesstaa-tes, auch die hawaiische Autonomiebewegung, ihre Vertreter und Ziele waren Gegenstand zahlreicher Artikel und Kommentare (so etwa in der Serie

„Strength from the past“ im Honolulu Star-Bulletin). Unter ihnen fanden sich Darstellungen der einflussreichsten Gruppierungen innerhalb der Bewegung278, Berichte über Beispiele autonomer Regionen in den kontinentalen USA und im Pazifik, die Vorbilder für die Entwicklungen in Hawai‘i sein könnten,279 und schließlich verschiedene Umfragen, die das Meinungsklima in der hawaiischen Bevölkerung zum Gegenstand hatten.280

276 „Sovereignty: Hawaiians must find its meaning for 21st century”, John Waihe‘e (HA 3.1.1993:B1).

Die Vielzahl der angesprochenen

277 Schweizer (2005:443-5) widmet diesem Vorgang eingehend Aufmerksamkeit. Waihe‘e war letztlich Repräsentant der Regierung eines in seiner Mehrheit nicht-hawaiischen Gemeinwesens, die antagonistische Positionen bestenfalls zusammenführen konnte.

278 So z.B. „Sovereignty: a dormant nation stirs“ / „New leaders are mapping the path to sover-eignty“, Becky Ashizawa (H S-B 11.1.1993:A1, A6); „The making of a nation” / „Sovereignty could mean total independence or U.S. ties“, Becky Ashizawa (H S-B 12.1.1993:A1, A6).

279 „Native Americans provide sovereign clues“ / „Hawaiians told to plan carefully“ / „Auton-omy in Pacific Isles a primer for Hawaiians“, Tino Ramirez (H S-B 13.1.1993:A1, A7).

280 So waren einer solchen Umfrage des Honolulu Star-Bulletin zufolge 73% der Hawaiier für eine direkte Kontrolle bestimmter Landflächen durch Hawaiier und nur 26% lehnten die Idee der

„Native Hawaiian Sovereignty“ ab. Weitere veröffentlichte Ergebnisse waren u.a. die Befürwor-tung der Einbeziehung von Nicht-Hawaiiern in den Entwicklungsprozess einer hawaiischen Nation durch 54% und dass immerhin 52% der Hawaiier meinten, die Bevölkerung Hawai‘is stünde der hawaiischen Kultur aufgeschlossen gegenüber; „Hawaiians serious on sovereignty“,

Themen sowie der in Artikeln und Interviews von Bewegungsvertretern geäu-ßerten Meinungen wies aber auch auf eine Problematik hin, die von dem

„Trommelfeuer“ der Berichterstattung nicht nur nicht gelöst, sondern fast noch verstärkt wurde: Für viele „Außenstehende“, zu denen 1993 der größte Teil der Bevölkerung zu zählen war, und wohl auch für die meisten Hawaiier selbst stellten die unterschiedlichen Ziele und Herangehensweisen der verschiedenen Gruppierungen ein zunächst verwirrendes Spektrum politischer, ökonomischer und sozialer Perspektiven dar.281 Ein Leitartikel des Honolulu Star-Bulletin kommentiert drei Tage vor dem Beginn der ‘Onipa‘a-Feier diese Vielfalt von Äußerungen hawaiischen Strebens nach Autonomie:

„[…] Does sovereignty mean secession from the United States? A se-lective immigration policy for mainlanders and foreigners? The vague-ness of response on these points among sovereignty advocates is con-fusing and disturbing.

