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Mit der Dämmerung kamen die Mücken. Der Wind hatte nachgelassen.

Die Luft roch feucht, so wie vor einem Gewitter oder einem starken Regenguss. Mark humpelte mehr als er ging, versuchte aber sein Tempo zu halten. Er ging am Kiesstreifen der Landstraße entlang. Er hatte Rückenschmerzen, auf der Ferse hatte er mit Sicherheit eine Blase, die Hände taten ihm weh. Bis früh Nachmittags hatte er den beiden Männern geholfen, Waren ab- und aufzuladen. Sie tingelten mit ihrem kleinen Laster von Ortschaft zu Ortschaft, hielten an und luden Schachteln ab und auf. Mark half, die Kisten in Scheunen, Garagen und Werkstätten zu bringen. In Winterset war dann wirklich Schluss und Mark fragte einen der Männer, wo er denn diese berühmten Brücken von Madison County sehen konnte. Sie gaben ihm den Tipp, auf der Straße da durch dieses Wäldchen zu gehen, so knapp zwei Stunden.

Dann würde er nach Old Hanley kommen. In der Umgebung von Old Hanley standen mehrere der überdachten Brücken, wo man ja auch den

Film mit Clint Eastwood und Meryl Streep gedreht hatte. Mark beschloss, dort hinzugehen, nur damit er ein Ziel hatte. Denn nach der Plackerei mit den Männern kam ihm seine abenteuerliche Flucht (oder Reise) doch etwas albern vor. Um nicht idiotisch zu sagen.

Er wollte sich die Brücken ansehen, vielleicht auch nur eine, und sich dann ein Zimmer suchen, in dem er seinen geschundenen Leib auf ein Bett drapieren konnte. Der Gedanken, eine heiße Dusche zu nehmen und dann noch feucht und nackt unter ein frisches Laken zu gleiten, trieb ihm fast das Wasser in die Augen.

Aber er ging und humpelte weiter und in der fortschreitenden Nach-mittagssonne gewann das Land an neuer Qualität. Ihm war nie so richtig bewusst geworden, wie sehr das Licht den Eindruck auf bestehende Landschaften und Gebäude, Menschen und Bilder beein-flusst. Maler wussten das, schon gut. Mark wusste es in Wirklichkeit auch. Aber er hatte es noch nie so sehr wahrgenommen wie jetzt, als er auf dieser geteerten Landstraße entlangging und zusah, wie der sich ändernde Winkel der Sonneneinstrahlung Farben und Intensitäten änderte.

Und wie gesagt: Mit der Dämmerung kamen auch die Mücken. Mark schwitzte, die Unterhose klebte nass am Arsch und er hatte das Gefühl, in Säure zu laufen. Seine Socken waren schweißnass und als er testhal-ber den linken Arm hob, um an seiner Achsel zu schnuppern, zuckte er angewidert zurück. Ein fauliger Dschungel unter den Achseln? Toll, was? Selten zuvor hatte sich Mark sehnlicher nach einer Dusche gesehnt. Eine Dusche und Bodylotion und ein ruhiges Zimmer und ein frisch bezogenes Bett. Er sah an sich herab und was er sah, gefiel ihm nicht. Die teuren Cortez wirkten abgelatscht und staubig, die Jeans schlabberte irgendwie um seine Beine und war schmutzig, sah ölver-schmiert aus. Das T-Shirt klebte ihm am Rücken und er war müde und ihm war zum Heulen.

Oh ja. Klasse. Die Landschaft ist wunderschön. Und bisher war er mehr oder weniger freundlichen Leuten begegnet. Naja, bis auf den Bullen in Randolph, der ihm im Toilettenraum zugesehen hatte, wie er sich frische Sachen anzog. Mark war sich nicht sicher, ob der Kerl sich

nicht doch irgendeinen Kick dabei geholt hatte. Als Großstadtpflanze wird man diesbezüglich wohl ganz besonders misstrauisch. Ein paar Leute rümpften die Nase wegen seiner Piercings und der ausrasierten Augenbraue, aber im Großen und Ganzen kam er recht friedlich voran.

Nur wohin, das war die Frage. Wohin solls denn gehen, Pilger?

