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1.2.2. Stand der Diskussion bei „Außenseitern“

1.2.2.3. Was sagen Experten für Globales Lernen?

Hans Bühler stellt in „Perspektivenwechsel? – unterwegs zu globalem Lernen“ (1996, S.28) die reduktionistischen Erklärungsmuster der Naturwissenschaftler in Frage: Sie wollen „durch deduzierte Kausalitäten erklären und durch Extrapolierungen von Induktionen voraussagen können. Je komplexer und relevanter aber ein Phänomen wird, umso weniger greift diese Prozedur. Insofern sind die klassischen Methoden der Deduktion und Induktion heutzutage

eher an den Rand gedrängt. Vielmehr sind offene Verfahren, bis hin zu Simulationen, Szenarios und Spielen komplexen Untersuchungsgegenständen angemessener.“

Bühlers Vorschlag des inklusiven Denkens, das heißt: „sowohl als auch“ gegenüber dem exklusiven Denkens des „entweder oder“ ist notwendig für ein breites Verstehen von Implikationen, gilt aber auch in sehr komplexen oder Angst besetzten Handlungssituationen, wo es nützlich ist, über mehrere Alternativen zu verfügen. Exklusives Denken gilt für Bühler als Teilmenge des inklusiven Denkens. Inklusives Denken kann dem Verstehen zugeordnet werden, exklusives dem Handeln. Wer handelt, muss sich entscheiden „entweder oder“.

Exklusives Denken verbindet Bühler mit Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Konsumismus, Individualismus, inklusives Denken mit Bewahren von Erhaltenswertem, Überlebensfähigkeit oder gar Nachhaltigkeit. Als die weltweit wichtigste soziale Bewegung betrachtet Bühler den Feminismus. Am Anfang sicher exklusiv, nämlich die Männer ausschaltend, hat er den Eindruck, dass dort zunehmend ein holistisches Paradigma gültig wäre.“

Hans Bühler hat zusammen mit Asit Datta, einem in Hannover lebenden Inder und Jacob Sovoessi, einem Beninois aus Paris den Artikel „Grenzen des Forschens zwischen Kollegen und Kolleginnen aus dem Norden und dem Süden“ (Bühler, Datta, Sovoessi 2003) geschrieben: „Ich habe Altbekanntem nichts Neues hinzuzufügen, nämlich dass es auch im Bereich der Bildungsforschung eine unerträgliche Diskrepanz zwischen Süden und Norden bei der Verfügbarkeit der Ressourcen gibt. (…) Die türkische Kollegin an der TU Berlin Perihan Ügeöz (1998) weist in ihrem Ländervergleich zwischen den Bildungssystemen in Deutschland und in der Türkei darauf hin, dass sich im Gefolge der Globalisierung eine erhebliche Deregulierung auch des Bildungswesens abzeichne, die nicht nur mehr Spielräume für die Bildungsinstitutionen eröffne, wie von offizieller Seite immer wieder besänftigend behauptet wird. Vielmehr münde die Deregulierung in eine Privatisierungswelle, die sehr schnell diejenigen trifft, die nicht über genügend Mittel verfügen, um durch privates Engagement den öffentlichen Rückzug wenigstens für sich und ihre Kinder abzufedern. Aus meinem Arbeitsfeld, den kirchlichen Privatschulen in Westafrika, könnte ich hier viele Belege anführen, die zeigen, dass diese durch Regierungen betriebene, bzw. durch Weltbank und IWF (Internationaler Währungsfond) erzwungene Privatisierung als Verarmung in Schulen und Kollegien ankommt und dort katastrophale Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts, auf die soziale Selektivität des Schulzuganges überhaupt, aber auch für den Alltag der Kollegen und Kolleginnen haben. Nur ein Beispiel: Als sich im August 1998 fünfzehn westafrikanische und zwei deutsche AutorInnen zu einer Redaktionskonferenz in Cotonou trafen, wurde schnell klar, dass einige Kollegen so sehr unter Proteinmangel litten, dass wir zuallererst besonderes Augenmerk auf einen proteinreichen Speiseplan legen mussten, um überhaupt arbeitsfähig zu werden.“

