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Die Erfindung des Hacktivismus

Im Dokument Reload Disobedience (Seite 80-84)

Übersicht: Fallbeispiele digitalen Ungehorsams 7

1. Symbolischer digitaler Ungehorsam. Politik in einer Welt der Zeichenin einer Welt der Zeichen

2.4. Die Erfindung des Hacktivismus

Was genau den Unterschied zwischen den Bezeichnungen Hacker und Hackti-vist ausmacht und wie sich vor allem letztere Kategorie zu digitalen Formen zi-vilen Ungehorsams verhält, ist eine umstrittene begriffliche Frage. Trotz aller empirischen Forschung und begrifflichen Klärungsversuche ist es bis dato »dif-ficult to draw the line between the two« (vgl. Isin & Ruppert 2015: 146).

Wie die umfangreiche wissenschaftliche Literatur zu beiden Phänomenen er-läutert, ist Hacktivismus der heroische Anwärter auf einen Titel, dessen das Hacking im Laufe der Zeit unwürdig befunden wurde. Wie Isin und Ruppert je-doch auch zum Hacktivismus nüchtern anmerken, sei »the term […] not an elegant one, and it has had a limited traction, probably for that reason« (vgl.

ebd.: 146). Dennoch wird vonseiten der Wissenschaft der Begriff des Hackti-vismus (und nicht des Hackens) bemüht, sofern es um die allgemeine Be-schreibung kreativer, unintendierter oder subversiver Nutzungen von Technolo-gien zur Verfolgung politische Ziele geht.

»[H]acktivism marks a positive, empowering departure from the weaknesses of hacking and a welcome return to fundamental elements of the original hacker ethic. […] Hacktivism adopts the strategy of ›reprogramming systems of ratio-nality‹ by producing its own idiosyncratic uses for the internet’s global reach and informational mode, but in contrast to hacking it has very definite views as to what constitutes social goodness and badness« (Taylor 2005: 627, 634).

Verlässlich ist diese Interpretation damit immer noch keineswegs. Stattdessen zeigt die empirische Sozialforschung »[that] hacktivism is a highly contested concept, used to label diverse tactics and ethical codes not always compatible with each other« (Milan 2015: 2).

Hacktivismus ist zwar ein normativ geprägter Begriff, jedoch orientiert sich sein normativer Gehalt nicht zwangsläufig an Überlegungen aus der Denktradition der politischen Philosophie über zivilen Ungehorsam. Geprägt wurde der Be-griff Hacktivismus eigenen Behauptungen zufolge von der Gruppierung Cult of the Dead Cow, die mit ihren Aktionen unter dem Label Hacktivismo in den 1990er Jahren bekannt wurden. Auf ihrer Webseite beschreibt die Gruppe die Entstehung des Wortes Hacktivism folgendermaßen: »The provenance of hack-tivism winds back to Omega – a longstanding member of the cDc – who star-ted using it as a joke to describe online protest actions. Oxblood appropriastar-ted the word and began using it with a straight face; then many journalists, fading stars of the Left, and eventually script kiddies picked up on it, all claiming to know what hacktivism meant« (Ruffin 2000).

Der Darstellung von Graham Meikle zufolge ist der Begriff des Hacktivismus eher durch Journalisten erfunden worden (vgl. Meikle 2002a: 141), was jedoch nachträglich schwer zu verifizieren ist.

Darüber hinaus lassen sich auch verschiedene Definitionen des Begriffs Hack-tivismus finden. Cult of the Dead Cow definiert ihn als »the use of technology to advance human rights through electronic media« (Cult of the Dead Cow).

Einschlägige medienwissenschaftliche Interpretationen verstehen das Phäno-men als »the combination of hacking techniques with political activism« (Taylor 2005) oder als »activism gone electronic« (Jordan & Taylor 2004: 1). In ihrer Dissertation schlägt Alexandra Samuel eine leicht veränderte Definition vor »as

the nonviolent use of illegal or legally ambiguous digital tools in pursuit of poli-tical ends. These tools include web site defacements, redirects, denial-of-ser-vice attacks, information theft, web site parodies, virtual sit-ins, virtual sabota-ge, and software development« (Samuel 2004). Die Besonderheit von Samuels Begriffsbestimmung ist, dass sie Hacktivismus über das Verhältnis der Aktion zu geltendem Recht definiert, nämlich als illegale oder zumindest aus legaler Sicht ambivalente Aktion. Dieses Kriterium war beispielsweise für Cult of the Dead Cow keineswegs maßgeblich. Aus ihrer Sicht definierte sich Hacktivis-mus über ein Motiv – nämlich jenes, Menschenrechte zu befördern – und nicht über eine rechtliche Dimension. Die verschiedenen Definitionen verhalten sich demnach unterschiedlich zu der Frage, ob und inwieweit Hacktivismus durch die Illegalität der aktivistischen Handlungen definiert wird.

