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Unter der Bezeichnung Bernstein werden heute fossile Harze, also versteinerte pflanzliche Saftflüsse zusammengefasst. Viele Nadel- und einige Laubbäume produzieren in speziellen Drüsen Harz. Das Harz versiegelt Wunden und schützt somit den Baum. Die Harze bestehen aus Kohlen-, Sauer- und Wasserstoff-Atomen, die zu Fadenmolekülen aufgereiht sind. An der Luft wird das Harz zähflüssig, klebrig und verfestigt sich im Laufe von Jahren zu harten, leicht brüchigen Brocken mit einem angenehmen Harzgeruch. Im Laufe von Jahrmillionen entweichen die Lösungsmittel und leichtflüchtigen Duftstoffe und die Fadenmoleküle verknoten und verhaken sich zu einer fest-elastischen Struktur. Bedingung ist, dass das Harz unter Luftabschluss gerät, sei es im Erdboden oder, nach dem Transport über Bäche und Flüsse im Schlamm des Meeres. In der Urzeit bedeckten Harz spendende Bäume fast die gesamte Erde.

Bernstein bildete sich somit in vielen Gebieten und zu verschiedenen Epochen der Erdgeschichte. Die bedeutendsten Lagerstätten liegen im Ostseeraum und in der

113 In dem 1706 von Maucher verfassten Testament ist der Bernsteindreher Georg Krüger aufgeführt.

Wahrscheinlich hat dieser für Maucher gearbeitet. Vgl. Ehmer 1992, S. 59 und vgl. WAP Gd., Bürgerbücher, 300/43/106, Bl. 47.

114 Vgl. GStAPK, I. HA, Rep. 9, N12, Fasz. 2, Bl. 8-11, datiert 24. April 1711; N12, Fasz. 2, Bl. 12 und Rep. 7, Preußen, Nr. 35 l, Bl. 52.

Karibik. Aber auch in Sibirien, auf Borneo, in New Jersey (USA), an verschiedenen Stellen Europas, Asiens, Neuseeland und Japan wird Bernstein gefunden.115

Bereits in der Antike rätselten Gelehrte und Denker über den wahren Ursprung des Bernsteins. Unzählige Mythen und phantastische Erklärungen rankten sich um seine Entstehung.116 Doch daneben gab es bereits erste richtige Denkansätze. Eine sehr klare Vorstellung von der Entstehung des Bernsteins hatte der antike Historiker Publius Cornelius Tacitus (55-116/120). In seinem Bericht über die „Aestyer“ (Esten) ist zu lesen: „[…] Der Bernstein kann jedoch, wie man leicht erkennt, nichts anderes als ein Baumsaft sein, weil gewisse Landtiere und sogar auch geflügelte sehr häufig in ihm deutlich zu sehen sind, welche von dem noch flüssigen Safte eingehüllt, dann aber in die erstarrende Masse eingeschlossen wurden. Ich muss daher annehmen, dass jene Länder und Inseln sehr üppige Wälder und Haine tragen, welche ebenso wie in den geheimnisvollen Stätten des Orients Weihrauch und Balsam austreiben, und die Flüssigkeit mag dann in das nahe Meer herabträufeln, von wo sie durch Stürme an die gegenüberliegende Küste gelangt […]“117 Durch Beobachtung des Harzflusses ihm bekannter Bäume hat Tacitus den richtigen Rückschluss auf den Ursprung gezogen, doch irrte er hinsichtlich des Versteinerungsprozesses und alleinigen Vorkommens des Bernsteinsaft spendenden Baumes an den Ufern der Ostsee.

