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Aufgrund der Exklusivität und des Zaubers, der den Bernstein umgab, wurden kleine und große Bernsteinklumpen, wie sie am Strand der Ostsee vorkamen, in seiner ursprünglichen Form (Naturalie) sowie kunstvoll verarbeitet zu Humpen, Kannen, Schüsseln, Kästen, Kabinettschränken, Skulpturen (Artificialie) und den Exotika aus Übersee, den so genannten „curiosen und raren Sachen“, von „großen Herren oder sonst Personen von Mitteln“140 mit Leidenschaft gesammelt und in ihren Studioli, Wunder-, Raritäten-, Schatz-, Kunst- und Naturalienkammern, den Abbildern des Makrokosmos en miniature, aufbewahrt und mit Stolz vorgezeigt. Man bewunderte am Bernstein die Varietas, das heißt, seine Farb- und Formvielfalt, die Unterschiede in der Transparenz, die Vielfalt von kleinen Tieren und Pflanzen, die man im eingeschlossen Bernstein entdeckte. Ein besonderes Phänomen des 17./18. Jahrhunderts ist das Sammeln von Zufallsbildern im Bernstein. „Als Zufallsbilder werden Formen

139 Michael Lomonossow zitiert nach: Bock 1767, S. 105.

140 Hübner, Johann: Reales Staats- und Zeitungs-Lexicon, worinnen die Religionen und Orden, die Reiche und Staaten, Meere, Seen […] beschrieben werden, 2. u. d. T.: Curieuses Natur […] Lexikon […], Leipzig 1712, Stichwort „Kunstkammer“.

bezeichnet, die in der Natur vorkommen, […] und die dem menschlichen Betrachter mit seiner Phantasie als Abbilder konkreter oder unregelmäßiger und besonderer Formen erscheinen, als ob es sich dabei um von der Natur geschaffene Kunstwerke handele.“141 Durch raffinierte Techniken in der Bearbeitung, durch Kombinationen mit anderen ebenso raren und kostbaren Materialien wie Edelmetalle, exotische Hölzer und Elfenbein sowie durch den häufigen Dekorwandel des jeweiligen Zeitgeschmackes, war es den Bernsteinkünstlern gelungen, das Interesse an Bernstein bei der finanzkräftigen Kundschaft fast 200 Jahre zu schüren. Mit dem Verlust des Zaubers, durch die Entdeckung seiner Harznatur, war Bernstein für dieses verwöhnte Klientel nicht mehr interessant.

3.1 Naturalie

Als Naturalia werden im Kontext dieser Arbeit nicht nur große und kleine Bernsteinklumpen verschiedenster Farbe und Form, wie sie in der Natur vorkommen, bezeichnet,142 sondern auch leicht, durch die Kunst des Menschen bearbeitete Steine.143 Die schönen Maserungen des Bernsteins, pflanzliche, tierische und Sedimenteinschlüsse sind meist unter einer Kruste verborgen. Um diese besser sichtbar zu machen und auch um einer äußeren Form Nachdruck zu verleihen, wurden die Bernsteinklumpen von der Kruste befreit, geschnitten, geschliffen und poliert. Gemäß den Betrachtungen des italienischen Kunsttheoretikers Leon Battista Alberti (1404-1472) über die Bildhauerei, sind Bearbeiter des Bernsteins gleich den Bildhauern als Künstler144 anzusehen und somit gelten die durch die Hand des Menschen nur leicht bearbeiteten Bernsteine als Kunststücke. Mit derlei Spitzfindigkeiten haben sich Naturaliensammler des 16.

Jahrhunderts und nachfolgender Jahrhunderte nicht beschäftigt, obwohl einige von ihnen sicherlich Albertis theoretische Schriften kannten. Zu Beginn des 19.