Irgendwie spürte er Erleichterung, als er auf der Straße aus dem Wald kam und vor sich eine grandiose Landschaft erblickte, in die Old Hanley gepackt war. Links stiegen sanfte Hügel an, die im oberen Teil bewaldet waren, rechts wuchs der Ort richtiggehend in den Wald hinein. Die Straße, auf der er ging, war ganz augenscheinlich eine Umgehungsstraße. Etwas weiter rechts bog eine Straße ab, die vermut-lich direkt zum Ortskern führte. Die Dunkelheit kam schnell und das Feuer des Himmels erlosch in langsamen Wellen. Da war zuerst noch rotgoldenes Licht. Dann wurde es rotviolett und zum Schluss war da nur noch ein ultraviolettes Glimmen. Inzwischen war es einundzwanzig Uhr. Sah man links hinauf, so zwischen der geschlossenen Tankstelle und der ebenfalls dunklen Werkstatt nach oben, konnte man ein Haus sehen. Es brannte Licht und von hier aus gesehen erschien es Mark als das schönste Haus, das er je gesehen hatte. Alles daran wirkte friedlich und sanft: Die Form, die Farben, in die es gebettet war, das Licht, das davon ausging, und die Schatten des Waldes dahinter. Mark blieb ein paar Minuten stehen und spürte, dass er Seitenstechen bekam. Er beugte sich vor und atmete tief ein. Dann stützte er die Hände auf die Knie und versuchte sich zu strecken. Irgendwo im Rücken knackste es bedenklich. Was soll man sagen? Computerjob. Sitzen und wenig Bewegung. Eigentlich konnte er froh sein, noch so gut in Schuss zu sein. Aber Mark nahm an, dass er im Vergleich mit anderen jungen Leuten, die keinen Sitz-Job hatten, ziemlich schlecht abschnitt. Sein gutes Aussehen war eine Leihgabe der Natur und mit jedem Tag trug er einen Teil der Schuld ab. Und jetzt fühlte sich Mark so, als ob er in den letzten zwei Tagen sehr viel Schuld abgetragen hatte. Er sah wie durch den Arsch gezogen aus, fettig, schmierig und verfilzt und er dachte, dass kein noch so mitleidiges Mädchen auch nur einen Blick in seine Richtung verschwenden würde.

Er sah sich um. Alles zu. Er könnte versuchen, auf der Straße, die rechts abging, zum Ort zu gehen und dort eine Pension zu finden. Ein Zimmer, irgend so was. Aber sah er aus wie ein Junge, dem eine anständige alte Dame ein Zimmer anbieten würde? Er kontrollierte sich noch mal und schüttelte den Kopf. Er würde sich selbst kein Zimmer geben, verdammt. Man müsste ihn in kochende Seifenlauge schmeißen, um unter dem Dreck und Schweiß wieder einen Jungen zu erkennen.

Er entschloss sich, zum Ort zu gehen und ging schon auf die Abfahrt zu, als er aus weiß Gott welchem Grund noch mal stehen blieb und zu dem Haus auf dem Hügel zurücksah. Jetzt war es halb von Bäumen verdeckt und Mark gab einem seltsamen Impuls nach. Er zog die Jeans an den Gürtelschlaufen hoch und ging dann ein Stück zurück, bis er eine kleine Seitenstraße fand, die augenscheinlich zu dem Haus hochführte.

„Na dann,“ sagte er zu niemand im speziellen, „na dann los.“

Ein paar Minuten später stand er am Ende der geteerten Straße und sah den Kiesparkplatz vor dem Haus vor sich. Links in der Ecke unter den alten Bäumen stand ein Ford, der möglicherweise noch älter als die Bäume war, die ihm tagsüber Schatten spendeten. Er trat auf den Kies und ging mit ein paar knirschenden Schritten um den Brunnen auf die Veranda zu.

Herrgott, Mark. Was treibst du da eigentlich? Die Leute hier haben alle Gewehre und wenn da einer denkt, du willst einbrechen, schießt er zuerst und fragt dann! Geh weg von dem Haus. Außerdem schaut es unheimlich aus, oder? Das ist ein Geisterhaus und gleich kommt ein irrer Typ raus und schießt Dir mit der Pumpgun die Eier weg. Mach dich vom Acker, Junge!

Aber Mark machte noch ein paar Schritte auf die heimelige Veranda zu.

Es war zu verlockend, noch einen Schritt zu machen und noch einen.