Einer der Ersten neuzeitlichen Denker, der sich wieder der Lösung dieses Rätsels zuwandte, war der in Chemnitz wirkende Arzt, Apotheker und Mineraloge Georgius Agricola (1494-1555). In seiner zehnbändigen Abhandlung über Mineralien „De natura fossilium libri X“ (1546) rekapitulierte er dem Zeitgeist entsprechend das gesamte Wissen zu jedem einzelnen von ihm beschriebenen Mineral, so auch zum Bernstein.118 Er berichtete über die Art und Weise der Bernsteingewinnung, über seine damals geläufigen Bezeichnungen, seine Eigenschaften und seine Verwendung. In puncto

115 Vgl. Schlee, Dieter: Das Bernstein-Kabinett: Begleitheft zur Bernsteinausstellung im Museum am Löwentor, Stuttgart, in: Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde, Serie C (Allgemeinverständliche Aufsätze), hrsg. vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart und der Gesellschaft zur Förderung des Naturkundemuseums in Stuttgart, e.V., Stuttgart 1990, S. 4.

116 Zu antiken Mythen über die Entstehung des Bernsteins vgl. Budrys, Romualdas: Review of the Literature on Amber, in: http//www.pgm.lt/Gintara/Budrio_literatura.en.htm, eingesehen am 12.3.2004;

Rice 1980, S. 108 ff.; Döpp, Siegmar: Die Tränen von Phaetons Schwestern wurden zu Bernstein: Der Phaeton-Mythos in Ovids „Metarmorphosen“, in: Austell. Kat. Bochum 1996, S. 1-10 und Botheroyd, Silvia / Botheroyd, Paul F.: Das Bernstein-Buch, München 2004, S. 11-16.

117 Tacitus zitiert nach: Andrée 1951, S. 11 f.

118 Vgl. Agricola, Georgius: De natura fossilium (1546), Berlin 1958, S. 25-35, S. 90-111 und vgl.

Agricola Georgius: De natura fossilium (1546), Wiesbaden 2006, S. 119-131.

„Ursprung des Bernsteins“ verwies er u.a. auf Aristoteles (384-322 v.u.Z.), der Bernstein für ein Baumharz hielt und berichtet über die Versuche einiger Naturgelehrter den Saft spendenden Baum zu bestimmen. Plinius d.Ä. (23-79) dachte in diesem Zusammenhang an eine Fichtenart, Mithridates eher an eine Zeder. Für Agricola jedoch stand fest: „Bäume schwitzen den Bernstein nicht aus“. Er bevorzugte die Ansicht eines antiken Denkers mit Namen Nikias, welcher behauptet hatte, Bernstein sei ein fetter Erdsaft. Ergo, gehöre Bernstein zu den Fossilia, welche alle unterirdisch wüchsen.

Weiter beurteilte Agricola den Bernstein nach seinen Eigenschaften, da er fett ist und brennt, muss er entweder Schwefel oder Bitumen119 sein. Obwohl ihm, die, wie wir heute wissen, nur zum Teil richtigen theoretischen Ansätze von Tacitus und Plinius über die Entstehung des Bernsteins bekannt waren, entzogen sie sich seiner Vorstellungskraft. Denn bis dahin wusste man nur von vereinzelten Bernsteinfunden an der jütländischen Küste und den reichen Bernsteinvorkommen an den Ufern des Samlandes. Gerade weil der Bernstein an den Ostseestrand gespült wurde, hielt Agricola die Baumharz-Theorie der antiken Schriftsteller absurd, zum einen, weil sie sich nicht einig waren, welcher Baum nun der Harzspender gewesen war, zum anderen, kannte er aus eigenem Erfahren keinen Baum, der Harz in die Ostsee träufelte. So schien ihm die Erklärung des Nikias einleuchtender. Allerdings lehnte Agricola dessen und auch von zeitgenössischen Gelehrten geteilte Annahme, dass die Sonnenstrahlen, die rings um den Sonnenuntergang heftiger gegen die Erde bewegt werden, einen fetten Schweiß aus der Erde herauslocken, mit der Begründung im Norden schiene die Sonne nicht so heiß, genauso ab, wie die Behauptung einiger anderer zeitgenössischer Gelehrten, der Saft entstehe aus Lehm. Auch das Vorkommen von Inklusen im Bernstein hatte Agricola beobachtet: „Man kann in dem durchsichtigen Bernstein eingeschlossen sehen, solcher Art sind: Mücken, Fliegen, Ameisen, Spinnen, kleine Fische, Fischeier, kleine Blätter von Bäumen, Stücke von Kräutern, Algen und manche ganz kleine Dinge. Sie sind in den Saft, während er vom Bergvorsprung ins Meer hinab floß oder auch im Meer selbst, bevor er fest wurde, eingewickelt gewesen. Doch das geschah zufällig und außerhalb der Erde“.120 An anderer Stelle schreibt er „Dies alles, [...] ist in das flüssige Bitumen, als es aus der Erde ausfloß, hinein geflogen, -gekrochen oder gefallen, oder es ist so eingeschlossen zugleich mit ihm zu Stein verwandelt

