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Biosprit aus Topinambur

2.4.1. Antworten auf die Fragen der Eingeweihten

2.4.1.1. Welche Fähigkeiten soll der naturwissenschaftliche Unterricht hervorbringen?

Die Entwicklung vielfältiger Fähigkeiten und Interessen auf Schülerseite wie es den Vorstellungen Klafkis entspricht ist bei heutigen Didaktikern und Didaktikerinnen unbestritten. Ich denke an Elisabeth Franks mädchengerechten Physikunterricht oder an Muckenfuß’ Physik im sinnstiftenden Kontext. Der zweite Teil dagegen, wie Kinder und Jugendliche ein Bewusstsein für Schlüsselprobleme entwickeln und bereit sein sollen, an ihrer Bewältigung mitzuwirken, findet bisher wenig Resonanz. In Deutschland bemüht man sich sehr, das Fach Chemie akzeptabler zu machen. Der Kontext, in dem die chemischen Inhalte stehen sollen, um den Zugang junger Menschen zu erleichtern, ist für mich dabei aber nicht erkenntlich. Ilka Parchmanns Thema lautet zwar „Ozean und Klima“, doch die Sorge gilt mehr den chemischen Basiskonzepten als dem Schlüsselproblem Klimawandel. Einzig Eva-Maria Hartmann nennt die Chlorchemie ein Schlüsselproblem, das beseitigt werden muss.

Elisabeth Franks Forderung nach einer „Physik als Lebenshilfe“ zeigt zwar eine Wirkung bei den Formulierungen der Bildungsstandards des Faches Physik in Baden-Württemberg; auf das nah verwandte Fach Chemie hat sich das leider jedoch noch nicht ausgewirkt. Die Lebenshilfe (Chemie im Alltag) erschöpft sich in Ratschlägen wie der Warnung vor dem Genuss von Rhabarber oder wie Rezepten zur Herstellung von Klebstoffen.

Die von Ernst Ulrich von Weizsäcker benannten beiden großen Herausforderungen der Globalisierung „die Wiedererfindung der Demokratie“ und „die Neuausrichtung des technischen Fortschritts“ sind im baden-württembergischen Chemieunterricht bisher kein Thema.

In ihm lassen sich aber viele Probleme ansprechen, wie ich es ausführlich aufgelistet habe.

Die Umweltverschmutzung bei der Goldgewinnung mit Quecksilber, die Chlorchemie, Pestizide und Überdüngung in Monokulturen, die Fluorchlorkohlenwasserstoffe, DDT, die ökologischen Schäden bei der Aluminiumherstellung, die Rohstoffknappheit beim Erdgas und Erdöl, die Abgase des Straßenverkehrs einschließlich der Ozonbildung, die Wasch-mittelbranche, die mit ökologisch verträglich gewonnenen Produkten wirbt, die Sozial-verträglichkeit aber außer Acht lässt. Es bleibt die Frage offen, warum im Chemieunterricht Probleme, die von der Chemie verursacht werden, nur ausnahmsweise zur Sprache kommen.

Damit überlassen wir sie undurchdacht und ungelöst der nächsten Generation, den Schülerinnen und Schülern, die gerade vor uns sitzen. Dabei liegt es doch im Interesse der Jugendlichen, von Lösungsmöglichkeiten zu erfahren und sie sogar zu erproben. Das könnte helfen, das Fach Chemie aufzuwerten und ihm wieder mehr „Sinn“ zu geben. Die Lernenden sollen ja laut der PISA- Studie der OECD von 1998 „Entscheidungen verstehen und treffen, die die natürliche Welt und die durch menschliches Handeln an ihr vorgenommenen Veränderungen betreffen“ Dass Chemielehrer und Chemielehrerinnen die Probleme nicht

sehen, halte ich für ausgeschlossen. Vielleicht meinen sie, dass zunächst an den Universitäten ein Sinneswandel eintreten muss und sich die Naturwissenschaftler dort für Auswirkungen ihrer Forschung verantwortlich zeigen müssen.

