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Erst gegen elf kam Bewegung ins Bett. Sie entknoteten ihre Beine, streckten sich und grunzten wie faule Raubtiere. Mark spürte, dass sie vollkommen verschwitzt waren. Es war heiß im Zimmer, fast drückend heiß und schwül, so, als ob sich ein Gewitter anbahnen würde. Mark stand nicht auf, er hüpfte nicht aus dem Bett, er rollte einfach raus und plumpste auf den Boden. Er rappelte sich hoch und ging zum Fenster.

Er musste pissen. Und zwar wie die Feuerwehr. Also schlich er sich aus

dem Zimmer und stellte sich gähnend und streckend an die Muschel und ließ Wasser ab. Er zog die Spülung und ging dann nackt wie er war hinunter in die Küche und setzte Kaffee auf. Er sah aus reiner Ge-wohnheit zum Fenster raus und stellte fest, dass der Himmel schwer bedeckt war. Ein kleiner, hässlicher Gedanke wollte sich einfräsen, aber Mark schob ihn verschlafen zur Seite. Er rieb sich mit den Fingerrüc-ken den Sand aus den Augen und gähnte. Er streckte sich, schob die Beine unter den Tisch und starrte Löcher in die Luft. Hey, Mark, das ist dein letzter Kaffee hier, weißt du das?, feixte eine gemein-heitere Stimme in seinem Kopf.

Halt’s Maul, Arschloch knurrte er mit zusammengepressten Lippen und sah dem Kaffee beim Durchlaufen zu. Er hörte oben das Krachen, als Johan aufstand. Kurz darauf die Spülung; same procedere as last year? No, same procedere than every year!

Mark schaffte ein müdes Grinsen und stand auf, um zwei Kaffeetassen von der Anrichte zu holen.

„Guten Morgen.“

„Morgen“, gab Mark zurück. Er schob Johan eine Tasse hin und holte die Kaffeekanne.

Das Frühstück verlief wortlos, bis Johan aufstand und den Laptop aus dem Wohnzimmer holte und auf den Küchentisch stellte. Er steckte das Telefonkabel in die PCMCIA Karte und stellte eine Verbindung zum Internet her.

„Was wird das, wenn’s fertig ist?“

„Ich schau mir die Busverbindungen von Winterset an und wie du fahren musst.“

„Aha.“

Er zog Johan den Laptop weg und sagte: „Lass mich mal kurz, bevor ich es vergesse. Ich will noch schnell deine Domain registrieren. Ich kopiere mir die Files der Site auf einen Ordner, den ich im Web habe und spiele das dann von New York aus drauf. Ich richte dir eine Mailadresse ein. Das kann ich so machen, dass es dich nichts kostet.

Was hältst du von johan@pendergast.com? Macht was her, finde ich.

Für die Homepage lege ich dann noch eine Adresse an wie: info@,

oder booking@... Und dann schicke ich mir noch die Pics, die wir hier geschossen haben, ich will ja auch ein paar Erinnerungen haben, wenn du verstehst, was ich meine ... Blablabla, yadayadayada.“

Johan lachte schrill auf, für seine Begriffe etwas zu schrill. Mark klickte noch eine Weile herum, dann lehnte er sich zufrieden zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Johan fiel zum ersten Mal auf, das Mark seine Achselhaare rasierte. Tja, auf was soll man denn nicht noch alles schauen? Er sah Mark vielleicht um eine Sekunde zu lange an, denn Mark verstand den Blick falsch und begann sich zu rekeln. Er grinste Johan verschmitzt an. Johan zog sich das Laptop rüber und surfte zu der Infosite der Busgesellschaft. Mark schmollte und setzte sich normal an den Tisch. In Wirklichkeit schmollte er gar nicht, aber er wollte, dass es für Johan so aussah. Weiß der Himmel warum.

