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Hawaiische Hochseefahrt: Hōkūle‘a und Hawai‘iloa

5. Politisierung des Kulturellen – Kulturalisierung des Politischen

5.3 Hawaiische Hochseefahrt: Hōkūle‘a und Hawai‘iloa

Wie die hawaiische Sprache und der Tanz Hula, bleibt auch das hochseetüchti-ge Sehochseetüchti-gelboot Hōkūle‘a243 bis heute ein herausragendes Beispiel kultureller Revitalisierung und Kernsymbol hawaiischer Kultur. Noch immer ziehen das 1975 gebaute Doppelrumpfboot und die Reihe späterer Nachbauten der großen polynesischen Fernreiseboote die Menschen in ihren Bann, sei es bei der Be-sichtigung der inzwischen an der Kaimauer des Hawai‘i Maritime Museum in Honolulu liegenden Hōkūle‘a oder bei Aufbruch oder Heimkehr ihrer Schwes-terschiffe Makali‘i und Hawai‘iloa. Historische Abbildungen von Doppel-rumpfbooten oder zum Logo stilisierte Formen werden aber auch von Instituti-onen und Firmen genutzt,244

Kulturelle und politische Aspekte wie eine pan-polynesische Zusam-mengehörigkeit, die „uralte“ polynesische Tradition der Langstreckenreisen und eine bestimmte Vorstellung der ‘Ohana, des hawaiischen Familienverban-des, wurden durch die Fahrten der Hōkūle‘a popularisiert und in Liedern gefei-ert. Heute ist die hawaiische Seefahrt innerhalb der politischen Bewegung (nach den bewegten 1970er Jahren) von eher marginaler Bedeutung; doch ha-ben ritualisierte Verehrung, Poetisierung sowie alte und neue hawaiische Ver-gangenheitsdiskurse den Booten auf ihrem Weg vom konfliktträchtigen Experi-ment zum gefeierten „Mainstream-Event“ einen bleibenden Ehrenplatz gesi-chert.

um ihre jeweils spezifische Bindung an den Ar-chipel herauszustreichen – mehr als irgendeines der anderen kulturellen Kern-symbole wirken die traditionellen Doppelrumpfboote auch über den Kreis der hawaiischstämmigen Inselbevölkerung hinaus. Die Fahrt der Hōkūle‘a nach Tahiti im Jahre 1976 gab den Anstoß für eine erneute, intensive Auseinander-setzung mit traditionellen Techniken sowie kulturellen Vorstellungen, und George Kanahele schreibt der Hōkūle‘a sogar eine Katalysatorfunktion für die gesamte spätere Entwicklung der „Hawaiian Renaissance“ zu (Finney 1994:75;

[Kanahele 1982]).

243Die Hōkūle‘a („Stern der Freude“) ist nach einem polynesischen Navigationsstern benannt;

wahrscheinlich handelt es sich dabei um den Fixstern Arcturus (Pukui u. Elbert 1986).

244 Beispiele hierfür sind u.a. das Signet der Bank of Hawai‘i oder das Logo des Online-Auftritts der University of Hawai‘i – „Hawai‘i Voyager“.

Hōkūle‘a: wissenschaftliches Projekt und kulturelle Revitalisierung

Während hawaiische Initiativen zur Förderung der Sprache und des Hula auf durchgängige, über die Zeit der großen gesellschaftlichen und politischen Um-brüche hinaus fortbestehende Traditionen zurückgreifen konnten, waren die Überlieferungsstränge des hawaiischen Bootsbaus und der Navigation kaum noch nachvollziehbar oder gar abgerissen. Anders als die Revitalisierung der hawaiischen Sprache oder des spirituell geprägten Hula begann die Erneuerung der hawaiischen Hochseefahrt – und damit die Schaffung eines der zentralen hawaiischen Identifikationssymbole – als ein zunächst überwiegend nicht-hawaiisches Wissenschaftsprojekt: Für den Ethnologen Ben Finney, der sich in den 1960er Jahren mit der Besiedlungsgeschichte des hawaiischen Archipels beschäftigte, stand die Frage nach der Möglichkeit gezielt navigierter Seefahr-ten zwischen Hawai‘i und Tahiti (Kahiki), von denen hawaiische Legenden für die Zeit vom 12. bis 14. Jahrhundert berichten, im Vordergrund seiner Untersu-chungen.245