Does sovereignty mean a designated area for native Hawaiian residen-cy, much like Navajo reservations in Arizona and New Mexico? If so, which land would comprise it and how many islands be part of it? […]

Since most people here agree the events of 1893 were unjust and de-serve apologies and some kind of repayment, the question is what should be done about it. If sovereignty is to be part of a federal settle-ment for past debts and injustices, the burden is on those pursuing the goal to define its boundaries.”282

Es fällt auf, dass der Autor seine Aufzählung mit einigen für die meisten Nicht-Hawaiier bedrohlich wirkenden Szenarien begann: einer Sezession Hawai‘is, der Begrenzung und Regelung der Zuwanderung von US-Bürgern sowie einge-schränkter Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit auf den Inseln für Bürger nicht-hawaiischer Abstammung. Nun besteht zwar hinsichtlich vieler Fragen Uneinigkeit innerhalb der Autonomiebewegung, doch fällt es schwer, dem Autor keine tendenziösen Absichten zu unterstellen: hätte doch das aufmerk-same Lesen der eigenen Zeitung deutlich machen müssen, dass es zwar Mei-nungsverschiedenheiten zwischen den hawaiischen Organisationen und Grup-pierungen gab (und gibt), jedoch jede einzelne von ihnen, und zumal Ka Lāhui Hawai‘i, Ka Pākaukau oder das I.A.H.A., sehr genaue Vorstellungen von ihren

Becky Ashizawa (H S-B 6.1.1993:A1, A8); „Non-Hawaiians role for nation backed“, Becky Ashizawa (H S-B 15.1.1993:A6).

281 Um den Informationsstand der (hawaiischen) Bevölkerung hinsichtlich der „Hawaiian Sovereignty“ zu heben, wurde bereits im September 1991 Hui Na‘auao, ein Zusammenschluss von ca. 40 hawaiischen Organisationen, gegründet. Hui Na‘auao führte Informationsveranstal-tungen durch und gehörte zu den Hauptsponsoren des mehrtägigen ‘Onipa‘a-Schauspiels.

282 „Sovereignty terms could use clearer definition“, (H S-B 12.1.1993:A16).

6. Das Gedenkjahr 1993: Brennpunkte symbolischer Politik 185 jeweiligen Zielen hatte und diese der Öffentlichkeit auch keinesfalls vorent-hielt. Allerdings weist der Kommentar auch darauf hin, dass es den verschiede-nen Trägern der hawaiischen Bewegung bis zu diesem Zeitpunkt nicht gelun-gen war – trotz der Bemühungelun-gen von Hui Na‘auao, dem Office of Hawaiian Affairs und anderen – der Öffentlichkeit die Notwendigkeit einer andauernden innerhawaiischen Diskussion und Meinungsfindung hinsichtlich Autonomie und Sovereignty nahe zu bringen.

„‘Onipa‘a – Five Days in the History of the Hawaiian Nation“

„Fünf Tage in der Geschichte der hawaiischen Nation“ – so lautet der Titel einer vom Office of Hawaiian Affairs herausgegebenen aufwendig gestalteten Publikation über den Ablauf der ‘Onipa‘a-Feierlichkeiten (OHA 1994b). Die Herausgeber waren sich dabei der Mehrdeutigkeit des Titels (der zum einen den Rückblick auf fünf Tage im Januar 1893 beschreibt und zum anderen und zugleich einen Bericht über die Gegenwart der hawaiischen Nation während fünf Tagen im Januar 1993 ankündigt) durchaus bewusst. Im Klappentext des Buches heißt es:

„... the descendants of the ancient civilization that once thrived in these Pacific islands united to express their love for the memory of their Queen Lili‘uokalani, to mourn the overthrow of the Hawaiian Kingdom on January 17, 1893, and to call out to the world that the right of self-determination must be restored to their sovereign nation“ (OHA 1994b:Klappentext vorn).

Die fünf Tage dauernden Festlichkeiten präsentierten sich als breites Spektrum aktueller hawaiischer Formen kultureller und politischer Selbstvergewisserung:

Neben der Nachstellung historischer Ereignisse, der Aufführung von hawaii-scher Musik und traditionellem Tanz gehörten hierzu auch historisierende Tra-ditionspflege und revitalisierte kulturelle Praktiken. Bei Demonstrationszügen, die ebenfalls verschiedene der genannten Elemente einbezogen, untermauerte der Bezug auf den Umsturz von 1893 die politischen Forderungen der Gegen-wart.