„Aha, da haben wir’s ja. 14:16 ab Winterset. Ich liebe diese interaktiven Routenplaner der Busgesellschaften. Du fährst mit dem Bus nach Des Moines zum Busbahnhof und steigst dort in einen Greyhound um, der schnursracks nach New York fährt. In New York kommst du am Busbahnhof auf der East 86sten an. Das wäre der Samstag um 23:45 Uhr. Alles geritzt. Ich buche gleich von hier aus und wir brauchen dann nur nach Winterset fahren. Und fertig. Ich trage ’ne Buchung für dich ein mit der Bezahlung über Kreditkarte. Das geht doch in Ordnung, nicht? Ah ja: Reservierungsnummer ist #2235188.“

Johan sah lächelnd vom Laptop hoch. Mark sah mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Küchenfenster raus. Johans Gesicht wurde ernst. „Mark, wir haben das gewusst. Wir haben es beide gewusst.“

„Nein. Ich hab es nicht gewusst. Ich wollte es nicht wissen. Das kann ja nur ein Irrtum sein, oder?“ Mark schnaufte und flüsterte: „Ich will nicht mehr zurück.“

Johan nickte und ergriff Marks Hand. „Ich will auch nicht, dass du gehst. Ich will das überhaupt nicht. Ich würde am liebsten sagen: Bleib da. Wir finden schon irgendwas...“

„Dann sags!“

„Ich kann es nicht sagen, weil es nicht richtig ist, Mark.“

„Wer sagt, dass es nicht richtig ist? Wer entscheidet darüber? Johan bitte sag mir jetzt, dass es nicht so ausläuft wie ... was weiß ich wie ...“

„Ich kann es nicht!“

Johan stand auf und schleuderte den Sessel an den Tisch. „Ich kann es nicht!“

Er war knapp daran loszuheulen. Aber er untersagte es sich. Hier wird nicht geflennt, Soldat. Er schaffte ein zorniges Grinsen und wandte sich ab. Mark sollte nicht diese Grimasse sehen. Und er war sicher, dass es eine fürchterliche Grimasse war.

„Mark?“ Johans Stimme war belegt und zitterte. „Du solltest vielleicht jetzt raufgehen und deinen Rucksack packen.“

Mark stand wortlos auf. Seine Augen schimmerten wie blaugrüne Edelsteine, die soeben verflüssigt wurden. Wortlos verließ er die Küche und ging nach oben. Johan setzte sich an den Küchentisch und leerte seine Kaffeetasse. Dann schob er die Tasse von sich und legte den Kopf auf die Tischplatte. Er atmete tief und schloss die Augen.

Etwas zwanzig Minuten später stand Mark in der Küche, den Rucksack zwischen den Beinen.

In der Zwischenzeit hatte er auch geduscht; Johan hatte das Wasser rauschen gehört. Mark stand da, geschniegelt, frisiert und adrett wie ein Chorknabe. Nur das schiefe Grinsen passte nicht gerade dazu.

„Hey, Mann. Tut mir leid wegen der Show vorhin. Mann, ich hab in meinem Leben noch nicht soviel geheult wie in den Tagen hier. Das ist echt rekordverdächtig.“

Johan lächelte sachte. „Wahrscheinlich musste viel raus. Ging mir nicht anders. Wir hatten einiges aufzuarbeiten, was?“

Mark nickte, ließ den Rucksack auf dem Boden liegen und ging zu Johan. Johan stand auf und dann umarmten sie sich und blieben eine Weile so stehen. Mark legte wie aus alter Gewohnheit sein Kinn auf Johans Schulter und sah plötzlich dieses Bild vor sich: Als er Schnitt-lauch klein schnitt und Johan das Fleisch für den Grill herrichtete… ne, das war Gehacktes. Diese Stille. Dieses Übereinkommen. So simpel der Moment war, so perfekt erschien er ihm jetzt.

Nach einer Weile lösten sie sich und setzten sich an den Tisch. Mark

setzte ein paar Mal zu einem Satz an, schwieg aber. Schlussendlich ergriff Johan das Wort: „Mark, wir müssen über noch was reden. Über letzte Nacht. Über den See.“

Mark nickte und zündete sich eine Zigarette an.

„Ich weiß nicht, was das war. Mich darfst du also nicht fragen. Aber wir haben noch ein wenig Zeit und da dachte ich, wir spinnen ’ne Weile rum. Vielleicht kommt was raus dabei.“

Mark lächelte und nickte. „Können wir machen. Ich denke, dass wir das nie irgendjemand erzählen sollten. Erstens, weil man uns das sowieso nicht glauben würde, ja, weil ich es fast selbst nicht glaube. Und weil ich glaube, dass wir da auf irgendeine Weise ins Vertrauen gezogen wurden.

Aber was war es? Pfff, keine Ahnung, echt nicht.“

Johan schenkte ihnen Eistee ein und spann weiter: „Ich bin kein Fan vom Esoterik-Boom, überhaupt nicht. Aber das war etwas Spirituelles.