Jahrhunderts wurden „Naturalien“ wie folgt definiert: „[...] alle von der Natur hervorgebrachten Körper, so lange sie von der Kunst noch nicht zu sehr verändert worden“.145

141 Chang, Sheng-Ching: Das Chinabild in Natur und Landschaft von Athanasius Kirchers „China illustrata“ (1667) sowie der Einfluss dieses Werkes auf die Entstehung der Chinoiserie und der europäischen Kunst. (unveröffentlichte Dissertation) 2001, S. 16.

142 Wissenschaftliche Bezeichnung heute Rohbernstein.

143 Wissenschaftiche Bezeichnung heute Naturbernstein.

144 Vgl. Leone Battista Alberti´s kleinere kunsttheoretische Schriften, hrsg. von Hubert Janitschek, Neudruck der Ausgabe 1877, Osnabrück 1970, S. XXXIV.

145 Krünitz 1773-1858, Teil 101, Stichwort „Naturalie“.

Durch Agricolas Abhandlung über den Bernstein und die Traktate von Aurifaber und Göbel über die Nutzung des Bernsteins als Heilmittel war die Aufmerksamkeit zeitgenössischer Gelehrter auf dieses Wunder der Natur gelenkt worden. Besonders Ärzte und Apotheker treten seit dem 16. Jahrhundert als Sammler von Bernstein auf.

Personen also, die aus beruflichen Gründen durch Handel in den Besitz von Bernstein kamen. Aber auch Gelehrte der gehobenen Schicht, wie reiche Kaufleute und Fürsten waren stolz, wenn sie ein besonders schönes Stück vorzeigen konnten, bzw. wenn es gelang, durch den Besitz mehrerer Gesteinsproben die Varietäten und Naturformen des Bernsteins zu demonstrieren. Sogar die heiß begehrten Kabinettschränkchen, Glanzstücke einer Kunstkammer, wurden zum Teil mit Bernsteinproben oder kleineren Gebrauchsgegenständen aus Bernstein bestückt. Philipp Hainhofer (1587-1647), der im Auftrag Herzog August d.J. von Braunschweig-Lüneburg (1579-1666) als Einkäufer für dessen Kunstkammer tätig war, berichtete 1639 in einem Brief von einer mehrladigen Truhe, zu deren Kostbarkeiten auch eine Apotheke mit „stückhlen schönen gelben Agtsteins“ und ein „augsteininer leffel, meßer und piron“ gehörten.146

Natürlich beschränkte der gelehrte Betreiber eines Naturalienkabinetts sich nicht nur auf das Zusammentragen von Naturalien im Sinne der oben genannten Definition. So umfasste die zum Naturalienkabinett des Apothekers Johann Heinrich Linck (1734-1807) gehörende Mineraliensammlung eine Suite mit kleinen Gebrauchsgegenständen und Kunststücke aus Bernstein, wie Tabakstopfer, kleine geschnitzte oder gedrehte Dosen und einiges mehr. Grundsätzlich herrschte in der Naturalienkammer der Grundsatz: Immer stand das Naturmaterial im Vordergrund der wissenschaftlichen Betrachtung und nicht die Meisterschaft seiner technischen Bearbeitung.

Im 16. und 17. Jahrhundert waren selbst winzige Bernsteinbröckchen rar. Wenn man Bernstein haben wollte, musste man die lange strapaziöse und kostspielige Reise an die Ostseeküste, in die Zentren der Bernsteingewinnung, auf sich nehmen. Der wenig betuchte Sammler war deshalb auf Reisemitbringsel von Freunden oder Gönnern angewiesen oder musste einen Händler mit der Beschaffung beauftragen, wie es Apotheker taten. Erst im 18. Jahrhundert, als nach Bernstein auch gegraben wurde und somit das Aufkommen daran wuchs, sanken die Preise. Eine andere Methode an seltene

146 Gobiet, Ronald: Der Briefwechsel zwischen Philipp Hainhofer und Herzog August d.J. von Braunschweig-Lüneburg, in: Forschungshefte, Hrsg. v. Bayerischen Nationalmuseum München, München 1984, Brief-Nr. 1511, 3. August 1636.