Zwischen Parlamentsgebäude und ‘Iolani Palast steht eine Statue der Königin Lili‘uokalani, die Besucher nach wie vor regelmäßig mit frischen Blumen schmücken – hier fand am Mittag des 13. Januar 1993 die offizielle Eröffnung der „‘Onipa‘a Centennial Observance“ statt.283

283 Siehe zu Eröffnung und weiterem Verlauf der Feier OHA (1993a:10), OHA (1994b:23 ff.), Schweizer (2005:423 ff.).

Zu den geladenen Gästen zählten zahlreiche Offizielle aus Staats- und Stadtverwaltung, Mitglie-der des Office of Hawaiian Affairs sowie internationale Würdenträger. Unter

den Rednern waren die Vorsitzende des Planungsgremiums Senatorin Tungpalan, Gouverneur Waihe‘e, der hier unter großem Applaus seine Ent-scheidung verkündete, die US-Flagge im historischen Regierungsbezirk von Honolulu einzuholen, und der damalige Vorsitzende des Office of Hawaiian Affairs, Clayton Hee. Grußbotschaften der beiden Senatoren im US-Senat so-wie der US-Kongressabgeordneten des Staates Hawai‘i wurden verlesen. Am Nachmittag fand dann mit einer Mahnwache des Councils of Hawaiian Organizations die erste symbolträchtige Veranstaltung im Rahmen der Gedenk-feiern statt: Vertreter der Organisation entzündeten 100 Fackeln und begannen eine 100-stündige Wache zur Erinnerung an den Sturz der Königin. Bereits am ersten Veranstaltungstag zeichneten sich deutliche politische Bruchlinien ab:

So richtete Ka Lāhui Hawai‘i als bedeutendste der staatsfernen politischen Gruppierungen eine eigenständige Parallelveranstaltung aus: eine als

„Kūpuna284

Jeder der weiteren Veranstaltungstage begann mit einer Andacht, von den Veranstaltern als „Spiritual Ho‘okupu

Vigil“ bezeichnete vierstündige Mahnwache, die auch an den fol-genden Tagen wiederholt wurde.

285 to Queen Lili‘uokalani“ angekün-digt, an der Gouverneur Waihe‘e, Mitglieder der „Royal Societies“ (Ali‘i-Gesellschaften, wie sie bis heute in Hawai‘i bestehen) sowie geladene Vertreter zahlreicher hawaiischer Organisationen teilnahmen. Bestimmendes Element eines jeden Tages waren aber die Episoden des Schauspiels „January 1893“, das an den Originalschauplätzen der Ereignisse aufgeführt wurde.286

Der 17. Januar 1993, der eigentliche Gedenktag an den erzwungenen Thronverzicht Lili‘uokalanis, begann mit einer Gedächtniszeremonie der

„Royal Societies“ in Mauna ‘Ala, der Begräbnisstätte aller hawaiischer Monar-chen seit Kamehameha III. Fast zur gleiMonar-chen Zeit formierte sich in der Innen-stadt von Honolulu eine sehr gegensätzliche und auf die Gegenwart bezogene Veranstaltung: Unter der Leitung von Ka Lāhui Hawai‘i versammelten sich Tausende von Hawaiiern und zogen in einem Demonstrationszug zum ‘Iolani Daneben fanden Konzerte der Royal Hawaiian Band mit zeitgenössischer Musik statt und verschiedene Präsentationen machten mit traditioneller hawaiischer Hand-werkskunst bekannt. Ein neo-traditionelles Element zahlreicher Einzelveran-staltungen im Rahmen der Gedenktage war die Einleitung durch Kantoren, die überlieferte Trauergesänge und Gebete anstimmten, sowie die begleitende Auf-führung von Tänzen im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

284Kupuna (Plural: Kūpuna) bezeichnet Mitglieder der Großelterngeneration bzw. Ahnen und Vorfahren.

285 Das Wort Ho‘okupu bezeichnete in der traditionellen hawaiischen Gesellschaft die als Zei-chen des Respekts an ein Oberhaupt gegebenen zeremoniellen GesZei-chenke.

