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Baukultur stärkt ländliches Leben

Gemein-dezentren, Dorfläden oder Arztpraxen spielen in kleineren Orten eine wichtige Rolle. Solche sozialen Punkte ziehen Menschen in die Ortskerne und führen dazu, dass sich ihre Wege kreuzen. Treffpunkte wie ein Markt- oder Festplatz, an denen die dörfliche oder kleinstädtische Gemeinschaft zusammenkommen kann, ermöglichen ein vielfältiges Miteinander. Gibt es in einer Gemeinde dage-gen keine Räume und Geledage-genheiten, sich geplant oder ungeplant zu treffen, leidet das gemeinschaftliche Dorfleben. Am härtesten trifft das Bewohner, die wenig mobil sind und auf Kontakte in ihrem engeren Umfeld angewiesen sind.

Einen Treffpunkt zu schaffen, kann umgekehrt zur Initialzündung für neues nach-barschaftliches Leben und ehrenamtliches Engagement werden.

Die kleine Gemeinde Werpeloh im niedersächsischen Emsland beispiels-weise eröffnete 2012 ein Mehrgenerationenhaus. Das Haus ist heute Dreh- und Angelpunkt eines Netzwerks von mehr als 20 Vereinen, die alle in dem kleinen Ort aktiv sind. Außerdem treffen sich dort regelmäßig junge Eltern zu einer Krab-belgruppe für ihre Kinder. Einige Frauen bieten zwei Mal in der Woche einen Mittagstisch für die Grundschulkinder an. Ab und zu findet ein Sonntagskaffee statt, im Winter beherbergt das geräumige Haus einen Weihnachtsmarkt. Die Werpeloher nutzen die Räumlichkeiten außerdem für Ausstellungen, Theater-aufführungen, Vorträge und weitere Aktionen. So prägen Gemeinschaftsorte den Sozialraum.

Feste bringen die Menschen zusammen

82 % aller Deutschen haben bereits an einem Stadt- oder Straßenfest teilgenommen. B6

Baukulturbericht 2020/21 – Die Fokusthemen

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Baukultur stärkt ländliches Leben

Öffentliche Räume für vitale Ortskerne

attraktive Plätze

wie z. B. Bürgerbusse

Beratung für Zuziehende Läden im Ortskern fördern statt Supermärkte am Ortsrand

Regelmäßige Bürgerversammlungen und Bürgersprechstunden

Altbau statt Neubau fördern Leerstand anpreisen

Dorfverschönerungsstrategie

Hauptamtlicher Ansprechpartner für Baukultur

Bedarf analysieren und bedienen

Erfolgsmodelle aus anderen Regionen benennen

wie zum Beispiel Bürgerbusse

• Bedarf analysieren und bedienen

• Altbau statt Neubau fördern

• Leerstand anpreisen

• Läden im Ortskern fördern statt Supermärkte am Ortsrand

• Dorfverschönerungsstrategie

• Hauptamtlicher Ansprechpartner für Baukultur

• Erfolgsmodelle aus anderen Regionen benennen

• Regelmäßige Bürgerversammlungen und Bürgersprechstunden

• Beratung für Zuziehende

Baukultur stärkt ländliches Leben

Öffentliche Räume für vitale Ortskerne

Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2019

Schule der Demokratie

 Öffentliche Räume spielen eine zentrale Rolle in der Demokratie. Im alten Athen war die Agora Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Der Platz im Zentrum der Stadt war Marktplatz, Festplatz und Versamm-lungsort. Es war der zentrale Ort für politische Debatten. Die Herrschaft des Volkes braucht einen solchen Raum. Heute sind Plätze und andere öffentliche Räume nicht mehr die einzigen Foren, in denen sich die Menschen austauschen, ihre Meinung bilden und ihrem politischen Willen Ausdruck geben. Die Digita-lisierung hat neue Möglichkeiten geschaffen: In den sozialen Medien können wir unabhängig vom Ort im virtuellen Raum diskutieren, uns über Grenzen hinweg vernetzen und organisieren. Dennoch erleben öffentliche Räume als Ort der politischen Willensbildung eine Renaissance. Artikel 8 des Grund-gesetzes gibt allen die Freiheit, friedlich für die eigene Meinung auf die Straße zu gehen und sie in öffentlichen Räumen kundzutun. Das Bundesverfassungs-gericht fasst diesen Grundsatz heute noch weiter. In einem Urteil von 2011 erklärte das Gericht die Auflösung einer politischen Demonstration im Frank-furter Flughafen durch einen privaten Sicherheitsdienst für verfassungswidrig.

