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Sie sind für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land essenziell

Diskussion über Sharingangebote weiter zu. Kamen in Deutschland im Jahr 2000 noch 532 Pkw auf 1.000 Einwohner, waren es 2018 bereits 568. Gut 80 % der in Deutschland im Personenverkehr zurückgelegten Kilometer gingen 2018 auf den motorisierten Individualverkehr zurück. Die Folgen sind unüber-sehbar: Verkehr und parkende Autos beeinträchtigen das urbane Leben auf Straßen und Plätzen.

Ein Wandel der Mobilitätskultur bietet die Chance, Verkehrsflächen im öffent-lichen Raum neu zu verteilen. In den Städten ist die Verkehrswende bereits in vollem Gange. Das reicht von der Einrichtung neuer Fahrradstraßen über inten-sivere Parkraumbewirtschaftung und Überlegungen zu einer City-Maut bis hin zu autoarmen Stadtteilen. Doch Mobilität mit dem Auto hat nach wie vor einen hohen Stellenwert: Immer mehr Deutsche über 18 haben einen Führerschein. In den größten Städten Deutschlands geht die Nutzung des privaten Pkw allerdings seit etwa zehn Jahren zurück. Dafür werden mehr Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderen Mobilitätsangeboten zurück-gelegt. Auch Carsharing ist im Aufwind. Wachsende Städte müssen Lösungen für die zunehmende Konkurrenz um die knappen Freiflächen finden. Viele Stra-ßen und Verkehrswege, die einst für die autogerechte Stadt entstanden sind, müssen heute saniert werden. Das bietet die Chance, mehr Aufenthaltsqualität durch Umbau zu erreichen. Verkehrsplanung und Verkehrspolitik, die die schwächsten Verkehrsteilnehmer, nämlich Kinder, alte Menschen und Menschen mit Beeinträchtigungen, zum Maßstab machen, schaffen nicht nur Mobilität für alle, sondern häufig auch attraktivere und vielfältig nutzbare öffentliche Räume.

Die Stadt der kurzen Wege setzt (anders als einst die autogerechte Stadt) auf ein Miteinander von Wohnen, Arbeiten und Versorgung auf engem Raum.

Das hilft, Verkehr zu vermeiden, ohne dass die Menschen auf Mobilität verzich-ten müssverzich-ten. Kürzere Wege bedeuverzich-ten weniger Verkehr und weniger Verkehrs-fläche. Das schafft Platz für Fuß- und Radwege, für neues Stadtgrün und erhöht die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Der Ansatz reduziert Autoverkehr zunehmend und wertet das Stadtbild der Innenstädte auf. Immer mehr Kommu-nen sperren große Verkehrsadern zeitweise für den Autoverkehr, um Handel und öffentliches Miteinander in der Innenstadt zu beleben. Auch der Rück- und Umbau autogerechter Strukturen nimmt zu.

Ein Beispiel, wie sich Verkehrsräume für alle zurückgewinnen lassen, ist der Umbau der Ulmer Altstadt. Dort entstand in den 1950er-Jahren die Schneise der vierspurigen Neuen Straße. Das ließ den Verkehr anschwellen; die Verkehrsbe-lastung nahm zu. Bereits in den 1970er-Jahren kritisierte die Stadtgesellschaft die Unwirtlichkeit der Innenstadt. Die Neuorientierung der Ulmer Verkehrs- und Stadtentwicklung begann in den 1990er-Jahren mit einem Dialog, der alle Betei-ligten einschloss. Ergebnis war ein Ausbau des ÖPNV und die Verkehrsberuhi-gung der Innenstadt. Nach einem städtebaulichen Ideenwettbewerb wurde die Neue Straße bis 2007 auf eine zweispurige Tempo-20-Zone zurückgebaut.