Im Bildungsplan 2004 für Baden-Württemberg stehen für das neue Fach „Naturwissenschaft und Technik“ Sätze, die ein wenig hoffen lassen (2004, S.398): „Die Schülerinnen und Schüler erkennen Herausforderungen für jetzige und spätere Generationen. Sie bewerten Systeme und Innovationen unter dem Aspekt des nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen und unter ethischen, wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten. Der schonende Umgang mit Energie und die Wiederverwertung von Materialien werden im Unterricht thematisiert.

Globale Notwendigkeiten sowie sich daraus ergebende individuelle und lokale Handlungs-möglichkeiten werden deutlich.“ Der globale Kontext, der im Chemieunterricht bisher kaum in den Blick gerückt ist, ließe sich problemlos im neuen Fach „Naturwissenschaft und Technik“ konkretisieren. Ich hoffe deshalb, dass sich meine in vielen Jahren zusammen getragenen Ideen eignen, das neue Fach im Gymnasium lebendig, interessant und problem-orientiert zu gestalten. Wenn sich etwas davon anschließend auch in den Fächern Chemie und Physik und in den „Naturphänomenen“ niederschlagen würde, wäre das wichtigste Anliegen meiner Arbeit erfüllt. Nicht alle Schülerinnen und Schüler werden ja bedauerlicherweise das neue Fach „Naturwissenschaften und Technik“ in Baden-Württemberg wählen.

Ich formuliere als Forderung für den zweiten Hauptteil meiner Arbeit: „Globale Probleme müssen im naturwissenschaftlichen Unterricht behandelt werden.“ Wie sie thematisiert werden können, will ich unter anderem an den Beispielen „Wachstumshormon“, „Augen auf beim Kleiderkauf“, „Tübinger Wärmepass“ und „Living Lakes“ darstellen. Aber auch alle übrigen Vorschläge, die ich unter die Überschrift „Nord-Süd-Differenz“, „Schutz der Erdatmosphäre“, „Wasserqualität“, „Artenschutz“ und „Kinder- und Jugendschutz und Menschenrechte“ gestellt habe, erfüllen die obige Forderung.

2.4.1.2. In welchem Alter soll mit dem Unterricht der Naturwissenschaften begonnen werden?

„Je früher, desto besser“ sagen die Neurobiologen. Denn das Interesse die Welt zu erkunden, beginnt am Tag der Geburt. Damit wird jedoch bundesweit sehr unterschiedlich umgegangen.

Dass PING in Norddeutschland nicht richtig überzeugt hat, mag an der„klein schrittigen“

Vorgehensweise liegen. In Baden-Württemberg wird das vorhandene Interesse bei Kleinkindern und Kindern in der Grundschule weiterhin nicht befriedigt. Zu selten kommt es vor, dass eine Grundschullehrerin im Schwerpunkt Naturwissenschaften studiert hat.

Allerdings ist Donata Elschenbroich im Kindergarten- und Grundschulbereich eine sehr gefragte Referentin, wie ich Zeitungsberichten entnehme, ebenso Gisela Lück mit ihrem naturwissenschaftlichen Ansatz. Das Interesse an einer frühen naturwissenschaftlichen Bildung wächst also.

Seit 2004/2005 wird auf den „Forscherdrang“ der Zehnjährigen überall im Gymnasium mit dem Fach „Naturphänomene“ geantwortet. Das war für mich in der Anhörungsfassung der baden-württembergischen Bildungsstandards im Mai 2003 noch nicht zu erkennen. Wie sich die neuen Bildungsstandards von Baden-Württemberg in den „Naturphänomenen“

präsentieren, ist allerdings aus meiner Sicht nicht optimal. Es werden ziemlich fantasielos Themen aus Physik, Chemie und Technik benannt, die einfach dem normalen Anfangsunterricht entnommen sind. Ulrich Herrmann, der Ulmer Erziehungswissenschaftler, vermisst altersgemäße Ansätze bei den Bildungsstandards (Anhörung zu Bildungsstandards 21.5.2003). Die Vorschläge, die ich mit den Themen „Kristalle züchten“, Astronomie“, der im Werden begriffenen „Klimakiste“ und der „Kräuterapotheke“ zu den Naturphänomenen gemacht habe, halte ich für besser geeignet. Sie sollen das vorhandene Interesse der Kinder erhalten und vergrößern und den Einstieg in die naturwissenschaftlichen Fächer zu einem freudigen Erlebnis machen. Zudem zeigen die Themen Astronomie und die Klimakiste, dass