Als 1778 die ersten Europäer den abgelegenen Archipel erreichten, kamen ihnen Hawaiier in Doppelrumpfbooten (wa‘a kaulua) entgegen, die jedoch bereits zu dieser Zeit nur mehr dem interinsularen Verkehr sowie Fahr-ten entlang den KüsFahr-ten dienFahr-ten – die Zeit der legendären FernfahrFahr-ten war vor-bei und auch die notwendigen Navigationskenntnisse waren in Vergessenheit geraten.246

1973 gründete Ben Finney gemeinsam mit Charles T. Holmes und Herb Kawainui Kāne die „Polynesian Voyaging Society“ (PVS), deren Ziel der

Finney wollte nun im Rahmen einer „experimentellen Archäologie“

herausfinden, ob das traditionelle wa‘a kaulua am Wind (und somit gegen die jeweils herrschenden Passate) gesegelt werden konnte – eine der Grundvoraus-setzungen für eine Fahrt von Hawai‘i nach Tahiti mit der den alten Hawaiiern bekannten Technologie. Nach gelungenen Probefahrten eines ersten Boots-nachbaus vor der kalifornischen Küste machte Finney es sich zur Aufgabe, den Nachweis zu erbringen, dass ein mit traditionellen polynesischen Navigati-onstechniken gesteuerten wa‘a kaulua in der Lage wäre, die Distanz von fast 5000 km nach Tahiti und zurück zu überwinden.

245 Siehe zusammenfassend zu wissenschaftlichen Besiedlungstheorien und der Frage möglicher

„return voyages“ Bellwood (1978:301-3) und Finney (1994:13-29). Während die Herkunft der polynesischen Entdecker der hawaiischen Inseln nach den Ergebnissen der Linguistik und Ar-chäologie allgemeine Akzeptanz findet, werden die Fragen der technischen und navigatorischen Voraussetzungen jener Seefahrer, d.h. ob die Entdeckungsfahrten planmäßig durchgeführt wur-den und ob z.B. navigierte Fahrten zwischen Tahiti und Hawai‘i in beide Richtungen möglich waren, weiterhin diskutiert.

246 Die Zahl dieser Boote muss beeindruckend gewesen sein: allein die von Kamehameha I. zur Eroberung Kaua‘is ausgerüstete Flotte soll bis zu 800 Doppelrumpfboote umfasst haben (Lal u.

Fortune 2000:80). Das Ende der polynesischen Fernfahrten wird von Finney (1994:292-304) diskutiert. Zur Zeit der europäischen Entdeckung bestanden aber noch Seefahrtsverbindungen zwischen Sāmoa, Fiji und Tonga.

5. Politisierung des Kulturellen – Kulturalisierung des Politischen 167 Nachbau eines hawaiischen Doppelrumpfbootes sowie die Durchführung einer Fahrt von Hawai‘i nach Tahiti und zurück war (Finney 1979:20). Neben der Verfolgung des wissenschaftlichen Programms beabsichtigten die Initiatoren zugleich, mit dem Bau der 1975 zu Wasser gelassenen 19 Meter langen Hōkūle‘a einen Beitrag zur kulturellen Revitalisierung in Hawai‘i und anderen pazifischen Inselstaaten zu leisten:

„We hoped that our effort to reconstruct a voyaging canoe, and then sail it over a traditional route celebrated in chant and legend, would al-so serve the cause of Polynesian cultural revival - would make Hawai-ians, and other Polynesians whose cultural identity has become blurred in modern times, know and better appreciate the great maritime achievements of their stone age ancestors“ (Finney 1979:6).

Vor allem der Konstrukteur der Hōkūle‘a, Herb Kāne, trieb diesen Aspekt des Projektes aktiv voran. Für Kāne – von hawaiischer Abstammung, doch fern den Inseln im Mittleren Westen der USA aufgewachsen und ausgebildet – war das Projekt auch Teil eigener Identitätssuche (Finney 1979:21).247

Für die sich entwickelnde hawaiische Bewegung war der Nachbau ei-nes traditionellen hawaiischen Doppelrumpfbootes bald eine ideale Projekti-onsfläche für zunehmend vehement artikulierte kulturelle Vorstellungen und auch politische Forderungen. Das Boot selbst sowie die später mit ihm verbun-denen kulturellen Aktivitäten waren offenbar ein ideales „Bindeglied“ zwi-schen der US-amerikanisch geprägten Gegenwart des größten Teils der über-wiegend urbanen Hawaiier und einer bedeutenden voreuropäisch-hawaiischen Kultur und Geschichte, zu der viele von ihnen jeglichen Kontakt verloren hat-ten.

