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Digitales Whistleblowing

Im Dokument Reload Disobedience (Seite 125-139)

Übersicht: Fallbeispiele digitalen Ungehorsams 7

1. Symbolischer digitaler Ungehorsam. Politik in einer Welt der Zeichenin einer Welt der Zeichen

3.1. Epistemischer Ungehorsam

3.1.3. Digitales Whistleblowing

Der metaphorische Begriff Whistleblowing ist weit entfernt von einer etablierten Definition. Stattdessen bezeichnet er als praktisches Konzept eine wachsende Ansammlung von Handlungen in diesem Feld, deren genaue Zuordnung sich noch im Prozess der Aushandlung befindet (vgl. Davis 2009).

Als Whistleblowing gilt in den USA beispielsweise die Aufdeckung von Steuer-hinterziehung – eine Handlung, die nach dortiger Rechtslage durch eine finan-zielle Gewinnbeteiligung des Whistleblowers befördert wird. Insbesondere in-nerhalb der wirtschaftswissenschaftlichen Debatte wird zwischen internem und externem Whistleblowing unterschieden, wobei ersteres die Weitergabe von vertraulichen Informationen an eine höhere Stelle innerhalb des Unternehmens beschreibt, wohingegen mit externem Whistleblowing die Weitergabe an exter-ne Stellen, etwa die Öffentlichkeit in Form von Medienunterexter-nehmen gemeint ist.

In einer von vielen allgemeinen Definition wird Whistleblowing beschrieben als

»the exposure by people within or from outside an organisation, of significant information on corruption and wrongdoing, that is in the public interest and would not otherwise be publicly available« (Bowden 2005: 2). Eine detailliertere und stärker politisch ausgerichtete Definition von Manohar Kumar beschreibt Whistleblowing anhand von sechs Merkmalen: »i) it is a deliberate act, ii) often done by an insider having access to information and an expertise in assessing the information; iii) the information is directly related to threats to citizens’

rights, their obligations or harm the public interest; iv) it is assumed by the whistleblower that withdrawing such an information from the public is a grave wrong done to the citizens; v) the information is such that the public ought to

know, and vi) it is in form of appeal to the higher authorities, through publicity, with an intention to generate public pressure to correct the wrongs done« (Ku-mar 2013: 129f.).

In bestimmten Fällen der unbefugten Weitergabe von Informationen handelt es sich um Inhalte, die nicht nur nicht zur Veröffentlichung gedacht sind, sondern explizit unter Geheimhaltung stehen, womit ihre Verbreitung einen Loyalitäts-bruch erfordert. Gleichzeitig geht es um Informationen von politischer oder ge-sellschaftlicher Relevanz, die auf ein Fehlverhalten oder eine Fehlentwicklung hindeuten, denen der Geheimnisträger mit der Weitergabe der Informationen abhelfen möchte. In diesen Fällen einer politischen Qualität der Information und einer politischen Qualität der Intention des Geheimnisverräters möchte ich von Whistleblowing sprechen.

Rahul Sagar bezeichnet Whistleblowing in systemischer Hinsicht als Umge-hungslösung, als »mechanism that democracies evidently depend on to com-bat the abuse of state secrecy« (Sagar 2007: 405), wobei nicht den demokra-tisch institutionalisierten Aufsichtsorganen, sondern Bürgern die Tätigkeit der Kontrolle zufällt.


Zahlreiche Nationen können mittlerweile Gesetze zum Schutz von Whistleblo-wern vorweisen (siehe hierzu Wolfe et al. 2014), deren Wirksamkeit anschei-nend jedoch stark von der Güte der tatsächlichen Implementierung und dem politischen Willen zu ihrer Durchsetzung abhängt. In den USA sei dieser ge-setzliche Schutz im Zeitraum von 1994 bis 2011 in nur 3 von 210 verhandelten Fällen von Whistleblowing tatsächlich wirksam geworden (vgl. Andrejevic 2014:

2625).

Ungeachtet dieser nachträglichen zumindest potentiellen Schutzmaßnahmen in spezifischen Fällen erfordert Whistleblowing zunächst einen Akt des Ungehor-sams durch das Veröffentlichen von geheimen Informationen – und aktuelle Beispiele wie der Fall Edward Snowden zeigen, dass Whistleblowing mit hohen persönlichen Risiken und Opfern einhergeht.