Die Aussicht auf ein Bad, ein Bett, ach Scheiße, ein freundliches Wort tuts auch, zerstreuten seine letzten, hartnäckigen Bedenken. Im Tür-rahmen erschien ein Schatten. Das Fliegengitter schlug auf und eine überraschend junge, aber etwas heisere Stimme fragte: „Guten Abend.

Kann ich was für Sie tun?“

Mark zuckte zusammen und spürte sein Herz klopfen. Sogar in den

Schläfen. Der Schatten löste sich aus dem Türrahmen und machte einen Schritt auf die Veranda.

Johan machte das Fliegengitter auf und tatsächlich. Da stand ein Mann.

Okay, ein junger Mann. Vielleicht sogar noch ein Junge. Aber das war in der Dunkelheit nur sehr schwer zu erkennen. Er sah auf jeden Fall ziemlich erledigt aus. Das konnte man an der Haltung sehen. Johans Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit und jetzt konnte er den Burschen genauer erkennen. Ein Stadtjunge. Jeans und T-Shirt hin und her. Das war ein Stadtjunge. Ein bisschen auf poppig hergerichtet. Aber mit Sicherheit kein Gangster oder so was. Im Gegenteil. Der Bursche sah viel weniger gefährlich als einfach hilfebedürftig aus. Außerdem schien er nervöser als Johan zu sein. Er atmete schnell und Johan vermutete, dass er stottern würde, wenn er den Mund aufmachte.

Und so war es auch.

„Ent ent entschuldigen sie bitte die St st st Störung. Iiich bin unterwegs na na na na na nach ähhhh, den Brücken, Sie wi wi wissen schon und ich ich bin also ich bin aus Ne n n n New York…“

„Ganz schön weit weg von zu Hause, Pilger, was?“ Johan wusste nicht, warum er diesen Satz aus einem Buch seines Großvaters gebrauchte, aber er schien goldrichtig zu sein. Der Stadtjunge atmete tief durch und entspannte sich etwas.

„Hören Sie. Es tut m m mir leid, dass ich hier so einfach ein ein eindringe. Aber ich suche ein Zimmer. Ich bin hundemüde und w w würde gerne irgendwo ein Zimmer nehmen. Gibt’s d d da was in der Nähe?“

Johan spürte regelrecht, wie der Bursche mit sich kämpfte, um das Stottern zu unterbinden.

Johan kam die Treppen von der Veranda runter und ging näher zum dem Burschen hin. Ja, es stimmte, was er sagte. Er sah völlig erledigt aus. Kurz davor, im Stehen einzuschlafen.

„Du schaust aus wie jemand, der nicht nur ein Bett, sondern auch ein Bad braucht, wie? Und zu allererst mal ein Glas Limo. Ist das okay?“

Mark nickte dankbar und folgte der einladenden Handbewegung und

seinem Gastgeber auf die Veranda. Der Typ trug Jeans, die ihm sehr gut passten. Die Haare waren im Nacken ausrasiert und vorne fiel ihm immer wieder eine Strähne über die Augen. Er sah nett aus. Und noch bevor er in einem der breiten Korbstühle saß und Limo nuckelte, beglückwünschte er sich zu seiner Entscheidung, zum Haus hoch zu gehen. Der Kerl schien wirklich schwer in Ordnung. Mark sah sich um.

Das Haus, besser gesagt, die Veranda schien gerade aus dem Winter-schlaf geweckt worden zu sein. Manche Sachen waren noch mit Plastik abgedeckt, in die Ecke geräumt und mit Schnüren zusammengebunden.

Hin und wieder sackte sein Kopf nach vorne und er riss sich hoch:

Noch nicht einschlafen. Noch nicht pennen. Gleich, aber noch nicht jetzt...

Johan ging ins Haus und besorgte in der Küche zwei Gläser und den Krug mit eisgekühlter Limo aus dem Eiskasten. Er fand, dass der Bursche verloren aussah. Er hatte die Blicke gespürt, aber in diesen Blicken war nichts lauerndes, abschätzendes. Es war der Blick eines müden, eines unendlich müden Jungen, der sich fragte, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte, als er den Weg zum Haus nahm.