Fahrbahn und Gehwege sind kaum getrennt, die Straße kommt ohne Ampeln oder Zebrastreifen aus. Die Harmonisierung der Geschwindigkeiten aller Ver-kehrsmittel ermöglicht eine Querung an jeder Stelle, die Verkehrsteilnehmer stimmen sich per Blickkontakt ab. Das Miteinander von Fußgängern, Fahrrad- und Autofahrern in diesem Mischraum hat zu gegenseitiger Rücksichtnahme und mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer geführt. Die Leistungsfähigkeit der Neuen Straße hat das kaum beeinträchtigt: Vor dem Umbau nahm sie 20.000 bis Ruhender Verkehr

94 % der befragten Kommunen sehen eine hohe Nachfrage nach Parkflächen für Autos.

Aber auch bei Fahrrädern liegt der Nutzungs-druck mit 51 % hoch. K20

Viele wünschen sich autofreie Wochenenden für Gemeinschaftsaktivitäten

Als gute oder sehr gute Anlässe für autofreie Bereiche an Wochenenden betrachten die Befragten Stadtteilfeste (86 %), Wochen-märkte (80 %), Trödel- und FlohWochen-märkte (71 %) oder Spielstraßen (70 %). B11

Steigende Neuzulassungen von SUVs und Wohnmobilen

Quelle: Bundesstiftung Baukultur 2019;

Kraftfahrt-Bundesamt 2010–2020

Höherer Platzbedarf und eingeschränkte Blickbeziehungen

2010 2012 2014 2016 2018

+282%

SUVs

+197%

Wohn-mobile

81

22.000 Fahrzeuge pro Tag auf; heute fließt der Verkehr mit 16.000 bis 17.000 Fahrzeugen immer noch sehr gut, aber deutlich rücksichtsvoller.

Kommunen führen in der Innenstadt oder stadtweit Tempo 20 oder Tempo 30 ein. Das Ziel: Der ohnehin nur gefühlt schnellere motorisierte Individualver-kehr (MIV) verliert an Attraktivität, weil der VerIndividualver-kehr insgesamt langsamer wird.

Das Sicherheitsempfinden und die Qualität des öffentlichen Raums steigen, und mehr Menschen steigen auf das Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel um. Das Umweltbundesamt (UBA) hat 2014 berechnet, dass auf Strecken bis vier Kilo-meter Auto und Fahrrad fast gleich schnell sind. Bei einem KiloKilo-meter ist man häufig sogar zu Fuß am schnellsten – und sieht mehr von der Stadt. Davon profitieren Stadterlebnis, Einzelhandel und öffentliche Räume.

Räume für alle

 Der aktuelle Ausbau der Elektromobilität hat das Ziel, die Schadstoffemissionen im Straßenverkehr zu reduzieren. Das Problem, dass in unseren Städten zu viele Pkw zu viel Verkehrsfläche benötigen, lösen neue Antriebstechniken aber nicht. Vor allem der ruhende Verkehr nimmt öffentliche Räume in Anspruch. Um Verkehr zu vermeiden und ihn effizienter zu machen, sind integrierte Mobilitätskonzepte erfolgversprechend. Sie werden inzwischen regelmäßig bei Neuplanungen und immer öfter auch für Bestandsquartiere entwickelt. Das Beispiel Paris zeigt, wie sich der motorisierte Individualverkehr verringern lässt. Die Stadt hat ihr Radwegenetz von 282 auf 738 km erhöht. Die Zahl privater Pkw ist von 2003 bis 2014 um 18 % gesunken. Zurückzuführen ist das vor allem darauf, dass die Zahl ausgewiesener Parkplätze um 14 % verringert wurde. Gleichzeitig wurde und wird weiterhin in die Umwandlung von Verkehrs-knotenpunkten in Grünflächen investiert. Auch München setzt seit zehn Jahren auf eine Kombination aus Parkraumbewirtschaftung und Fahrradförderung.

Baukulturbericht 2020/21 – Die Fokusthemen

4.2.1.D

Besser zu Fuß

Vom Wenigemarkt zum Domplatz in Erfurt unterwegs: Schneller am Ziel und zusätzlich Stadteindrücke

Quelle: Bundesamt für Kartographie und Geodäsie 2019

13 min 3,7 km

9 min 750 m

Resultate sind 14 % weniger Pkw-Nutzung, 61 % mehr Fuß- und 75 % mehr Radverkehr. Großflächige Verkehrsberuhigung, Parkraumbewirtschaftung oder der Umbau des Straßenraums sind Möglichkeiten einer Kommune, die Raum-dominanz des Autos zu verringern.