119 Aus dem Lat., deutsch: veraltet für Erdpech. Natürliche, bräunliche bis schwärzliche brennbare Stoffe, vorwiegend aus Kohlenstoff und Wasserstoff; gasförmig (Erdgas), flüssig (Erdöl) oder fest (natürlicher Asphalt, Ozokerit). Heute: durch Vakuum-Destillation aus Erdöl gewonnenes Material.

120 Agricola 1958, S. 35.

worden.“121 Kurz nach dem Erscheinen von Agricolas Werk über die Minerale erschienen die Abhandlungen von Aurifaber und Goebel über die Nutzung des Bernsteins als Heilmittel. Beide folgten, was die Entstehung des Bernsteins betrifft, ganz der Lehre Agricolas. Schon im Titel beschrieb Aurifaber die Natur des Bernsteins:

„[...] das er kein Baumharz sey, sonder ein Geschlecht des Bergwachs“.122 Bergwachs ist nur ein anderer Begriff für Bitumen. Weitere Verfechter der Erdsafttheorie waren der Universalgelehrte und Geograf Sebastian Münster123 (1488-1552), der deutsche Naturgelehrte Conrad Gesner124 (1516-1565) und der deutsche Arzt und Mineraliensammler Johannes Kentmann125 (1518-1574) sowie der dänische Arzt, Naturgelehrte und Sammler von Naturalien und Raritäten Olaus Worm (1588-1654).

Worm behauptete, dass man den „succus lapidescens“, den steinbildenden Saft, in Erde und Wasser finden könne.126 Auch der italienische gelehrte Jesuitenpater Athanasius Kircher (1602-1680) sah keinen Grund diesbezüglich an Agricola zu zweifeln und erklärte, dass Bernstein „ex bitume“ entstehe und zwar wie folgt: „Nemlich der Bernstein käm aus dem Schoß der Erden/ Gleich wie das Judenpech [...] und Petroleum“.127 Fast ein halbes Jahrhundert später war der aus Elbing stammende Arzt und Bernsteinkenner Nathanael Sendel noch der Überzeugung, dass Bernstein in der Erde wachse.128

Es scheint, dass Adam Olearius (1599-1671), der Verwalter der Kunstkammer des Fürsten von Schleswig-Holstein in Gottorp129 als Einziger die Baumharz-Theorie für möglich hielt. Er erklärte klipp und klar: „Ich halte es mit dem Caesalpino und etlichen anderen, welche meinen, dass es ein Gummi, so aus den Bäumen fließe, sey“.130 Zur Untermauerung seiner Theorie führte er an, dass es nicht abwegig erscheint, dass jenseits des 60. Breitengrades, wo die Sonne im Sommer nicht untergeht, Tannen,

121 Ebd, S. 107.

122 Der vollständige Titel lautet:Succini Historia: Ein kurzer gründlicher Bericht, woher der Agtstein oder Börnstein ursprünglich komme, das er kein Baumharz sey, sonder ein Geschlecht des Bergwachs, und wie man ihn manigfaltiglich in Arzneien möge gebrauchen.