Naturalien wie Bernstein, zu gelangen war der Ankauf bzw. die Ersteigerung, wenn nach dem Tode eines Sammlers, dessen Kollektion zum Kauf angeboten wurde.

Auf Handelswegen war schon in der Antike Bernstein mit tierischen Einschlüssen bis nach Rom gelangt, wo der Dichter Marcus Valerius Martialis (40-102) Gelegenheit hatte diese zu betrachten. In durchsichtigen roten und gelben Steinen hatte er kleine geflügelte Tiere, Ameisen, rote Würmchen, Spinnen, Eidechsen und Schlangen entdeckt und ihnen begeistert ein Epigramm gewidmet.147 Die Verse Martials: „Implicuit teneum succina gutte feram. Sic modo quae fuerat uita contempta menente, funeribus facta est nunc pretiosa suis“ zitierte der deutsche Universalgelehrte Christoph Gottlieb von Murr (1733-1811), um seiner Verwunderung beim Anblick einer im Bernstein gefangenen Spinne Ausdruck zu verleihen, die er im Praunschen Museum gesehen hatte.148 Die Spinne gehörte zu denjenigen Merkwürdigkeiten, welche die Nürnberger Patrizier Siegmund Ferdinand und sein Sohn Paul Praun (1548-1616) seit 1563 in ihrer Wunderkammer zusammengetragen hatten. Die Wunderkammer war zu Murrs Lebzeiten als geschlossene Sammlung erhalten geblieben und gehörte zu den Sehenswürdigkeiten Nürnbergs. Wahrscheinlich hatten die Prauns über die enge Verbindung mit den Ansbachern, die unweit Nürnbergs residierten, oder über eigene Handelsbeziehungen die Spinneninkluse für ihre Sammlung ergattert. Sie gehörten zu den frühen Sammlern des deutschsprachigen Raums, die sich rühmen konnten, ein derartiges Stück in ihrer Wunderkammer vorzeigen zu können.

Die im Bernstein eingeschlossenen Tiere und Pflanzen sind versteinert und werden Inklusen genannt. Die Inkluse an sich ist nur ein dünner Hohlraum im Bernstein. Von Insekten ist in der Regel nur die widerstandfähige und schwer zersetzbare Chitinhülle erhalten. Die Organismen sind lebend, in einer speziellen Situation vom Harz umschlossen worden und stellen somit ein Schnappschuss des Lebens im Bernsteinwald dar. Bernsteininklusen sind für die paläontologische Forschung einzigartig, denn durch die Durchsichtigkeit ihrer Hülle sind sie sichtbar. Die Versteinerung der Insekten ging wie folgt vonstatten: Nach dem qualvollen Tod baut sich der Weichkörper mikrobiell ab. Die entstehenden Gase und Körperflüssigkeiten treten durch Mund, After und anderen Körperöffnungen, die durch Verletzungen herrühren können, aus und werden

147 Vgl. Agricola 2006, Viertes Buch, S. 129.

148 Murr, Christoph Gottlieb von: Die Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten der Stadt Nürnberg, Nürnberg 1778. Das Martial-Epigramm in freier Übersetzung: „Es (das Insekt) gerät in einen Bernsteintropfen und so ist das, dem ein verächtliches Grab zugedacht war, eine Kostbarkeit geworden.“

durch Diffusion ausgeschieden. Dadurch können sich Emulsionen bilden, wodurch die Einschlüsse von einem trüben, milchig-weißen Belag bedeckt sein können und so die Sicht auf das Insekt trüben.149

Bernsteininklusen sind seit der Renaissance in Fürstlichen- und Gelehrtensammlungen Nord- und Mitteleuropas sowie in Italien nachweisbar. Die größten geschlossenen Inklusensammlungen wurden bereits im 18. -19. Jahrhundert angelegt. Dazu zählen die Kollektion der sächsischen Augusti, das „Electrophylacium borussicum“ des Königsberger Kommerzienrates Friedrich Franz Saturgus, Sammlungen von Gelehrten, beheimatet in den Abbaugebieten des Bernsteins, wie die von Jacob Theodor Klein (1685-1759), Carl Gottfried Hagen (1749-1829), Anton Menge (1808-1880), Carl Georg Berendt (gest. 1856) und Richard Klebs (1850-1911).

