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Barret Brown

Im Dokument Reload Disobedience (Seite 121-125)

Übersicht: Fallbeispiele digitalen Ungehorsams 7

1. Symbolischer digitaler Ungehorsam. Politik in einer Welt der Zeichenin einer Welt der Zeichen

3.1. Epistemischer Ungehorsam

3.1.2. Barret Brown

Barrett Brown wurde ebenfalls mit dem Stratfor-Hack in Verbindung gebracht, war aber selbst nur als Journalist involviert. Er schrieb als freier Journalist für

die Huffington Post und den Guardian und recherchierte bereits länger über Verflechtungen zwischen staatlichen Institutionen und privaten Sicherheitsfir-men. Auf der Online-Rechercheplattform Project PM, die Brown zur kollabora-tiven Datenanalyse mit anderen Journalisten ins Leben gerufen hatte, postete er den Link zu den beim Stratfor-Hack entwendeten Daten. Daraufhin wurde Brown zunächst in 17 Anklagepunkten zumeist auf Grundlage des US ameri-kanischen Computer Fraud and Abuse Act angeklagt (vgl. Coleman 2015a).

Ihm drohten 105 Jahre Haft (vgl. Richter 2015: 117). Brown resümiert in einem Interview: »Selbst die sonst eher leichtgläubigen Mainstream-Medien began-nen langsam nachzufragen, was wohl die wahren Beweggründe für meine An-klage seien, so sehr häuften sich die Absurditäten. Als Unterstützer Geld für meine Verteidigung sammelten, versuchte die Regierung, diese Mittel zu be-schlagnahmen. Als ich mich an die Presse wandte, um Sachfehler seitens der Regierung publik zu machen, wurde ich, was meinen Fall betrifft, mit einem Redeverbot belegt. Wie das Gerichtsprotokoll dieser Sitzung belegt, hat die Anklage doch tatsächlich den Richter gebeten, mir jede Kritik an der Regierung zu untersagen – ich schrieb damals aus dem Gefängnis Artikel für den Guardi-an und Guardi-andere Publikationen« (ebd.: 129).

Letztlich hatten nur drei der 17 Anklagepunkte Bestand. Browns Strafe von insgesamt 63 Monaten Haft und 890.000 US-Dollar Entschädigung an Stratfor beruht auf der Anklage wegen Bedrohung eines FBI-Beamten per Video, Be-hindern einer Hausdurchsuchung (Brown versteckte mit seiner Mutter einen Laptop) und Beihilfe zum Stratfor-Hack, da Brown beispielsweise die Identität von Hammond gegenüber den Vermittlern verschleierte (vgl. Kühl 2015a). Au-ßerdem wirkte es sich strafschärfend aus, dass Brown Stratfor nach dem Hack per Telefon angeboten hatte, »gemeinsam mit den Hackern alle Inhalte zu schwärzen, die ihre in Diktaturen lebenden Geschäftspartner gefährden könn-ten« (Richter 2015: 130). Brown bekundete während seines Prozesses, dass er einige seiner Entscheidungen bereue. Seine politischen Motive lassen sich aus vielen seiner Artikel und Statements herauslesen, so schreibt er beispielsweise:

»Die Institutionen dieser Republik sind kaputt und niemand wird sie von innen heraus reparieren. Mit der Zeit, wenn immer mehr der potentiellen Opfer dieses Staates hier im eigenen Land und im Ausland diesen Umstand begriffen haben, werden sich Lösungen abzeichnen« (ebd.: 130). Obwohl sich in Browns Fall

seine Überzeugung herauskristallisiert, dass diese Lösungen nicht ohne das aktive Zutun und politische Eingreifen von Bürgern zu erreichen sein werden, ist die Einordnung seines Handelns als ziviler Ungehorsam nicht ganz offen-sichtlich. Sein initialer Akt, den Link zu den erbeuteten Daten des Stratfor-Hacks zu teilen, stellt im Ergebnis der juristischen Prüfung und öffentlichen Debatte keine Straftat dar, sondern muss ähnlich wie im Fall der Landesver-ratsanschuldigungen gegen Netzpolitik.org (siehe hierzu Siegler 2016) von 36 den jeweiligen Regierungen als ein Teil legitimer journalistischer Arbeit unter dem Schutz der Pressefreiheit akzeptiert werden. Die faktischen Konsequen-zen, die sowohl Brown als auch Netzpolitik.org erfuhren, rücken diese Hand-lungen jedoch in ein anderes Licht. Erstens fällt die Frage, welche Formen der Veröffentlichung geheimer Informationen sich als ziviler Ungehorsam deuten lassen, mit der Frage zusammen, welche Art von journalistischer Arbeit durch die Pressefreiheit geschützt wird. Nur aufgrund der Tatsache, dass sowohl Brown als auch die Autoren von Netzpolitik.org als Journalisten anerkannt wer-den, stehen ihre Veröffentlichungen unter dem Schutz des Gesetzes. Weiter lässt sich argumentieren, dass dadurch, dass Staaten selbst durch Anklageer-hebung wie im Fall Brown oder Drohungen wie im Fall von Netzpolitik.org die-sen Schutz der journalistischen Arbeit in Frage stellen, ein wedie-sentlich unklare-res Szenario entsteht. In diesem haben beide Akteure, sowohl Brown als auch Netzpolitik.org, keinen bewussten und absichtlichen Akt zivilen Ungehorsams begangen, da vermutlich beide davon ausgingen, dass ihre investigative Arbeit geschützt sei. Die nachfolgenden Sanktionen der Regierungen rücken die bei-den Fälle jedoch durchaus rückblickend in die Nähe des zivilen Ungehorsams.