Klaus Seitz sagt in „Bildung in der Weltgesellschaft“ (2002, S.27): „Ausgangspunkt dieser Studie ist die These, dass der Globalisierungsprozess Erziehungswissenschaft und Bildungspraxis vor die Aufgabe stellt, Bildung und Lernen im erweiterten Horizont der Weltgesellschaft neu zu verorten. (…) Das Hauptaugenmerk meiner Untersuchung gilt der gesellschaftstheoretischen Grundlegung einer Didaktik des Globalen Lernens“. Aus dem Delors- Bericht von 1997 zitiert er „Der Zusammenhalt einer Gesellschaft besteht aus gemeinsamem Handeln, gemeinsamen Zielen und gemeinsamen Werten“ (S.151). Laut dem Bericht der Deutschen UNESCO- Kommission kommt der Bildung die Aufgabe zu, das Gefühl gemeinsamer Werte zu steigern, den Gemeinschaftsgeist wieder zu beleben, Liebe und Mitgefühl, Wohltätigkeit und Sorge, Freundschaft und Zusammenarbeit als Elemente eines neuen globalen Bewusstseins zu verstärken. Klaus Seitz dagegen erkennt die Grenzen menschlicher Möglichkeiten, unsere Zuneigung und Fürsorge auch allen Nicht- Anwesenden und somit der ganzen Menschheit zuteil werden zu lassen. Ein Bildungsverständnis (S.308), das auf Universalität hin angelegt ist und auf die Erschließung des Allgemeinen, des Universellen und des Abstrakten zielt, zeigt auch eine besondere Affinität zum didaktischen

Umgang mit dem Fernen, mit Fremdheit und mit dem Unbekannten. (…) Die Interpretation des Bildungsprozesses als eines Prozesses, der durch die Entfremdung und die Distanzierung von jeder Unmittelbarkeit hindurchführt, wird bei Hegel auf die Spitze getrieben. Bildung bedeutet für Hegel gerade, sich die Dinge vom Standpunkt eines anderen anschauen zu können, so dass das Bewusstsein im Durchgang durch das Fremde zur Reflexion kommt und den Gegenstand auf seinen abstrakten Begriff zu bringen vermag.“ Seitz wendet sich gegen die These des Menschen als „Nahbereichswesen“ (S.274), dessen biologische Konstitution seit einer Million Jahren besteht und dessen genetische Ausstattung sich seit der Zeit der Cro- Magnon- Menschen vor über 30000 Jahren, als sie in Höhlen in Kleingruppen lebten, nicht wesentlich verändert habe. (…) Das vom Club of Rome so apostrophierte „menschliche Dilemma“ ist dagegen (S.277) weder als Mensch-Welt-Konflikt noch als „gefährliche Schieflage“ zwischen der Natur und Kultur zu werten, es wird hier vielmehr als Doppelproblem der prekären Partizipation von Individuen an einer hyperkomplexen Gesellschaft und der unzureichenden Selbststeuerungskapazität der Gesellschaft rekonstruiert. (…) Was Not tut (S.342) ist in erster Linie die Befähigung zur internationalen Verständigung und zur Kooperation in einer Welt, die von enormen weltumspannenden Problemen gezeichnet ist, von Problemen, die nur noch auf einer globalen Partnerschaft gelöst werden können. Der herrschende bildungspolitische Reformdiskurs, der den Globalisierungsschub als Herausforderung für eine neue Bildungsoffensive entdeckt hat, ist demgegenüber nach wie vor in den überkommenden Vorstellungen des internationalen Standortwettbewerbes und damit im nationalen Paradigma befangen. Es ist nicht zu erwarten, dass unter diesen Vorzeichen zukunftweisende Reformkonzepte entwickelt werden können, die den Herausforderungen gerecht werden, mit denen die Globalisierung die nationalen Bildungssysteme konfrontiert“. Abgerückt wurde von dem Schlagwort (S.374) „die haben die Probleme, wir haben die Lösungen“ und an die Stelle vom Lernen über die Dritte Welt trat die Aufgabe, von und mit den Menschen des Südens zu lernen. Es lässt sich von einer

