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Der Bundesstaat Hawai‘i und die „Hawaiian Sovereignty“

4. Politische Gruppierungen und staatliche Institutionen

4.4 Der Bundesstaat Hawai‘i und die „Hawaiian Sovereignty“

Dem Bundesstaat Hawai‘i und seinen Institutionen kommt über direkte bzw.

indirekte Einflussnahmen eine zentrale Rolle für die hawaiischen Bemühungen um Selbstbestimmung zu. Der Bundesstaat kontrolliert nicht nur den größten Teil der von den Vertretern der „Sovereignty“-Bewegung für die Hawaiier reklamierten Ressourcen, seine vielfältigen Institutionen und die staatliche Gesetzgebung bestimmen unmittelbar viele Lebensaspekte der hawaiischen Bevölkerung und grenzen auch den legalen Aktionsradius der politischen Be-wegung ein.

Es kann nicht verwundern, wenn der größte Teil der organisierten Au-tonomiebewegung den Bundesstaat Hawai‘i immer wieder auf seine „illegale“

Herkunft hinweist und ihm das Recht der Mitwirkung an Organisation und Planung hawaiischer Angelegenheiten abspricht. Doch teilen bei weitem nicht alle Hawaiier diese ablehnende Haltung dem Staat und seinen Institutionen gegenüber. Schließlich arbeiten Hawaiier in sämtlichen Bereichen und auf allen Ebenen der staatlichen Verwaltung und mit John Waihe‘e stand von 1986 bis 1994 erstmals ein Gouverneur hawaiischer Herkunft an der Spitze des Bundes-staates. Seine Verfassung verpflichtet den Bundesstaat gegenüber allen Staats-bürgern gleichermaßen – eine Trennung zwischen hawaiischen Angelegenhei-ten und allgemeinen staatlichen AngelegenheiAngelegenhei-ten, was faktisch eine Autonomie des hawaiischen Bevölkerungsteiles bedeuten könnte, ist weder von den Geset-zen des Bundesstaates noch jenen der USA vorgesehen.202

202 So ist das Office of Hawaiian Affairs, in dem diese Autonomie der hawaiischen Angelegen-heiten im Keim angelegt ist und von den Verfassern der Erläuterungen zu den Verfassungsände-rungen von 1978 in Ansätzen auch beabsichtigt war, durch die Ausführungsgesetze des Staates nach wie vor abhängig von den Entscheidungen staatlicher Stellen.

Es ist vielmehr eine integrativ ausgerichtete, auf die formale Gleichberechtigung und letztlich die Assimilation aller ethnischen Gruppen in die vorherrschende US-amerikanische Gesellschaft abzielende Philosophie, die zumindest vordergrün-dig die bundesstaatliche Politik bestimmt. Eine Werbebroschüre der staatlichen Tourismusbehörde „Hawaii Visitors Bureau“ formuliert das verbreitete Selbstbild des Staates wie folgt: „Hawaii’s history has resulted in a multi-racial society admired for its high degree of harmony and assimilation“ (Hawaii Visi-tors Bureau 1992). Allerdings wird der hohe Grad an „Harmonie und Assimila-tion“ von vielen Vertretern der Hawaiier als Unterdrückung der hawaiischen Minderheit durch die Mehrheit und den Staat gebrandmarkt, und auch die gro-ßen sozialen Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen in Hawai‘i zei-gen, wie weit Anspruch und Wirklichkeit hier auseinander klaffen.

4. Politische Gruppierungen und staatliche Institutionen 137 Der Staat ist gegenüber der hawaiischen Bevölkerungsminderheit durch ver-schiedene Gesetze und vertragliche Vereinbarungen besonders verpflichtet: So müssen die staatlichen Institutionen zum einen die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz („equal protection“) garantieren, zum anderen aber auch den be-sonderen Rechten („special rights“) der hawaiischen Bevölkerung Rechnung tragen. Letzteres stimmt nicht unbedingt mit ersterem überein, so dass der Bundesstaat in einen Grundsatzkonflikt gerät, auf den schließlich viele Ausei-nandersetzungen zwischen Hawaiiern und staatlichen Stellen zurückgeführt werden können: „The core problem is the impossibility of a state ministering to two parties with conflicting interests“ (L. K. Friedman 1992:550). Beispiele für entgegenstehende Interessen zeigen sich u.a. in Hinblick auf Fragen der Land- und Wasserrechte, bei Konflikten um die traditionellen Sammel-, Jagd- und Fischrechte der Hawaiier oder auch in den Auseinandersetzungen um das Zu-gangsrecht zu Küsten und Stränden.203