globales Lernen im Gymnasium schon mit Zehnjährigen stattfinden kann. Dass beschränkt sich aber nicht nur auf das Fach Naturphänomene, sondern gilt auch für den Biologieunterricht und für Projekte. So entspricht es meiner Berufserfahrung und deshalb formuliere ich als These: „Globales Lernen kann schon ab Klasse fünf stattfinden.“ An drei Beispielen im zweiten Hauptteil will ich belegen, dass sogar ethische Fragen im globalen Kontext schon bei Zehnjährigen sinnvoll zu behandeln sind. Ich denke an die Projekte

„Indianerpflanzen“ und „Menschenrechte bei Kindern“. Auch der „Tschernobyl-Projekttag“

gehört in diese Kategorie. Dabei muss man als Lehrkraft das Alter der Kinder im Auge haben.

Für die Kinder steht immer als wichtigste Frage im Raum: „Was können wir tun?“ Auf diese Frage sollte es eine Antwort geben, um Ratlosigkeit und Hilflosigkeit zu vermeiden.

2.4.1.3. Soll er fachspezifisch oder integriert ablaufen? In Deutschland kann man kein Fach „Naturwissenschaften“ studieren und so wird es für die Studierenden in diesem Bereich keine andere Möglichkeit geben, als sich für Chemie oder Physik oder Biologie als Studienfach zu entscheiden. Dann muss aber in der Schule erkennbar sein, was z. B. Chemie und Physik unterscheidet. Da ist Morin hilfreich, der sagt (1999, S.186): „Notwendig ist ein Denken, das verbindet, was getrennt und unterteilt ist, dass das Unterschiedliche respektiert und dabei zugleich das Gleiche anerkennt, das versucht, die wechselseitigen Abhängigkeiten wahrzunehmen.“

An Gemeinsamkeiten in den beiden Disziplinen Physik und Chemie sehe ich als wichtigste Größe die „Energie“ an, die im Karlsruher Physikkurs (1997) auch an den Anfang gesetzt wird, dann die „Masse“ und die „Dichte“. Als entscheidenden Unterschied betrachtet Muckenfuß (1995, S.243) die Tatsache, dass in der Chemie immer der Teilchenaspekt eine Rolle spielt, während in der Physik der Bereich der klassischen Physik ohne Mikroebene auskommt. Zum „Problem-, bzw. Projektunterricht Klafkis“ und der Forderung nach „Kon-zentration auf epochale Schlüsselprobleme“ folgerte Muckenfuß, dass sich eine umfassend fachliche Fundierung nicht erübrige, sondern sie im Gegenteil erfordere (S.229). Wie ein Basiscurriculum Physik lässt sich natürlich auch ein Basiscurriculum Chemie am einfachsten in einem Chemiekurs lernen, dessen rote Fäden fortlaufend sichtbar sind.

Es sollte allerdings auf alle überflüssigen, nur zur Selektion dienenden Fakten verzichten und keine künstlichen Hürden aufbauen. Es gibt genug echte Probleme für die Schülerinnen und Schüler zu lösen.

In Baden-Württemberg sind die Weichen ab dem Schuljahr 2004/2005 für die nächsten Jahre gestellt, indem die Fachdisziplinen und für besonders interessierte Schülerinnen und Schüler das integrierte Fach „Naturwissenschaft und Technik“ ab Klasse 8 angeboten werden. An den einzelnen Schulen aber können sich bei der Entscheidung „fachspezifisch oder integriert“ sehr unterschiedliche Modelle entwickeln, die dem vorhandenem Lehrerkollegium angepasst sind, wie das etwa in Nordrhein-Westfalen geschehen ist. Wenn die Lehrerausbildung auf das hinausläuft, was sich die Rektoren der bayrischen Universitäten vorstellen, nämlich zunächst nur ein Fach wissenschaftlich zu studieren, zusammen mit allen anderen Studierenden dieser Fachrichtung und mit dem Abschluss „Bachelor“, dann gibt es Junglehrer und Junglehrerinnen, die zunächst gar nichts anderes können als z. B. Physik oder Chemie zu unterrichten. Die Schulfächer Physik und Chemie müssen also erhalten bleiben. Dann weitet sich durch Zusatzausbildungen der Wissensbereich der Berufsanfänger allmählich aus und die Vernetzung mit anderen Fächern wächst kontinuierlich an. Wie das aussehen kann, habe ich mit dem Thema „Alkohol“ bei den Fächer verbindenden Netzen schon deutlich gemacht. Je mehr Vernetzungen zwischen den naturwissenschaftlichen Themen den Schülerinnen und Schülern gezeigt werden, desto größer wird die „Nachhaltigkeit“ sein. Unter „Nachhaltigkeit“

