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Electronic Civil Disobedience

Im Dokument Reload Disobedience (Seite 84-89)

Übersicht: Fallbeispiele digitalen Ungehorsams 7

1. Symbolischer digitaler Ungehorsam. Politik in einer Welt der Zeichenin einer Welt der Zeichen

2.5. Electronic Civil Disobedience

»Whether you know it or not, if you are a hacker you are a revolutionary. The question is, a revolutionary for what cause?« (Ensemble 1996: 15). Die konzep-tuelle Verbindung zwischen zivilem Ungehorsam und Hacking wurde Mitte der 1990er Jahre durch das Critical Art Ensemble (CAE) hergestellt, ein US-ameri-kanisches aktivistisches Künstlerkollektiv, das durch seine Veröffentlichung Electronic Civil Disobedience and other unpopular ideas (vgl. ebd.) einen stän-digen Referenzpunkt des entstehenden Diskurses um Formen des Ungehor-sam im Internet schuf.

Die ersten gedanklichen Gehversuche des Ungehorsams entstanden abseits des politischen Mainstreams und abseits der Diskurse der Massenmedien.

Stattdessen etablierten sie sich in einem künstlerischen Schutzraum, der wo-möglich die notwendige Voraussetzung für das konzeptuelle Erproben dieses neuen Ungehorsams ist.

Das CAE selbst wurde 1987 in Tallahassee in Florida gegründet, mit dem Ziel der Erkundung »of the intersections between art, critical theory, technology, and political activism« (Critical Art Ensemble). Das Ensemble und dessen Mit-glieder wurden durch öffentliche künstlerische Performances bekannt und ar-beiteten im wissenschaftsnahen Umfeld beispielsweise der New York Universi-ty.

In Texten bringt das CAE zum Ausdruck, wen oder eher was elektronischer zivi-ler Ungehorsam aus ihrer Sicht adressiert: Er richte sich gegen die hegemonia-len Strukturen des »late capitalism« (Ensemble 1996: 4) und gegen autoritäre Macht (vgl. ebd.: 22). Diese hegemonialen Strukturen seien jedoch nicht länger dort greifbar, wo sich ihre Handlungsmacht sichtbar manifestiere. Das CAE diagnostiziert: »Even though the monuments of power still stand visibly present in stable locations, the agency that maintains power is neither visible nor sta-ble« (vgl. ebd.: 4). Das Kollektiv formuliert ein Narrativ des zivilen Ungehor-sams, dem zufolge er einst Mittel des Aufstands gegen Festungen war, später zum Anstoß für Reformen von Institutionen wurde und nunmehr eine neue Wandlungsstufe erreicht hat. Elektronischer ziviler Ungehorsam sollte in die-sem Sinne eine Neuerfindung des zivilen Ungehorsams sein, dessen traditio-nelle Methoden das CAE als überholt ansah. Die methodische Kritik richtet sich

an linke Aktivisten, denen das CAE vorwarf, diesem Wandel des hegemonialen Systems im Spätkapitalismus durch ihre Widerstandshandlungen nicht gerecht zu werden. Beschrieben wird ein Schisma zwischen Theorie und Praxis, wobei sich das CAE auf der Seite einer theoretischen Einsicht verortet, die den Wdel des kapitalistischen Systems klar vor Augen hat, während es den linken an-tikapitalistischen Aktivismus auf der nostalgisch verklärten blinden Seite der Praxis sieht (vgl. ebd.: 10).

Was den zivilen Ungehorsam aus der Sicht des CAE begründet, ist nicht ein einzelnes politisches Ziel, sondern eine fundamentale Kritik der vorherrschen-den Verhältnisse.

»[T]he question of who or what is in control cannot be answered. Power itself cannot be seen; only its representation appears. What lies behind the repre-sentation is lost. The location and nature of cynical power is purely a matter of speculation. Macro power is known only as a series of abstractions such as

›straight white males‹, ›the ruling class‹, or best of all, the powers that be.

Macro power is experienced only by its effects, and never as a cause. Conse-quently, certain indicators must be used to determine what is of value to pow-er, or to find the (non)location of power. The assumption here is that key indica-tors of power-value are the extent to which a location or a commodity is de-fended, and the extent to which trespassers are punished« (ebd.: 12).