Es gibt Leute, die sagen, es gibt so Energieknoten überall auf der Welt.

Punkte, wo einfach die Fäden zusammenlaufen. Erdmagnetfelder, Orte, wo viel Eisen im Boden ist, Wasser hügelaufwärts fließt, wir redeten schon davon. Na, wenn es messbar wäre, technisch erfassbar, dann wären hier schon Hubschrauber und Typen mit weißen Schutzanzügen und Gasmasken und du und ich wären in irgendeinem unterirdischen Labor. Seziert wir die Ratten …“

„Du liest zuviel Stephen King, was?“

Johan grinste. „Kann schon sein. Naja, selbst wenn ich den Teil mit dem Labor im Keller weglasse, du weißt, was ich meine, ja? Es ist nicht spektakulär genug, ist es nicht. Aber bei Gott, es löst ganz schön was aus.“

„Denkst du an einen Meteor oder so was?“

„Das kann schon sein. Krachte da mal vor Millionen von Jahren rein, verformt das Land. Und kein Schwein interessiert sich dafür. Das ist doch strange. Normalerweise krabbeln die Uni Typen überall rum, wo mal was eingeschlagen haben könnte oder wo es was zu messen gibt.

Und hier gibt es was zu messen. Denn die Energie, die gestern die Tiere zusammengerufen hat, die diese Welle erzeugte … das ist nicht ohne.“

„Hattest du je Angst? In diesem Moment?“

Johan schüttelte den Kopf. „Ich war vor Ehrfurcht erstarrt. Aber ich hatte nie den Eindruck, dass dies in etwas Bedrohliches umkippen könnte. Wir wurden da vom Leben berührt, weißt du? Nicht vom Tod.“

„Mir gefällt die Geschichte mit dem Meteor ganz gut. Das klingt schlüssig. Und der Meteor hat nix neues gebracht, sondern verstärkt – wie auch immer- das was da ist.“

Eine Weile schwiegen sie, hingen ihren Gedanken und Erinnerungen nach. Ein Bild, ein ganz besonderes Bild vom letzten Bad im See wollte sich in Johan aufbauen. Eine Darstellung der Ereignisse, wie er sie verstehen könnte. Draußen hörte man ein fernes Rumpeln und Rumoren. Das Licht, das durch das Fenster in die Küche fiel, wirkte kraftlos, verschärfte aber doch die Konturen. Es roch nach Gewitter.

Mark streckte sich und zündete sich eine weitere Zigarette an. Das Ticken der Küchenuhr, draußen das Licht, das verrutscht und der Sound eines nahenden Gewitters. Er könnte ewig hier sitzen bleiben.

Johan schaute auf die Uhr und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Mark? Ich glaub, wir müssen los.“

Mark stand auf und ging zu seinem Rucksack. Er bückte sich um ihn aufzuheben und sich einen Träger über die Schulter zu ziehen, da klopfte ihm Johan auf die Schulter: „Mark? Wir werden dort keine richtige Chance haben, uns zu verabschieden. Also … ich würde das gerne jetzt tun.“

Mark drehte sich um und versank in der Umarmung. Diesmal kam die Initiative von Johan und sie war eindeutig. Er küsste Marks Stirn, seine Nase, dann auf den Mund. Mark öffnete seine Lippen etwas und Johan öffnete seine Lippen und ihre Zungen berührten sich. Dabei sahen sie sich in die Augen. Wie schon zuvor drehten sie sich während der Umarmung langsam im Kreis; der letzte Tanz im leeren Ballsaal. Die letzten Gäste waren gegangen. Nur noch sie waren da und die herrenlo-sen Instrumente der Kapelle. Aber die Erinnerung an die Musik war da.

Die Erinnerung an den Rausch des Lebens. Johan spürte eine merk-würdige Vibration von Mark ausgehen, die ihm direkt ins Fleisch wanderte. Eine durch und durch erotische Vibration, zu schnell, um

von zitternden Muskeln erzeugt zu werden. Johan drängte sich an Mark, um noch mehr davon abzukriegen. Aber die Vibration versank in der Mittagsstunde, kehrte dorthin zurück, woher sie gekommen war und Johan war fest davon überzeugt, dass er Marks Seele gespürt hatte.

Dass die Seele eines Menschen lebendig ist. Und dass Mark gerade zugelassen hatte, dass Johan sie berührte. Wie auf ein geheimes Kommando trennten sie sich voneinander und sahen sich verwirrt an.

