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The People’s International Tribunal Hawai‘i

6. Das Gedenkjahr 1993: Brennpunkte symbolischer Politik

6.2 The People’s International Tribunal Hawai‘i

War ‘Onipa‘a eine maßgeblich von staatlichen Stellen initiierte Großveranstal-tung, an der zwar zahlreiche hawaiische Gruppen und Organisationen mitwirk-ten, so ging Ka Ho‘okolokolonui Kānaka Maoli304 („The People’s International Tribunal Hawai‘i) auf eine ausschließlich hawaiische Initiative im Gedenkjahr 1993 zurück. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde auf fünf Hauptinseln des Archipels gegen die USA und ihre Vertreter „verhandelt“: zu den Anklage-punkten zählten Vergehen im Zusammenhang mit dem Umsturz 1893, der An-nexion 1898 sowie der Aufnahme Hawai‘is in die Union im Jahre 1959. Maß-geblicher Initiator dieser Inszenierung eines „Tribunals“, das keinerlei offiziel-len Status besaß, war die Gruppierung Ka Pākaukau. Zu den Unterstützern zählte eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppierungen und Organisationen; alle staatlichen Stellen (mit Ausnahme einiger Universitätsinstitute) sowie das Offi-ce of Hawaiian Affairs trugen – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht zur Durchführung bei.305

Der Ablauf des „Tribunals“ folgte dem Vorbild anderer „inoffizieller“

Tribunale wie z.B. dem Russel-Tribunal von 1967,

Die Veranstalter hatten die Daten für Eröffnung und Schlussverhandlung (das Tribunal dauerte vom 12. bis zum 21. August 1993) mit Bedacht gewählt: am 12. August 1898 annektierten die USA das Territori-um Hawai‘i, am 21. August 1959 wurde Hawai‘i zTerritori-um 50. Staat der Vereinigten Staaten, die Jahreszahl 1993 stand schließlich für den Umsturz und das Ende des formal unabhängigen Königreiches.

306 auf das auch im

„Opening Statement“ verwiesen wurde (Ka Ho‘okolokolonui 1993:2). Das beteiligte Personal307

304 Das Große Gericht der Hawaiier; U.M.

setzte sich aus internationalen Teilnehmern zusammen:

Von den neun „Richtern“ stammten sechs aus den USA (unter ihnen drei An-gehörige so genannter „ethnic minorities“ – Afro-Amerikaner, Cree und

305 Unter den mehr als 30 Unterstützern waren verschiedene Gruppen der Autonomiebewegung vertreten (u.a. Ka Lāhui, Protect Kaho‘olawe ‘Ohana), hawaiische Organisationen wie die Native Hawaiian Legal Corporation oder das Native Hawaiian Advisory Council, kirchliche Organisati-onen, Institute der University of Hawai‘i (u.a. Center for Hawaiian Studies UH Mānoa, Ethnic Studies Program UH Mānoa, Department of Hawaiian Studies UH Hilo), nationale (wie das American Indian Movement AIM) und internationale Organisationen (u.a. Nuclear Free and Independent Pacific NFIP, International Work Group for Idigenous Affairs IWGIA) (Blaisdell u.

Kelly 1993:15; Blaisdell et al. 1994:2).

306 Gegenstand des von dem Philosophen Bertrand Russel initiierten, im Jahre 1967 in London, Stockholm und Kopenhagen tagenden Tribunals waren Kriegsverbrechen der USA in Vietnam – das Russel-Tribunal diente späteren Menschenrechtstribunalen als Vorbild.

307 Die Bezeichnungen der geladenen Teilnehmer orientierten sich an den im US-amerikanischen Gerichtswesen üblichen Begriffen. Diese Bezeichnungen werden hier beibehalten, auch wenn die jeweiligen Beteiligten keine offizielle Rolle innehatten.

6. Das Gedenkjahr 1993: Brennpunkte symbolischer Politik 199 Cherokee)308, die anderen drei aus Südkorea, Neuseeland und Jordanien.309 Ebenfalls aus den USA kamen die drei „Ankläger“.310 International besetzt war wiederum die Gruppe von 23 Beobachtern. Niemand aus diesen direkt beteilig-ten Gruppen war hawaiischer Herkunft – so sollte die Unabhängigkeit des

„Tribunals“ gewährleistet und zugleich nach außen dokumentiert werden. Ver-treter der „Beklagten“ blieben den Verhandlungen fern und wurden während der einzelnen Veranstaltungen durch einen freigehaltenen Stuhl repräsentiert.311

Das von den Vereinten Nationen ebenfalls für 1993 ausgerufene „In-ternational Year of the World’s Indigenous People“ sollte verstärkte Aufmerk-samkeit auf die Situation indigener Bevölkerungen in aller Welt lenken – die hawaiischen Veranstalter des Tribunals nutzten die zufällige Parallelität der Ereignisse und machten von den daraus sich ergebenden Möglichkeiten der Vernetzung mit anderen indigenen Bewegungen Gebrauch (Blaisdell u. Kelly 1993:9). Durch Einladungen an Vertreter indigener Gruppen aus den kontinen-talen USA und dem Pazifik312 unterstrichen sie die internationale Ausrichtung ihrer Veranstaltung, deren Ziele sie wie folgt beschrieben:

„1. To elicit and assemble a comprehensive record of the crimes com-mitted by the US government and its subsidiaries ... against the Kanaka Maoli people and nation.