Whistleblowing, verstanden als politische Protestpraxis, existierte bereits lange vor der Entstehung des Internets. Obwohl der Begriff Whistleblowing erst in etwa 65 Jahre alt ist, ist die politische Praxis der Veröffentlichung unmorali-scher oder schädlicher Vorgänge wesentlich älter (vgl. Jubb 1999: 77). Whist-leblowing wird jedoch nicht zufällig in der Ära der Digitalisierung virulent. Die

Digitalisierung von nahezu unbegrenzten Datenmengen, von Kommunikations- wie Metadaten, und die erweiterten Möglichkeiten der Datenspeicherung schaffen für die Informationspolitik des 21. Jahrhunderts veränderte Vorausset-zungen, an denen Technologien einen grundlegenden Anteil haben. Digitale In-formationstechnologien vertiefen den gesellschaftlichen Zusammenhang von Wissen und Macht durch einen Zuwachs an Geschwindigkeit, Instantaneität und Reichweite der Informationsverbreitung (Bruns 2014: 166). Die Möglichkeit, diskretes Wissen über das Internet zu verbreiten, steht darüber hinaus neuen Instanzen offen, womit sich eine veränderte Struktur der Informationsökonomie entwickelt und das Gerücht, also die nicht bestätigte Information, zum »modus operandi dieser neuen zwischen Legitimität und Illegitimität situierten Wissens- und Informationspolitiken der Medien« (ebd.) wird.

»The dynamics of digitalization have continuously extended the opportunities for the creation, reproduction, and distribution of documents in a variety of formats – not only text but also pictures and videos can now easily be captu-red and edited in sophisticated ways, often equivalent to the products of media professionals« (Bieber 2013: 324). Digitale Informationsverarbeitung bringt Möglichkeiten der Vervielfältigung, Verbreitung und Analyse von Daten mit sich, die Informationen zu einem fließenden Gut werden lassen, dessen Kontrolle, Eindämmung und Erfassung zu einer entscheidenden Herausforderung gewor-den ist. Christoph Bieber prognostiziert, dass diese Explosion der digitalen Da-tenmassen eine Informationsökonomie zur Folge haben wird, die grundlegend auf Leaks, also dem Durchsickern von geheimen Daten aufbaut.

Parallel zu der technischen Entwicklung der Digitalisierung wurde im Laufe der 1990er Jahre Transparenz als politischer Wert zu einem Mantra der Gegenwart.

So ist die Rede von einer Transparenz-Bewegung (vgl. ebd.: 330) und sogar einem ›Zeitalter der Transparenz‹ (vgl. Sifry 2011), die zwar nicht allein durch digitale Technologien eingeleitet worden seien, jedoch nur mit ihnen im heute existierenden Ausmaß möglich seien. Mitte der 1990er Jahre erreichte der Be-griff der Transparenz seinen Höhepunkt als Schlagwort der westlichen Informa-tionspolitik – und zwar gerade deshalb, weil der Transparenzbegriff ein ambiva-lenter und vielschichtiger ist (vgl. Ziccardi 2013: 7). »The desire for transparen-cy and freedom is an effect of repression not of the Internet, yet the Internet remains the unique factor in this epoch« (York et al. 2013: 233).

Für die verschiedenen Modelle und Dienste, die es Whistleblowern ermögli-chen sollen, anonym Informationen an Medieninstitutionen zu übermitteln, sind Privacy Enhancing Technologies (PETs) eine entscheidende technische Errun-genschaft.

Whistleblowing-Plattformen, die in unterschiedlicher Weise und in unterschied-lichen Graden der Verknüpfung mit journalistischen Institutionen verbunden sind, nutzen diese Technologien zunehmend. Hinsichtlich der Datensicherung und übermittlung sind PETs prägender und essentieller Bestandteil der Praxis des Whistleblowings wie auch des investigativen Journalismus insgesamt ge-worden, indem sie die Anonymität des Handelnden begünstigen (vgl. Bodó 2014: 1).