Der Wunsch, eine „Wohlfühlatmosphäre in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen“, sei der Funktion des Flughafens als Ort der „politischen Diskussionen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen“ unterzuordnen. Zwar befinde sich der Flughafen in privater Trägerschaft, entscheidend sei aber seine Anmu-tung als öffentlicher Raum.

Die Zahl angemeldeter Demonstrationen hat sich in vielen Großstädten in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. In Stuttgart verdreifachte sich die Zahl der Demonstrationen und Kundgebungen von 2008 bis 2018 sogar auf 1.439 im Jahr. Die Bilder der Auseinandersetzungen um das Großprojekt Stuttgart 21 gingen im September 2010 um die Welt. Das hat ganz Deutschland verändert: Bürgerbeteiligung wird heute anders praktiziert als zuvor. Eine Phase Null mit intensiver Öffentlichkeitsbeteiligung ist mittlerweile in mehr und mehr Kommunen etablierte Praxis. Viele Städte und Gemeinden haben begonnen, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern Leitlinien zur Beteiligung zu erar-beiten. Bis Sommer 2019 hatten laut dem Netzwerk Beteiligung 84 Kommunen eigene Beteiligungsrichtlinien verabschiedet. In Baden-Württemberg gelten seit 2014 die Verwaltungsvorschrift Öffentlichkeitsbeteiligung und der Leitfaden für eine neue Planungskultur. Sie schreiben für Projekte des Landes eine Phase Null unter Beteiligung der Bevölkerung vor. Allerdings lässt sich Partizipation nicht verordnen. Sich in solche Teihabeprozesse einzubringen, setzt Ressourcen voraus und will geübt sein – am besten von Kindheit an.

Baukulturelle Bildung

 Baukulturelle Bildung schafft in der gesamten Gesell-schaft ein Bewusstsein für die natürliche und gebaute Umwelt. Als wichtiger Teil der Allgemeinbildung hat sie die Aufgabe, Kinder, Jugendliche und Erwachsene bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Der Raum um uns herum wirkt von früher Kindheit an auf uns ein. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Umgebung uns als Bewohnern und Nutzern guttut und auf welche Weise unsere Räume uns nachhaltig beeinflussen, ist ein wichtiger Baustein zur Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft. Baukulturelle Bildung regt dazu an, sich selbst als verantwortungsvollen Mitgestalter der eigenen Lebenswelt zu verste-hen und etwas zu verändern. Dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit ist wichtig.

Denn wer gar nicht erst erwartet, sein Lebensumfeld zum Guten verändern zu

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Mehr als 12 Demos pro Tag!

+207 %

+140 %

+134 %

+90 %

+76 %

+47 %

+35 % Stuttgart

Köln

Frankfurt

Berlin

Dresden

München

Düsseldorf

2.000

Demos/Jahr 4.000

2008 2018

Zunehmende Nutzung öffentlicher Räume durch Demonstrationen

Zunahme an Demos und Kundgebungen im Zeitraum von 2008–2018

Quelle: rbb – Rundfunk Berlin-Brandenburg 2018

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können, für den lohnt es sich auch nicht, es zu versuchen. Wenn wir der Frage nachgehen, warum wir beim Überschreiten der Grenze nach Skandinavien oder in die Schweiz vielfach auf ein intaktes, qualitätsvolleres Orts- und Stadtbild treffen, dann liegt die Antwort in der größeren gesellschaftlichen Bedeutung von Architektur und Design und der soliden Basis, die hierfür in Schule und Bildung gelegt wird.