verstehe ich hier die dauerhafte Verankerung im Gedächtnis im Gegensatz zur Faktenlernerei für die nächste Klassenarbeit – ein Punkt, der auch beim Absatz der größeren Effizienz eine Rolle spielt. In der Idee von der Nachhaltigkeit bestätigen mich die Neurobiologen, aber auch

Lore Hoffmann am IPN in Kiel. Bei der Frage nach der Effektivität des Unterrichts können diese Gedanken natürlich auch angesiedelt werden. Am Beispiel der „Weltreise eines PCB-Moleküls“ werde ich die Fächerverbindung darstellen, die einzelnen naturwissenschaftlichen Disziplinen bleiben aber erkennbar und dienen der Analyse des komplexen Geschehens.

Meine These lautet trotz des Plädoyers für den Erhalt der Fachdisziplinen: „Je mehr Vernetzungen innerhalb und zwischen den Fächern stattfinden, desto größer ist die Nachhaltigkeit.“ Das habe ich im ersten Hauptteil bei meiner Beschränkung auf wenige Stoffe und bei den „roten Fäden“ und „Netzen“ schon deutlich gemacht. Im zweiten Hauptteil wird es viele weitere Beispiele der Fächerverbindung, auch über die Naturwissenschaften hinaus, geben. Unter dem Stichwort „Komplexität“ stehen Vorschläge zur Einführung komplexer Sachverhalte, aber auch Ideen zur Analyse komplexen Geschehens.

2.4.1.4. Wie kann der Chemieunterricht mehr Akzeptanz bei Schülern und Schülerinnen finden?

Meine Vorschläge zur Steigerung der „Akzeptanz“, mit dem sich weite Bereiche des ersten Hauptteils beschäftigt haben, lauten zusammengefasst: Von den Alltagsvorstellungen der Schülerinnen und Schüler ausgehen; die Wissenschaftsorientierung zugunsten der Alltagsrelevanz aufgeben; organische und anorganische Stoffe mischen; Kochsalz statt Alkalimetalle und Halogene in den Mittelpunkt stellen; überflüssige Fachausdrücke weglassen; die Zahl der Stoffe begrenzen und die wenigen verbleibenden unter verschiedenen Aspekten behandeln; menschliche Anliegen mit der Chemie in Zusammenhang bringen;

Frauen mit ihren Beiträgen zur Chemie und den anderen Naturwissenschaften sichtbar machen; Schülerexperimente, die Sinn und Spaß machen, entwickeln; Lernfortschritte aufzeigen durch die vertikale Verknüpfung zum Schulstoff voraus gegangener Unterrichtseinheiten; Fächerverbindung aktiv suchen; faszinierende Fragen betonen; das Faktenlernen ablösen durch Sinn machende Denkprozesse.

Wie komplizierte Sachverhalte für alle verständlich präsentiert, der Zugang den Lernenden also leicht gemacht werden kann, spielt bei den vielen derzeit laufenden Studien kaum eine Rolle. Die Chemieolympiade 2004 im IPN in Kiel und die dort präsentierte Aufgabe kann meiner Ansicht nach allenfalls unter dem Stichwort „Denksport“ laufen. Zur Lösung braucht man, ausgerüstet mit einem Chemiebuch wie Hollemann - Wiberg von 1960, nicht länger als zwei Minuten. Es handelt sich um Scheinprobleme, die den Jugendlichen präsentiert werden.