Eine erste Plattform für Whistleblower, die bereits seit 1994 besteht, ist cryp-tome.org. Betreiber der Webseite sind die Architekten John Young und Debo-rah Natsios. Cryptome.org ist ein bis heute aktives Archiv von bis dato 101.500 Dokumenten, die auf Webservern in den USA beherbergt sind. Veröffentlicht werden allein Dokumente als PDF- oder HTM-Datei, ohne Berichterstattung und Kontextualisierung, mit jeweils nicht mehr als dem Titel und Datum der Veröffentlichung. Young und Natsios bekunden:

»Cryptome welcomes documents for publication that are prohibited by gov-ernments worldwide, in particular material on freedom of expression, privacy, cryptology, dual-use technologies, national security, intelligence, and secret governance – open, secret and classified documents – but not limited to those.

Documents are removed from this site only by order served directly by a US court having jurisdiction. No court order has ever been served; any order served will be published here – or elsewhere if gagged by order. Bluffs will be published if comical but otherwise ignored« (Cryptome.org).

Zur Anonymisierung des Absenders von Dokumenten bietet Cryptome keinen digitalen Briefkasten, also kein vorgefertigtes Formular oder Ähnliches an, son-dern einen öffentlichen PGP-Schlüssel, der Whistleblowern dazu dient, eine E-Mail über Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu kodieren. Mit dem Hinweis auf die mögliche Löschung von Informationen, sofern ein Gerichtsbeschluss diesbe-züglich erlassen werde, distanzieren sich die Betreiber der Webseite von der

Absicht, willentlich und wissentlich einen Rechtsbruch zu begehen, und damit auch vom zivilen Ungehorsam. Zugleich besteht ein großer Unterschied zu an-deren Portalen darin, dass Cryptome lediglich Dokumente veröffentlicht. Durch die Betreiber werden diese weder analysiert noch werden ihre Implikationen und Aussagen verdichtet oder wird ihre Authentizität geprüft. Als reines Archiv geleakten Materials erregt Cryptome daher wesentlich weniger Aufsehen als Plattformen wie WikiLeaks, die deutlicher bestrebt sind, die öffentliche Funkti-on einer MedienorganisatiFunkti-on zu erfüllen.

Young gehörte, wie Assange, zur Cypherpunk-Bewegung, die wir bereits vom Fall des International Arms Trafficker kennen und auf die ich in Kapitel 3.2.2 er-neut zurückkommen werde. Er war an der Entstehung von WikiLeaks beteiligt, distanzierte sich jedoch später von jener Initiative, die nachhaltig zur Etablie-rung von Whistleblowing als Form digitalen Ungehorsams beigetragen hat.

3.1.4. WikiLeaks

WikiLeaks wurde 2006 von Julian Assange gegründet und etablierte sich bis heute als bekannteste Whistleblowing-Plattform (vgl. Christensen 2014: 2553), an deren Entwicklung Implikationen, Probleme, Chancen und Risiken des digi-tal unterstützten Whistleblowings paradigmatisch sichtbar werden.

WikiLeaks ist ein größtenteils spendenfinanzierter digitaler Dienst, »[which]

specializes in the analysis and publication of large datasets of censored or oth-erwise restricted official materials involving war, spying and corruption. It has so far published more than 10 million documents and associated analyses« (WikiLeaks.org 2015).

Die bereitgestellten Daten erhält WikiLeaks auf technischem oder anderem Wege von anonymen Whistleblowern. Das erklärte Ziel von WikiLeaks, das auf der eigenen Webseite als »multi national media organization« beschrieben wird, ist »to bring important news and information to the public« (WikiLeaks.org 2011). WikiLeaks erhebt also den Anspruch, als Institution des investigativen Journalismus verstanden zu werden (vgl. Bieber 2013: 323). Aus Sicht der Wis-senschaft wird jedoch argumentiert, WikiLeaks sei trotz dieses Selbstverständ-nisses eine unterbestimmte Organisation: Es handelt sich weder um eine pri-vatwirtschaftliche Firma noch um eine NGO (Nichtregierungsorganisation), we-der um eine soziale Bewegung noch um ein politisches Kollektiv (vgl. ebd.:

323; vgl. Lovink & Riemens 2013: 251). WikiLeaks ist der Überzeugung »[that]