So intime Momente konnten nur existieren, weil es Momente waren.

Kein Dauerzustand. Kein Freibrief auf die Ewigkeit. Aber die Essenz dieser letzten Umarmung hallte nach wie ein Gebetswort in der Kirche.

Einem Instinkt folgend reichte Mark Johan die Hand und sagte:

„Danke, Mann. Danke, dass du mein Freund bist.“

Johan ergriff die Hand und umfasste sie mit beiden Händen.

„Ich danke dir.“

Dann gingen sie hinaus zum Auto und so fuhren sie zum letzten Mal mit offenem Verdeck nach Winterset. Mark hatte den Rucksack achtlos auf die Rückbank geworfen. Johan hatte ihm noch ein paar belegte Brötchen gemacht und in einer Papiertüte verstaut. Mark streckte sich über den Sitz nach hinten und verstaute das Päckchen im Rucksack.

Wie selbstverständlich legte Johan, wenn er nicht gerade schalten musste, seine Hand auf Marks Schenkel. Johan fuhr absichtlich einen kleinen Umweg, damit sie an der Roseman Bridge vorbeikamen. Er fuhr etwas langsamer und Mark war ihm dankbar dafür. Und er hasste ihn dafür. Er erinnerte sich an die Hitze des weißlackierten Holzgelän-ders, als er sich für ein Foto draufgesetzt hatte. Seine Mundwinkel zitterten. Johan gab Gas. Mark ging soviel durch den Kopf: All die Magie, die er erleben durfte, die Freundschaft und nicht zuletzt der Sex.

Die Spannung zwischen ihnen beiden war nach wie vor aufrecht. Ein Kribbeln auf der Haut, ein Ziehen in den Lenden.

Sie bogen um 14:00 Uhr auf den Hauptplatz und fanden in der Nähe des wartenden Busses einen Parkplatz. Johan stellte den Motor ab und eine Zeitlang war nur das Ticken des Motors zu hören, der abkühlte.

„Das Ticket liegt für dich dort im Kartenschalter bereit. Du zahlst ja mit der Kreditkarte, richtig?“

Mark nickte, sah dabei aber starr geradeaus.

„Dann lass uns das Ticket holen.“

Johan stieg aus. Mark griff nach hinten, angelte seinen Rucksack vor und schulterte ihn. Es waren wenig Leute auf der Straße unterwegs und der Bus schien fast leer zu sein. Es gab vier große, schräge Parkbuchten für Busse, aber Johan konnte sich nicht daran erinnern, hier jemals mehr als einen Bus gesehen zu haben. Sie betraten den überklimatisier-ten Raum. Es war so kalt, dass Johan eine Gänsehaut kriegte. Mark ging zum Schalter und sagte so heiser, dass er sich räuspern müsste:

„Meine Name ist Mark Beaumont. Unter der Bestellnummer #2235188 müsste ein Ticket für mich bereitliegen.“

Der Mann hinter der Scheibe klopfte ein paar Zeichen in die Tastatur und nickte: „Sie zahlen mit American Express?“

Mark nickte und zog die Karte aus seinem Portemonnaie.

Der Mann hantierte damit herum und deklamierte: „Des Moines und Direktanschluss New York City. Wünsche gute Fahrt, Mister Beau-mont.“

Mark war unter seiner braunen Farbe totenblass geworden, steckte Kreditkarte, Ticket und Quittung ein. Hinter ihnen wartete eine gertenschlanke Frau, die ein wütendes Gesicht machte. Ein Gesicht, das für immer wütend zu sein schien. Ein fixer Bestandteil ihrer Persönlichkeit. Mark schaffte ein mitleidiges Grinsen und ging voran zur Tür raus. Mark ging am Häuserblock etwas nach rechts und stellte sich in den Schatten einer Seitengasse, die ein wenig mehr als ein Spalt zwischen zwei Häusern war. Johan kam ihm nach und sie rauchten eine Zigarette an. Die Hälfte der Zigarette rauchten sie, ohne dabei ein Wort zu reden. Dann schnippte Johan seine Zigarette halbgeraucht in den Straßengraben, nahm Marks Zigarette und schnippte sie ebenfalls in den Straßengraben. Sie gaben sich die Hände. Marks Gesicht war hart wie eine Maske, die Lippen zusammengekniffen. Der Blick matt.