„Verallgemeinerung der Entwicklungsproblematik“ sprechen (S.373): „Es gibt (…) keine entwickelten und unterentwickelten, sondern nur noch unterschiedlich fehl entwickelte Länder.“ VENRO (Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen) sagt im 2000 beschlossenen Positionspapier (S.376): „Globales Lernen zielt auf die Entfaltung der Persönlichkeit und der Kompetenzen des Menschen. Es möchte durch die Vermittlung von Wissen, Motivation und ethischer Orientierung und durch die Anregung entsprechender Lernprozesse Menschen dazu befähigen, an der Gestaltung der Weltgesellschaft aktiv und verantwortungsvoll mitzuwirken und in dem eigenen Lebensumfeld einen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Weltentwicklung zu leisten.“ Weiter Seitz (S.395): „Dazu ist offensichtlich, dass die Relevanz, die einem bestimmten Problemfeld auf der politischen Agenda beigemessen wird, nicht identisch sein kann mit ihrer didaktischen Relevanz. Die didaktische Relevanz eines Lerngegenstandes kann sich nicht nur daran bemessen, welche Bedeutung ihm von Politik oder Wissenschaft zugeschrieben wird, sondern hängt auch davon ab, welche Lernpotenziale das Thema eröffnet, inwieweit Anschlussmöglichkeiten an die bereits vorliegenden Lern Erfahrungen gegeben sind, und ob das Thema geeignet ist, jene Kenntnis-, Einstellungs- oder Verhaltensziele zu befördern, deretwegen ihre pädagogische Bearbeitung in Angriff genommen werden soll.“ Zum Thema

„Ausmaß und Ursachen des globalen Klimawandels“(S.387) „können vermutlich elementare positive Natur- und Wetter Erfahrungen, die zunächst mit globalem Klimawandel wenig zu tun haben, für Grundschulkinder einen passenderen Zugang zum gesamten thematischen Komplex erschließen als über die Aufklärung über Treibhausgase und Ozonlöcher. Man kann auch über globale Fragen lernen, indem man nicht über globale Fragen lernt. (…) Aus pädagogischer Sicht kann die Orientierung an Weltproblemen aus einem weiteren Grund nicht befriedigen. Die Katastrophenfixierung hat sich in der Praxis der entwicklungspolitischen Bildung als Bumerang erwiesen. Eine Katastrophenfixierung (…)

führt erfahrungsgemäß zu emotionalen Hornhautbildungen und zur Abstumpfung gegenüber der Wucht der aufgetürmten Bedrohungspotentiale.“ Zum Schluss sagt Seitz zu der „Bildung in der Weltgesellschaft“ (S.462): „Die vielen Fragen, die insbesondere im Blick auf die Praxis Globalen Lernens offen geblieben sind, zeigen zugleich die Grenzen des Erkenntnisgewinns, den die soziologische Aufklärung für Pädagogik und Didaktik zu erbringen vermag.“

Das ist eine Herausforderung für naturwissenschaftlich ausgebildet Menschen wie mich, hier praxisnahe Vorschläge zu präsentieren, die die Probleme nicht verkleinern, bzw. ignorieren, wie es in den naturwissenschaftlichen Fächern üblich ist – und das ohne Katastrophen-fixierung, sondern im Gegenteil mit Mut machenden Aspekten! Das will ich im Hauptteil 2 versuchen.

Die „ifu“, die Internationale Frauenuniversität, hat während der Expo 2000 in Hannover unter dem Titel „Technik und Kultur“ 750 Studentinnen aus 106 Ländern und 300 Dozentinnen aus allen Kontinenten für 100 Tage zusammengeführt, um in sechs weltweit Problem belasteten Projektbereichen interkulturell, interdisziplinär und „gender“ fokussiert zu forschen und dabei den Dialog mit den Künsten zu suchen.( 2000). Als Geburtsstunde der

„ifu“ gilt die Einberufung einer Frauenforschungskommission in Niedersachsen unter der Leitung von Prof. Dr.- Ing. Ayla Neusel Anfang der 90er Jahre. Im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung wurde der Bericht „Frauenförderung ist Hochschulreform – Frauenforschung ist Wissenschaftskritik“ erstellt und war das Startsignal für einen Paradigmenwechsel in der Frauenförderung. Statt danach zu fragen, wie sich Wissenschaftlerinnen in die bestehenden Einrichtungen integrieren können, lautete jetzt der Focus: Wie muss die Institution beschaffen sein, in der sich Wissenschaftlerinnen frei entfalten können? Unter der Präsidentschaft von Ayla Neusel entstand auf der ifu bei den Themen „Arbeit – Information – Körper – Migration – Stadt – Wasser“ ein Wissen, das sich zur gesellschaftlichen Verantwortung bekannte und offen für gesellschaftliche Anforderungen war. Die ifu (internationale frauen universität) war monogeschlechtlich und gleichzeitig extrem polykulturell, die Anforderungen an die Studentinnen hoch (anerkannter Studienabschluss mit sehr gutem Ergebnis, sehr gute Englischkenntnisse), das Risiko zu scheitern nicht zu überschauen. Das Infragestellen westlicher Wissenssysteme, die Gestaltung von interkulturellen Dialogen und die Gewinnung von neuen Erkenntnissen ist kein konfliktfreier Prozess. Lehrende und Lernende haben diese große Herausforderung als Begeisterung, Kompetenz, Intelligenz, aber auch Scheitern und Enttäuschung erlebt.