[p]ublishing improves transparency, and this transparency creates a better so-ciety for all people. Better scrutiny leads to reduced corruption and stronger democracies in all society’s institutions, including government, corporations and other organisations« (WikiLeaks.org 2011). Dabei bezieht sich WikiLeaks auf Artikel 19 der Universal Declaration of Human Rights und beansprucht für sich, »high-end security technologies with journalism and ethical principles« zu kombinieren (ebd.). Von der anfänglichen Absicht, dem kollaborativen und of-fenen Arbeitsmodell der Wikipedia zu folgen, hat WikiLeaks mit den Jahren im-mer mehr Abstand genommen (vgl. Snickars 2014: 2666f.).

Die Entwicklung der Arbeitsweise von WikiLeaks hat sich seit der Gründung über mehrere Phasen verändert. Christian Christensen beschreibt drei Phasen:

(1) Von 2006 bis 2009 sei WikiLeaks vornehmlich eine unabhängige Alternative zu Mainstream-Medien gewesen, (2) von 2009 bis 2011 habe es eine Phase der Anpassung an die Konventionen der Mainstream-Medien durch Kooperati-on gegeben, (3) während die Jahre vKooperati-on 2012 bis heute vKooperati-on einer anhaltenden Abgrenzung und Attackierung der Massenmedien geprägt seien (vgl. Christen-sen 2014: 2553). Besonders in der zweiten Arbeitsphase konnte WikiLeaks über eine vorsichtig orchestrierte Kollaboration mit einigen etablierten Medien-institutionen wie Le Monde (Frankreich), The Guardian (UK), The New York Ti-mes (USA) und Der Spiegel (Deutschland) einen bleibenden Einfluss etablieren (vgl. Wahl-Jorgensen 2014: 2588). Begleitet werden die Veröffentlichungen un-abhängig von diesen Kooperationen durch Nachrichten von WikiLeaks über soziale Medien wie Twitter (Lindgren & Lunström 2011).

Die frühe Phase der WikiLeaks-Veröffentlichungen brachte – trotz einer gerin-geren medialen Aufmerksamkeit im Vergleich zu den späteren Phasen – beein-druckende Informationen ans Licht, wie die Geldwäsche der Schweizer Bank Julius Bär, den Korruptionsverdacht innerhalb der Weltgesundheitsorganisation oder massive Umweltverschmutzungen an der Elfenbeinküste.

Für die Fallsammlung dieser Arbeit ist nicht WikiLeaks selbst als Plattform Ak-teur des Ungehorsams, da nicht die Veröffentlichung von sensiblen oder ge-heimen Daten, sondern ihre Weitergabe einen Rechtskonflikt darstellt (vgl.

Kaye 2015). Dennoch ist Julian Assange als Betreiber von WikiLeaks von der amerikanischen Justiz u.a. der Verschwörung angeklagt worden, und das

ob-wohl beispielsweise der Bericht des UN-Berichterstatters Kaye feststellt:

»[U]nder no circumstance, journalists, members of the media or members of civil society who merely disseminate public information classified as reserved, because they consider it to be of public interest, may be subjected to subse-quent punishments for the mere fact of publication« (ebd.: 16). Nach Auffas-sung von Kaye erzeugt diese Anklage »serious and substantial concerns for the fundamental rights of freedom of expression and association« (ebd.). Damit sind die Arbeit von WikiLeaks als Organisation und die Handlungen von Julian Assange als Person einerseits durchaus im Feld des digitalen Ungehorsams zu verorten weil sie epistemischen Ungehorsam offenkundig forcieren und Wiki-Leaks als schützende Infrastruktur und aktive Organisation diesen erst möglich macht. Andererseits sind die Stukturen und Arbeitsweisen von WikiLeas so vielschichtig und komplex, dass sie sich einer klaren vollumfänglichen Ein-schätzung entziehen. Dennoch stellt dieser Abschnitt im Folgenden zumindest dar, wie die Arbeit vor WikiLeaks bislang beschrieben und in der wissenschaft-lichen Debatte bewertet wurde. Assanges Handlungen als Individuum zeugen von so uneindeutigen Verstrickungen, dass die rechtlichen Vorwürfe gegen ihn schwer differenzierbar sind. Letztlich ist kaum zu identifizieren, worin genau ein Akt zivilen Ungehorsams von Assanges bestehen könnte, da die Gründe für Sanktionen gegen ihn uneindeutig bleiben und wie erwähnt die journalistische Veröffentlichung von geheimen Informationen zumindest für die amerikanische Justiz keine Straftat darstellt. Auch Assanges Verbleib in der equadorianischen Botschaft, wo ihm seit Juni 2012 Asyl gewährt wird, ist nicht eindeutig als Kon-sequenz staatlicher Politik und drohender rechtlicher Sanktionen zu identifizie-ren.