Ein Erbe der Monarchie ist auch die zentralistische Verwaltungsstruk-tur Hawai‘is, die unterhalb der bundesstaatlichen Administration nur noch die Verwaltungsebene der „Counties“ kennt.204

Land war seit jeher eine der wichtigsten und am meisten umkämpften Ressourcen auf den Inseln. Die Aufnahme des Hawaiian Homes Commission Acts in die Staatsverfassung stellte eine Bedingung des US-Kongresses für die Aufnahme Hawai‘is in die Union dar (Lee 1993:175); hingegen wurde die treuhänderische Bestimmung des „PublicLand Trusts“ erst 1978 in der Verfas-sung festgeschrieben.

Kommunalverwaltungen fehlen in dieser Struktur völlig, was Hawai‘i zu dem am stärksten zentralisierten Staat der USA macht (Meller 1992:13). Aufgrund fehlender unterer Verwaltungs-ebenen stellt die bundesstaatliche Administration in vielen hawaiischen Belan-gen den ersten Ansprechpartner der Bürger dar: So konzentriert sich u.a. die Verwaltung von Land, dessen Nutznießer die Hawaiier sein sollten, beim Staat und seinen Behörden.

Am Beispiel dieser „Trust Lands“ verdeutlicht sich der staatliche Kon-flikt zwischen „equal protection“ und „special rights“ in dem Bemühen, die

203 Die besonderen Rechte der Bevölkerung hawaiischer Abstammung leiten sich z.T. aus der Zeit der Monarchie her. Das Fortbestehen solcher Sonderrechte wurde in der bundesstaatlichen Verfassung abgesichert (Hawaii Constitution 1997:Art. XII [7]), wobei aber schon die verfas-sungsgebende Versammlung von 1978 Bedenken dahingehend äußerte, dass diese Bestimmun-gen auf der Basis der „equal protection“ aller Bürger anfechtbar seien (Lee 1993:179). Siehe allgemein zur Frage des Konfliktes zwischen traditionellem und modernem Recht in Hawai‘i Matsuda (1988).

204 Die vier Verwaltungsbezirke des Staates Hawai‘i sind Kaua‘i County (Kaua‘i und Ni‘ihau), City and County of Honolulu (O‘ahu und die unbesiedelten Northwestern Hawaiian Islands), Maui (Maui, Moloka‘i, Lāna‘i und Kaho‘olawe) sowie Hawai‘i County. Hinzu kommt die früh e-re Leprakolonie von Kalawao auf Moloka‘i, die offiziell ebenfalls als ein eigener Verwaltungs-bezirk gilt (State of Hawaii 1996:6-7).

Vorschriften der Treuhandbestimmungen (weitgehend) formal einzuhalten und zugleich die aus diesen Bestimmungen sich ergebenden finanziellen Belastun-gen für den Staatshaushalt möglichst gering zu halten. Als weitere Beispiele können hier u.a. andauernde Auseinandersetzungen um die Ausgleichszahlun-gen für die missbräuchliche Nutzung von Hawaiian Home Lands durch den Staat oder auch der Dauerkonflikt um die Höhe der dem Office of Hawaiian Affairs zustehenden Einkünfte aus dem Public Land Trust. Eine (endgültige) Lösung dieser Konflikte durch die Übergabe der betreffenden Landflächen an eine autonome hawaiische Instanz wird von den maßgeblichen staatlichen Stel-len nicht offensiv vertreten oder gefördert, auch wenn die Verfassung durchaus die Landübertragung an das Office of Hawaiian Affairs vorsieht (Hawaii Constitution 1997:Art. XII [6]) und die unabhängige hawaiische Initiative Ka Lāhui Hawai‘i in den „Treuhandgebieten“ die Grundlage der souveränen ha-waiischen Nation sieht.

Die im Kontext der Landpolitik aufscheinende, bestenfalls als ambiva-lent zu bezeichnende Position des Staates zeigt sich ähnlich in den Bemühun-gen um die hawaiische Autonomie oder „Hawaiian sovereignty“. Am 26. Janu-ar 1998 stellte Gouverneur Ben Cayetano in seiner Grundsatzrede zur Lage des Bundesstaates zu diesem Thema fest:

„Broadly based efforts are now under way within the Hawaiian com-munity to develop a model for Hawaiian sovereignty. Today I urge the full spectrum of the Hawaiian community to join in this unique and his-toric undertaking“ (Cayetano 1998).