Innovationen schließen auch immer Irrwege ein.

Projektbereich Wasser: „Die ungleiche Verteilung von Wasser wird eines der zentralen Probleme des 21. Jahrhunderts sein. Kontrolle über Wasser bedeutet implizit Einfluss auf wichtige Entscheidungen zur Entwicklung von Regionen. Die Verschmutzung von Wasser und die gesundheitlichen Folgen nehmen vielerorts beängstigende Ausmaße an. Moderne, meist extrem teure Technologien der Wasseraufbereitung sind häufig in der Wirkung begrenzt. Traditionelles Wissen von Frauen um Techniken zur Reinigung von Wasser, das überraschend gute Erfolge zeitigt, droht jedoch im Zuge von Modernisierungsprozessen verloren zu gehen. Ziel war es, moderne Hochtechnologien der Wasseraufbereitung durch Einbeziehung traditionellen und rituellen Wissens zur Wassernutzung zu überdenken, um neue, lokal angepasste Problemlösungen zu entwickeln. Zudem wurde der Frage nachgegangen, welche politischen Maßnahmen entsprechende Lösungen unterstützen oder eher verhindern.“

Immaculata Raphael, Ingenieurin aus Tansania und Leiterin eines Umweltamtes, nutzte die

„ifu“ als Chance zur Weiterbildung. Sie entwickelte während ihrer Teilnahme am Studiengang Wasser einen verblüffend einfachen und lokalen Lösungsansatz für ein globales Problem. (…) Heimgekehrt nach Tansania konstruierte und installierte die Ingenieurin Tanks, mit deren Hilfe das Wasser gereinigt und für drei Schulen verwendet werden konnte. Die meisten Bewohner in diesem Distrikt der Kilimandscharo-Region sind in ihrem täglichen

Gebrauch auf Wasser von ungenügender Qualität angewiesen. Die umweltfreundliche Technik – zudem leicht anwendbar und herstellbar – nutzt Methoden für die Wasserbehandlung und Desinfektion, die die ländliche Gemeinde anwenden kann: In physikalischer Hinsicht mit Abkochen, UV- Bestrahlung und langsamer Sandfilterung. In biologischer Hinsicht mit der Verwendung von Moringa- Samen und in chemischer Hinsicht über die Behandlung mit Aluminiumsulfat und Calciumhydrochlorit.

Im Sommer 2000 konnte niemand ahnen, dass die „ifu“ eine Nichtregierungsorganisation (NGO) mit 52 Mitgliedern aus aller Welt hervorbringen würde. Der Projektbereich Wasser machte dies möglich. Die Aktivistinnen und Expertinnen stammen aus Ägypten, Albanien, Brasilien, Deutschland, Indien, Kamerun, Kanada, Kenia, Malawi, Mexiko, Neuseeland, Nigeria, Österreich, Philippinen, Südafrika, Sudan, U.K. und USA. Ihr Ziel: die nachhaltige Entwicklung von Gemeinden und ihrer Umwelt nach den Prinzipien von Geschlechterdemokratie, Community Participation und internationalen Netzwerken zu fördern.“

Eva- Maria Hartmann, bis 2003 Bundeskoordinatorin der Unesco-Projekt-Schulen in Bonn, zieht zum Weltgipfel in Johannisburg eine düstere Bilanz (2002): „Umwelt- und Entwick-lungspolitik verfehlt – Nach wie vor diktiert der Norden die Bedingungen – Ursachen des Scheiterns sind in der Agenda 21 angelegt – Was wäre zu tun?“ Trotz der negativen Bilanz des seit Rio Erreichten kann es ihrer Ansicht nach nicht darum gehen, den lokalen Agenda-Prozess abzubrechen. Viele Kommunen haben in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, den Erfordernissen einer nachhaltigen Kommunalpolitik nachzukommen. Die Hoffnung liegt bei den jungen Leuten, die Zahl der Unesco-Projekt- Schulen soll sich erhöhen. Zum Kongress „Globales Lernen in Baden-Württemberg“ im Frühjahr 2003 kamen 450 Teilnehmer und Teilnehmerinnen.

