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2 Vom Hier und -etzt zum 'ort und 'amalV

Im Dokument Leben erzählen – Leben verstehen (Seite 74-77)

ViFeke Gr›ver Aukrust Ÿvgl. 1995  hat die Entwicklung der narrativen Kometenz in einem norwegischen Kindergarten untersucht. DanÅr analËsierte sie die Kommunika-tion zwischen den Kleinkindern und ihren Erzieherinnen während des Windelwech-selns. Bei den …Ångsten Kindern Fegannen die ErzieherinnenV kleine ier-und-etzt-Geschichten zu erzählenV in denen sie erklärtenV was sie gerade taten.

hl Du Fist …a ganz nassl Da machen wir dir mal eine trockene Windel. Zuerst ziehen wir dir das öschen ausV dann machen wir dich sauFerV dann trocknen wir dich aFV und dann Fekommst du eine sauFere WindelV und dann ziehen wir dir wieder deine Sachen an.

Diese Art der Kommunikation mit KindernV die auch im Bereich der Kranken- und Altenqege angewendet wirdV lienert Innormationen ÅFer eine andlungsse§uenz und

70 In meinem auf Dänisch erschienen Buch „Livets Fortællinger“ (Horsdal 1999) habe ich die Auffas-sung vertreten, dass Bedeutung gleichzeitig erschaffen und gefunden wird. Freeman (vgl. 2002, S. 24) stellt einen ähnlichen Gedanken zur Diskussion (vgl. auch Freeman 2010).

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Fietet während der Interaktion ein gewisses Maß an Sicherheit.71 Nach und nach wurden die kleinen Erzählungen im Badezimmer immer länger und reichten von

«Und danach schauen wir uns noch ein Buch an¬ Fis hin zu «Gesrächen¬ darÅFerV was am Vortag assiert war oder am nolgenden Tag assieren wÅrde. Allmählich Fegannen die KinderV sich aktiv an den Gesrächen zu Feteiligen. Aukrust erklärtV wie die Erzieherinnen den Ausrunen der Kleinkinder Bedeutungen zuwiesen. Die Er-wachsenen lienerten nÅr dasV was die Kinder ausdrÅcken wolltenV Wörter und Bedeu-tungenV nÅgten neue Begrinne hinzu und interretierten Fis zu einem gewissen Grad die Beiträge der Kinder.

Dass erwachsene Bezugsersonen das Verhalten vorsrachlicher Kleinkinder in srachlicher Form interretierenV um GrÅnde nÅr deren wechselhante StimmungenV AFsichten und Reaktionen zu ondenV und diese Interretationen dann onnen artiku-lierenV kommt sehr häuog vor. Die nrÅhkindlichen Akte der Bedeutungs- und Sinnzu-schreiFung werden somit in unterschiedlichem Ausmaß von den Erwachsenen ver-einnahmtV Fis die Kinder selFst in der age sindV Ansruch aun eine eigene Sichtweise und Interretation zu erheFen.72 Aukrust nand zudem herausV dass die Erzieherinnen noch ein weiteres Instrument FenutztenU Sie hörten zunällig mitV was die Kleinkinder zu sagen versuchtenV und schritten dann ein. Aun diese Weise wurden die Kinder dahingehend sozialisiertV Geschichten in einer kulturell komatiFlen Form zu erzäh-len. Mit zunehmendem Alter lernten sieV ihren Gesrächsartnern Geschichten ÅFer etwas Neues zu erzählen anstatt von etwas zu FerichtenV was ihr GegenÅFer Fereits wusste. Kleine Kinder haFen aFer ÅFerhaut nichts dagegenV dieselFe Geschichte wie-der und wiewie-der zu erzählen owie-der zu hören. Es steht außer FrageV dass kleine Kinwie-der Wiederholungen lieFen j nÅr sie Firgt die Welt so viel Neues und so wenig Vertrautes.

Den Begrinn der narrativen Vereinnahmung („narrative appropriation”) verdanke ich PeggË Miller und ihren Kollegen ŸMiller u.a. 1989V S. 302V erv. i. rig. U «When caregivers tell stories aFout the child or intervene in the child’s storËtellingV theË are imlicitlË aroriating the child’s eʝerience overlaing with their own.”

Diese Behautung ist gut Felegt. Es ließe sich allerdings einwendenV dass ersönli-che Ernahrungen immer durch das kulturelle UmneldV in dem wir leFenV genärFt sind.

Kleine Kinder akzetieren …edoch häuog recht assiv die Interretationen ihrer Er-nahrungen und GenÅhle durch einen ErwachsenenV oFwohl sie sich daFei nicht immer

«richtig¬ nÅhlen j entweder weil sie nicht im Besitz der Fähigkeit sindV srachlich eine alternative Sichtweise zu normulierenV oder weil die Stimme eines Kindes durch ein weniger aunmerksamesV von höchst asËmmetrischen Machtverhältnissen gerägtes Umneld unterdrÅckt wird.73

71 Bauer u.a. haben Gedächtnis und Lernprozesse bei kleinen Kindern untersucht. Sie kommen zu der Auffassung, dass Verbalisierung den Kindern hilft, sich an spezifische Handlungssequenzen und Ereignisse zu erinnern (vgl. Bauer u.a. 1995; Bauer u.a. 2002; Bauer/Wewerka 1995; Bauer/

Dow 1994).

72 Mit Snow gesprochen: Die Autobiografien der Kinder entwickeln sich aus ihren Biografien (Snow 1990).

73 Daiute (2004, S. 11) erörtert die „adaptiven und subversiven Prozesse“ kindlicher Erzählpraktiken.

Erzählen umfasst demnach sowohl Aspekte der Macht als auch Aspekte der Kreativität.