Kurz vor dem Aufbruch zur ersten Fahrt nach Tahiti beschreibt er in einem Artikel mit dem Titel „A canoe helps Hawaii recapture her past“ das historische Doppelrumpf-boot als „Raumschiff“ („spaceship“ [Kane 1976:471]) der hawaiischen Vorfah-ren, das einst überall auf den Inseln die ehrfürchtige Bewunderung der hawaii-schen Bevölkerung hervorrief: „The voyaging canoe! It lay at the very heart of Polynesian culture. Without it there would be no Polynesia“ (Kane 1976:475) – eine emphatische Feststellung, die weit über den Rahmen kultureller Revitali-sierung in Hawai‘i selbst hinausgreift und die Inseln sowie ihre indigenen Be-wohner in einem pan-polynesischen kulturellen Kontext lokalisiert und ver-ankert.

Zugleich zeigten sich aber auch gerade zu Beginn des Projektes sehr deutlich widerstreitende Interessen der beteiligten Parteien: Während die

247 Herb Kawainui Kāne ist heute unter der hawaiischen Künstlerschaft sehr anerkannt: im Früh-jahr 2006 wurde ihm der Kū i ka Ni‘o-Award für sein Lebenswerk verliehen.

toren des Projektes eine möglichst genaue historische Rekonstruktion verfolg-ten, sahen viele Hawaiier die Hōkūle‘a vielmehr als Symbol einer auch pol i-tisch motivierten hawaiischen Identität.248

Jocelyn Linnekin (1983:244-6) stellte die Hōkūle‘a in eine Reihe „na-tionalistischer Symbole“ der hawaiischen Bewegung, wobei sie die Frage der Authentizität in den Vordergrund rückte (1983:245): „In the cultural revival, isolated facts have been transformed into symbols of Hawaiianness and accorded a significance without precedent in aboriginal Hawaiian society“.

Hinsichtlich des neu erbauten Doppelrumpfbootes heißt es bei ihr weiter: „Ar-guments ensued over the authenticity of the Hokule‘a’s construction; the pur-ists in the dispute were the haole academicians. The Hawaiian crewmen, alt-hough fiercely anti-haole, felt that modern improvements would not tarnish the canoe’s significance for their cause“.

Anders als bei der im vorangegange-nen Kapitel aufgezeigten Traditionalisierung und „Festschreibung“ des Hula bot der Rekurs auf die traditionelle Seefahrt zahlreiche „Leerstellen“ hinsicht-lich „hawaiischer“ Praktiken, die im Sinne einer gegenwärtigen hawaiischen Kultur- und Identitätspolitik von beteiligten Hawaiiern mit (Neo-) Traditionen gefüllt werden konnten. Finney selbst merkte hierzu kritisch an: „We were not prepared for the degree to which some Hawaiians who became associated with the project after its inception freely began to innovate culturally“ (1991:398).

Als Beispiel nennt er die Neuschöpfung einer ‘Awa- (Kawa-) Zeremonie durch Mitglieder der Crew, die sich hierbei nicht an hawaiischen Überlieferungen, sondern vielmehr an zentralpolynesischen Vorbildern orientierten (anders als z.B. in Sāmoa oder Tonga war der Konsum von ‘Awa in Hawai‘i den Überlie-ferungen zufolge nicht mit komplexen Zeremonien verbunden).

249 Kritikpunkte waren die Verwendung moderner Techniken und Materialien für die Konstruktion der Hōkūle‘a (deren Rümpfe aus Fiberglas und Holz bestanden) sowie der Verzicht der hawaiischen Crew auf den traditionellen Proviant.250 Eine sehr weitgehende Neuinterpreta-tion hawaiischer TradiNeuinterpreta-tionen war die Forderung der hawaiischen Mannschaft nach Aufgabe hierarchischer Entscheidungsstrukturen. Eine solche Rang-ordnung widerspräche der hawaiischen ‘Ohana-Struktur,251

248 Siehe z.B. Linnekin (1983:244-6).

unter der sie eine egalitäre, gleichberechtigte Gemeinschaft verstanden – wobei sie den Hinter-grund der in allen Lebensbereichen hierarchisch nach Abstammung,

Ge-249 Mehr als ein Jahrzehnt nachdem Linnekin dies schrieb, fand vor dem neuen Hintergrund inzwischen existierender unterschiedlicher Modelle hochseetüchtiger Doppelrumpfboote diese Debatte auch unter den indigenen Mannschaften und Bootsbauern statt (s.u.).