Johan nahm sich vor, diesen Hoffnungen zu entsprechen. Er war allein hier im Haus und niemandem Rechenschaft schuldig. Den Mammutan-teil der Arbeit hatte er erledigt oder abgesteckt; ein wenig Gesellschaft würde nicht schaden. Außerdem: Wer einem Menschen hilft, hilft der ganzen Menschheit. Heißt es nicht so? Er packte die Brote, die er eigentlich allein verspeisen wollte, auf ein Tablett und gab den Krug und die Gläser dazu. Er nahm noch den schweren Metallaschenbecher und balancierte dann das Tablett raus auf die Veranda. Mark hatte sich inzwischen sehr ungezwungen die Schuhe ausgezogen und massierte sich die Zehen. Johan grinste.

„Hast du Blasen?“

Mark murrte und nickte. Er wendete zuerst den einen Fuß hin und her und dann den anderen. „Auf den Fersen, ja.“

Johan stellte das Tablett ab und Marks Magen machte einen Über-schlag. Und knurrte. Jetzt musste Johan doch lachen. „Na, da hats wohl einer wirklich nötig, was?“

Mark prüfte kurz, ob da Spott in der Stimme war, aber da war nichts außer situationsbedingter Heiterkeit. Er kicherte und nahm sich ein Schinken-Käse-Sandwich vom Tablett. Johan schenkte ihm Limonade ein und setzte sich auch an den Tisch. Der Abend war lau, aber wenn sich der Wind ganz leicht hob, konnte man durchaus ein Hemd vertragen. Johan hatte, während Mark das zweite Brot verschlang, zwei Gelsenkerzen auf dem Tisch platziert und angezündet. Johan beobach-tete, während er rauchte, wie Mark aß, trank und witzigerweise mit den Zehen wackelte, so, als ob sich seine Füße riesig darüber freuen würden, frei zu sein. Mark hatte die Füße angezogen und auf die Vorderkante des Korbstuhls gesetzt.

„Übrigens. Ich heiße Johan Pendergast. Ich komme zweimal im Jahr hierher, um das Haus auf Schäden zu untersuchen …“

„Ach, du wohnst gar nicht hier?“

„Nein. Das Haus gehörte meinen Großeltern. Nachdem sie starben, überlegten meine Eltern kurz, hierher zu ziehen. Aber der Job meines Alten fesselt ihn wohl an Cedar Falls.“

„Ach ja, ich heiße Mark Beaumont, New York, New York. Jetzt Tramp.

Heimat: USA.“ Mark grinste mit vollem Mund und blinzelte Johan heiter an.

„Es ist schade, dass ein solches Haus leer steht, findest du nicht?“ Mark sah Johan fragend an.

Johan lehnte sich zurück und stibste Asche auf den Boden.

„Sicher ist es schade. Noch trauriger ist, dass meine Alten das Haus verkaufen wollen.“ Johan machte eine Pause. Dann fragte er: „Jetzt mal zu dir, Pilger. Was treibt dich nach Madison County, Iowa? Machst du eine Pilgerreise oder hat dich einfach der Bus in Winterset ausge-spuckt?“

Mark hatte das zweite Brot erledigt und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Er musste wieder grinsen. Der Begriff: Pilger gefiel ihm.

Das hatte eindeutig mehr Stil als Flüchtling, Rumtreiber oder Tramp, Straßenjunge oder Gott bewahre: Strichjunge.

„Mir ist am Freitagabend was passiert. Und das ging mir ziemlich an die Nieren. Und um ehrlich zu sein… also ich mag da jetzt nicht drüber

reden.“ Johan nickte und beschloss, das Thema vielleicht einmal später noch mal anzureißen.

„Was machst du so, wenn du nicht gerade über die Landstraßen der USA wanderst, Mark?“

Mark sah Johan von der Seite an und empfand Dankbarkeit dafür, dass Johan die Kurve gekriegt hatte. Er hatte nicht gebohrt. Das machte ihn noch sympathischer.

„IT. Ich arbeite bei einem Internet Provider im Second Level Support.