123 Vgl. Münster, Sebastian: Cosmographia, Nachdruck der Ausgabe Basel 1550, Houten 1987.

124 Vgl. Gesner 1565.

125 Vgl. Kentmann, Johannes: Nomenclaturae Rerum fossilium, que in Misnia praecpue, & in alijs quoque regionibus inveniunter, in: Gesner 1565.

126 Vgl. Worm 1655.

127 Athanasius Kircher zitiert nach: Olearius, Adam: Gottorffische Kunstkammer, worinnen allerhand ungemeiner Sachen [...], Schleswig, 1666, Anhang: Erläuterungen zum Bernstein.

128 Vgl. Sendel 1742, Vorwort u. Classis III., Cap. IV.

129 Ältere Schreibweise: Gottorf auch Gottorff.

130 Olearius 1666, Anhang: Erläuterungen zum Bernstein. Olearius bezieht sich auf Andreas Caesalpinus, De Metallicis, lib. II-III, erschienen 1696 in Rom. Caesalpinus bezieht sich seinerseits auf Tacitus´

Ausführungen über die den Bernsteinsaft produzierenden Bäume an der Samländischen Küste.

Fichten und Wacholderbäume durch die Wärme „Resinam“ und Gummi ausscheiden und dass er während einer Reise zu den Inseln im Ladogasee mit eigenen Augen gesehen hat, wie Bäume harzen – der Namen der Bäume ist ihm nicht bekannt, nur der Umstand, dass daraus Teer hergestellt wird.

Die Gelehrten des 16./17. Jahrhunderts konnten sich weder hinsichtlich der Natur des Bernsteins einigen, noch zu den Fragen: Wie kleine Tiere in einige Bernsteine hineingekommen seien, wie das Bernsteinharz erhärte und ob, bei dem Prozess seines Erhärtens das Meerwasser von Bedeutung sei. Einig waren sich die Gelehrten nur in dem Punkt, dass das Bernsteinharz, gleichgültig ob es von einem Baum stammte oder unter der Erdoberfläche lagerte, flüssig gewesen sein muss, weil Pflanzenteile und kleine Tiere daran kleben geblieben waren. Agricola zufolge versteinere der Erdsaft im Meer. Kircher setzte dagegen die Idee, dass an dem aus dem Meer an Land gespülten noch weichen Harzklumpen kleine Tiere (hier nennt er auch Eidechsen) kleben blieben und wenn jener wieder ins Meer gespült würde, diese durch die Hin- und Herbewegung des Meeres hinein gedrückt würden. Erhärten würde Bernstein nur an Luft und Sonne.

Kircher wagte sogar eine zeitliche Schätzung von 100 Jahren für die Dauer des Versteinerungsprozesses.

Der Arzt Philip Jacob Hartmann, ebenfalls ein Verfechter der Erdsafttheorie, war der Meinung, dass sich Bernstein aus öl- und gashaltigem Teer bilde, welches mit Salz vermischt sei. Mit der Verflüchtigung des Gases erhärte diese Masse und würde zu Bernstein. Der Salzgehalt des Bernsteins bestimme dessen Farbe, demnach hätte der Knochenbernstein den höchsten Salzanteil.131

Als Kompromiss bezüglich des Gelehrtenstreits bezüglich der Natur des Bernsteins wurden in Johann Heinrich Zedlers „Universallexicon“ (1733) in Anlehnung an Anselm Boetius de Boots132 Ausführungen zum Thema drei verschiedene Sorten Bernstein aufgeführt: 1.) von den Baum-Säften, 2.) von dem Erdharz oder -saft und 3.) von der Fettigkeit der Tiere.133

In den dreißiger Jahren des 18. Jahrhundert entbrannte der Gelehrtenstreit über den Ursprung des Bernsteins erneut. Den Anstoß dazu gaben folgende Umstände:

1) Man hatte weit weg von der Ostsee, in anderen Gegenden Europas Bernstein in

131 Vgl. Hartmann, Philipp Jacob: Succinecta, succini prussici historia et demonstratio, Berolini 1699, S.

337-364.