250 Überlieferte Konservierungstechniken wurden im Vorfeld der ersten Reise zu Herstellung des Proviants benutzt. Allerdings lehnten gerade die Hawaiier den Verzehr von Tarobrei (poi) und anderen mehr oder weniger gut konservierten Nahrungsmitteln ab (Lewis 1976:518; Kane 1976:477 f.).

251 Die ‘Ohana ist der traditionelle erweiterte Familienverband.

5. Politisierung des Kulturellen – Kulturalisierung des Politischen 169 schlecht oder Alter organisierten Gesellschaft der voreuropäischen Zeit offen-bar ausblendeten. Auch gab es deutliche Kritik an der Führung des Bootes durch einen Navigator aus Mikronesien, Mau Piailug von der Insel Satawal (Yap), der die traditionellen (mikronesischen) Methoden der Sternennavigation noch beherrschte. In Hawai‘i fand sich niemand, der über solche überlieferten seefahrerischen Kenntnisse verfügte. Zwischen dem alten Navigator und der jungen hawaiischen Mannschaft brachen darüber hinaus so deutliche Konflikte hinsichtlich der Autoritätsstrukturen auf, dass Piailug sich weigerte, die Hōkūle‘a auch bei ihrer Rückfahrt zu steuern, und direkt von Tahiti nach Yap zurückkehrte.

Ben Finney, der Initiator des Projekts, musste schließlich feststellen, dass sich die beabsichtigte Zusammenführung von Wissenschaft und kultureller Revitalisierung vor dem Hintergrund der politischen Situation im Hawai‘i der 1970er Jahre als ausgesprochen schwierig erwies: „Little did we know that, in the context of modern Hawaii, to join cultural revival with experimental voyaging was to create an explosive mixture...“ (1979:6).

Die kulturelle Aneignung der modernen Doppelrumpfboote: hawaiische Stim-men Die Jungfernfahrt der Hōkūle‘a von Hawai‘i nach Tahiti galt zunächst dem Nachweis, dass die Bewältigung der Distanz zwischen Hawai‘i und den Inseln Ostpolynesiens in beiden Richtungen für die Hawaiier der voreuropäischen Zeit technologisch und navigatorisch möglich war. Sie sollte zugleich zeigen, dass Hawaiier der Gegenwart die Taten ihrer Vorfahren wiederholen konnten und bot damit die außergewöhnliche Möglichkeit, eine ganze Bevölkerungs-gruppe in die unumstritten große seefahrerische Vergangenheit der Polynesier zu stellen. Die großen Erwartungen und das emotionale Potential dieser Fahrt und des Bootes begegnen uns z.B. im Text eines Liedes, das aus Anlass der Jungfernfahrt für die damals einzige hawaiischsprachige Radiosendung in Hawai‘i geschrieben wurde und dessen englische Übersetzung lautet: „We have seen for ourselves / Hōkūle’a / The beautiful double hull canoe / Like a bird sailing at sea / […] / This is our song / For the Hōkūle‘a canoe / We will be with you / On your trip to and from Tahiti“ (Übersetzung bei Kimura 1976).252

War die erste Reise der Hōkūle‘a noch von Kontroversen zwischen Projektleitung und großen Teilen der Mannschaft geprägt (hawaiische Mitglie-der verlangten den Ausschluss aller „Haole“ von dem Projekt sowie den Ein-satz des Doppelrumpfbootes im politischen Protest gegen die Besetzung der

252„Ua ‘ike maka mākou / Iā Hōkūle’a / Wa‘a kaulua nani / Mehe manu a ka holo kai […] / Puana ‘ia mai / Wa‘a Hōkūle’a / ‘O mākou pū me ‘oe / I ka holo a ho‘i mai“ (Kimura 1976).

Insel Kaho‘olawe durch die US-Navy253), so stand die zweite große Fahrt des Bootes im Jahre 1980 bereits unter einem anderen, überwiegend hawaiischen Vorzeichen. Inzwischen war der Hawaiier Nainoa Thompson vom Meister Piailug in der Kunst der Sternennavigation unterwiesen worden, und es war Thompson, der die Hōkūle‘a von Hawai‘i nach Tahiti und zurück führte. 1985 brach die Hōkūle‘a zur so genannten „Voyage of Rediscovery“ auf, die über Tahiti, Rarotonga und Sāmoa nach Aotearoa/Neuseeland führte und auch auf diesen Reisestationen zu einer Popularisierung der polynesischen Seefahrttech-niken beitrug. In einem später geschriebenen Mele Oli, einem an alt-hawaiische Vorbilder angelehnten Sprechgesang, erinnerte der Hawaiischlehrer K. Kalani Akana an die Rückkehr der Hōkūle‘a im Mai 1987. Die englische Übersetzung des Textes lautet: „[...] Here comes the worthy canoe / A vessel that seeks knowledge / A canoe that awakens us at the breaking of dawn / It is best that you paddle, warriors, who champion us / For Hawai‘i, for the nation / Here is the sustaining water, an immense cloud / This is the sign that you look for“.254