Die Unverbindlichkeit dieser Aussage ist charakteristisch für das mehrdeutige Gebaren staatlicher Stellen in Bezug auf eine wie auch immer ausgestaltete hawaiische Autonomie. Den beiden am offensichtlichsten in den Autonomie-prozess der 1990er Jahre involvierten (quasi-) staatlichen Institutionen, dem Office of Hawaiian Affairs (OHA) und dem Hawaiian Sovereignty Election Council (HSEC), wurde und wird durch die zugrunde liegende Gesetzgebung eine wirkliche Unabhängigkeit versagt – nicht zuletzt auch als Folge einer der-art uneindeutigen Politik des Bundesstaates lehnten viele Hawaiier diese Ein-richtungen als Wortführer im Autonomiediskurs ab.

Über diese institutionalisierten Ergebnisse bundesstaatlicher Politik hinaus fehlen weitere konkrete staatliche Maßnahmen zur Förderung einer um-fassenden hawaiischen Selbstverwaltung. Allerdings finden sich Aussagen und Formulierungen in offiziellen parlamentarischen Verlautbarungen und sogar in einigen Gesetzen, die eine grundsätzliche, immer aber unverbindliche Akzep-tanz einer hawaiischen Autonomie bekunden. So verabschiedeten z.B. 1992 beide Häuser des Parlaments eine Resolution, mit der sich der Staat bei den Hawaiiern für erlittenes Unrecht entschuldigte, die andauernde Verletzung der

4. Politische Gruppierungen und staatliche Institutionen 139 Treuhandverpflichtungen durch den Staat sowie das hawaiische Recht auf Selbstbestimmung anerkannte und die US-Regierung aufforderte, eine unab-hängige Regierung der Hawaiier anzuerkennen:

„[...] BE IT RESOLVED by the House of Representatives of the Six-teenth Legislature of the State of Hawai‘i, Regular Session of 1992, the Senate concurring, that the Legislature recognizes the breaches of trust responsibility between the State of Hawai‘i and the Hawaiian people ...

BE IT FURTHER RESOLVED that the Legislature hereby extends a formal and sincere apology to the Hawaiian people for the subsequent suffering and pain of all Hawaiians adversely affected by such breaches of trust responsibility; and

BE IT FURTHER RESOLVED that the citizens of the State of Hawai‘i recognize the inherent right of the indigenous Hawaiian people to sov-ereignty and self-determination; and

BE IT FURTHER RESOLVED that the citizens of the state of Hawai‘i call upon the President and the Congress of the United States of Amer-ica to renew the recognition of and assist the re-establishment of a sov-ereign indigenous Hawaiian government, as requested by the Hawaiian people ... Such renewed recognition, re-establishment, and trust obliga-tion confirmaobliga-tion shall be without prejudice to the indigenous Hawai-ian people‘s inherent right to the full exercise of sovereignty, which they have never surrendered [...]“ (House Concurrent Resolution 1992).

Eine solche Resolution hat allerdings keine Gesetzeskraft, sondern stellt ledig-lich eine Absichtserklärung der jeweiligen parlamentarischen Kammer dar – generell sind sie ein beliebtes Mittel zur Bekundung des politischen Willens, ohne unter Umständen weit reichende Gesetzesänderungen vornehmen zu müs-sen.205

Auch 1993, dem Jahr der formalen Entschuldigung des US-Kongresses für die amerikanische Beteiligung am Umsturz von 1893, verabschiedeten bei-de Häuser bei-der Legislatur jeweils eine Resolution, die zum einen Forbei-derungen nach öffentlicher Diskussion der hawaiischen Selbstbestimmung unterstützten, zum anderen aber auch auf die Verpflichtungen der USA gegenüber den

205 „Resolutions adopted by the Legislature do not have the force and effect of law as do bills that are enacted. Nevertheless, they are important in that they are vehicles for conveying legislative policy and intent [...] Concurrent resolutions are used to state officially the position of the legisla-ture on an issue or to request action formally without having to mandate it by law [...] Single house resolutions are used to state the position of the Senate or House ... or to request some action, such as a study by an agency“ (State of Hawaii 1997:43-4).

waiiern hinwiesen (State of Hawaii 1993 a, b). So schließt die Resolution des Senats mit den Worten:206

„[...] BE IT FURTHER RESOLVED that this body believes that the process of gaining sovereignty is a matter of federal jurisdiction and obligation premised on the status of native Hawaiians as a native American people and a trust relationship initiated by the federal gov-ernment with the 1893 overthrow that remains intact and in equity and justice must be honored“ (State of Hawaii 1993a).

