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Virtuelle Räume

 Austausch, Gemeinschaft und politische Willensbildung finden längst nicht mehr nur in den öffentlichen Räumen unserer Städte und Gemeinden statt. Allen Teilen der Gesellschaft neue Wege der Kommunikation zu ebnen, war nach der Jahrtausendwende eins der großen demokratischen Versprechen des Internets. Das Web 2.0 eröffnete nicht nur jedem freien und gleichen Zugang zu Informationen. Genauso kennzeichnend war, dass die Nutzer nicht mehr nur passive Empfänger von Medieninhalten waren. Sie wurden selbst zum Sender, verbreiteten ihre Meinungen auf Twitter, vernetzten sich auf Facebook mit Gleichgesinnten oder teilten Wissen auf Wikipedia. Nach der Euphorie der Anfangsjahre hat heute Ernüchterung eingesetzt. Die niedrig-schwellige Möglichkeit, alles, was man denkt, auch zu äußern, hat die Kommu-nikation entzivilisiert. Diese Verrohung blieb nicht allein den virtuellen Räumen von Chatforen und sozialen Medien vorbehalten. Sie hat auch in die analogen öffentlichen Räume und den gesellschaftlichen Diskurs Einzug gehalten. Das lässt sich an der Art und Weise ablesen, wie Menschen in der Öffentlichkeit mit jenen umgehen, die anderen Interessen folgen oder anderer Meinung sind als sie selbst. Einen Verfall des zivilen Umgangs beklagen dieser Tage viele Kommentatoren und Studien. Die virtuellen Räume dienen zwar der Kommu-nikation und schaffen Öffentlichkeit, folgen aber Spielregeln, die in weiten Bereichen nicht die Gesellschaft bestimmt, sondern die Unternehmen.

Reale statt virtuelle Räume

Quelle: Martini, Future Lab 2019; University of Pittsburgh Center for Research on Media Technology and Health 2017

3.4.2.A

> 2 Std./Tag soziale Netzwerke

= doppelt so hohes Risiko für soziale Isolation wie bei moderater Nutzung (0,5 Std./Tag)

55 % der Erwachsenen wünschen sich mehr Zeit mit ihren Freunden.

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Deren Plattformen sind so gestaltet, dass sie möglichst viel Aufmerksamkeit der Nutzer bannen. Der Erfolg von Google, Facebook & Co. beruht vor allem darauf, Daten zu sammeln, detaillierte Profile der Nutzer anzulegen und diese an die Konsumgüterindustrie zu Werbezwecken zu verkaufen. In ihren Sparten agieren die Unternehmen wie Monopolisten. Damit können sie die Regeln setzen, nach denen ein Großteil der Menschen digital kommuniziert. Als künftiges Geschäftsfeld haben sie die öffentlichen Räume von Städten und Gemeinden ausgemacht. 2014 kaufte Facebook für zwei Milliarden US-Dollar Oculus VR, den größten Hersteller von Virtual-Reality-Brillen. Seither arbeitet der Konzern daran, die Welt des sozialen Netzwerks in die physischen Räume zu integrieren.

Mit dem Netz durch die Welt

 Mit dem Smartphone steckt die ganze Welt in der Tasche. Die Geräte haben unseren Alltag verwandelt. Sie verändern, wie wir kommunizieren, konsumieren und uns in öffentlichen Räumen verhalten und bewegen. In jeder Situation reicht heute ein Blick aufs Display, um sich auf sozialen Plattformen mit Freunden auszutauschen, in Echtzeit die Nachrichten-lage zu prüfen oder seinen Weg durch die Stadt zu finden. Der Anzeige auf dem Display wird eher geglaubt als der Realität. Die Aufmerksamkeit für die Welt außerhalb des Displays bleibt da mitunter auf der Strecke. Augsburg hat 2016 als erste deutsche Stadt Fußgängerampeln in die Bordsteinkante eingelassen.