132 Boot, Anselm Boetius de: Historia gemmarum et lapidum, Lugduni Batavorum 1647.

133 Zedler 1733, Bd. 3, Sp. 1399-1401.

Erdschichten entdeckt, die versteinertes Holz führen.134 Außerdem war man bei Grabungen an den Ufern der Ostsee in der Nähe von Palmnicken auf zwei Arten bernsteinführende Erdschichten gestoßen. Die eine Schicht führte versteinertes Holz die andere eine Art blauen Leim.135 Sendel hatte die leimführende Schicht vor Ort untersucht und kam zu dem Schluss, dass sich diese Schicht bis auf den Grund des Meeres erstreckte, woraus der Bernstein durch die Kraft des Meeres gerissen würde.136 2) Allgemein war die einheimische Fauna und Flora in den Mittelpunkt des Interesses von Naturforschern gerückt. Erstmals wurden die im Bernstein eingeschlossenen kleinen Tierchen untersucht und mit der einheimischen Insekten- und Pflanzenwelt verglichen. Die Verbesserung von optischen Geräten machte genaue Studien möglich.

Einer der ersten Gelehrten, der sich der Erforschung der Bernsteininklusen zuwandte, war der Naturkundelehrer Carl Heinrich Rappolt aus Riga. Er stellte fest, dass sich in das geschmolzene Bernsteinharz Insekten und andere Materialien, die in Tannenwäldern seiner Heimat vorkamen sowie Regen- und Tautropfen eingelagert hatten. Daher schien es ihm möglich, dass das Bernsteinharz ein Produkt von Tannen sein könnte, das durch Brand oder Sonneneinwirkung heraus geschmolzen wurde und danach zum Teil im Sand vergraben und zum Teil ins Meer gespült wurde.137

Sendel, mit der Untersuchung und Ordnung der ca. 600 Inklusen umfassenden Bernsteinsammlung der Augusti von Sachsen beauftragt, gelang es eine Reihe von Erdinsekten zu klassifizieren sowie einige, wie er dachte, Wasserinsekten. Auch ihn hatte die Frage beschäftigt, wie Insekten und kleinen Tierchen in den Bernstein gekommen waren. Wie Agricola und Kircher dachte er, dass das Harz flüssig gewesen sein musste, weil die kleinen Lebewesen daran kleben geblieben waren. Entweder waren sie, wenn sie sich bei Kälte in Gängen der Erde verkrochen hatten, dort vom

134 Vgl. Krünitz 1773-1858, Teil 4, S. 243-250.

135 Bei Krünitz wird dieses Holz in trockenem Zustand als schwarz und leicht zerreibbar, in feuchtem Zustand als grau und gelblich beschrieben. Da es weder Äste noch Jahresringe aufweist, gehöre es nicht zu dem Pflanzenreich, sondern zu dem Reich der Mineralien. Vgl. Krünitz 1773-1858, Teil 4, S. 243-250;

Bei Zedler Stein-Holz genannt und deshalb Bernstein Succinum fossile. Vgl. Zedler 1733, Bd. 3, Sp.

1399-1401.

136 Sendel 1742, Vorwort u. Classis III., Cap. IV.

137 Vgl. Rappolt, Carolus Henricus: Caroli Henrici Rappolt de origine succini in littore Sambiensi:

meditatio epistolaris; quam excipit Johannis Poliquam excipit Johannis Poliandre [...] descriptio sudinoru glessum captamtium; Nunc primim in luc. prol. ex autographo, Regiomonti Prussorum, 1737.

Erdharz überrascht worden oder sie hatten sich auf das vom Meer ausgeworfene noch klebrige Harz gesetzt.138

Das Sendel zur Verfügung stehende florale Material war viel zu gering, sodass er Rappolds Schlüsse, auf die er verwies, durch eigene Beobachtung nicht nachvollziehen konnte und daher für unzureichend erklärte.