Ernst- Ulrich von Weizsäcker hielt das Abschlussreferat beim Kongress „Globales Lernen in Baden- Württemberg“ im Februar 2003 in Stuttgart und beklagte dort den Einfluss-schwund des Staates gegenüber der Macht der Großkonzerne. Titel seines Referates „Eine andere Welt ist möglich: Von der Bildungswende zur Entwicklungswende.“ Er sagt: (2004, S.14): „Und so leite ich aus der Gegenwartsbeschreibung die Herausforderung ab: Wir müssen die Demokratie neu erfinden. Denn sie war erfunden worden für den Nationalstaat, und da hat sie auch ganz gut funktioniert. Jetzt indes heißt die Frage: Wie kann die weltweite Demokratie in Zukunft aussehen?“ Dazu bot der Referent ein Gedankengerüst mit drei Säulen an aus „Staat“, „Wirtschaft“ und „Zivilgesellschaft“. Seine Schlusssätze (S.15) lauteten: „So steht auch die Bildung vor neuen Aufgaben und Herausforderungen. Globales Lernen muss für die Schulen zum Zentralbegriff werden, denn es ist die pädagogische Antwort auf die Herausforderung der Globalisierung. Wenn Deutschland im geistigen Wettbewerb, aber auch im technologischen Wettbewerb mithalten möchte und dem Leitbild einer weltweit gerechten und zukunftsfähigen Entwicklung folgen will, kommt es nicht umhin, Globales Lernen für Nachhaltige Entwicklung zu etablieren und zu einer sehr hohen schulischen Priorität zu machen.“

Edgar Morin und Anne Brigitte Kern betitelten ihr Buch „Heimatland Erde“ und prägten den Begriff „planetare Ära“. Sie setzen den Beginn der Neuzeit, wie andere vor ihnen, mit der Entdeckung Amerikas 1492 vor rund 500 Jahren fest. Die Abenteuer Christoph Kolumbus, Vasco da Gamas, Magellans, Cortez und Pizarros galten Jahrhunderte lang als Heldentaten.

1992 zur 500-Hundert-Jahr-Feier hörte ich erstmals Stimmen der Empörung, die dieses Ereignis nicht länger als Anlass zum Feiern nehmen wollten, z. B. von Shridath Ramphal.

Er schreibt in „Das Umweltprotokoll - Partnerschaft zum Überleben“ (1992, S.33): „Ich schreibe dieses Buch in der Karibik, wo wir gerade den fünf hundertsten Jahrestag der Reisen feiern, die Kolumbus im 15. und 16. Jahrhundert unternahm. Sie veränderten die Welt – nicht durch Entdeckungen, ohnehin für die „Entdeckten“ ein Begriff von zweifelhafter Bedeutung, sondern durch die Begegnungen zwischen Europäern und den ersten Völkern in Nord- und

Südamerika, die dadurch eingeleitet wurden.“ Anlass war die Vorbereitung des Klimagipfels von Rio 1992, der, was vielfach nicht mehr bewusst ist, im Zusammenhang mit der Entdeckung Amerikas geplant und auch so gesehen werden sollte.

„Und dennoch waren es ab 1492 diese jungen und kleinen Nationen (Morin, 1999 S.26), die die Eroberung der Erde in Angriff nahmen und mittels Abenteuer, Krieg und Tod der planetaren Ära den Weg eröffneten. (…) Zur selben Zeit entwarf Kopernikus ein System, demzufolge die Planeten, einschließlich der Erde, sich um die eigene Achse sowie um die Sonne drehten. Das waren also die Anfänge dessen, was man Neuzeit nennt und das richtiger

„planetare Ära“ heißen sollte. Diese begann mit der Entdeckung, dass die Erde lediglich ein Planet ist, und mit dem Beginn der wechselseitigen kommunikativen Vernetzung der verschiedenen Teile dieses Planeten. (…) Die Erde war nicht mehr das Zentrum des Universums, sie wurde zum Satelliten der Sonne, und die Menschheit verlor ihre privilegierte Position. (…) Eine derartige Umwälzung benötigte eine gewisse Zeit, um in die Köpfe der Menschen Eingang zu finden. Noch 1632 musste Galilei seine Aussagen vor der Inquisition widerrufen und das System des Kopernikus verdammen. Vor allem jedoch revolutionierte diese Umwälzung die westeuropäische Welt, von der sie ihren Ausgang genommen hatte, nicht wirklich.“ Im Gegenteil: Die Europäer gelangten zu der Überzeugung, dass