Unachtsame Smartphone-Nutzer sollen so vor der nahenden Straßenbahn gewarnt werden. Smartphones steuern auch, auf welchen Routen und mit welchem Ziel wir uns durch die Stadt bewegen. Die explore-Funktion von Google Maps empfiehlt gezielt nur Cafés und Restaurants, die zum persönlichen Nutzerprofil passen. Das ist ein Grund, warum sich in Szenevierteln eine bestimmte Klientel an Touristen konzentriert und öffentliche Räume teils über-nutzt werden. Die Zahl derer, die fremde Orte auf eigene Faust erkunden, hat dadurch abgenommen – zulasten einer bewussten Interaktion mit der Welt und den öffentlichen Räumen. Für mehr Bequemlichkeit nehmen viele den Verlust von Autonomie, Reibung und Überraschungen in Kauf.

Sein soziales Umfeld immer bei sich zu haben, verändert den Blick auf die Welt. Mehr als 40 % der Jugendlichen wählen ihren Urlaubsort danach aus, wie gut er sich in den sozialen Medien inszenieren lässt, sagen Umfragen aus England wie Deutschland. Ob ein Ort angesagt und fototauglich ist, wird wichtiger als das persönliche Erlebnis. Die Allgegenwart sozialer Medien führt nicht zwangs-läufig zu mehr Gemeinschaft und erfüllteren Beziehungen. Tatsächlich nimmt gerade in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen die Einsamkeit am deutlichsten zu, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) herausfand. Forscher im Aus-land kommen zu ähnlichen Befunden: 40 % der 16- bis 24-Jährigen gaben in einer weltweiten Umfrage für die BBC an, sich oft oder sehr oft einsam zu fühlen.

Das sind mehr als in jeder anderen Altersgruppe. Eine Studie der University of Pittsburgh fand heraus: Die Wahrscheinlichkeit, sich sozial isoliert zu fühlen, ist bei Menschen, die am Tag mehr als zwei Stunden in sozialen Netzwerken unterwegs sind, doppelt so hoch wie bei denen, die höchstens eine halbe Stunde dort zubringen. Umgekehrt sind sich Glücksforscher einig, dass Geselligkeit, anderen Gutes zu tun und gemeinsame Erlebnisse in analogen Räumen dem eigenen Befinden besonders guttun. Die tiefen Beziehungen, die wir brauchen, verlangen den Kontakt von Angesicht zu Angesicht im gebauten Raum.

Mobiles Internet für Landgemeinden

Was Verbesserungen in öffentlichen Räumen angeht, steht für 60 % der Jugendlichen und 60 % der Bewohner von Landgemeinden mobiles Internet ganz vorne – noch vor Treff-punkten oder dem öffentlichen Nahverkehr. 

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Baukulturbericht 2020/21 – Die Ausgangslage

Smarte Städte

 Was digitalisierbar ist, wird auch digitalisiert. Dieser Formel widerspricht heute kaum noch ein Experte. Schon jetzt ist unser Alltag durchzogen von Sensoren, die unser Leben vermessen, um es scheinbar einfacher und smar-ter zu gestalten, und diese Daten in digitale Netze einspeisen. Nationale und internationale Technologiekonzerne zeichnen ihr Ideal einer smarten Stadt in Präsentationen und Werbefilmen in leuchtenden Farben an den Horizont. Die Technologien, die in den eigenen vier Wänden immer mehr akzeptiert werden, sollen nun auch Einzug in unsere öffentlichen Räume halten. In der Smart City fließt der Verkehr reibungslos und selbstständig und Straßenlaternen leuchten nur, wenn Passanten vorbeigehen. In der Smart Countryside werden Ruftaxis per App organisiert, während telemedizinische Anwendungen die ärztliche Versor-gung verbessern. Am alten Hafen von Toronto plant Alphabet, der Mutterkonzern von Google, einen smarten Stadtteil mit 3.000 Wohnungen. Über ein Tunnelsys-tem entsorgen Roboter den Müll effizient und ressourcenschonend, und die Fahr-radwege sind im Winter beheizt. Annehmlichkeiten wie diese haben ihren Preis.

Die Bewohner bezahlen dafür mit der Preisgabe ihrer Daten. Konzerne können damit ihre Geschäftsmodelle verfeinern und neue entwickeln. Diese Durchleuch-tung stößt inzwischen auch auf ethische Vorbehalte in der eigenen Branche.

