• Keine Ergebnisse gefunden

Eine leistungsstarke Schule soll

These 3: Ein Basiscurriculum entsteht aus roten Fäden, Fächerverbindung ergibt Netze

2.2. Kritik am Chemieunterricht der Gymnasien 2.2.1. These 1: Der Chemieunterricht setzt zu spät ein

Die Zustimmung zu den „integrierten Naturwissenschaften“ ab Klasse fünf in der ehemaligen Gesamtschule in Tübingen war hoch. Als zu Beginn von Klasse sieben ein fünfstündiger Schwerpunkt aus fünf Möglichkeiten gewählt werden musste, haben sich fast zwei Drittel der Kinder für die Naturwissenschaften entschieden. Zur Auswahl standen damals Ende der siebziger Jahre noch die Fächer Französisch, Sozialwissenschaften, Technik und „Visuelle Kommunikation“, das viel mehr als bildende Kunst war. Die Zehnjährigen sind im richtigen Forscheralter, wie man jetzt in den Naturphänomenen erlebt. Mädchen sind noch nicht auf den Gedanken gekommen, mit ihrer angeblichen Unfähigkeit in technischen Dingen zu kokettieren und gehen mit dem Gasbrenner so sicher um wie die Jungen. Bei den elektrischen Schaltungen gibt es allerdings schon in diesem Alter eine Geschlechterdifferenz. Das Training durch ihre Väter mit der elektrischen Eisenbahn oder mit Elektrobaukästen zeigt hier bei den Jungen eine eindeutige Überlegenheit. Dieser Einfluss scheint zurück zu gehen, wenn man Prof. Renn von der Akademie für Technikfolgenabschätzung folgt. Er sieht einen Grund für den Rückgang der Naturwissenschaften in den Leistungskursen und beim Studium in der Frauenzentrierung der ersten Lebensabschnitte zu Hause, im Kindergarten und der Grund-schule.

Bedauerlicherweise fanden viele Jahre lang „Naturphänomene“ nicht für alle Kinder verbindlich ab Klasse fünf statt. In Baden-Württemberg hat sich das im Schuljahr 2004/2005 glücklicherweise geändert: Jetzt erhalten alle Kinder im Gymnasium diesen Unterricht. In der Hauptschule gab es schon länger Fächerverbünde, in der Realschule gibt es ebenfalls ab 2004 das „Naturwissenschaftliche Arbeiten“, in dem die Fächer Biologie, Chemie, Physik und Technik aufgegangen sind. In den drei bei den Bildungsstandards 2004 für das Gymnasium angeführten Themenkreisen „Wasser“, „Magnetismus und Elektrizität“ und „Luft und Feuer“

bleibt die „fachimmanente“ Systematik erhalten, ergänzt um das Fach Technik. Die ganz große Begeisterung ist so bei den Kindern sicher nicht zu erwarten. Ein immer wieder gehörter Kommentar lautete: „Bisher haben wir fast immer nur Zettel ausgefüllt“. Man muss befürchten, dass das weiterhin vielfach so bleibt.

Statt der etwas „dürftigen“ Vorschläge, beginne ich mit „Kristalle züchten“, das in vielerlei Varianten ablaufen kann. Mit Kupfersulfat ist die Begeisterung am größten und noch Zehntklässlerinnen „trimmen“ sich bereitwillig die Formel ein, wenn die Erinnerung an erste schöne Erfahrungen mit der Chemie wach wird. Wenn man eine gesättigte Lösung bei 40° C herstellen lässt – die anspruchsvollste Variante - muss zuerst der Umgang mit der Tafelwaage geübt werden. Dazu habe ich in meinem Mathematikunterricht viele verschiedene Aufgaben erprobt vom einfachen Abwiegen von Büchern über Einwiegen in Gefäße, über das Wiegen von Flüssigkeiten bis zum Wiegen von Erbsen. Sie wiegen übrigens immer alle zunächst ein Gramm, so verschieden groß sie auch aussehen mögen. Warum? „Ein kleineres Gewicht gibt es nicht!“ lautet die Antwort bis jemand auf die Idee kommt, zehn oder hundert Erbsen zu wiegen und die Milligramm aus der Grundschule wieder präsent sind. Ein Wägesatz pro Paar muss ausreichen und führt rasch zu „Aha- Erlebnissen“, wenn die Gewichtssteine scheinbar nicht reichen. Thermometer, Heizplatte, Magnetfisch sind die weiteren Geräte, die in Betrieb genommen werden. In Petrischalen mit Impfkristallen versetzt haben sich bis zum nächsten Mal fast immer sehr schöne Kristalle gebildet, die häufig den Beginn einer Chemiesammlung bilden und vielleicht sogar das Interesse wach halten, bis sich in der Komplexchemie der Oberstufe (sie ist inzwischen leider weggefallen) nicht alle, aber doch ein paar Kristallformen mit dem EPA (Elektronenpaar-Abstoßungs-Modell) erklären lassen.