„Leb wohl, Johan.“

Johan zog seine Hände aus Marks Griff und winkte hilflos.

Mark wandte sich um und ging zur Hauptsraße. Johan sah ihm nach.

„Mark?“

Mark blieb stehen, wandte sich um und sah in die schattige Gasse. Er sah Johans Gesicht. Es zerbrach unter Schmerzen.

Als Johan weiter sprach, klang seine Stimme gepresst und hoch, wie die eines Kindes, das weint:

„Mark? Ich lebe hier … ich bau hier mein Leben auf. Und es ist mir egal, was die Leute denken … weißt du? Ich liebe dich, Mann.“

Das Blau der Augen war nicht mehr zu erkennen. Die Goldsplitter hatten gewonnen. Mark ging auf Johan zu und umarmte ihn. Er nahm ihn in die Arme und zum ersten Mal, schien es ihm, war er derjenige, der Trost spendete. Es war egal. Es war so scheißegal, was die Welt um sie herum denkt oder sieht oder was auch immer. Und merkwürdiger-weise schien die Welt um sie herum keinerlei Anstoß an der Trauer zu nehmen.

Mark flüsterte Johan ins Ohr und sein Atem war so heiß, dass es Johan spürte: „Ich liebe dich, Johan. Und ich werde nie vergessen, was du für mich bist. Niemals. Das schwöre ich dir.“

Johan küsste ihn noch einmal auf die Wangen und sagte mit belegter Stimme: „Wir hatten Stil. Das weißt du, Mark, ja? Bei allem was wir taten, hatten wir Stil.“

Mark nickte. Ja, das wusste er.

Und dann ließen sie doch voneinander ab, schnupften Tränen weg und sahen sich mit verzweifeltem Lächeln an. Dann rückte Mark den Rucksack zurecht und ging ohne einen weiteren Blick zurück auf die geöffnete Tür des Busses zu. Johan blieb an der Ecke stehen und konnte es nicht fassen. Alles um ihn herum schien so unwichtig und nebulös, das Einzige, das hundertprozentige Klarheit besaß, war der Rücken des Jungen, der gerade von der Dunkelheit des Busses ver-schluckt wurde. Alles andere war nur Dekoration in einer Oper, die gerade zuende ging.

14:16.

Und der Bus schloss die Tür, der Bus fuhr los, der Bus fädelte sich in den Verkehr ein.

Mark lehnte den Kopf an die Scheibe und starrte zum Fenster raus.

Aber er konnte nichts erkennen, weil ihm die Tränen kamen.

Johan wartete, bis der Bus außer Sicht war. Dann ging er zum Wagen und er brauchte drei Versuche, bis er den Schlüssel ins Zündschloss stecken konnte. Er sah nichts und seine Hände zitterten. E brauchte fünf Minuten, bis er sich soweit in der Lage fühlte, die Heimfahrt anzutreten.

Beim Haus angekommen, rammte er den Wagen auf den schattigen Parkplatz zwischen den zwei Bäumen, wälzte sich aus dem Auto und krümmte sich zusammen. Dann übergab er sich in die Wiese, würgte und schluchzte. Eine Weile blieb er hocken und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er spuckte zähe, klumpige Fäden aus und wischte sich den Mund ab. Irgendwann rappelte er sich hoch und ging ins Haus.

Viel später saß Johan in der Küche. Auf dem Tisch brannte eine Kerze.

Das Gewitter war ein Trockengewitter und hatte sie nur gestreift. Die Hitze war geblieben und dumpf und drückend geworden; das Gerum-pel der göttlichen Weinfässer war nach Osten geglitten und begleitete Mark auf seinem Heimweg. Johan drehte die Kaffeetasse zwischen den Händen, aus der Mark heute seinen Kaffee getrunken hatte. Er hob die Tasse zu den Lippen und küsste sie. Immer wieder. Er sah sich in der

Das Gewitter war ein Trockengewitter und hatte sie nur gestreift. Die Hitze war geblieben und dumpf und drückend geworden; das Gerum-pel der göttlichen Weinfässer war nach Osten geglitten und begleitete Mark auf seinem Heimweg. Johan drehte die Kaffeetasse zwischen den Händen, aus der Mark heute seinen Kaffee getrunken hatte. Er hob die Tasse zu den Lippen und küsste sie. Immer wieder. Er sah sich in der

Im Dokument Peter Nathschläger. Mark singt Roman (Seite 176-189)