Besonders große und mehrere Kilogramm schwere Bernsteinklumpen waren sehr selten und galten als besondere Raritäten. Gelang es, solch einen Schatz der Ostssee zu entreißen, wurde dieses Ereignis sogleich „allerhöchst“ vermeldet. Allein der Kurfürst bzw. König von Preußen, in seiner Eigenschaft als Herrscher über das Bernsteinregal, entschied, was damit geschehen sollte.

Aus einer Archivalie geht beispielsweise hervor, dass am 5. Juni 1719 die Polnisch-Deutsche Amtskammer König Friedrich Wilhelm I. über die Ausgrabung eines sieben Kilogramm schweren kombstfarbenen Bernsteins in dem Dorf Groß Gubeniden unterrichtete. Von dem Bernstein sei eine Stelle abgebrochen, die der Bernsteinarbeiter Porschin wieder angeklebt habe. Man wollte wissen, was damit zu geschehen hat. Fünf Tage später erging der Befehl, den Stein nach Berlin zu senden.150

Einige solcher Brocken gelangten in die Berliner Kunstkammer, andere wurden verkauft oder an befreundete Monarchen verschenkt.

149 Vgl. Weitschat, Wolfgang / Wichard, Wilhelm: Atlas der Pflanzen und Tiere im Baltischen Bernstein, München 1998, S. 29.

150 GStAPK, II. HA, Abt. 7, Generaldirektion Ostpreußen, II. Materien, Nr. 674, Bl. 93.

Abb. 8:

Bernsteinbrocken in vergoldeter Kupferfassung, 26 cm (Höhe des Bernsteins 12 cm). Um 1620.

Privatbesitz.

Zu den außerordentlichen Raritäten der Kunst- und Wunderkammern zählen Handsteine. Die besondere Schöpfung des 16./17. Jahrhunderts versinnbildlicht die Verbindung von Natur und Kunst. Ursprünglich wurde unter einem Handstein eine besonders geformte Erzstufe in Form eines kleinen Gebirges verstanden, das die Bergleute zum Betrachten in die Hand nehmen konnten und dem Landesherren schenkten. Seit dem 16. Jahrhundert wurden Handsteine kostbar gefasst und oftmals mit religiösen Szenen, die wiederum aus Silber, Elfenbein, Korallen und anderen kostbaren Naturmaterialien gefertigt sein konnten, bekrönt. Eine bedeutende Sammlung an Handsteinen hatte Erzherzog Ferdinand II. in seiner Wunderkammer auf Schloss Ambras zusammengetragen. In Privatbesitz befindet sich ein wie ein Handstein kostbar gefasster Bernsteinbrocken (Abb. 8). Es ist das einzig bekannte Exemplar aus diesem nicht bergmännisch abgebauten Material. Die Provenienz ist nicht nachzuvollziehen.

Ebenso konnte nicht geklärt werden, ob das Exemplar einst als Schauobjekt in einer Kunst- oder Wunderkammer diente. Wahrscheinlicher ist die Funktion als Tafelaufsatz.

Es handelt sich um einen 12 cm großen opaken, orangebraunen Bernsteinklumpen ohne weitere künstlerische Bearbeitung. Er ist auf einen 14 cm hohen, reich gearbeiteten,

feuervergoldeten Fuß aus Kupfer montiert. Den Fuß zieren Putti, Frucht- und Blattranken.151

Abb. 9:

„Kopf“, Stich in Christoph Hartknochs Buch „Altes und Neues Preußen oder preußischer Historien 2 Theile […], Frankfurt, Leipzig und Königsberg 1684. Staatsbibliothek zu Berlin, Signatur: 217701 R.