Leute rufen an oder schreiben Mails und beklagen sich, dass das alles nicht funktioniert. Und ich sage ihnen, dass es doch funktioniert, wenn sie mit der Maus auf die richtigen Schaltflächen klicken und die Kabel in die richtigen Buchsen stecken. Ein Sitzjob, bei dem man gar nicht so übel verdient …“

Während Mark erzählte und dabei rauchte, sah ihn Johan mit wachsen-dem Interesse an. Die Stimme war angenehm, irgendwas zwischen heiser und lasziv. Hin und wieder stolperte Mark beim Reden in einen ziemlich tiefen Gossenslang, wie Johan vermutete, aber Mark wirkte dadurch nicht ordinär. Wenn Mark loslegte, ohne unterbrochen zu werden, wurde ein rhythmischer Sprechgesang daraus. Die verrauchte, heisere Stimme passte ausgezeichnet dazu. Mark redete nicht, er erzählte nicht, er deklamierte. Mark schien vom Leben auf der Straße genug zu wissen, um den rhythmischen Slang zu verinnerlichen. Er dachte an Jungs, die herumziehen, Streetball spielen und all so was.

Und eben diesen: Fuck you Slang drauf haben. Johan nahm an, dass er Mark damit Unrecht tat, aber er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass Mark zwar Samstagmorgens aus New York losgezogen war, weil ihm da was passiert war, dass dies aber nur so was wie ein Initialzünder war, aus seinen Routinen auszubrechen. Johan hielt sich keineswegs für einen Psychologen. Nie und nimmer. Aber man brauchte sich den Burschen nur mal anzusehen. Okay, er wirkte übermüdet und roch, als ob sich jede einzelne Pore nach einem Bad sehnen würde, aber er sah auch irgendwie glücklich aus. Nun, nicht glücklich im eigentlichen Sinne, aber keineswegs zutiefst unzufrieden.

Er unterbrach seine Erzählung immer wieder, um die Stille zu genießen;

er sah zum Himmel hinauf oder seitlich zum Waldrand oder er nestelte an seinen Zehen herum. Wenn er sprach, redeten die Hände mit, er spreizte die Finger und hatte diese Rap Bewegungen so verinnerlicht, dass sie selbstverständlich wirkten.

Johan hatte einige Vorbehalte gegenüber Stadtmenschen und einer dieser Vorbehalte war, dass sich Leute aus der Stadt nie ungezwungen geben können. Sie bewegen sich immer so, als ob sie gerade gefilmt würden oder darauf warteten, dass ein Fernsehwagen vorfuhr, um eine Reportage zu drehen. Mark schien ihm der Stadtjunge schlechthin.

Aber an ihm war nichts gezwungen. Na ja, und dann dieser Paradejob des Städters: Computerfritze. Mark benahm sich sehr jungenhaft; etwas ungeschliffen, aber Johan sah das als Kompliment. Mark fühlte sich wohl. Und irgendwie schien das immer mehr zu seiner Mission zu werden. Dass der Bursche den Ballast von den Schultern bekam, aufatmen und sich entspannen konnte.

Mark spürte Johans Blicke mehr, als er sie mit den Sinnen wahrnahm.

Es war freundliches Interesse, humorvolle Blicke. Und noch etwas mehr. Mark wusste nicht, was es war. Aber es tat gut. Vorhin, als er auf die Straße nach Old Hanley kam, hatte er gemerkt, dass das Licht viel tun kann, um die Stimmung zu beeinflussen. Johan konnte das auch. So wie er ihn anschaute, fühlte er sich wie an der Seite des allerältesten Freundes. Irgendwann versiegte Marks Erzählung. Ungefähr da, wo er den beiden Männern geholfen hatte, Dekorationen und Utensilien für das Blumenfest zu verladen.

Johan stand zwischendurch auf und räumte den Tisch ab. Er hatte das Gefühl, er müsste Mark etwas geben. Und er hatte eine Idee. Okay, der Junge gehört in ein Bad und dann ins Bett. Aber die Idee war einfach zu reizvoll. Außerdem hatte er selbst Lust dazu.

„Hast du eigentlich je etwas völlig Spontanes getan? Ohne planen und so?“

Mark dachte tatsächlich darüber nach. Völlig spontan und ungeplant?

Hm? Na, wie war das, als du mit Rene und Clem nach Mitternacht ins Freibad eingebrochen bist, um dort ein paar Runden zudrehen? 16 Jahre alt, voll mit Extasy und einem hartnäckigen Halbsteifen? Das ist Jahre her. Um genau zu sein,

vier Jahre. Aber seit dem? Nix mehr, oder? Arbeiten, Abendessen, am Wochenende

vier Jahre. Aber seit dem? Nix mehr, oder? Arbeiten, Abendessen, am Wochenende

Im Dokument Peter Nathschläger. Mark singt Roman (Seite 52-65)