Mit dem Thema Astronomie findet man bei Zehn- oder Elfjährigen auch viel Zustimmung.

Elisabeth Frank hat im Schroedel Verlag ein ganzes Heft dazu herausgegeben und ihr Vorgehen bei der Fortbildung bei der Landeszentrale für politische Bildung vorgestellt. Man

kann die Dokumentation zum „Globalen Lernen in den Naturwissenschaften“ bestellen und dort die Beschreibung nachlesen. Meine Variante beginnt mit der Erdbewegung und den Jahreszeiten und wird bei der Simulation einer Mondlandung draußen auf dem Schulhof mit Bällen und Eimern fortgesetzt. Die Mondphasen können mit Overheadprojektor, Drehstuhl und Fußball erlebt und verstanden werden. Die Größe und Entfernung der Planeten von der Sonne lassen sich im Klassenzimmer mit flachen Scheiben aus Knete veranschaulicht. Dabei lernen die Kinder maßstabsgerecht zu handeln. Der Umgang mit der Kosmos-Sternenkarte wird geübt und dann hoffen wir meist wochenlang auf einen sternklaren Abend und den Höhepunkt der Unterrichtseinheit – den Besuch der Tübinger Sternwarte. Allein die Stimmung auf der Plattform und das Bangen, wenn wieder Wolkenfelder vorüberziehen, wird keiner jemals vergessen. Die Geschwindigkeit des Mondes, die sich allerdings auch schon mit dem Schulfernrohr zeigen lässt, die Mondkrater, die Tatsache, dass die Venus Phasen wie der Mond hat, die Jupitermonde, eine Mondfinsternis auf dem Jupiter (!), das Entstehen neuer Sterne im Sternnebel des Orion und als absoluter Clou – finde ich – die Ringe des Saturn, das sind faszinierende Anblicke. Diese Erlebnisse verdanke ich in erster Linie meinem Kollegen Roland Müller, Physiklehrer und Leiter der „Astronomischen Gesellschaft“ in Tübingen und in zweiter Linie dem Schüler Stefan Zentner, der schon als Neuntklässler mit der Handhabung des riesigen Fernrohrs vertraut war und viele Abende bereit gewesen ist, den Kindern dieses Erlebnis zu ermöglichen.

Eine Klimakiste ist im Werden, an der Schülerinnen und Schüler der Naturphänomene schon im Jahr 2003 beteiligt waren, indem sie die unterschiedliche Erwärmung von Wasser in schwarz und weiß angestrichen Babynahrungsgläsern geprüft, einen Versuch zum See- und Landwind gemacht haben, die Wärmeisolierungseigenschaft verschiedener Stoffe wie Luft, Zeitungspapier, Wolle und Styropor getestet haben oder nach dem Buch von Andreas Bertsch (1977) sich mit der Wärmeisolierung bei Tieren wie Robbe, Eisbär und Pinguin beschäftigt haben. Diese Kiste wird vom Klimatisch der lokalen Agenda erstellt, wie ich im Abschnitt

„Kompetenzen“ schon erwähnt habe. Ich finde es wichtig, Kinder in diese Arbeit einzuziehen.

„Fertige Kisten“ sollte es gar nicht geben, sie können immer noch verbessert und erweitert, manchmal auch geteilt werden, wie es jetzt mit der Wasserkiste im EPIZ, dem entwicklungs-pädagogischen Informationszentrum in Reutlingen geschehen soll.

Eine Kräuterapotheke einzurichten auf einem Trödelmarkt, am Tag der offenen Tür oder bei einem Elternsprechtag verbindet Spaß und vielfältige Kenntnisse. Früher habe ich sie mit einer AG entwickelt und dann mit Gruppen der Naturphänomene durchgeführt; dokumentiert ist sie in der Jubiläumsschrift zum 30-jährigen Bestehen unserer Schule und diese Form übernehme ich hier der Einfachheit halber.

Angst verlieren beim Experimentieren? Versuchsanweisungen lesen lernen? Arbeitsblätter ausfüllen? Protokolle verfassen? Sorgfältig spülen und aufräumen? Den Wert der hergestellten Dinge begreifen? Klassenarbeiten schreiben? Spitzer sagt (2001 S.62) Kinder sollen durch Praktizieren lernen und nicht durch Predigten. „Man darf sich hier nichts vormachen, schon gar nicht sich Utopien hingeben, die vielleicht davon ausgehen, dass man Menschen durch Unterweisung beliebig „programmieren“ kann. Dies ist nicht der Fall. (…) Es folgt, dass Kinder keine Predigten brauchen, sondern gute Beispiele und von diesen viele und immer wieder neue. (…) Es folgt weiterhin, dass Kinder Strukturen brauchen, um überhaupt zu lernen. Nichts ist schädlicher als chaotischer Input, denn sofern der Input keine Regelhaftigkeit aufweist, können keine Regeln extrahiert werden, kann also nichts gelernt werden.“