Die klare Botschaft ist: Der Cyberspace, wie die CAE-Aktivisten bzw. theoreti-ker das Internet nennen, ist der Schauplatz der Wahl, weil er wohlbehütet sei und verteidigt werde – sowohl von Regierungsbehörden als auch von privaten Akteuren. Der Cyberspace wird als prekärer Ort beschrieben, in dem jeder un-befugte Zutritt aufs Äußerste verfolgt und bestraft wird und Intentionen und po-litische Ziele keine Rolle spielen (vgl. ebd.: 15). Die Pioniere des unbefugten Zutritts seien tragischer- und ironischerweise Kinder, also junge Hacker, die sich ihres politischen Handelns nur bedingt bewusst seien. Ihre Motivation je-doch sei eindeutig: der freie Zugang zu Information. Der Ansatzpunkt dieser jungen Aktivisten sei der richtige, doch fehle ihnen die kritische Sensibilität, die sie im politischen Kampf beständig machen könne. Der Staat ist in dieser Dar-stellung der Antagonist der jungen Hacker. Um seine harten Strafen zu

recht-fertigen, müsse er ein Narrativ bilden, welches die Öffentlichkeit in Angst ver-setze: jenes des terroristischen Hackers, der von Computerkriminellen nicht zu unterscheiden ist.

Für elektronischen zivilen Ungehorsam sei diese Unterscheidung essentiell.

»While the computer criminal seeks profit from actions that damage an indivi-dual, the person involved in electronic resistance only attacks institutions. Un-der the rubric of electronic resistance, the value system of the state (to which information is of higher value than the individual) is inverted, placing informati-on back in the service of people rather than using it to benefit institutions« (ebd.: 17). Eine Forderung war daher, dass Akte von elektroni-schem zivilem Ungehorsam nicht wie Cyberkriminalität bestraft werden, son-dern wie vergleichbare physische Formen zivilen Ungehorsams. Bemerkens-wert ist diese Forderung vor allem, weil sie sich auf Praktiken bezieht, die nicht konkret benannt werden, kaum erprobt, geschweige denn etabliert sind.

Das CAE scheint durch seine Argumentation eine Vision zum Leben erwecken zu wollen, wenn es schreibt: »The strategy and tactics of ECD should not be a mystery to any activists. They are the same as traditional CD« (ebd.: 18). Elek-tronischen zivilen Ungehorsam beschreiben die Autorinnen und Autoren in sei-ner wesenhaften Natur als gewaltlos, da es keine physische Konfrontation gebe. Ihre Ausführungen klingen heute, als beschriebe der CAE damals ein existierendes, feststehendes Konzept und nicht ein Phänomen, das sie selbst erst gedanklich entwarfen.

Die Verbindung von elektronischem zivilem Ungehorsam mit herkömmlichen Spielarten zivilen Ungehorsams wird nicht theoretisch, sondern über eine Ana-logie der aktivistischen Praxis hergestellt. Auch wenn die Vorstellung des elek-tronischen zivilen Ungehorsams, die das CAE entwarf, in den allermeisten wis-senschaftlichen Auseinandersetzungen unbesehen als digitales Äquivalent physischer Formen des zivilen Ungehorsams beschrieben wird, gibt es An-haltspunkte, diese Gleichsetzung zu hinterfragen. »There were certain continui-ties with the established traditions of civil disobedience, such as the use of tre-spass and blockades as central tactics. However, there were also certain dis-continuities, such as the emphasising of mass participation in favour of de-centralised, cell-based organisation, using small groups of from four to ten

ac-tivists, and in particular the argument that electronic civil disobedience should be surreptitious, in the hacker tradition« (Meikle 2010: 367).

Die Adaption der Idee von bestimmten Taktiken ist der Hauptanknüpfungs-punkt zum bisherigen Bild des zivilen Ungehorsams, wobei der bereits beste-hende Diskurs der politischen Philosophie seitens des CAE größtenteils aus-geblendet wird (vgl. 2009: 179).

»As in CD, the primary tactics in ECD are trespass and blockage« (Ensemble 1996: 18). Seine Mission sei es »to bring pressure on legitimized institutions engaged in unethical or criminal actions« (ebd.: 18). In einem gewissen Wider-spruch dazu, dass der freie Zugang zu Information als Hauptmotiv der existie-renden jungen Hacker beschrieben wurde, stand für das CAE die Taktik der in-formationellen Blockade im Zentrum des Konzeptes des elektronischen zivilen Ungehorsams. Dieser Widerspruch wurde jedoch nicht thematisiert. Die Idee der informationellen Blockade wurde wie selbsterklärend als elektronische Analogie zu physischen Blockaden präsentiert, jedoch noch nicht auf techni-scher Ebene ausbuchstabiert.