Die Hōkūle‘a blieb nicht allein: Fast 20 Jahre nach ihrem Stapellauf segelten 1995 bereits drei Doppelrumpfboote von Hawai‘i nach Tahiti: außer der Hōkūle‘a die nach dem Gestirn der Pleiaden benannte Makali‘i (ein kleine-res, aus Fiberglas hergestelltes Doppelrumpfboot von der Insel Hawai‘i) sowie die Hawai‘iloa, benannt nach jenem legendären Seefahrer, dem die hawaii-schen Legenden die Entdeckung der Inseln zuschreiben (siehe Beckwith 1970:363-4).

Wenn der Autor die „Krieger, die für Hawai‘i und die Nation eintreten“ („nā koa ...“) anruft, treten in diesem späteren Text die politischen Gegenwartsbezü-ge sehr deutlich neben den Aspekt des Stolzes auf die VerganGegenwartsbezü-genheit.

255 Der Bau der Hawai‘iloa war ein gemeinsames Projekt der Polynesian Voyaging Society und des Native Hawaiian Culture and Arts Pro-gram/Bishop Museum (NHCAP), das seine Mission ganz im Sinne der kultu-rellen Revitalisierung beschreibt und mit diesem „Mission Statement“ zugleich den Blick auf eine als bedeutend wahrgenommene hawaiische Vergangenheit richtet:

„We pay our highest tribute to our native Hawaiian predecessors and their unique and mighty civilization ... From the antagonisms that first beckoned ancient Polynesian explorers across vast unknown regions of

253 Finney sah diese Forderungen durchaus als Bedrohung des gesamten vorgesehenen wissen-schaftlichen Programms an (1979:76-91).

254„[...] Eia a‘e ka wa‘a holo / He wa‘a ‘imi ola / He ho‘ālahia ka wa‘a i ke kakahiaka / O kā i ka hoe e nā koa e paio ana / No Hawai‘i, no ke aupuni / Eia ka lawe wai, he ka’apeha / ‘O ia ka hō‘ailona ē“ (zit. nach Hartwell 1996:86; Übersetzung ebd.).

255 Der Bau der auf Big Island beheimateten Makali‘i wurde durch private Spenden und Zuwen-dungen des Office of Hawaiian Affairs finanziert, während an der Finanzierung des Hawai‘iloa Projektes der US National Park Service beteiligt war.

5. Politisierung des Kulturellen – Kulturalisierung des Politischen 171 the Pacific to the horrific calamities that befell his [sic!] innocent yet wise Hawaiian descendants, grew an unyielding will to survive. It is from this struggle of our forebears, our Kupuna, that came the rich tra-ditions and customs ... that sustained a highly sufficient society in total isolation. We hope to imbue all who follow with the pride that comes from understanding and appreciating these cherished ancestral gifts, to help them become keepers of their culture and environment and to im-prove the quality of life in Hawai‘i. Our commitment...our mission is the perpetuation of our Hawaiian culture in the future for all genera-tions“ (NHCAP 1991:1).

Die Hawai‘iloa ist ein fast vollständig aus Holz und anderen traditionellen Ma-terialien hergestelltes Doppelrumpfboot. Das für den Bau der beiden Rümpfe (bei denen es sich traditionell um Einbäume handelte) benötigte Holz konnte indes nicht auf den Inseln gewonnen werden – die von den frühen hawaiischen Bootsbauern verwendeten gewaltigen Stämme des Koa-Baumes (Acacia koa) sind heute auf den Inseln in der benötigten Größe nicht mehr zu finden. Das benötigte Baumaterial wurde nun nicht einfach importiert, sondern im Rahmen einer stark traditionalistisch betonten „indigenen Kooperation“ der Natur ent-nommen und nach Hawai‘i überführt.