„Wissenschaft und Technik sie zu den Herren der Welt machen würde“ (S.27).“

Morin und Kern listen auf, dass die Europäer den Indianern Amerikas Masern, Herpes, Grippe und Tuberkulose brachten und dass sie, nachdem sie massenweise den europäischen Krankheiten zum Opfer gefallen waren, gefangene Schwarzafrikaner als Ersatz als Sklavenarbeiter in die großen Plantagen verschleppten. Die Europäer importierten den Mais, die Kartoffel, die Tomate, den Maniok, den Kakao und den Tabak. Nach Amerika brachten sie Schafe, Rinder, Pferde, Getreide, Wein, Oliven und die Tropenpflanzen Reis, Kaffee und Zuckerrohr. Morin und Kern wörtlich (1999, S.40): „In einem weltweiten Dialog zwischen den Kräften der kulturellen, zivilisatorischen, psychischen, sozialen sowie politischen Integration und Desintegration wurde die Wirtschaft zunehmend globalisiert und zunehmend instabil. (…) Die Globalisierung der Wirtschaft (S.41) vereint und spaltet, gleicht an und schafft Ungleichheiten. Die wirtschaftliche Entwicklung in der abendländischen und der ostasiatischen Welt hat die Tendenz, die Ungleichheit zwischen diesen Teilen der Welt zu verringern, doch vergrößert sie die Ungleichheit im Weltmaßstab zwischen „Entwickelten“

(20 % der Bevölkerung konsumieren 80 % der Produkte) und „Unentwickelten“. (…) Heute (S.107) stürzt der Mythos des Fortschritts in sich zusammen, die Entwicklung ist krank. (…) Dennoch würden gerade die wissenschaftlich-technischen Entwicklungen am Ausgang dieses Jahrtausends es den Menschen ermöglichen, wieder allgemeine Kompetenzen zu erlangen, die hyper spezialisierte Arbeit Robotern, Maschinen und der Kontrolle von Computern zu überlassen, eine Verteilungswirtschaft zu organisieren, die die Hungersnöte in der dritten Welt beseitigen und die Ausgeschlossenen in die Gesellschaft aufnehmen würde, sowie die strengen und engen Unterrichtssysteme durch die Erziehung zur Komplexität zu ersetzen.“

(…) Edgar Morin und Anne Brigitte Kern fordern (1999, S.182) das kontextbezogene und das komplexe Denken. (…) „Notwendig ist ein Denken, das verbindet, was getrennt und unterteilt ist, das das Unterschiedliche respektiert und dabei zugleich das Gleiche anerkennt, das versucht, die wechselseitigen Abhängigkeiten wahrzunehmen.“ Die Wiederherstellung des Denkens stellen sie sich so vor (S.184): „Im Universum der Disziplinen existiert kein eigener Ort mehr für das Denken. Es gibt Philosophen, die Wissenschaftler, die denken, es gibt die Nicht- Wissenschaftler und Nicht- Philosophen, die denken, doch es hat den Anschein, dass das Denken eine Aktivität mit einem der Wissenschaft und der Philosophie gegenüber dienenden Charakter ist, obwohl es Aufgabe der Wissenschaften und der Philosophien ist, den Menschen, das Leben, die Welt, das Reale zu denken; dieses Denken sollte auf das Bewusstsein rückwirken und eine Orientierungshilfe für das Leben geben. Ohne Zweifel würde eine Reform des Denkens eine Reform der Erziehung (auf der Grundstufe, der

Sekundarstufe, der Universität) erfordern, die selbst wiederum eine Reform des Denkens notwendig machen würde. Und natürlich käme die Demokratisierung des Rechts zu denken einer paradigmatischen Revolution gleich, die einem komplexen Denken erlauben würde, das Wissen zu reorganisieren und die heute auf die verschiedenen Disziplinen aufgegliederten Kenntnisse wieder zu vereinen. (…) Eine Reform des Denkens ist ein anthropologisches und historisches Schlüsselproblem. Es impliziert eine geistige Revolution von erheblicheren Dimensionen als die kopernikanische Revolution. An keinem Punkt der Geschichte der Menschheit stand das Denken vor einer solchen Verantwortlichkeit. Das Herz der Tragödie hat seinen Platz auch im Denken.“