Ein Jahr darauf forderte eine Resolution des Senats (State of Hawaii 1994) die Erstellung einer Analyse der rechtlichen Grundlagen und der juristischen Pro-zesse, die eine Anerkennung der Souveränität indigener Nationen durch die Bundesregierung der USA ermöglichten. In der Resolution heißt es u.a.:

„[...] WHEREAS, the State of Hawai‘i encourages a process by which indigenous Hawaiian people could achieve determination and self-governance in a manner which the Hawaiian people deem appropriate [...] WHEREAS, throughout the United States, native governments and states govern side-by-side, but too often these native governments were imposed upon the states by the federal government, causing years of mistrust and separation [...] WHEREAS, the Legislature understands that the State of Hawai‘i cannot confer sovereignty, and can best sup-port the process of self-determination if it follows the protocols and provides the documentation recognized by the international community [...] (State of Hawaii 1994).

In der resultierenden Untersuchung des Legislative Reference Bureaus, einer beratenden Einrichtung des Parlaments, wird denn auch darauf hingewiesen, dass die Rolle des Bundesstaates zwiespältig ist (Mardfin 1994:35-7): Zum einen kann er zwar keine Souveränität übertragen – dies kommt dem amerika-nischen Kongress zu – und es erscheint daher unerheblich, ob der Bundesstaat den in der Resolution angesprochenen international anerkannten Verfahrens-weisen zur Ermöglichung politischer Selbstbestimmung folgt. Zum anderen sind aber konkret mögliche Schritte bisher nicht in die Wege geleitet worden – so gibt es z.B. bis heute kein Moratorium für den Verkauf bzw. Austausch von Landflächen aus dem Public Land Trust, wie es ebenfalls bereits 1994 von der Hawaiian Sovereignty Advisory Commission gefordert wurde, obwohl so die territoriale Basis einer hawaiischen Nation gefährdet wird (HSAC 1994:26).

206 Die Resolution des Repräsentantenhauses ist im wesentlichen gleichen Inhalts (State of Ha-waii 1993 b).

4. Politische Gruppierungen und staatliche Institutionen 141 Dass auf der anderen Seite die Annahme einer selbst verwalteten hawaiischen Nation durchaus auch in der regulären Gesetzgebung (und nicht nur in der Sprache der parlamentarischen Resolutionen) auftaucht, zeigen die Gesetze, mit denen die Insel Kaho‘olawe aus der Verwaltung des US-Kongresses bzw.

der US-Luftwaffe am 7. Mai 1994 an den Bundesstaat Hawai‘i übertragen wurde. In der entsprechenden Gesetzgebung heißt es:

„Upon its return to the State, the resources and waters of Kaho‘olawe shall be held in trust as part of the public land trust; provided that the State shall transfer management and control of the island and its waters to the sovereign native Hawaiian entity upon its recognition by the United States and the State of Hawaii“ (Haw. Rev. Stat. o.J.:§ 6K-9).

Hier wird ohne weiteres von der Existenz einer hawaiischen „sovereign entity“

ausgegangen, an die sämtliche Rechte über die Insel Kaho‘olawe zu übertragen wären, nachdem ihre Anerkennung durch die US- und Staatsregierung erfolgt sei. Insgesamt bleibt die Rolle des Staates im Verlauf der 1990er Jahre aber kritisch: Zwar stellte er finanzielle Mittel für die Unterrichtung der Bevölke-rung über die hawaiische Autonomie zur Verfügung und mit dem Hawaiian Sovereignty Elections Council und der „Native Hawaiian Vote“ schuf er ein Forum für die hawaiische Meinungsäußerung zur „Sovereignty“. Dem gegen-über steht aber die ambivalente Haltung des Bundesstaates in Fragen der Land-rechte sowie die zögerliche bis abwehrende Grundhaltung staatlicher Stellen hinsichtlich konkreter Schritte zu mehr Selbstverwaltung. Darüber hinaus hat die Beteiligung des Staates am Autonomieprozess zu einer Aufspaltung der hawaiischen Unterstützer dieses Ziels geführt, die die Effektivität der Bewe-gung nicht unerheblich einschränken könnte.

5. Politisierung des Kulturellen – Kulturalisierung