Unter Leitung des zukünftigen Navigators der Hawai‘iloa, Nainoa Thompson, verhandelte eine hawaiische Delegation mit Vertretern der an der Westküste Alaskas lebenden Haida und Tlingit (SeAlaska Corporation) über die Überlas-sung von zwei Baumstämmen. Bei der Außendarstellung des Vorganges wurde der Umstand hervorgehoben, dass auch die Haida und Tlingit einem stark ver-ändernden Druck der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt wären und wie die Hawaiier für den Erhalt ihrer gefährdeten Traditionen und Kultur Sorge zu tragen hätten (Simpson 1995:8). In einer feierlich inszenierten ge-meinsamen Übergabezeremonie fand der Beschaffungsvorgang seinen Ab-schluss: ein Oberhaupt der Tlingit segnete die bereits gefällten Bäume und die in neo-traditionelle Lendentücher (Malo) gekleideten Leiter der hawaiischen Delegation baten die höheren Mächte um Verzeihung für den Eingriff in die Natur.256

Neben der Förderung traditioneller hawaiischer Seefahrtechniken sollte die Fahrt nach Tahiti auch eine Manifestation polynesischer Zusammengehö-rigkeit sein, was sich im Motto der Reise widerspiegelte: „Nā ‘Ohana Holo Moana – Voyaging Families of the Vast Ocean“ (Bishop Museum 1995a).

Durch den Gebrauch des Bildes der Familie (‘Ohana) findet das Gefühl der Zusammengehörigkeit und verwandtschaftlichen Nähe der polynesischen

256 Videopräsentation in der Ausstellung „Hawai‘iloa: Ka ‘Imi ‘Ike – Seeker of Knowledge“

(Bishop Museum 14.1.-4.6.1995); siehe auch Finney 2006:308; NHCAP 1991.

Nachbarn seinen knappen und zugleich schlagenden Ausdruck, verstärkt noch durch den Verweis auf die Weite des Ozeans (Holo Moana), der für Gemein-samkeit, gemeinsame Heimat steht. – Poetischer Ausdruck und politisch-strategische Absicht gehen hier eine (gelungene) Verbindung ein. Besonderen Nachdruck erhielt dieser politische Aspekt des Projekts, als auf der Rückfahrt von den Marquesas nach Hawai‘i drei Doppelrumpfboote von anderen polyne-sischen Inseln die hawaiischen Boote begleiteten.257

Bei Ankunft der Boote in Hawai‘i fanden in Hilo, Kualoa (O‘ahu) und Ke‘ehi (Honolulu) feierliche Empfangszeremonien statt. In Kualoa an der Nordostküste der Insel O‘ahu, in vergangenen Zeiten als einer der heiligsten Orte auf der Insel angesehen (cf. Pukui, Elbert u. Mookini 1974:119), vollzo-gen die Seefahrer ein Ritual, welches im Umfeld des „Polynesian Voyaging“

neu geschaffen und über die Jahre modifiziert wurde. Wie zuvor schon im Marae von Taputapuātea auf Ra‘iatea und in Taiohae auf Nuku Hiva legte jede der Mannschaften einen Stein von ihren Heimatinseln auf einen Ahu258, der aus Steinen der jeweils erreichten Insel aufgeschichtet worden war. So „untermau-erten“ die Seefahrer auch symbolisch die mit der Reise gefeierte gemeinsame Herkunft der heutigen Polynesier. Roland Maiola Logan, einer der Erbauer des Ahu, wurde hierzu wie folgt zitiert:

„We’d like to look at it as another tree that grows … The rocks on the ahu have brought spiritual blessings from all over Polynesia. We hope Kualoa can continue to be a meeting place for canoes and naviga-tors.“259

Gleichwohl blieb auch die hawaiische Gegenwart nicht außen vor: Der eben zi-tierte Erbauer des Ahu äußerte im gleichen Zusammenhang die Sorge, dass die staatliche Verwaltung die Zerstörung des (immerhin ungenehmigt errichteten) Ahu im „Kualoa Beach Park“ (so die offizielle Bezeichnung des „heiligen“

Ortes) anordnen könne. Auch die so sehr verehrten Hochseeboote und das sie umgebende hawaiische Zeremoniell blieben letztlich eingebunden in die (pro-fanen) Regeln und Gesetze des Staates und waren, über den hawaiischen Kon-text hinaus, immer auch Gegenstand medialer oder touristischer Vermarktung.

Ortes) anordnen könne. Auch die so sehr verehrten Hochseeboote und das sie umgebende hawaiische Zeremoniell blieben letztlich eingebunden in die (pro-fanen) Regeln und Gesetze des Staates und waren, über den hawaiischen Kon-text hinaus, immer auch Gegenstand medialer oder touristischer Vermarktung.