Sie veranschaulichen, dass ziviler Ungehorsam eben nie eine feststehende Ka-tegorie ist, sondern nur unter Berücksichtigung des politischen Kontextes und seiner Entwicklung sinnvoll von einem solchen gesprochen werden kann. In je-dem Fall veranschaulicht die Landesverratsaffäre um Netzpolitik.org, wie Jea-nette Hofmann schreibt, »an increasingly contested relationship between

Im Februar und April 2015 veröffentlichte Netzpolitik.org jeweils geheime Dokumente, die

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Pläne des Verfassungsschutzes zum Ausbau seiner Spionagekapazitäten belegen. Gegen die beiden Betreiber der Plattform, Markus Beckedahl und Andre Meister, wurde darauf eine An-zeige wegen Landesverrats gestellt, die eine mehrjährige bis lebenslange Haft zur Folge haben kann (vgl. Siegler 2016).

dom of expression, democracy and national security that affects not only this country but all digital societies« (Hofmann 2015).

Weil die Interpretation als ziviler Ungehorsam selbst auch als Kennzeichnung eines kriminellen oder kriminalisierten Aktes zu lesen ist und diese Lesart mög-licherweise dieses prekäre Verhältnis, das Hofmann beschreibt, verstärkt, neige ich in Bezug auf Netzpolitik.org zu der Interpretation, die Veröffentlichung der geheimen Budgetaufstellungen des Bundesnachrichtendienstes nicht als Akt zivilen Ungehorsams zu beschreiben (auch wenn diese Deutung für eine ge-wisse Zeit in Gefahr war). Zugegebenermaßen strategisch und optimistisch will ich hier die journalistische Veröffentlichung geheimer Daten mit politischem Wert wie im Fall von Netzpolitik.org als im deutschen Rechtssystem völlig lega-len und legitimen Ausdruck der Pressefreiheit verteidigen. Angesichts der nachträglichen Zurücknahme der Anschuldigungen und der Einstellung des Ermittlungsverfahrens lässt sich zumindest hoffen, dass investigativer Journa-lismus auch weiterhin von der deutschen Regierung als Form legitimer demo-kratischer Kontrolle gewürdigt wird und vergleichbare Sanktionsmaßnahmen keine Wiederholung oder gar Verbreitung erleben.

Browns Fall lässt weniger Optimismus zu. Auch wenn die tatsächlichen Ankla-gepunkte wenig mit der ursprünglichen Tat der Veröffentlichung zu tun haben, erscheinen sie im Gesamtkontext als Sanktion von Browns Anliegen, geheime Aktivitäten, die dem Wohl einer Gemeinschaft entgegenstehen, der öffentlichen Debatte zugänglich zu machen. Damit lässt sich für die Veröffentlichung zu-mindest rückblickend eine Bewertung als ziviler Ungehorsam vertreten – was jedoch völlig losgelöst von seinen weiteren Handlungen (wie der Bedrohung eines Polizeibeamten) zu sehen ist. Wie beide Affären deutlich machen, lässt sich in Bezug auf den politischen Umgang mit geheimen Informationen eine Entwicklung dahingehend erkennen, dass sich die gezielte Verbreitung oder Übermittlung geheimer Informationen zwar als mächtige politische und wissen-schaftlich zunehmend anerkannte Praxis etabliert, dass diese Verlagerung epistemischer Macht zugunsten von Bürgern jedoch zugleich massive Reaktio-nen der betreffenden Staaten nach sich zieht. Die Rede ist in diesem Kontext vom »Leaking« (Bruns 2014), »truth telling« (Mansbach 2009) oder, wie diese Form des epistemischen Ungehorsams am häufigsten genannt wird, vom Whistleblowing. 


Obwohl Whistleblower im Vergleich zu Hammond zumeist bereits in einer Posi-tion sind, die ihnen eine privilegierte Einsicht in geheime InformaPosi-tionen erlaubt, können Technologien heute für die Praxis des Whistleblowings in anderer Wei-se eine entscheidende Rolle spielen. Besonders in Form von VerschlüsWei-se- Verschlüsse-lungswerkzeugen haben digitale Technologien entscheidend zur Entwicklung des Whistleblowings als zunehmend relevanter politischer Praxis beigetragen, weshalb Whistleblowing heute als »the new civil disobedience« (boyd 2013) beschrieben wird.

Im Dokument Reload Disobedience (Seite 121-125)