Eine Beurteilung der Whistleblower wie Chelsea Manning, die WikiLeaks ge-heime Informationen zuspielte, ist hingegen eindeutiger möglich.

Der Durchbruch, der WikiLeaks zu einem international bekannten und auch wissenschaftlich diskutierten Phänomen machte, kam mit dem sogenannten Collateral Murder Video, das am 5. April 2010 veröffentlicht wurde. Das Video zeigt die Tötung von mehr als 12 Zivilisten durch amerikanische Streitkräfte in Bagdad im Juli 2007, wobei unter den Getöteten auch Journalisten der Nach-richtenagentur Reuters waren.

Stellvertretend für vergleichbare Akte anonymen Whistleblowings, bei denen die Ungehorsamen selbst der Öffentlichkeit verborgen bleiben, betrachte ich den Fall von Chelsea Manning, einer damals im Irakkrieg eingesetzten ameri-kanischen Soldatin, die WikiLeaks das Video und tausende Dokumente über-mittelte, als Akt epistemischen Ungehorsams, der durch und mit digitalen Technologien umgesetzt wurde (Nr. 20). Die Materialien, die Manning bereit-stellte, werden zum Teil unter dem Titel War Logs archiviert und öffentlich ge-macht und beinhalten Ereignisberichte, Informationen über Gefangene in Gu-antanamo sowie zahlreiche Schriftwechsel des US-amerikanischen Außenmi-nisteriums. WikiLeaks argumentiert, dass die Dokumente wesentlich mehr zivile Opfer belegen, die durch US-amerikanische Streitkräfte zu Tode kamen, als von den US-Behörden publik gemacht wurde (vgl. Barnes 2013). Manning war seit 2009 als Analystin im Irak stationiert und wurde dort im Mai 2010 festge-nommen, da ihre Identität und ihre Informationsweitergabe an WikiLeaks durch den Hacker Adrian Lamo an die Spionageabwehr des amerikanischen Militärs preisgegeben wurde. Im August 2013 wurde Manning zu 35 Jahren Haft verur-teilt.

Ein Punkt, für den WikiLeaks mehrfach in Kritik geraten ist, ist die eigene jour-nalistische Arbeitsweise unter Julian Assange, die in weiten Teilen von Konven-tionen bisheriger journalistischer Praxis abweicht. »[T]o a journalist and publis-her, questions persist as to the lines he draws between source, reporter and publisher. This is a line increasingly blurred by the Internet-led methodology deployed by WikiLeaks« (Hart & Castillo 2011: 1). Ein besonders umstrittener Punkt an der Arbeitsweise von WikiLeaks ist die teilweise fehlende Editierung der Daten, die auch bei der Veröffentlichung der Iraq War Logs kritisiert wurde (vgl. Barnes 2013). Die redaktionelle Bearbeitung von Dokumenten zum Schutz Dritter verfolgt WikiLeaks zumindest inkonsistent, so dass viele Dokumente ungefiltert und unzensiert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, was