Ebenso divers bleiben normative Implikationen. Nofia Fitri beispielsweise ver-steht Hacktivismus »as one of the important tools to promote the democracy values through the internet« (Fitri 2011: 3), wohingegen Graham Meikle Hackti-vismus normativ eher offen versteht, als »an engaged politics which seeks so-lutions in software in the search for a specific technological fix to a social pro-blem« (Meikle 2002a: 141).

Mindestens ebenso divers wie die Definitionen sind die Antworten auf die Fra-ge, wie genau Hacktivismus in Bezug zu digitalen Formen zivilen Ungehorsams einzuordnen ist. Viele der Kategorisierungen, die in der Literatur zu Hacktivis-mus zu finden sind, zeichnen aus Sicht der politischen Philosophie ein proble-matisches oder zumindest sehr unscharfes Bild. In den allermeisten sozialwis-senschaftlichen Betrachtungen wird elektronischer ziviler Ungehorsam (ein Be-griff, den das Critical Arts Ensemble prägte, wie ich in Kapitel 2.5 erläutern werde) dem Überbegriff des Hacktivismus untergeordnet, so beispielsweise bei Taylor (vgl. Taylor 2005: 635), Vegh (vgl. Vegh 2003) oder Gunkel (vgl. Gunkel 2005). Im Resultat werden digitale oder, wie sie in der frühen Literatur genannt wurden, elektronische Formen zivilen Ungehorsams nicht als eigenständiges Handlungskonzept beschrieben. So ist beispielsweise Dorothy Denning der Meinung, »Hacktivism includes electronic civil disobedience« (Denning 2001a:

263). In ähnlichen Interpretationen wird elektronischer ziviler Ungehorsam als spezielle Form des Hacktivismus, nämlich als »MVDA (Mass Virtual Direct Ac-tion)« (Jordan 2001: 8) charakterisiert und als Hommage an und Adaption von

etablierten Formen des Protests, die unter dem Schlagwort der »non-violent direct action« (ebd.: 8) subsumiert werden. Bodó Balazs geht einen Schritt wei-ter und zeichnet ein Bild, das nahelegt, die beiden Begriffe Hacktivismus und electronic civil disobedience nahezu synonym zu verstehen (vgl. Bodó 2014).

Bei aller begrifflichen Unklarheit der Unterscheidung zwischen Hacktivismus und elektronischem zivilem Ungehorsam ist die Abgrenzung von Hacktivismus gegenüber terroristischen Taten in wissenschaftlichen Untersuchungen meist zweifelsfrei (siehe hierzu Conway 2003; Manion & Goodrum 2000; Dominguez 2008; Furnell & Warren 1999; Vegh 2002; Cassim 2012; Meikle 2002a: 141). Die Debatten um Hacktivismus und Cyberterrorismus werden sogar als die am deutlichsten sichtbaren Debatten um die Implikationen technologischer Innova-tion in den letzten Jahren aufgefasst (vgl. Fitri 2011: 2). Die wissenschaftliche Debatte problematisiert die sicherheitspolitische Perspektive von Behörden und bestimmte Formen massenmedialer Berichterstattung, die Hacktivismus als gewöhnliche kriminelle oder gar terroristische Akte porträtieren (vgl. Meik16 -le 2002a: 141; Benk-ler 2012). Die politische Wirkungsmacht von Hackern und Hacktivisten scheint einer der Gründe zu sein, warum beide Begriffe ins Visier einer auf Sicherheitsfragen fixierten Perspektive geraten. So vermutet Cole-man: »[I]t may be the potency and the politically motivated character of the groups’ actions that prompts the state to so swiftly criminalize them« (Coleman 2014: 394).


Sandor Vegh zeigt beispielsweise in einer Diskursanalyse der amerikanischen Medienlandschaft, wie Hacktivismus kategorisch als Bedrohung und Thema der nationalen Sicherheit konstruiert wird (Vegh 2002). Der symbolische Kampf um die richtige Auslegung dieser Taten im Spektrum zwischen Terrorismus und zivilem Ungehorsam begleitet den Hacktivismus bereits seit seinen Anfängen (vgl. Manion & Goodrum 2000).

Zu einer Zeit, als Taktiken des Hacktivismus noch nicht eindeutig in das Arse-nal krimineller Handlungen fielen, war es eine künstlerisch-aktivistische Verei-nigung, die als Pionier des Hacktivismus bekannt wurde und vor allem jenen Begriff prägte, der das Zusammendenken der digitalen Handlung und der poli-tischen Praxis zivilen Ungehorsams ermöglichte.

Dieser kriminalisierende Bias lässt sich auch in der 2016 erschienenen Studie des Bundes

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-kriminalamtes wiedererkennen (vgl. Reißmann 2014; vgl. Züger & Haase 2016a).

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