Weit mehr Untersuchungsmaterial, mehrere 1000 Stück, stand Friedrich Samuel Bock (1716-1786) zur Verfügung. Er war in Königsberg mit der Verwaltung und Ordnung des „Electrophylacium borussicum“, der Bernsteinsammlung des Kommerzienrats Friedrich Franz Saturgus (1728-1810), betraut worden. Er entdeckte im Bernstein Moose, Tannen- und Fichtennadeln, Hülsenfrüchte, Getreide, Holzstücke, Blätter und andere pflanzliche Teile sowie Insekten bei der Fortpflanzung, Begattung, beim Fressen und anderen Tätigkeiten, z.B. Spinnen in ihrem Netz, Ameisen, welche Splitter oder Eier fortziehen. Die Insekten waren jenen in einheimischen Wäldern ähnlich. Er fand aber keine Wasserinsekten. Diese Beobachtungen zog er zur Widerlegung von Kircher und Sendels Theorien wie die Tierchen und Pflanzen in den Bernstein gelangt waren und als unumstößliche Beweise für die Richtigkeit, der von Plinius und Tacitus erstellten These, dass nur ein Baum der Lieferant des Bernsteinharzes sein konnte, heran. Zur Untermauerung seiner Ausführungen berief sich Bock auf den russischen Wissenschaftler Michael Lomonossow (1711-1765), welcher bereits 1757 vor der Petersburger Akademie der Wissenschaften den Beweis führte, dass der Bernstein ein versteinertes Baumharz ist und somit zum Reich der Pflanzen gehöre und nicht, wie fälschlicherweise seit Agricola angenommen, ins Reich der Mineralien: „ Ich kann mich nicht genug wundern, dass gelehrte Männer, von großen Verdiensten und berühmten Namen, den Agtstein, dem Reiche der gegrabenen Körper zuzueignen gesucht und gar nicht auf so viele Gewürme und Ungeziefer, als Einwohner der Wälder, und auf die Blätter der verschiedenen Pflanzen, die man in demselben eingeschlossen findet, Acht gegeben haben; da doch alle diese Dinge fast so gut, als ob sie reden könnten, ihre Meinung bestreiten, und augenscheinlich zeigen, dass die Insekten und Blätter an dem pechartigen Stoffe der Bäume, da derselbe noch flüssig gewesen, hängend geblieben, und eingeschlossen sind. Wer aber siehet nicht leicht ein, wie diese Dinge in den Schoß der Erden gekommen seyn mögen; wenn er nur weiß, dass sich durch Erdbeben, nicht selten große Veränderungen ereignen. Überdies findet man den Agtstein in Preußen,

138 Sendel 1742, Vorwort u . Classis III., Cap. V.

nebst andern, unter einer Schichte von faulem Holz; denn, da das Holz durch das Alter zerfressen worden ist; so hat hingegen der fette und pechartige Stoff mit den eingeschlossenen Thierlein, der Faulung Widerstand gethan, und durch Annehmung eines Saftes von Bergstoffen, ein größere Festigkeit bekommen.“139 Bock zeichnete weder Luft noch Wasser für die Versteinerung des Harzes für verantwortlich. Da an den Gestaden der Ostsee keine Harzwälder existieren, die das große Vorhandensein des Bernsteins in der Erde und im Meer rechtfertigen, dachte er an eine in der Vergangenheit liegende große Veränderung der Erde. Bock hatte seine Erkenntnisse 1767 unter dem Titel „Versuch einer kurzen Naturgeschichte des Preußischen Bernsteins und einer neuen wahrscheinlichen Erklärung seines Ursprungs“ publiziert.

Trotz des Beweises hat sich die Erdharztheorie in Deutschland bis zum Ende des 18.

Jahrhunderts gehalten. Erst durch den verstärkten Abbau des Bernsteins und dem damit verbundenen erhöhten Aufkommen an pflanzlichen Inklusenfunden, welche die Baumharz-Natur des Bernsteins immer wahrscheinlicher machten, wurde zu Ende des 18. Anfang des 19. Jahrhunderts die Erdharz-Theorie endgültig ad acta gelegt.