Kritikern zufolge eine Gefahr darstellt. Einerseits geraten so private Belange 37 (beispielsweise von Sony-Mitarbeitern im Zuge der Veröffentlichung von The Sony Archives) in die Öffentlichkeit. Bislang konnte WikiLeaks argumentieren, dass keine Gefährdung der nationalen Sicherheit der USA durch WikiLeaks-Veröffentlichungen belegt werden konnte. »[T]he State Department has stead-fastly refused to describe any situation in which they’ve felt a source’s life was in danger. They say a handful of people had to be relocated away from danger but won’t provide any details on those few cases« (Klapper 2011). Zeynap Tu-fekci beschuldigte WikiLeaks im Juli 2016 jedoch, türkische Frauen durch die Erdogan-E-Mails, die die Plattform unzensiert veröffentlicht hatte, ohne Grund in Gefahr gebracht zu haben (Tufekci 2016). Nach Tufekcis Ansicht stammen die veröffentlichten E-Mails tatsächlich nicht aus inneren Regierungskreisen, sondern bilden ausschließlich private Kommunikation ab. Sie bezeichnet die Veröffentlichung daher als »irresponsible, of no public interest and of potential danger to millions of ordinary, innocent people, especially millions of women in Turkey« (ebd.).

Einerseits scheint WikiLeaks sich mit der Forderung nach Implementierung ei-nes Editierungsprozesses auseinandergesetzt zu haben. So beschreibt Wiki-Leaks beispielsweise einen Prozess der Schadensminimierung auf der eigenen Website: »As the media organisation has grown and developed, WikiLeaks has been developing and improving a harm minimisation procedure. We do not censor our news, but from time to time we may remove or significantly delay the publication of some identifying details from original documents to protect life and limb of innocent people« (WikiLeaks.org 2011).

Andererseits machen Äußerungen von WikiLeaks-Mitarbeiten deutlich, dass das unzensierte Veröffentlichen von Daten allgemein als Teil des programmati-schen Transparenzideals von WikiLeaks intendiert ist (vgl. Heise Online 2014).

Beispielsweise im Fall der Veröffentlichungen von diplomatischen Depeschen im November

37

2010 unter dem Namen Cablegate wurden die Daten nach Aussage von WikiLeaks unbeab-sichtigt komplett veröffentlicht. Grund des Missgeschicks sei eine versehentliche Preisgabe des Verschlüsselungscodes in einer Veröffentlichung von David Leigh, der als Journalist für The Guardian tätig war. Leighs eigenen Aussagen zufolge ist ihm versichert worden, dass der Zu-gang über die URL, die er abdrucken ließ, nicht mehr möglich sei, so dass die Vermutung be-steht, dass WikiLeaks selbst die unzensierte Veröffentlichung forcierte oder zumindest in Kauf nahm. Sei es Missgeschick oder Absicht, die Folge dieses Ereignisses war der Rückzug der bisherigen Medienpartner, die nun der Meinung waren, WikiLeaks habe die Kontrolle über seine Daten verloren (vgl. Lievrouw 2014).

Verantwortung sei in diesem radikalen Verständnis von Transparenz nur zu er-reichen durch die Konfrontation mit »huge and incontrovertible stocks of evi-dence that interconnect to create a total, systematic picture of wrongdoing or exploitation« (Daly 2014).

Der Darstellung von Geert Lovink und Patrice Riemens zufolge hängt diese redaktionelle Inkonsistenz mit einem variierenden Selbstverständnis der Organ-isation zusammen: »One of the main difficulties with explaining WikiLeaks aris-es from the fact that it is unclear (also to the WikiLeaks people themselvaris-es) whether it sees itself and operates as a content provider or as a simple conduit for leaked data (the impression is that it sees itself as either/or, depending on context and circumstances)« (Lovink & Riemens 2013: 247).

Diese Positionierung führt unter anderem dazu, dass WikiLeaks in einem Spannungsverhältnis zu bestehendem investigativem Journalismus und des-sen Konventionen und Paradigmen gesehen wird (vgl. Wahl-Jorgendes-sen 2014:

2581). Während manche die Arbeit von WikiLeaks problemlos unter existieren-de Definitionen existieren-des Journalismus subsumieren, plädieren anexistieren-dere dafür, Wiki-Leaks als radikale Transformation des Journalismus zu interpretieren. Barbara Thomaß hebt hervor, dass es trotz der neuen journalistischen Arbeitsprozesse, die WikiLeaks praktiziert, die konventionellen Medienorganisationen seien, die als Gatekeeper die gewonnene Information der Öffentlichkeit vermitteln (vgl.

Thomaß 2011: 22).

Zugleich lässt sich die Entstehung von WikiLeaks als Symptom des (zumindest

Zugleich lässt sich die Entstehung von WikiLeaks als Symptom des (zumindest

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