Ein kostbarer Fund, aufgrund seiner Größe und Form „Kopf“ genannt (Abb. 9), wurde auf einem Stich in M.C. Hartknochs Buch „Altes und Neues Preußen“ aus dem Jahre 1684 in der Art verewigt, wie er möglicherweise innerhalb einer Kunstkammer präsentiert bzw. inszeniert wurde. Mittelpunkt der Komposition ist ein großer runder Bernstein am Rand eines mit einem Tuch bedeckten Tisches. Das Licht fällt von rechts oben auf den Stein und die Tischplatte. Durch das gleißende Licht ist in der Draufsicht das Ornament des Tuches nicht zu erkennen. Nur der Faltenwurf an der rechten Tischecke lässt die Schwere des Stoffes und das darin eingewebte Muster erahnen. Der Schatten des Steines läuft spitz zu. Auf eine Wiedergabe des Hintergrunds hat der Zeichner verzichtet. Nichts lenkt den Betrachter von dem unerhörten Fund ab. Der Betrachter des Stiches assoziiert, wie der Betrachter des Originals, in dem Bernstein ein Gesicht. Durch verschiedene Schraffuren ist es dem Künstler gelungen, die Dellen und Falten des Bernsteines so wieder zu geben, dass das durch die Phantasie des Betrachters beflügelte Auge darin zwei herzförmige, durch die Nasenwurzel verbundene Augen, rechts eine hochgezogene Augenbraue, links ein Jochbein und einen seitlich verschobenen Mund mit vollen Lippen erkennt.

151 Vgl. Austell. Kat. Bochum 1996, S. 555, Kat.-Nr. 301 und Ausstell. Kat. Wien 2005, S. 31, Kat.-Nr. 3.

Abb. 10:

Landschaft mit Wolken. Detaillausschnitt aus Nathanael Sendels Historia Succinorum, Leipzig 1742, Tab.

XI, Nr. 19. Staatsbibliothek zu Berlin, Signatur: Mi 2575.

Tafel IX der „Historia Sucinorum“ (Abb.10) zeigt neben anderen geschliffenen Steinen eine „Landschaft mit Wolken“. Den Vordergrund nimmt eine durch Wind und Wetter geformte bizarre, stark zerklüftete Felsenlandschaft ein. Zu ihren Füssen sind einige Gräser als Zeugnisse der dürren Vegetation zu erkennen. Ein Felsen reicht bis in den Himmel hinein. Es herrscht Abendstimmung. Die untergehende Sonne bricht noch einmal durch zwei Wolkenbänder durch. Darüber schweben zwei Kumuluswolken.

Das von Bild ist nicht durch Künstlerhand entstanden. Es ist ein Zufallsbild im Bernstein und gehörte zu den interessanten Objekten innerhalb der Bernsteinsammlung der sächsischen Augusti, die als Teil des Naturalienkabinetts im Zwinger Aufstellung fand. Um den Gemäldecharakter zu unterstreichen war das kleine geschliffene Bernsteintäfelchen mit der außergewöhnlichen Maserung gerahmt worden. Da das Original beim Brand des Zwingers im Jahre 1848 vernichtet wurde, kann man sich die natürliche Färbung und Maserung des Bernsteinplättchens nur vorstellen.

Wahrscheinlich handelte es sich um einen gelben opaken Bernstein mit milchig-weißer Maserung. Die Urheber dieses natürlichen Musters waren Millionen winziger Flüssigkeitstropfen, die sich in die noch flüssige gelbe Bernsteinmasse einbetteten.