286 Das mehrtägige Schauspiel, in das mehr als einhundert Schauspieler und Statisten eingebun-den waren, wurde von Hui Na‘auao zur Information der Öffentlichkeit gesponsert. Siehe zum Ablauf ausführlich OHA (1994b:53 ff.), Schweizer (2005:425-33).

6. Das Gedenkjahr 1993: Brennpunkte symbolischer Politik 187 Palast.287 Lilikalā Kame‘eleihiwa, selbst Sprecherin auf der Schlusskundge-bung, zählte in einem Artikel des Journal of Pacific History zahlreiche Redner und ihre jeweiligen Themen auf. Indem sie zu den Redebeiträgen von Ka Lāhui-Vertretern sehr spezifische Angaben machte, die Beiträge politischer Rivalen eher pauschalisierte und beim Office of Hawaiian Affairs gar auf die namentliche Nennung der Redner verzichtete, ging sie dabei sehr wertend vor – dies wirft ein Schlaglicht auf die trotz des gemeinsamen Gedenkens fortbeste-hende und ausgeprägte Konkurrenz zwischen den einzelnen Autonomiegrup-pierungen und ihren Vertretern:

„The topics included events of Hawaiian history (by Terry Kanalu Young), discussion of an appropriate land base (Lilikalā Kame‘eleihiwa [Ka Lāhui Hawai‘i; U.M.]), analysis of American and Democratic Party opposition to the sovereignty movement (Haunani-Kay Trask [Ka Lāhui Hawai‘i; U.M.]), a detailed description of how the nation would work (Mililani Trask [Ka Lāhui Hawai‘i; U.M.]), a call for the entire island chain to be returned (Kekuni Blaisdell/Hayden Burgess [Ka Pākaukau, IAHA; U.M.]), a plea to regard all Hawaiians, regardless of political chicanery, as potential nice-guy Hawaiians (Dennis ‘Bumpy’ Kanahele [Nation of Hawai‘i; U.M.]), and a sugges-tion that all Hawaiians should work with the appropriate state agency to achieve sovereignty (Office of Hawaiian Affairs)“ (Kameeleihiwa 1993:65).

Ungenannt bleibt in Kame‘eleihiwas Auflistung der Präsident der Generalsy-node der United Church of Christ (USA), Paul H. Sherry: Er verlas auf dieser Kundgebung – bereits vor der offiziellen Verkündung am Nachmittag – eine

„Apology to Nā Kānaka Maoli“.288

287 Über die Zahl der Teilnehmer liegen unterschiedliche Angaben vor: Während die Polizei eine Zahl von 10.000 schätzte („10.000 march to sounds of sovereignty“, Shannon Tangonan [HA 18.1.1993:A3]), gingen die Organisatoren von 15.000 (Kame‘eleihiwa 1993:63) oder sogar 16.000 Teilnehmern aus (OHA 1994b:106). Ich wähle hier die am häufigsten genannte Teilneh-merzahl von 15.000 (vgl. Schweizer 2005:439). Bleibt anzumerken, dass die Gewaltlosigkeit des Demonstrationszuges sowie das Fehlen von Ausschreitungen während der Kundgebung der Presse durchaus eine Notiz wert war („10.000 march to sounds of sovereignty“, Shannon Tangonan (HA 18.1.1993:A3).

Mit dieser nicht unumstrittenen Erklärung

288 Die United Church of Christ (UCC) ist die Rechtsnachfolgerin des American Board of Commissioners for Foreign Missions und vertritt heute 110 Kirchengemeinden in Hawai‘i, die sich zum Teil noch auf Gründungen der Missionare zurückführen lassen. Der Text der Entschul-digung ist vollständig abgedruckt bei Schweizer (2005:436-8). Die EntschulEntschul-digung der Kirche

288 Die United Church of Christ (UCC) ist die Rechtsnachfolgerin des American Board of Commissioners for Foreign Missions und vertritt heute 110 Kirchengemeinden in Hawai‘i, die sich zum Teil noch auf Gründungen der Missionare zurückführen lassen. Der Text der Entschul-digung ist vollständig abgedruckt bei Schweizer (2005:436-8). Die EntschulEntschul-digung der Kirche