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Vor einigen ahren war ich mit der eitung einer dänischen Studie zum Einsatz von Erzählungen in Kindergärten und Vorschulen Feauntragt. Die Pädagogen nertigten gemeinsam mit den Kindern BilderFÅcher mit Fotos aus dem AlltagsleFen ihrer …e-weiligen Einrichtung anV um das GedächtnisV das KohärenzgenÅhl und die narrativen Kometenzen der Kinder zu nördern. Doch die Studie zeigteV dass die Erwachsenen die Ernahrungen der Kinder zu einem sehr hohen Grad vereinnahmtenV indem sie kurze Sätze unter die Fotos schrieFenV um zu erläuternV was daraun aFgeFildet war.

Fragte man …edoch die KinderV was aun den Fotos zu sehen warV dann hatten sie ganz andere Vorstellungen von deren Bedeutung.

Miller Ÿ1994V S. 164  hat die kultursezioschen narrativen UmgeFungen unter-suchtV in denen Kinder sich Fewegen. Kinder werden aun unterschiedliche Weise in narrative Praktiken eingeFundenU Es werden Geschichten um die Kinder herumV ÅFer die Kinder und mit den Kindern erzähltV und alle drei Geschichtenarten Feeinqussen die SelFst-Wahrnehmung der Kinder.74 Die Teilnahme an narrativen Praktiken giFt Kindern zugleich Zugang zu den Ernahrungen anderer Menschen und zu Ereignissen und GeschehnissenV an die sie sich nicht selFst erinnern können.

Zu den am genauesten untersuchten Kleinkindern gehört EmilË. Ihre aFendlichen Gesräche mit ihrem Vater sowie ihre anschließenden SelFstgesräche vor dem Ein-schlanen wurden 15 Monate langV von ihrem 18. eFensmonat Fis zum 3. eFens-…ahrV aungezeichnet ŸNelsonV Narratives from the cribV 1989· vgl. auch NelsonºFivush 2004 . Die Entwicklung ihrer Erzählungen wurde von einer Reihe renommierter Wissenschantler analËsiert und seitdem in mehreren BÅchern zum Thema Narration aungegrinnen Ÿvgl. Bruner 1990· chsºas 2001 . Ich stimme Bruners These zuV dass EmilË nicht nur einnach FerichteteV was tagsÅFer geschehen warV sondern ver-suchteV ihren Alltagsernahrungen einen Sinn zu verleihen. Ihre narrativen Fortschritte waren angetrieFen von dem BedÅrnnisV Bedeutung zu schannen. Mitunter roFierte sie mehrere Versionen ausV um eine Fenriedigende Erklärung danÅr zu ondenV warum die Dinge so nunktionierten und nicht anders. Es ist sehr interessant zu sehenV wie sie irgendwann damit FeginntV zeitliche Markierungen wie «weil¬V «immer¬ oder «und dann¬ zu setzenV und wie sie allmählich in der age istV die zeitliche AFnolge in ihren Geschichten korrekt wiederzugeFen.

Die doelte VerarFeitung j d.h. zugleich im ier und etzt und im Dort und Damals zu sein j ist eine notwendige Voraussetzung nÅr ein ErzählenV das ÅFer den Proto-Narrativ einer Floßen andlungsse§uenz in der Gegenwart hinausgeht. Woln

Ÿvgl. 1990  sricht ÅFer die Entwicklung eines auktorialen SelFstV das in einer gegeFe-nen Situation eigenständig genug istV um unterschiedliche Stimmen und Sichtweisen auswählen zu können. Anhand eines Dialogs zwischen einer Mutter und ihrem zwei-…ährigen SohnV der gerade aus dem Kindergarten zurÅck istV zeigt Woln die Fähigkeit des KindesV den KonteÊt zu wechseln Ÿ1990V S. 91 U

74 In Familien mit alleinerziehenden, sozial isolierten oder sehr beschäftigten Eltern kommen Ge-schichten über die Kinder und um sie herum unter Umständen weniger häufig vor. Eine Diskussion der kulturellen Unterschiede in der narrativen Umgebung findet sich auch bei Ochs und Capps (2001).

| 77 | 6.3 Memory Talk

Mother: ere give me the mittens.

(J holds out his hands and his mother tugs off the mittens.) Mother: Those are wet. Did Ëou laË in the snow this anternoon¨

J: We made a snowman. A Fig one.

Mother: 5eah¨ Did Ëou give him a nace¨

J: Rocks h eËes.

(Outside the late afternoon train rolls by.)

J: Train’s coming. [He listens for a minute and then looks back to his mother.] And sticks nor his arms.

Mother: No wonder these mittens are soing.

Woln FeschreiFtV wie Kinder mit der Zeit lernenV an ihrer Ausdrucksweise zu arFeiten und Feim Erzählen mehrere Stimmen und Persektiven einzusetzen. Kinder werden zu ErzählernV die «dasselFe Ereignis¬ aun verschiedene Weise darstellen können· sie lernenV den KonteÊt zu verändernV Zeichensiele zu verwendenV Fiktionen und ima-ginierte Welten zu Fetreten und wieder zu verlassen sowie sich zwischen dem ier und etzt und dem Dort und Damals nrei zu Fewegen. Bevor sie …edoch diese Stune erreichenV lernen sieV sich Geschichten aun kulturell seziosche Arten zu merken und sie aun kulturell seziosche Art zu erzählen.

Im Dokument Leben erzählen – Leben verstehen (Seite 74-77)