Die Betitelung des großen Bernsteinsklumpens als „Kopf“ und die des Plättchens

„Landschaft mit Wolken“ spiegelt das Naturverständnis des 17. und 18. Jahrhunderts wieder. Es hatte sich in europäischen Gelehrtenkreisen dass Bewusstsein herauskristallisiert, dass es sich bei den Zufallsbildern um von der Natur geschaffene

Kunstwerke handele und die Natur selbst galt ihnen als kreative Künstlerin.152 In der Renaissance war das Interesse an gemaserten Steinen wieder erwacht153 und beruhte auf dem Glauben, dass sie keine toten unveränderlichen Dinge sein konnten, sondern gelebt haben könnten. Der Beweis dafür war die Vielfalt der Maserungen und Strukturen, die verblüffend an lebende Pflanzen, Tiere, Lebensräume und die Elemente erinnerten.

Verstärkt wurde dieser Eindruck durch versteinerte Tiere und Pflanzen. Nach der damaligen Auffassung stand die den Mineralien innewohnende Lebenskraft in einer Wechselwirkung mit den Kräften des Makrokosmos.154 „Alle in der Natur vorkommenden Strukturen durften demnach als Abbilder, Spuren oder Zeichen anderer Einheiten als derjenigen gedeutet werden, der sie selbst angehörten. So erkannte man in den meist zugeschnittenen Oberflächen von Steinen unter anderem Landschaften, Wolken, Gewässer, Ruinen, Feuer und Rauch, Himmelskörper und eine zahllose Vielfalt von figürlichen Erscheinungen.“155 Solche Steine wurden in polyhistorischen Abhandlungen thematisiert und abgebildet so in Anselmus Boetius de Boodts

„Gemmarum et lapidarum historia“ (1636) und in Ulisse Aldrovandis „Museum Metallicum“ (posthum 1648 veröffentlicht). Zur Veranschaulichung seines Standartwerkes über die Mineralogie „Mundus subterraneus“ (1665 erstmals erschienen) hatte Kircher dem Werk zahlreiche Illustrationen von Steinen beigefügt, von denen er glaubte, dass die Natur sie durch ihre gestalterische Kraft gemalt habe.

Kircher kategorisiert nach dem Vorbild Aldrovandis die Zufallsbilder nach Gegenstandskategorien wie, Städte, Vögel, Vierbeiner, Menschen, geometrische Formen, Landschaften, biblische Motive. Chang sieht in der Präsentation der Zufallsbilder einen Einblick in Kirchers Vorstellung über die Entstehung und Erschaffung des Kosmos. Nicht nur allein die Kraft Gottes ist für das Entstehen der Zufallsbilder verantwortlich, sondern auch die Naturgewalten, wie Wasser, Wind und die Kräfte im Erdinneren, indem sie durch chemische Umwandlungsprozesse die natürlichen Ausgangssubstanzen verändern. Für Kircher „[…] ist die Natur ein schöpferisch tätiger Maler, sie besitzt die perspektivischen Fähigkeiten eines Optikers und eines Geometers, sie kann denken und aktiv handeln wie die Menschen.“156

152 Vgl. Chang 2001, S. 30.

153 Über die Betrachtungsweise von Steinen als Zufallsbilder in der Antike und im Mittelalter, vgl. ebd., S. 43 f.

154 Diese Vorstellung geht auf Geronimo Cardano, „De subtilitate Libri“ (1550) zurück. Vgl. Ausstell.

Kat. Braunschweig 2000, S. 106-109.

155 Ebd., S. 109.

156 Chang 2001, S. 39 ff.

1667 veröffentlichte Kircher auf der Grundlage von Reisebeschreibungen seiner Mitbrüder am Collegium romanum und der dort gesammelten Landschaftsmalereien, Kunstgegenstände und Naturprodukte eine illustrierte Abhandlung über China und Asien. Die tiefe Achtung der Chinesen vor der Natur hatte den Jesuitenpater tief beeindruckt. „Die Berichte von chinesischen Zufallsbildern […] repräsentieren die Schönheit der Natur Chinas. […] Kircher hat bei den Europäern [mit der „China illustrata“] nicht nur ein allgemeines Interesse für Asien und China geweckt, sondern auch den Begriff des Zufallsbilds eingeführt, das durch das Gestaltungsvermögen der Natur entsteht.“157