Baukulturelle Bildung muss interdisziplinär gedacht werden. Wie bei der kulturellen Bildung sind Pädagogik und Kunst wichtige Bezugspunkte. Archi-tektur und LandschaftsarchiArchi-tektur, Stadt- und Regionalplanung, Ingenieurwesen, Politik und Verwaltung und auch Wohnungs- und Immobilienwirtschaft kommen unter dem Dach der Baukultur zusammen und tragen neben Ökonomie, Human-, Sozial-, Sprach-, Neuro- und Kulturwissenschaften zu den Inhalten der baukul-turellen Bildung bei. Baukulturelle Bildung steht demnach nicht für sich alleine, sondern bezieht verschiedene Akteure, Methoden und Lernorte ein. Sie kann an vielen Orten vermittelt werden: in Kitas, Kindergärten und Familienzentren, im Rahmen von Projektwochen, an Jugendkunstschulen, Volkshochschulen und weiteren Einrichtungen der Erwachsenenbildung oder an Hochschulen. Zudem arbeiten Initiativen, Verbände, Stiftungen und Berufsverbände wie die Bundes-architektenkammer und die Architektenkammern der Länder mit unterschied-lichen Formaten, die zum Beispiel auch in Museen und Theatern, öffentunterschied-lichen Parks und Plätzen, in der Stadt und auf dem Land stattfinden können. Als Teil des Regelunterrichts könnten Architekturgeschichte und Stadtplanung bereits Schülern das nötige Grundwerkzeug liefern, um über unsere gebaute Umwelt zu diskutieren. Als Unterrichtsmaterial für jüngere Kinder haben viele noch aus eigener Erfahrung die Bildermappe Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder oder Die Veränderung der Landschaft in Erinnerung. Sieben großforma-tige Bilder zeigen denselben Ausschnitt eines Orts von 1953 bis 1972. Die Dar-stellung verdeutlicht Kindern und in der Diskussion mit ihnen auch deren Eltern bereits seit den 1970er-Jahren, wie sich die Lebenswelt mit zunehmender Bebau-ung der Flächen verändert hat, und regt zum Nachdenken an. Das Bewusstsein für solche schleichenden Veränderungsprozesse versetzt Menschen so in die Lage, sich in die Gestaltung ihres Lebensumfelds einzubringen.

Neben Wissen und Anschauung gilt es, auch die Wahrnehmungsfähigkeit von Kindern zu schulen. Geeignet sind klassische Kulturtechniken wie Malen, Zeichnen, Basteln, Werken, Höhlen bauen, Rollenspiele mit Einrichtungsgegen-ständen, Abenteuerspiel oder Schnitzeljagden, um Architekturgeschichte und Räume in der eigenen Stadt zu erkunden. Dafür braucht es mehr schulische und außerschulische Angebote und eine motivierende Anleitung durch engagierte Eltern, Lehrende und Baukulturvermittelnde.

Orte der Bildung

 Öffentliche Räume sind Orte des Lernens. Hier kommen Eingesessene und Neuankommende, Familien und alle Generationen zusam-men. Die öffentlichen Räume erfüllen eine Bildungsfunktion: Ohne dass es uns bewusst wäre, lernen wir dort, indem wir anderen begegnen, Unbekanntes entdecken, Dinge ausprobieren, kommunizieren und unseren Platz aushandeln.

Offen zugänglich und ganz selbstverständlich begleiten sie das (Er-)Leben und Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. Spielplätze oder verwilderte Brach-flächen bieten notwendige, oft einzigartige Freiräume, um sich zu bewegen, die Welt zu entdecken und die Sinne anzuregen. Das Ziel einer Stadt für Kinder

Jugendliche verbringen mehr Freizeit in öffentlichen Räumen

57 % der 14- bis 17-Jährigen haben bereits an gemeinschaftlichen Freizeit- und Sport- angeboten in öffentlichen Räumen teilge-nommen – ein weit größerer Anteil als unter allen anderen Bevölkerungsgruppen. B6

Baukulturbericht 2020/21 – Die Fokusthemen