2. To educate the people of Hawaii, the US and the world community of these crimes.

308 Die amerikanischen „Richter“ waren Milner S. Ball (Prof. f. Verfassungsrecht, University of Georgia), Ward Churchill (Prof. f. American Indian Studies, University of Colorado), Richard Falk (Prof. f. Internationales Recht, Princeton University), Lennox Hinds (Prof. f. Rechtswissen-schaft, Rutgers University), Oda Makoto (Autorin und Literaturkritikerin) und Sharon Venne (Rechtsanwältin).

309 Hyung-Kyung Chung (Theologieprofessorin, Ewha Women’s University Seoul), Te Moana Nui a Kiwa Jackson (Vorsitzender des Maori Legal Service, Wellington) und Asma Khader (Anwalt, Amman).

310 Maivân Clech Lâm (Prof. f. Rechtswissenschaft, City University N.Y.), José Morin (Anwalt und Direktor der North Star Foundation), Glenn Morris (Direktor, Fourth World Center for the Study of Indigenous Law and Politics, University of Colorado).

311 „Tribunal brings out litany of ills foisted on Hawaiians“, Christopher Neil (HA 14.8.93:A5);

eine Einladung an Präsident Clinton, an dem Tribunal teilzunehmen bzw. einen Vertreter zu entsenden, hatte das Organisationskomitee am 31.7.1993 abgesandt, also nicht einmal zwei Wochen vor dem ersten Verhandlungstag (Abdruck des Schreibens in Da Skupes [1993,1<7>:8-9]). Es steht zu vermuten, dass die Veranstalter die Anwesenheit staatlicher Vertreter nicht wirk-lich erwartet hatten, auch wenn offen bleibt, ob der Präsident der USA bei zeitigerer Einladung vielleicht reagiert hätte.

312 Diese von den Veranstaltern als „International Witnesses“ bezeichneten Teilnehmer kamen aus Guam, den Philippinen, Amerikanisch Samoa, Tonga, Puerto Rico sowie verschiedenen Indianernationen der USA (Blaisdell u. Kelly 1993:8; Blaisdell et al. 1994:9). Eingeladen, aber nicht erschienen, war ebenfalls ein Vertreter aus Kuba.

3. To analyze the causes, consequences and implications of these crimes.

4. To establish an historical, moral and legal basis for remedies and to propose effective strategies for appropriate redress“ (Blaisdell u. Kelly 1993:10).

Bei den meisten offiziellen Veranstaltungen im Rahmen von ‘Onipa‘a 1993 standen der Blick in die Vergangenheit und das Gedenken an den Umsturz und den Verlust staatlicher Unabhängigkeit im Vordergrund. Im Kontext des Tri-bunals sollten Umsturz und Annexion hingegen Ausgangspunkt für eine in die Zukunft gerichtete Politik und die weitere Konsolidierung der Hawaiischen Bewegung sein.313 Durch seine am Völkerrecht orientierte Konstruktion sollten der hawaiischen Autonomiebewegung Strategien zur Erlangung der Unabhän-gigkeit aufgezeigt und eröffnet werden:314 zum einen die Einforderung und Anwendung des in einer „Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“ festgeschriebenen Rechts auf Selbstbestimmung indigener Völker,315

Im Einführungsheft zum Ho‘okolokolonui Kānaka Maoli nahmen die Autoren dessen späteren Urteilsspruch auf gewisse Weise vorweg:

zum anderen die Wiederaufnahme Hawai‘is in die UN-Liste jener Gebiete, die von den Vereinten Nationen zur Dekolonisierung vorgesehen werden können (Blaisdell u. Kelly 1993:10).

„The Tribunal Hawai‘i is unique. It is a first for Hawai‘i, for the US and for the World Community. It will bring to light at one time, experi-ences and insights not previously set down in any book nor allowed to be openly expressed before the whole world without being first filtered by the perpetrator – the US colonial government.

Through the voices of the unheard victims in the past and pre-sent, covering over 200 years, the Tribunal will deliver not merely evi-dence that demands a verdict, but a verdict that compels redress.

313 Als konkrete und zentrale Ziele wurden in diesem Zusammenhang genannt: die Verbesserung der Lebensumstände der Hawaiier, die Wiedergutmachung des durch die USA begangenen histo-rischen, moralischen und juristischen Unrechts an den Hawaiiern sowie eine Umkehr der US-Politik der politischen und militärischen Dominanz, der ökonomischen Ausbeutung und kulturel-len Homogenisierung (Blaisdell u. Kelly 1993:10).

314 Zu den juristischen Aspekten des Tribunals siehe Merry (1997).

315 Die Draft Declaration, erarbeitet von der United Nations Working Group on Indigenous Popu-lations in Genf, wurde im Jahr 2007 von der UN-Vollversammlung ratifiziert. Der vollständige Text der „Declaration on the Rights of Indigenous Peoples“ ist verfügbar unter United Nations (2007).