Selbst Friedrich Samuel Bock, der vom Geist der Aufklärung beseelte Bernsteinforscher, zeigt sich noch ganz seiner Zeit verhaftet, in dem er über

„mancherley Naturspiele im Bernstein“ berichtete: „[…] wie viele Ähnlichkeiten mit verschiedenen Sachen und Abbildungen sich im Bernstein gezeichnet befinden, ist denen bekannt, welche die Naturaliensammlungen von diesem Schatz gesehen. Es erscheinen darinn Gesträuche, Zweige, Blumenstücke, Menschen- und Thiergestalten, Gesellschaften von Wald- und Wassergöttern, Thürme, Palläste, belagerte Städte, verfallenes Mauerwerk, Wälder, Kriegsläger, an Felsen scheiternde Schiffe, Gewölke, Landschaften, feuerspeiende Berge, allerley Zeichnungen und Kunststücken, als Nadeln, Spinnrocken, Räder, Säulen, Köcher und Pfeile, Dreyecke, Cirkel u.d.g.“158 3.2 Inklusenfalsifikate

Im Bestand der Berendtschen Bernsteinsammlung des Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin befinden sich zwei Bernsteine, in die ein Fisch und ein Frosch eingeschlossen sind. Die nähere Untersuchung ergab, dass es sich um Bernsteinfalsifikate handelt. Bernsteinfalsifikate sind Bernsteine, in die künstlich kleine Tiere, wie Frösche, Reptilien und Amphibien hinein gebracht wurden. Den Begriff

„Falsifikat“ hat der Bernsteinforscher Richard Klebs zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Sinne einer Abgrenzung von echten Inklusen eingeführt. Derartige Stücke lassen sich in Inventaren und Katalogen von Naturaliensammlern seit dem Ende des 16. Jahrhunderts

157 Ebd., S. 59 f.

158 Bock 1767, S. 65f.

nachweisen. Sie wurden als Amulett oder Talisman am Körper getragen und sogar als Kunstkammerstücke gehandelt. Einzige bisher bekannte Vertreter ihrer Art, welche die Jahrhunderte unbeschadet überstanden haben, sind zwei Bernsteinherzen mit Froscheinschlüssen im Naturalienkabinett zu Waldenburg. Die Entdeckung der beiden Falsifikate in der Berendtschen Sammlung ist daher so aufregend.

Trotz der feinen Krakelees, die besonders den Stein mit dem Frosch durchsetzen, und der dunklen rötlichen Verfärbung des einst vermutlich hellen Materials sind die beiden Falsifikate gut erhalten.

Das erste Fundstück (Abb. 11) misst 5,3 x 2,5/2,1/1,3 x 0,7 cm. Die Form des Bernsteins erinnert ob der seitlich angeordneten Widerhaken an einen steinzeitlichen Faustkeil oder eine abgebrochene Pfeilspitze. Die Unterseite des Steins ist plan geschliffen, die Oberseite ist leicht gewölbt. Der Fisch, eine 3 cm große Scholle,159 befindet sich in einer zylindrischen Röhre, die sich deutlich durch die dunkle Tönung abzeichnet. An deren Ende ist deutlich eine etwa 1 cm große Luftblase zu erkennen. Der Kopf des Fischs weist in Richtung Spitze. Die beiden Enden der Röhren sind durch Zacken und Rillen, in die Oberfläche des Bernsteins eingeritzt, kaschiert worden. Die Ober- und Unterseite des Steins überzieht ein zartes Wellenband. Die Wellen symbolisieren das Wasser, den Lebensraum der Fische.

Abb. 11:

Links: Bernstein, Fischfalsifikat. Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und

Biodiversitätsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin, Paläontologische Sammlung, Sammlung Berendt. Rechts: Gravur der Bernsteinoberfläche mit Wiedergabe der Lage von Fisch und Luftblase, Bleistiftzeichnung, Hinrichs 2005.

159 Freundliche Auskunft von Christian Neumann, Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für

159 Freundliche Auskunft von Christian Neumann, Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für