Ein gravierender Unterschied zu früheren Taktiken des zivilen Ungehorsams, die auf der Masse der anwesenden Menschen beruhten, liegt in der Vision, der elektronische zivile Ungehorsam sei eine geheime Intervention von dezentrali-siert arbeitenden, aktivistischen Zellen (vgl. Meikle 2009: 179); er wird also nicht als öffentliche Aktion, sondern als dezidiert verborgene Mission abseits der Massenmedien beschrieben (vgl. ebd: 180).

Bemerkenswert ist die Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Miss-brauchs von EDC, die das CAE veranlasst, etwas zu formulieren, was einem Verhaltenskodex gleicht. Zu vermeiden seien erstens Aktionen, die Unbeteilig-ten Schaden zufügen könnUnbeteilig-ten, wie auch Aktionen, die Teile der Netzinfrastruk-tur oder InfrastrukNetzinfrastruk-turen mit humanitären Funktionen kompromittieren.

Zu bevorzugen seien dagegen Ziele, bei denen die jeweilige Intervention einen finanziellen Schaden hervorruft, etwa Unternehmen. Deutlich wird in dieser Ausführung, dass das CAE eindeutig nicht nur symbolischen Einfluss, sondern auch bleibende schädliche Konsequenzen – etwa finanzielle Schäden – für le-gitim erachtete. ECD sei nur ein erster strategischer Schritt und könne durch gewaltsamere und revolutionärere Methoden ergänzt werden (vgl. Ensemble 1996: 24). Daten dürften nicht zerstört oder beschädigt werden. In keinem Falle

sollten Individuen Zielscheibe von Aktionen des ECD werden, weder durch Bloßstellung ihrer Person noch durch Manipulation ihrer persönlichen Bank-konten. Lediglich Institutionen seien ein legitimes Angriffsziel; individuelle Atta-cken seien hingegen Ausdruck von Rache und hätten keinen Effekt auf private oder öffentliche Regelungsstrukturen.

Letztlich präsentiert das CAE selbst die Crux ihrer Vision – sie ist (zum Zeit-punkt der Erfindung) Science Fiction, aus einem Grund, der überraschen mag:

»No alliance exists between hackers and specific political organizations. In spi-te of the fact that each would benefit through inspi-teraction and cooperation, the alienating structure of a complex division of labor keeps these two social seg-ments separated more successfully than could the best police force« (ebd.:

19).

Ausgehend von diesem Schisma zwischen Techno-Avantgarde und politischen Aktivisten identifiziert das CAE weitere Gründe, weshalb ECD vorerst Fiktion bleibe, wie das Fehlen einer Widerstandsorganisation, die tatsächlich in der Lage sei, global zu agieren. Realistischer als die aktivistische Idee, die Zivilge-sellschaft dieser Welt zu einen, sei die Vision, dass Widerstand durch die tech-nologische Avantgarde kanalisiert werde. Jedoch zeige sich hier ein anderes Problem. Die Szene dieser technisch versierten Hoffnungsträger bestehe hauptsächlich aus white first-world males, weshalb es fraglich sei, ob diese Avantgarde tatsächlich pluralistische politische Interessen vertreten könne. In Richtung der linken aktivistischen Szene formulierte das CAE die Forderung, sich zu reorganisieren. Nicht der Zusammenschluss und ein Angriffspunkt, sondern viele anarchistische Zellen mit unterschiedlichen Zielen seien in einer dezentralisierten Welt effektiv. Jede aktivistische Zelle solle andere in ihren Ta-lenten ergänzen, so dass sie trotz weniger Teilnehmer großen Einfluss entfalten könne und gleichzeitig die singulären Identitäten der Individuen bewahre.

Rückblickend ist es durchaus bemerkenswert, wie zutreffend das Critical Art Ensemble Mitte der 1990er Jahre viele Herausforderungen und Konflikte des digitalen Ungehorsams beschreiben konnte. Ungeachtet der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Entstehung des Textes On Electronic Civil Disobedience and other unpopular ideas dieser Ungehorsam noch Fiktion war, kann der Text selbst als Akt des symbolischen Widerstandes gesehen werden: als Besetzung eines Begriffs. Durch die Erfindung des Begriffs des elektronischen zivilen

Un-gehorsams konnte sich überhaupt erst die Idee entwickeln, dass ziviler Unge-horsam durch bestimmte technische Taktiken neue Formen annimmt. Das CAE legte somit den Grundstein dafür, dass sich erste Taktiken als Formen elektro-nischen zivilen Ungehorsams identifizieren konnten, und ermöglichte es, elek-tronischen zivilen Ungehorsam in experimenteller Weise zu erproben und seine Etablierung als reale Praxis vorzubereiten.

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