In Berlin machen Straßen- und Verkehrsflächen 15 % der Landesfläche aus.

Eine Untersuchung der Aufteilung Berliner Straßenräume, die 200 Straßen ver-messen hat, kam zu dem Ergebnis, dass 39 % der Straßenfläche dem Autoverkehr vorbehalten sind. Dem Parken sind weitere 19 % gewidmet. Fast die Hälfte der parkenden Autos stehen in Großstädten am Straßenrand; ein Pkw parkt im Durch-schnitt 23 Stunden am Tag. Die Bewirtschaftung von Parkraum versucht, diese rein private Nutzung öffentlicher Flächen zu bepreisen. Über die Gebührenhöhe und damit über die Wirksamkeit entscheidet die Politik. Ein aus den Bodenwerten abgeleiteter kaufmännischer Preis würde erheblich über den heute üblichen Parkgebühren liegen. Für einen Anwohnerparkausweis zahlen Berliner wenig mehr als zehn Euro im Jahr. In Amsterdam kostet er dagegen 583 Euro, in Stock-holm sogar 827 Euro. Demgegenüber mangelt es Berlin akut an Spielplatzflächen, obwohl die Stadt als einziges Bundesland ein eigenes Spielplatzgesetz hat.

Bereits 1979 in Kraft getreten, schreibt es einen Richtwert von mindestens einem Quadratmeter Spielfläche pro Einwohner fest. Anfang der 1990er-Jahre standen Westberlinern im Schnitt noch 1,3 m2 pro Kopf zur Verfügung. Seit dem Jahr 2000 hat die Spielplatzfläche um 25 % abgenommen: von damals 0,8 auf heute 0,6 m2 pro Einwohner. Dagegen stieg die Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge in Ber-lin von 2008 bis 2019 um 13 % auf mehr als 1,4 Mio. Ein weiteres Phänomen der Verknappung öffentlichen Raums in Großstädten – vor allem auf Gehwegen – sind immer mehr (oft auch noch willkürlich abgestellte) E-Mietroller und E-Mietfahr-räder. Einige Städte haben bereits Maßnahmen ergriffen, um die Angebote zu regulieren und ihre Gehsteige aufzuräumen. Dazu zählen Geschwindigkeitsbe-grenzungen und Altersvorgaben. In San Francisco führte das Überangebot an ausleihbaren E-Rollern und E-Bikes zeitweise zu einem kompletten Verbot.

Besonders in den großen Städten nimmt der Nutzungsdruck auf die öffentlichen Räume zu. Dort rücken Verkehrsräume wieder als Aufenthalts- und Begegnungs-orte und als MöglichkeitsBegegnungs-orte für Neues in den Fokus. Je nach Lage, Tages- und Jahreszeit können Straßen auf unterschiedliche Art genutzt und zeitweise wieder zu Begegnungsräumen werden. Eine kleine wirkungsvolle Intervention kann es sein, Parkplätze vorübergehend an die Gastronomie zu vermieten. In Köln und Bonn wird das seit einigen Jahren erprobt. Eine Neuregelung der Städte erlaubt es Gastronomen, für ihre Außengastronomie Parkplätze vor dem Lokal anzumie-ten. Das schafft zugleich wieder mehr Raum auf den Fußwegen.

3.3.1 B

2008 2010 2012 2014 2016 2018

Entwicklung von Spielplatzfläche pro Einwohner und Kfz-Bestand im Land Berlin

Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2008–2018;

Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin 2019

Spielplatz-fläche pro EW

±0%

Kfz-Bestand +12%

Im gleichen Zeitraum stieg die Einwohnerzahl um 11 %

VW Golf I

1974 1997

3,70

1,39

1,61 790

2019 VW Golf VIII

1,45

1,8 4,20

85 PS 75 PS

50 PS

1205

421F

VW Golf IV

1,43

1,73 4,14

1050

Stärker, schneller,