Der Grad an Vernetzung, den die smarte Stadt verlangt, erfordert enorme Datentransfers – und das kabellos. Mit den heutigen Mobilfunknetzen ist das nicht zu machen. Die Versteigerung der Lizenzen für den neuen 5G-Standard brachte 2019 mehr als 6,5 Mrd. Euro in den Bundeshaushalt. Daten lassen sich in 5G hundertmal schneller übertragen als in den bisherigen Netzen. So soll landauf, landab schnelles Internet verfügbar werden. Das hat Folgen für die öffentlichen Räume: Laut dem Beratungsunternehmen WIK braucht es dafür eine Dreiviertelmillion Sendemasten in ganz Deutschland. Das wären mehr als zwei pro Quadratkilometer. Laut der Bundesnetzagentur gibt es heute bereits rund 75.000 Sendemasten in Deutschland. Diese lassen sich nach Angaben der Mobilfunkanbieter auf den neuen Standard umrüsten, was gegenwärtig bereits erprobt wird. Optisch unterscheiden sie sich kaum von den heutigen Sendemas-ten. Es ist allerdings davon auszugehen, dass bedeutend mehr nötig sein werden.

Die Auswirkungen auf das Stadt- und Landschaftsbild müssen unbedingt mitgedacht und verträgliche Lösungen gefunden werden. Genauso gilt es die möglichen Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung auf Mensch und Umwelt zu bedenken. Die 5G-Strategie der Bundesregierung weist darauf hin, dass für die intensive Nutzung von 5G an öffentlichen Plätzen oder Fußgänger-zonen Kleinzellen im Radius zwischen 20 und wenigen 100 Metern aufgebaut werden müssen. Voraussetzung sei außerdem der flächendeckende Ausbau der Glasfasernetze, um das schnelle Internet an die Basisstationen bringen.

Die digitale Transformation kann fraglos helfen, gesellschaftliche Heraus-forderungen wie den Klima- oder den Mobilitätswandel zu bewältigen. Die Her-ausforderung, vor der nicht nur deutsche Kommunen stehen, ist, die digitale Transformation nach eigenen Wertmaßstäben zu gestalten und ihren räumlichen Auswirkungen Grenzen zu setzen. Die Erkenntnis, dass Daten der Rohstoff des 21. Jahrhunderts sind, kommt in immer mehr Kommunen an. Im OB-Barometer 2019 des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) gaben 55 % der Befragten an, dass die Digitalisierung für die Kommunen an Bedeutung gewinnen wird. Damit ist sie nach Meinung der Bürgermeister das wichtigste Zukunftsthema – noch vor Mobilität, Wohnen und Nachhaltigkeit.

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Das kommt nicht von ungefähr. Kommunale Entscheider, die Digitalinitiativen wie etwa ein digitales Parkraummanagement umsetzen wollen, sehen sich auch in Deutschland immer häufiger Industrievertretern gegenüber, die die anfallen-den Daten nutzen wollen, um ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. Des-halb hat die Stadt Ludwigsburg 2019 von einer Anwaltskanzlei Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBs) zur Weitergabe und Nutzung kommunaler Daten erarbeiten lassen. Auf diese Weise will die Stadtverwaltung zum einen Transpa-renz und Klarheit darüber schaffen, was mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger passiert. Sie schafft damit aber auch die rechtlichen Grundlagen, um anfallende Daten in Vertragsabsprachen mit Unternehmen als Verhandlungs-masse einzusetzen. Die Stadt plant, die AGBs auch anderen Kommunen zugäng-lich zu machen, sobald sie in Kraft treten. Um die digitale Transformation zu steuern, haben sich viele Kommunen und Landkreise daran gemacht, eine kommunale Digitalstrategie auszuarbeiten. Deren Ziel muss es sein, die Technik dem Menschen nutzbar zu machen und nicht umgekehrt die Daten der Bürger digitalen Marktstrategien zur Verfügung zu stellen. Diese Grundhaltung betrifft unmittelbar öffentliche Räume und Verkehrsflächen.